Archiv der Kategorie: Konzertkritik

Von drahtig bis sphärisch. Zwei Wege zur Euphorie

Konzertberichte: KREISKY (Support: TRACKER), 13. April 2018, PMK Innsbruck
MOLLY, 19. April 2018, Die Bäckerei, Innsbruck

Zwei österreichische Bands, die auf Y enden, zwei euphorisierende Konzertabende. Das war es aber auch schon wieder mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Auftritten von Kreisky und Molly in Innsbruck. Und das liegt nicht nur an der unterschiedlichen getränketechnischen Ausgestaltung dieser Abende meinerseits (einmal Bier – oje, zuviel; einmal Gingerbeer – ui, zu scharf), sondern manifestierte sich natürlich vor allem auf der musikalischen und atmosphärischen Ebene.

Kreisky begeisterten in der PMK mit ihrem gleichermaßen eigenwilligen wie eigenständigen Sound irgendwo zwischen Post-Punk und noisigem Rock, bei dem mir gleich eine ganze Reihe von Adjektiven durch den Kopf schießt: drahtig und schlank, (scharf-)kantig und zackig, fiebrig und quecksilbrig, glasklar und kühl, niemals aber schwerfällig und „heavy“. Der provokante Titel des aktuellen Albums, „Blitz“, bringt das Ganze eigentlich bestens auf den Punkt.

Das größte Pfund, mit dem Kreisky wuchern können, ist genauso drahtig und schlank wie ihr Sound – nämlich Sänger Franz Adrian Wenzl: Er ist nicht nur ein Texter mit hohem Wiedererkennungswert, der sich herzlich wenig um übliche Vorgaben in Sachen Reim und Rhythmik schert und gerne ungelenk und abgehackt über die Verszeile hinausstolpert, sondern zugleich auch ein grandioser Frontmann. Und „grandios“ ist hier durchaus auch im Sinne von überheblich gemeint: Denn in Zeiten, in denen sich allzu viele Musiker „authentisch“, „bodenständig“ und „normal“ geben – und dabei meist nur langweilig, gefällig und bieder sind -, tritt Wenzl mit gesunder, erfrischender Arroganz vor sein Publikum.

Ob als sexy tänzelnder Gockel, als bitterböser, verbitterter Zyniker (als der er in den Texten häufig auftritt) oder als am Kabarett geschulter Conférencier zwischen den Songs (es handelt sich hier immerhin um den leibhaftigen „Austrofred“) – der Mann hatte sein Publikum von Anfang an fest im Griff. Und Kreisky waren an diesem Abend in der restlos ausverkauften und entsprechend proppenvollen PMK sowieso die richtige Band am richtigen Ort. Bier und Schweiß flossen in Strömen, das bestens gelaunte Publikum ließ sich nur allzu gerne mitreißen.

An mitreißenden Songs, die gerade für die Livesituation wie gemacht scheinen, mangelt es bei Kreisky ja wirklich nicht. Zu den Höhepunkten – in einem Set ohne Ausfälle – zählten die tragikomische neue Versager-Hymne „Veteranen der vertanen Chance“ (in der Wenzl die Lottozahlen inklusive Zusatzzahl aufzählt – die Quittung zum Lottoschein hat der Ich-Erzähler selbstverständlich verloren), das textlich wie musikalisch unerbittliche „Vandalen“ („Wir sind alle Kannibalen / Wir sind alle keine Menschen mehr / Wir sind alle Vandalen / Wir sind viel zu junge Mädchen“), das vergleichsweise fast schon melancholisch-sanfte „Pipelines“ und natürlich das schneidende, gallige „Asthma“, das von meinem Schreibclub-Kollegen und Konzertgenossen Klippo erfolgreich eingefordert wurde. Eine giftigere Abrechnung mit der oder dem Ex wurde hierzulande noch nicht geschrieben:

„Und du wirst es nicht glauben / Aber seit du fort bist / Ist mein Asthma so gut wie verschwunden / Ist mein Asthma weg“.

„Ich habe oft gesagt, ich mag dich so wie du bist / Aber du musstest dich ja verändern / Von mir aus hättest du dich nicht verändern müssen / Verbessert hast du dich dadurch nämlich nicht“.

Mindestens genauso gut und ebenso gnadenlos – brandneue Songs wie „Ein braves Pferd“ (der sarkastische Refrain „Ich bin ein braves Pferd“ zierte übrigens auch die aktuelle T-Shirt-Kollektion am Merch-Stand) oder das mit schäbigen Synthies unterfütterte „Ein Depp des 20. Jahrhunderts“, in dem das lyrische Ich mit dem unaufhaltsamen Verschwinden von Gegenständen, Gewissheiten und Gewohnheiten hadert, letztlich also mit dem Altern und dem bitteren Gefühl, dass früher alles schöner und einfacher war und einen die Realität längst überholt, die Welt schon lange abgehängt hat:

„Und Autos und Rauchen und Fernsehen und CD-Sammlungen / das ist alles weg / Der Lärm und die Mädchen und unser ganzes schönes Europa / Das ist alles weg. Jetzt stehe ich da / Ein Depp des 20. Jahrhunderts“.

Serviert werden diese schwer bekömmlichen Botschaften, in denen das Persönliche und das Gesellschaftlich-Politische unauflöslich zusammenkleben, aber eben in knackigen, kurzen, hochenergetischen Vitaminbomben von Songs – und der Effekt ist letztlich ein tröstlicher und euphorisierender.

Dass das in der PMK so besonders gut klappte (und es sich Kreisky sogar leisten konnten, Weltnummern wie „Selbe Stadt, anderer Planet“ zu spritzen), war sicher auch ein Verdienst von Tracker, die an diesem Abend eigentlich keine Vorband, sondern ebenbürtiger Opening-Act waren. Auch bei ihrem Auftritt war es schon knallvoll, auch hier forderte das Publikum am Ende begeistert Zugaben ein.

Mit seinem sperrigen, kantigen, zugleich treibenden und konzisen Gitarrensound irgendwo zwischen Stoner Rock, Grunge und psychedelisch-experimentellen Spinnereien im Geiste von, zum Beispiel, „King Gizzard & The Lizard Wizard“ passte das Tiroler Trio sogar noch besser zu Kreisky, als ich im Vorfeld gedacht hätte.

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Musik mit Bart. Von Reifenspuren, Fensterhebern und bekifften Riesen

Konzertbericht: BART BUDWIG, Die Bäckerei, Innsbruck, 14. März 2018:

„Entscheidend is‘ auf’m Platz“, lautet eine gern zitierte Weisheit des Duisburger Fußballspielers und -trainers Alfred „Adi“ Preißler. Und die lässt sich bisweilen auch gut auf die Welt der Popmusik übertragen: Entscheidend is‘ auf der Bühne.

Natürlich gibt es Musik, die gerade auf dem Plattenteller oder im Kopfhörer ihre volle Stärke und Tiefe entfaltet (und sich live vielleicht gar nicht so subtil, raffiniert oder detailreich darstellen lässt). Aber in vielen Fällen ist halt doch das Liveerlebnis der Konserve vorzuziehen – so auch im Falle des US-amerikanischen Sängers, Gitarristen und Trompeters Bart Budwig.

„Sabai“ heißt sein vor wenigen Wochen erschienenes, insgesamt sechstes Album – benannt nach einer Hütte tief in den Wäldern des nordöstlichen Oregon. Dort, in der Einsamkeit der sogenannten Eagle Cap Wilderness, schrieb er seine Songs, begleitet – so lassen es der Presstext und die eigene Fantasie vermuten – vom heimeligen Knacken des Kaminfeuers, umgeben von rauschenden Wäldern, von Wind, Wasser, Erde und vor allem großer Stille. Aufgenommen wurde das Ganze binnen zwei Tagen, mit einem einzigen Mikrofon, wie Budwig selbst erzählt.

Das Ergebnis sind unaufdringliche bis unspektakuläre, reduzierte und – mangels Abwechslung im Arrangement – bisweilen etwas einförmige Songs, die bei mir persönlich bei Vorabhören keinen tieferen Eindruck hinterließen.

Doch, wie gesagt, was zählt, is‘ auf’m Platz, nich‘ auf Platte.
Und hier bestätigte sich einmal mehr die Regel, dass man sich von Vorab-Höreindrücken nicht zu sehr beeinflussen – und schon gar nicht vom Besuch eines Konzerts abhalten lassen sollte. Sonst kann man ganz schön viel versäumen – in diesem Fall einen wirklich schönen Konzertabend mit einem höchst sympathischen und talentierten Sänger und Songschreiber. Einen Abend, der weitaus spannender und mitreißender wurde, als ich es erwartet hatte.

(Copyright: Vivre Arts)

Ich bin nicht unbedingt der größte Fan von Alben und Konzertabenden der Marke „Nur ein Mann und seine akustische Gitarre“. Wenn bei Konzerten von „stripped-down arrangements“ oder „unplugged, intimate versions“ die Rede ist, bedeutet das für mich manchmal einfach nur, dass da ein bisschen wenig passiert.

Aber davon war bei Bart Budwigs zweitem Innsbruck-Auftritt eh nie die Rede – und allein mit seiner Gitarre stand er auch nicht auf der Bühne. Vielmehr konnte er in Gestalt von John Nuhn auf einen äußerst versierten und nicht minder sympathischen musikalischen Begleiter bauen, der den Stehbass kompetent zupfte und klopfte und zudem ganz wunderbare Backing-Vocals beisteuerte. Und auch Bart Budwig selbst – ein aus dem dünn besiedelten, gebirgigen Idaho stammender, inzwischen im progressiven Oregon lebender Waldschrat – erwies sich als toller, ausdrucksstarker und überraschend wandlungsfähiger Sänger mit einem Gespür für starke Melodien.

Gerade in den Refrains erklang sein Gesang oft glasklar und hell, so dass man sich bisweilen etwa an die frühen Fleet Foxes erinnert fühlen konnte, zugleich natürlich an klassischen Alternative Country. Eine ganz große Stärke war dabei eben – auch im Vergleich zur „Konserve“ – der phasenweise geradezu himmlische Harmoniegesang der beiden. „Das können sie wirklich, die Amis“, meinte Kollege Dave mit anerkennendem Augenzwinkern.

Deutlich wurde auch, dass Budwig tief in der genretypischen Tradition des Geschichtenerzählens verwurzelt ist. Es sind einfache, aber prägnante Geschichten, in denen als Leitthema immer wieder das Spannungsfeld zwischen Heimweh und Fernweh oder, weiter gefasst, zwischen Ankommen und Abschied nehmen, aufscheint – für einen Künstler, der so wie Budwig mindestens das halbe Jahr fern der Heimat durch kleine Clubs tingelt, ein naheliegendes Sujet. Auch die Frage, wie sich unter solchen Umständen tragfähige Beziehungen aufbauen, halten und gestalten lassen, schimmerte immer wieder durch. (Dass so ein Tourleben kräftezehrend und anstrengend ist, konnte man zwischen den Zeilen ebenfalls herauslesen: John Nuhn erwähnte gegen Ende, dass er nur zwei Tage nach dem Innsbruck-Konzert schon wieder daheim in Idaho an der Uni erwartet werde.)

Inhaltlich wie musikalisch war die Bandbreite an diesem Abend beachtlich: Einige der Songs wiesen erstaunlich viele Brüche und Wechsel auf, mit komplexeren Dramaturgien, als man anfangs vielleicht geglaubt hätte. Der Grundton war dabei teils melancholisch und emotionell, letztlich aber doch harmonisch und optimistisch. Von den Abgründen, von der schonungslosen Härte und Düsternis, wie sie in vielen guten Country-Songs lauern – man denke nur an Townes Van Zandt oder natürlich den späten Johnny Cash – war hier nur wenig zu merken.

Budwig mag es vielmehr, von den scheinbar kleinen Dingen und Momenten zu erzählen – was bei anderen Sängern vielleicht spießig und allzu gefällig wirken würde, hier aber durchaus stimmig war. Zumal Budwig seine Lyrics auch mit lakonischem Humor würzt, etwa in einem Song über starken Kaffee und starke Gefühle:

„You got me drinkin‘ strong coffee / And I know it’s bad for my health.“

Dass Budwig zuletzt, wie er an einer Stelle erzählte, sehr viel Motown-Soul gehört habe, war zwar nicht wirklich herauszuhören. Aber die bescheidene, zugleich gestelzte Anmoderation eines offenbar Soul-beeinflussten Liedes gelang immerhin sehr charmant: „This one is hopefully from the groovier realm …“

Zwischendurch griff Budwig auch ein paar Mal zur Trompete, nicht zuletzt als Verneigung vor dem großen Miles Davis. Woher das hin und wieder punktgenau einsetzende Tamburin kam – wahrscheinlich wurde es einfach vom Mischer eingespielt – konnten wir als Zuhörer hingegen nicht klären. Na gut, wir haben uns auch gar nicht um Aufklärung bemüht. Und die Vorstellung eines „mystery tambourine“ ist eh viel schöner!

Hin und wieder verfiel Budwig in eine Art Talking Blues – oder in diesem Fall eher Talking Folk oder Talking Country -, was sehr gut zu seiner Art des Geschichtenerzählens passt. In einer anrührenden Anekdote erinnerte er sich zum Beispiel an ein Erlebnis aus seiner Kindheit, als er mit seinem Vater eine Straße überqueren wollte und fast überfahren worden wäre. Die Reifenspuren am Asphalt hätten sich für immer in sein Gedächtnis eingeprägt, meinte er.

Skurril und surreal war dagegen die – besonders schwungvoll dargebotene – Geschichte einer laaangen Autofahrt bei brütender Hitze. So heiß sei es im Fahrzeuginneren gewesen, dass der Kaffee im Becherhalter zu kochen begann, prahlte Budwig, „and the cigarette lit itself“. Von einer funktionierenden Lüftung war natürlich keine Rede – und er als Fahrer habe die Fenster einfach nicht herunterbekommen. Daher die titelgebende Aufforderung an die Begleiterin:

„Sarah, roll down my window / I can’t make it on my own …“

Merke: Es gibt kein Thema, über das man keinen Song schreiben könnte.

Besonders anrührend gelang auch die Liveversion von „Captain, Dreamer“: Laut Budwig ist dieser Song von riesigen Frachtschiffen inspiriert, die vor der US-Westküste anlegen, deren Besatzung aber oft nicht amerikanischen Boden betreten dürfe. In genau diese beklemmende Lage versetzt sich Budwig hier – und gewinnt ihr einfache, aber umso poetischere Zeilen ab:

„Always homeless / but never free / Lost at shore / And lost at sea“.

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Kontrollierte Ekstase

Konzertbericht: EDOM, Kulturfabrik Kufstein (KuFa-Bar), 2. März 2018

Für das Leben wie für die Musik gilt: Erwartungen sind eine seltsame Sache. Manchmal werden sie enttäuscht – und trotzdem (oder gerade deswegen?!) ist man am Ende glücklich und zufrieden. Mit Edom ist es mir gestern Abend in der Kulturfabrik genau so ergangen.

Nicht dass ich im Vorfeld viel über die Formation und die beteiligten Musiker gewusst hätte (ohne großes Vorwissen und damit möglichst unvoreingenommen in Konzerte zu gehen, empfinde ich oft sogar als Vorteil). Aber schon das Wenige, das ich wusste – es handelt sich hier um in New York ansässige Künstler aus dem Dunstkreis des Avantgardejazz-meets-Experimental-Noise-Meisters John Zorn und seiner „Radical Jewish Music“ – legte meine Erwartungen fest: Diese Musik würde lärmig und abstrakt klingen, sperrig und dissonant, schwer zugänglich und für ungeübte Ohren möglicherweise recht anstrengend.

Die Realität stellte sich dann ganz anders dar: Das Sounduniversum von Edom entpuppte sich als deutlich zugänglicher, „straighter“ und vor allem grooviger als erwartet. Mit anderen Worten: Eine völlig andere Klangbaustelle als das um maßgeschneiderte John-Zorn-Kompositionen kreisende Avantgarde-Projekt Abraxas, mit dem Bassist Shanir Ezra Blumenkranz und der aus Israel stammende Gitarrist Eyal Maoz schon zweimal in Kufstein zu Gast waren (beide Male habe ich unverzeihlicherweise versäumt). Blogkollege Johannes, der Abraxas erst kürzlich im Stromboli Hall erlebt hatte, bestätigte diesen Eindruck: Im direkten Vergleich klingen Edom ungleich zugänglicher und, ja, poppiger. Aber dazu kann Johannes hier bei Gelegenheit ja vielleicht selbst mehr erzählen …

Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Edoms wirbelnder Mix aus instrumentalem Avant-Rock, Fusion Jazz und jüdisch-nahöstlichen Klangfarben klingt immer noch laut, schräg und experimentell genug, um den Großteil der Middle-of-the-Road-Musikhörer zu verschrecken. Aber das Ergebnis ließ phasenweise eher an fast schon klassischen Psychedelic-, Space- oder Jam-Rock denken als an radikalen Avantgarde-Trancemetal.

Dazu trugen sicher vor allem die dominanten Synths des furiosen Tastenmanns Brian Marsella bei, die im Gesamtkontext vielleicht gewöhnungsbedürftig sein mochten – mich persönlich durch ihre atemlose Rasanz und pure Energie aber besonders elektrisierten.

 

Überhaupt, was für brillante, dabei uneitle Musiker! Statt ihre Virtuosität selbstverliebt zur Schau zu stellen, schienen alle in erster Linie fürs Kollektiv zu arbeiten und zu denken. Hier drängte sich niemand in den Vordergrund, erst recht nicht der nominelle und faktische Frontmann Eyal Maoz, der in seinem Auftreten wie bei seinen perlenden Gitarrenfiguren Understatement übte – und damit umso mehr zu beeindrucken wusste. In Summe hatte man den Eindruck von vier gleichberechtigten Frontmännern, die ineinandergriffen wie Zahnräder, aber eben nicht maschinenhaft, sondern leichtfüßig und elegant. Selbst Momente freier Improvisation (sofern solche für den Laien überhaupt zu erkennen sind) und lärmiger Ekstase wirkten stets kontrolliert und souverän – im positivsten Sinne.

Schön auch, die Kommunikation zwischen den Musikern zu beobachten: Ein kurzes Kopfnicken hier, ein kurzer Augenkontakt da, hin und wieder ein breites Grinsen oder zwei, drei kurze Sätze – und schon lief das Werkl wieder weiter wie geschmiert.

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Hier klingt’s nach Pisse!

Konzertbericht: PISSE (Support: JANÖSCH), PMK Innsbruck, 4/02/2018

Und da heißt es oft: Heutzutage sind keine Pionierleistungen mehr möglich, alles wurde schon irgendwann irgendwo von irgendwem gemacht. Ich kann mit Stolz den Gegenbeweis antreten: Zuerst zum Mullerlaufen in Thaur, abends dann zur radikalen Punksause in die PMK – diese bizarre sonntägliche Kombination hat in der Menschheitsgeschichte vor mir noch keiner vollbracht. Behaupte ich jetzt einfach mal.

Nicht, dass das eine besondere Leistung wäre. Aber außer einer gewissen Tendenz zur Anarchie, die beiden Veranstaltungen gemeinsam war, hätte der Kontrast definitiv nicht größer sein können – und die Schnittmenge (= ich) im Publikum praktisch nicht kleiner.

Den ohrenbetäubenden Aufakt (in der PMK, nicht beim Mullerlaufen) lieferten Janösch aus Innsbruck: Brutal geknüppelter Hardcore-Punk mit klanglichem Naheverhältnis zum Metal, wobei der Hauptunterschied in der Länge der Songs (niedrig) und dem Politgehalt (hoch) lag.

Für meinen persönlichen Geschmack war das Ganze – trotz politisch aufgeladener Sprachsamples – deutlich zu brachial und humorlos, dafür aber mit viel gerechtem Zorn gespielt, etwa gegen die „Bonzenstadt Innsbruck“ mit ihren Schlaf- und Alkoholverboten.

Wie sagte es der Ankündigungstext: „Subtil wie ein Faustschlag ins Gesicht“. Oder subtil wie das T-Shirt des Drummers, auf dem der in Tirol so populäre „Es gheat oanfach viel mehr gschmust/glesn etc.“-Spruch kurzerhand in „Es gheat oanfach viel mehr ogstochn“ geändert wurde. Das Publikum ging jedenfalls schon hier vorbildlich ab. So wie im Anschluss bei „Pisse“.

Pisse – schon mal ein exzellenter Name für eine Punkband. Und auch schon alles, was ich im Vorfeld über die Formation wusste. Jetzt ist das übrigens nicht viel mehr, denn Pisse scheinen jede Art von Hey-Wir-spielen-in-einer-Band-Getue oder Personenkult zu verabscheuen. Auch ihr Wikipedia-Eintrag macht das deutlich, wo unter „Aktuelle Besetzung“ Folgendes zu finden ist:

Gitarre, Gesang: Ronny
Schlagzeug: Ronny
E-Bass, Theremin: Ronny
Synthesizer: Ronny

Pisse, so viel ist noch in Erfahrung zu bringe, kommen aus Hoyerswerda in der Oberlausitz (Sachsen), ein Name, den man hierzulande höchstens mit brutalen Neonazi-Attacken in Verbindung bringt. Was man ansonsten noch wissen sollte: Pisse verfügen über gleich zwei Frontshouter (einer Typ asketischer Brillen-Nerd, einer Typ zorniger Wuschelkopf mit Tattoo und Muskelshirt). Und vor allem: Pisse impfen ihren harten „Minimalist Punk“ mit einer heilsamen Dosis schäbiger, jaulender, quietschender Elektronik.

Das klingt erfrischend und vital und verhindert, dass der zackige Deutschpunk ins allzu Brachiale und Martialische abgleitet – was gerade bei diesem Genre ja eine inhärente Gefahr darstellt (und mich persönlich oft ein wenig auf Distanz gehen lässt). Die fiesen Synthie-Klänge passen jedenfalls perfekt ins Klangbild, das sollten eigentlich (wieder) mehr Punkbands so machen. Fazit: Pisse fetzten live gewaltig, klangen mitreißend und energetisch – und genau das zählt bei Punk, mindestens so sehr wie die Message.

Wobei es bei Pisse an Messages erst recht nicht fehlt. Denn ihre eigentliche Stärke sind die Texte, die so sind wie ihre Songs: knapp, prägnant, hart auf den Punkt gebracht. Zu gleichen Teilen sloganhaft, illusionslos und hymnisch. Gewitzt, aber ganz weit weg von jedem Klamauk oder (schreckliches Wort!) Funpunk. Bela B. ist Fan – zurecht.

Eine Kostprobe gab es gleich zu Beginn mit „Alt sein“, einer gnadenlosen Senilitätsfantasie:

Ich möchte alt sein. / Mit einem Krückstock / Will ich einschlagen auf den Fahrkartenkontrolleur!
Und wenn ein Mädchen / Mich anlächelt / Dann ist’s mir gleich / Denn dieser Fisch laicht nicht mehr.

Zum Schluss erfährt der Song dann noch einen Dreh ins Surreale, wenn der Ich-Erzähler den Wunsch äußert, Enten zu füttern – mit Entenfutter, altem Brot und Liquid XTC.

Auch in „Drehtür“ wird die entsetzliche Trostlosigkeit metaphysisch überhöht, indem am Ende der Tod in Gestalt eines Pizzamanns erscheint. Davor heißt es, schmerzhaft präzise formuliert:

In der Drehtür des Lebens / Läufst du immer schön im Kreis / Eine tote Seele / Für die Ewigkeit.
Alles endet so / Wie es einst begann / Du liegst in deinem Bett / Und hast die Windeln an.“

Und später:
„Hier wurdest du gezeugt / hier wirst du sterben / In einem Bett von IKEA“.

Bumm! Das sitzt, das trifft den Nerv vieler Menschen, die sich wundern, warum sie in der Hochleistungs-/Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft einfach nicht so richtig glücklich werden wollen. Das Köpfenicken im Publikum hatte hier sicher nicht nur mit der Musik, sondern auch mit dem befreienden Gefühl zu tun, wenn jemand die eigene Befindlichkeit so auf den Punkt bringt, wie man es selber gerne schaffen würde.

Generell scheinen Pisse von wenig glamourösen Themen wie Alter, Krankheit und Wahnsinn geradezu besessen zu sein, etwa auch in „Ich bin der schönste Mann in der Nervenheilanstalt“ (übrigens von einem Album mit dem WTF-Titel „Mit Schinken durch die Menopause“). Auch im zackigen „Beerdigung“ treffen sie direkt in die Magengrube:

Domestizierte Langeweile / Die sie dir als Fun verkaufen / Tagsüber Selbstverwirklichung / Abends Cua Libre saufen / Tote bringt man nicht mehr um.

Ein weiteres Mal: Bumm!

Selbst erkennen darf man sich – auf welcher Seite des Spektrums auch immer – ebenso, wenn Pisse Mordfantasien auf einer Vernissage entwickeln, voller Zorn auf die an Sektflöten nuckelnden Bobos, deren Zunge „nach Arsch“ riecht – und zwar „von dem edlen Prinzen, der das alles hier bezahlt“.

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Kosmischer Klanggottesdienst. Oder: Von der Geborgenheit im Lärm

Konzertbericht: Acid Mothers Temple & the Melting Paraiso U.F.O. (Support: Dirty Fences), PMK Innsbruck, 30. September 2017

Wenn am Tag danach die Ohren pfeifen, bedeutet das normalerweise nur, dass der Rezensent mal wieder zu blöd war, auf Ohropax zurückzugreifen. Doch es gibt Konzertabende, an denen man das „Pfeifen danach“ quasi als notwendige, ja unausweichliche Konsequenz in Kauf nimmt – Abende, an denen Ohropax nicht einmal dann in Frage kämen, wenn man ausnahmsweise mal daran gedacht hätte, sie einzupacken. Gestern war ein solcher Abend.

Für einen vergleichsweise bodenständigen, dafür umso energetischeren Auftakt sorgten die Dirty Fences aus New York, die geradlinigen, schnörkellosen Garagenrock mit beträchtlicher Oktanzahl nach Tirol mitgebracht hatten. Die Rasanz und Vitalität DER New Yorker Punkband, nämlich der Ramones, schimmerte hier stetig durch, nicht nur wegen eines Schlagzeugers im Tommy-Ramone-Gedächtnislook, der die Songs im Blitzkrieg-Bop-Tempo einzählte: 1, 2, 3, 4 – und dann direkt auf die Zwölf (wie unsere nördlichen Nachbarn es vielleicht beschreiben würden).

Dazu setzte es eine fette – nicht nur vom anwesenden Chef des Downtown Sound Record Stores begeistert zur Kenntnis genommene – Dosis Power Pop (generell ein sträflich unterschätztes Genre, wie ich finde) mit wunderbarem Harmoniegesang, an dem alle vier Bandmitglieder mitwirkten. Andere Passagen ließen wiederum eher an frühen (Proto-)Metal denken. Kurz gesagt: Das Rad wurde hier nicht neu erfunden, aber ganz wunderbar zum (Rock ’n‘)Rollen gebracht.

Mit Anmoderationen wie „This next song is Teen Angel from our new album Teen Angel“ und unmittelbar darauf „This next song is Goodbye Love from our new album Goodbye Love“ vermittelten die Dirty Fences ebenfalls den Eindruck, dass im Leben nicht immer alles so furchtbar kompliziert sein muss. Dazu passte auch, dass sich die restlichen Zwischenansagen der Band vor allem um den (vom Publikum nicht erfüllten) Wunsch nach Marihuana drehten. Und so herrschte am Ende trotz versagter Zugabe das, was nach einer feinen Vorband immer herrschen sollte: gute Laune nämlich.

Auf das, was nun folgen sollte, wurde man mit dem knackig-kurzen Set der Dirty Fences inhaltlich freilich denkbar schlecht vorbereitet – nämlich auf den jenseits herkömmlicher Zeit- und Raumgrenzen existierenden kosmischen Freakout mit dem japanischen Avantgarde-Psychedelic-Rock-Kollektiv Acid Mothers Temple.

Rund um den Zentralplaneten namens Acid Mothers Temple kreist eine verwirrende Vielzahl an verschiedensten Inkarnationen, Veröffentlichungen und Kollaborationen. Die greifbarste und wichtigste Manifestation sind dabei aber „Acid Mothers Temple & the Melting Paraiso U.F.O.“. Und gleich vorweg: Deren denkwürdiger Auftritt in Innsbruck gestaltete sich deutlich weniger knallig, grell und forciert-krass, als der ausufernde Bandname, das abgedrehte Artwork und durchgeknallte Albentitel wie „Does the Cosmic Shepherd Dream of Electric Tapirs?“ oder „Astrorgasm from the Inner Space“ (mich) im Vorfeld vermuten ließen. Auch um billige Schauwerte ging es hier – trotz eines Bandmitglieds im schäbigen Transvestitenlook und eindrucksvoller Kopf- und Gesichtsbehaarung bei den anderen – in keinster Weise. Vielmehr war es allem sonischen Wahnsinn zum Trotz ein würdevoller, majestätischer Auftritt, getragen von grenzenloser Hingabe und geradezu heiligem Ernst.

„Heilig“ war überhaupt ein Wort, das mir an diesem Abend ständig durch den (musikalisch) benebelten Kopf schwirrte. Denn Acid Mothers Temple tragen das „Temple“ nicht ohne Grund im Namen – das „Konzert“ war im Endeffekt eher so etwas wie ein Gottesdienst. Freilich einer, der auch für Atheisten voll zugänglich war.

Das begann schon beim Bühnen-Habitus der beiden (gefühlten) Frontmänner Kawabata Makoto und Higashi Hiroshi, die ihre kunstvollen Beschwörungen des Lärmgotts stoisch, entrückt und ehrfurchtgebietend wie Hohepriester oder Zen-Meister zelebrierten, verborgen hinter geheimnisvoll wallendem Haupt- und Barthaar. Auch inmitten des kosmischen Klangsturms, den er selbst entfesselt hatte, selbst im dichtesten Nebel aus verfremdeten Gitarrensounds wirkte Makoto stets kühl und beherrscht. Und wenn Higashi sich über seinen Roland-Synthesizer beugte oder hin und wieder gravitätisch in sein Theremin griff (by the way, more theremin!), machte das ohnehin den Eindruck, als würde er mit geweihten liturgischen Geräten hantieren.

Und auch wenn es ein Klischee sein mag: Ich persönlich hatte das Gefühl, als würde durch die dichten, narkotisierenden Lärmschwaden stets eine Art von fernöstlicher Spiritualität durchschimmern, gewissermaßen ein Streben nach Entäußerung, Selbstaufgabe und (bewusstem) Kontrollverlust, der Wunsch nach mystischem Aufgehen in etwas Größerem, Kollektivem und Kosmischem.

Trotz alledem – und das machte diesen Auftritt so großartig – herrschte hier nie auch nur ein Hauch von esoterischer Gefälligkeit oder Räucherstäbchenalarm, das Klangbild war in keiner Sekunde zu gediegen und lieblich. Im Gegenteil: Das entfesselte, extrem druckvolle Schlagzeug und Basslinien wie aneinanderreibende Kontinentalplatten sorgten für eine gewaltige, festungsartige Basisstation, von der aus die Trips in fremde Klanguniversen umso eindrucksvoller gelangen.

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Wünschel-Route du Rock

VON STEFAN PLETZER

Nein, ich will das Route du Rock 2017, ein Festival in Saint Malo in der bezaubernden Bretagne, nicht über den grünen Klee loben. Dafür waren die beiden Tage, die Astrid und ich im Rahmen unseres Portugal-Frankreich-Urlaubs 2017 dort verbrachten, etwas zu sehr von den gefürchteten Festival-WWWs geprägt: Warteschlangen, Wetter und Wirbelsäule. Musikalisch hielten die auftretenden Bands jedoch alles, was das fulminante Line-Up versprochen hatte. Und darum soll es ja in diesem Blog gehen.

Daher will ich auch nur ganz kurz übers nicht ganz so Tolle sprechen. Jeder weiß ohnehin, dass ich ein Edel-Festivalgänger bin und mit Zelt-Romantik und sanitärem Mittelalter weniger am Hut habe. Aber hey, immerhin bin ich noch nicht zum VIP-Karten-Käufer avanciert. Kommt aber sicher auch noch. Wer die Jammerei überspringen möchte, liest einfach etwas weiter unten weiter. Hier meine Kritikpunkte:

* Viel zu viele Leute (20.000 oder so) am winzigen Gelände des Fort de Saint-Père. Die Organisatoren blicken auf 27 Jahre Erfahrung zurück, deshalb unterstelle ich ihnen einfach mal, dass sich im Ernstfall magisch zig Schleusen öffnen, um die Besucher in Sicherheit zu geleiten. Aber die Vorstellung, was passieren würde, müssten die Einsatzkräfte ihre Terror-bedingt mitgebrachten Maschinengewehre tatsächlich einmal einsetzen, ist mir trotzdem ungeheuer. Nebenbei verursacht die Platznot einen Mangel an Sitzgelegenheiten und einen klaren Überschuss an Wildpissern und Warteschlangen. Man muss das positiv sehen: Die Organisatoren wissen, dass sie die beiden Bühnen intelligenterweise weder mit Giga-Headlinern noch mit Krawallbands bestücken können. Deshalb heißen die Headliner auch PJ Harvey, Future Islands und Interpol. Trotzdem: Bei der Kapazität kratzt das Festival sicher an der Grenze.
* Weder für noch gegen das Wetter können die Veranstalter etwas. Doch im August wird’s in Küstennähe ganz schön frostig. Dabei hatten wir noch großes Glück, denn normalerweise soll es am Route du Rock immer regnen. Diesmal nicht.
* Für jedes Konzert bräuchte meine Skoliose eigentlich eine Massageeinheit als Wiedergutmachung. Masseure hatte ich nicht erwartet, aber am Route du Rock findet man nur sehr schwer Plätze zum Sitzen.

Mehr will ich gar nicht jammern. Zum einen könnte man auch viel Gutes über die Organisation sagen (Bargeldlose Gastronomie, relativ hohes Durchschnittsalter, recht gute Stimmung bei gar nicht mal so vielen Besoffenen, überdurchschnittlich guter Shuttle-Service und Saint Malo als Stadt ist unwiderstehlich schön), zum anderen rede ich lieber über das, weswegen ich mir die Tortur überhaupt antue, nämlich die Konzerte:

 

* FOXYGEN
Schon seit dem Primavera 2015 war klar, dass diese Band eher auf Effekt als auf Inhalt setzt. Von den drei Background-Sängerinnen ist mittlerweile nur noch eine übrig, Sänger Sam Frances Live-Extravaganzen sind mir völlig wurscht und die paar guten Songs vom zugegeben starken 2013er-Album „We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic“ können den Karren nicht aus dem Dreck ziehen. 2015 begaben sich Foxygen auf die selbsternannte Farewell-Tour. Letztlich entpuppte sich das als Marketing-Gag, aber ob’s nicht gscheiter gewesen wär?

* PJ HARVEY
Ungewöhnlich früh (20:30) betrat der Ober-Headliner – nicht nur des ersten Tages, sondern des gesamten Festivals – die Bühne. Ich war bisher kein nennenswerter Verehrer und hatte sie nie zuvor live gesehen. Umso mehr erfreut es mich zu sagen, dass die Live-Show zum aktuellen Album „The Hope Six Demolition Project“ zum Besten gehört, das ich je live miterlebte. Eine perfekt eingespielte, zehnköpfige Band, gespickt mit Elder Statesmen in der Musikbranche, die nicht nur live, sondern auch im Studio auf bemerkenswerte Lebensläufe zurückblicken können und sich nun am Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens zu befinden scheinen. Nicht, dass es wichtig wäre, aber Frontfrau Polly Jean sieht als Bald-50er noch besser aus als zu Beginn ihrer Karriere in den frühen 90ern. Und Songs wie „The Words That Maketh Murder“, „White Chalk“ oder „The Wheel“ erklingen wie schallende Ohrfeigen als Strafe, dass ich sie damals nicht in meinen Jahrescharts inkludierte. Das tut mir unendlich leid, PJ, ich trete deinem Kult viel zu spät, aber immerhin doch bei.

* CAR SEAT HEADREST
Mir scheint, sie nehmen sich etwas wichtiger, als sie tatsächlich sind. Aber ganz übel war „Teens of Denial“ nicht. Eine Band, die es zu beobachten gilt. Auch wenn’s schlafmützige College-Streber sind.

* THEE OH SEES
Ich erkenne live zwar keine besonderen Unterschiede innerhalb der Tracks, doch weil John Dwyer seine Songs derart leidenschaftlich ins Mikro schreit, spuckt und schluckt, sind die Garagenrocker aus Rhode Island das zweite große Faszinosum des ersten Festival-Tags. Wer diese viel zu unbekannte Band zufällig auf einem Festival-Lineup sieht, bitte unbedingt hingehen!

* DJ SHADOW
Auch bei der vierten Live-Show nach Bizarre 2002, Amsterdam Zweitausendirgendwann und Pukkelpop 2006 ist mir Josh Davis überaus sympathisch. Aber von den Visuals habe ich mir etwas mehr erwartet. Daft Punk, Etienne de Crecy oder Amon Tobin zeigen vor, was man heute alles mit einer Show machen kann, in der die Betätigung einiger Knöpfe und das Spinnen und Scratchen von Platten allein für eine Festivalcrowd jetzt nicht zu DEN optischen Highlights zählen. Ich mag ihn trotzdem.

* ARAB STRAP
Die mürrischen Songs der Schotten hab ich immer geliebt. Die fünf Kronenbourg 1664er-Dosen, die Sänger Aidan Moffat wohl vertragsgemäß auf die Bühne gestellt werden, reichten knapp für einen 50-Minuten-Auftritt zu Beginn von Festival-Tag zwei. Sie haben „Turbulence“ gespielt, also war ich glücklich.

* TEMPLES
Tame Impala für Durchschnittsverdiener. Das dritte Album wird wohl weisen, wo der Weg hingeht. Aber Astrid war positiv überrascht, wie viele der Songs sie aus dem Radio kannte. Das war schon okay.

* THE JESUS & MARY CHAIN
Seit dem vorläufigen Bandende im Jahr 1999 bin ich nicht ausnahmslos jeden Tag aus dem Schlaf erwacht und fragte mich, wann The Jesus & Mary Chain sich wiedervereinigen würden, zählten die Schotten doch schon zu Beginn meiner musikalischen Sozialisation Mitte der 90er-Jahre für mich zum alten Eisen. Nach wie vor sind Songs wie „Just Like Honey“, „You Trip Me Up“ oder „Reverence“ aber tadellose Festival-Schlager. Die Kette hält.

* FUTURE ISLANDS
Wenn er den Soundcheck unter dem Jubel der ersterschienenen Gäste selbst bestreitet, wenn er erzählt, wie hart erkämpft der kommerzielle Durchbruch war oder wie ihr Auftritt zwischen Shows in Wales und den Niederlanden durch einen Privatjet a la Bon Jovi möglich gemacht wurde, wenn er sich bei Songs wie „A Dream of You and Me“ oder „Seasons“ in mittlerweile bekanntem Pathos auf die Brust klopft, als würde er seinem Tagebuch gerade unter Tränen seine Lebensbeichte ablegen: Man muss Sänger Sam Herring einfach mögen. Große Songs, große Gefühle. Und wir in der zweiten Reihe!

* SOULWAX
Ich liebe Drums. Zwei Drumsets – gesehen etwa bei Dan Deacon oder hier bei den Oh Sees – liebe ich noch mehr. Aber drei!? Das kann auch nur den Haudrauf-Elektroniker gewordenen Rockern von Soulwax einfallen. Einer der drei Trommler übrigens: Sepultura-Gründungsmitglied Igor Cavalera! Kein Wunder, dass nach dem einstündigen Set um ca. 3:45 Uhr die Ohren klingeln. Bemerkenswert, auch wenn das neue Material nicht ganz mit den Überdrüber-Niteversions von „Krack“ oder „NY Excuse“ mithalten kann.

Den dritten Tag ließen wir übrigens – keineswegs spontan, sondern von langer Hand geplant – aus. Interpol hatten wir schon beim Primavera 2015 gesehen, den Rest nicht zu sehen konnten wir verschmerzen.

La Route du Rock, wir kommen nicht wieder. Aber wir sind froh, dagewesen zu sein!

Showdown im Weirdo Canyon

Festivalreport: Roadburn 2017, 20.-23. April

Unter etwas offeneren Anhängern extremer Musik gibt es weltweit wohl kaum ein Event, das mehr zelebriert und zum Kult hocherkoren wird, als das jährlich in Tilburg stattfindende Roadburn Festival. Jeden April pilgern Leute aus aller Welt in die Niederlande, um sich eine halbe Woche lang der sorgfältig kuratierten Mischung aus allen möglichen Ecken extremer Gitarrenmusik, psychedelischen Klangwelten, (Post-)Industrial und anderen alternativen Spielarten hinzugeben. Eine Besonderheit des Festivals sind die vielen exklusiven Spezialgigs, in denen Bands beispielsweise Full Album Sets ihrer alten Klassiker zum Besten geben, ihr Material in abgewandelter Form präsentieren, oder gemeinsam mit Szenekollegen die Bühne entern. Und dieses Jahr wollten einige Kollegen und ich nicht mehr nur neiderfüllt auf überschwängliche Reports und Lineups starren, sondern selbst live dabei sein, also starteten wir einen Roadtrip gen Holland. Ein Wochenende wie dieses hat gewiss auch verdient, dass man darüber berichtet, also komme ich um einen kurzen (ich ahne, dass es dann doch etwas ausladend werden wird) Festivalreport nicht herum – wackelige Handykamerabilder inklusive.

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Wörgl? Graz? Amerika!

Konzertbericht: Son of the Velvet Rat, Astnersaal Wörgl (Hotel Alte Post), 8. April 2017

Man mag ja zur Globalisierung stehen, wie man will. Aber in der Popkultur ist sie seit jeher eine Tatsache, wenn nicht sogar eine grundlegende Voraussetzung. Ohne internationalen Austausch, ohne wechselseitige Inspiration, ohne den Blick über den Tellerrand gäbe es keine vitale Popkultur. Vielleicht sind Globalisierung und Pop sogar ein und dasselbe Phänomen.

Und das digitale Zeitalter macht hier vieles möglich, was vor ein paar Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre. Zum Beispiel, dass der kulturelle Austausch bzw. die Globalisierung auch wieder in die Gegenrichtung verläuft – wenn zum Beispiel uramerikanische Musik von steirischen (!) Musikern quasi in die USA reimportiert wird. Und dort, im Mutterland, mittlerweile auch deutlich wahrgenommen und gewürdigt wird.

Georg Altziebler, Frontmann der Grazer Band Son of the Velvet Rat, die auf Einladung des Kulturvereins SPUR. kürzlich schon zum vierten Mal in Wörgl zu Gast war, lebt das, was man heute zusammenfassend meist als „Americana“ bezeichnet, mit vollem Herzen und grenzenloser Leidenschaft, wahrscheinlich leidenschaftlicher als viele amerikanische Musiker selbst. Das betrifft nicht nur die Musik, sondern auch den ganzen sie umgebenden Mythen-Kosmos voll Wüstenstaub, sengender Sonne, endlosen Highways und all den großen und kleinen Schicksalen und Gefühlen, die diesen Kosmos bevölkern. Es ist ein Mythos, der im Grunde größer ist als die Realität selbst – und genau darin liegt sein unerschöpflicher Reiz.

Altziebler hat sich diesem Kosmos mit Haut und Haaren verschrieben. Das jüngste SotVR-Album „Dorado“ (noch so ein mythisch aufgeladener Begriff) wurde in den USA mit amerikanischen Musikern aufgenommen. Produziert hat das Ganze niemand Geringerer als Joe Henry, der etwa für seine Grammy-geadelte Kooperation mit dem späten Solomon Burke („Don’t Give Up On Me“) bekannt wurde. Zuletzt, 2016, hat Henry mit dem großen englischen Polit-Folk-Barden Billy Bragg ein ergreifendes Album mit „Field Recordings From The Great American Railroad“ eingespielt, aufgenommen in Bahnhöfen und an Bahnstationen. Auch die Eisenbahn, die ein schier endloses, vielfältiges Land durchzieht, ist ja so ein großer – inzwischen leider ziemlich verkümmerter – amerikanischer Mythos.

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Altziebler und Familie leben inzwischen sogar einen Teil des Jahres in den USA, haben dort auch intensiv getourt – und beweisen, dass Americana nicht zwingend von Amerikanern gemacht werden muss, um zu überzeugen. Vielleicht braucht es – wie so oft – sogar den Blick von außen, um dieses reiche kulturelle Erbe und seine andauernde Aktualität richtig wahrzunehmen und auf die Amerikaner zurückzuspiegeln. In diesem Sinne äußert sich jedenfalls auch Joe Henry in den Liner Notes zu „Dorado“:

„I sometimes believe that as sprawling and confused as our national character has become, it requires a foreigner to actually make sense and whole cloth of its particular alchemy – to see it clearly, as if from the fire tower high above us.“

Generell heimsen SotVR inzwischen nicht nur in Österreich regelmäßig großes Kritikerlob ein, sondern auch in der amerikanischen Alt(ernative-)Country- und Folk-Szene. So erzählte die Hohepriesterin des Genres, die große Lucinda Williams, in einem Interview auf Stereo Subversion:

„There’s a band from Austria of all places who we heard here. It’s a husband and wife team called Son of the Velvet Rat. He’s got this great sexy, gravelly voice. (…) It’s beautiful melodies and sort of this Nick Drake, Mark Lanegan kind of thing. I freaked out when I saw them at this little place called the Hotel Cafe.“

Mit Lucinda Williams haben SotVR übrigens auch schon zusammengearbeitet, ebenso mit dem ehemaligen Wilco-Schlagzeuger Ken Coomer, der zwei Alben produzierte, oder mit dem grimmigen Genie Kristof Hahn (Swans, Les Hommes Sauvages, Justice Hahn). Kein Zweifel, SotVR sind längst angekommen.

Bestens angekommen (hey, was für ein eleganter Übergang!) ist die Band auch im Wörgler Astnersaal, dessen altehrwürdiger, in die Jahre gekommener, schäbig-eleganter Charme wunderbar mit dem Folk Noir von SotVR korrespondierte.

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Zuvor hatten The Tiptoes aus Graz (Bild oben) in Duo-Formation schön sanft auf den Konzertabend eingestimmt. Sängerin Miriam Bichler hat eine (wunder-)volle Indiepop-Stimme, von der man sich gerne hypnotisieren lässt. Nur mit akustischer Gitarrenbegleitung klang das Ganze auf Dauer dann aber doch ein klein wenig gleichförmig, man hätte sich zwischendurch gewünscht, die vollständige Band zu hören (ich persönlich bin generell kein großer Fan von Akustik-/Unplugged-Formaten). Dennoch ein wirklich feiner Auftakt, der vom aufmerksamen Publikum geradezu euphorisch beklatscht wurde.

Welche Vorzüge eine vollständige Bandbesetzung in puncto Wucht und Facettenreichtum haben kann, bewies im Anschluss die Hauptband: Denn obwohl Son of the Velvet Rat bisweilen als das „Projekt“ von Georg Altziebler wahrgenommen werden, sind sie in Wirklichkeit eine komplette, bestens eingespielte und „geölte“ Liveband, die zu vielerlei Stimmungen, Tempi und Klangfarben fähig ist.

Na gut, Altzieblers aufgerauhte Bassstimme, die an einen verletzlicheren Johnny Cash oder einen waidwunden Tom Waits denken lässt, steht natürlich schon im Mittelpunkt des SotVR’schen Klangbildes. Und es ist seine große Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, die Abwesenheit jeglicher „cooler“ Ironie, die viel vom Reiz und der Würde dieser Songs ausmacht. (Nicht umsonst wird im Zusammenhang mit SotVR gerne auf das traurige Countrygenie Townes van Zandt verwiesen). Aber dass es so ein abwechslungsreicher und vielschichtiger Konzertabend wurde, lag nicht an Altzieblers Stimme – die zwar markant und eindrucksvoll, aber nicht unbedingt allzu wandlungsfähig ist -, sondern in erster Linie an der äußerst kompetenten Band.

Da ist zunächst Altzieblers Frau Heike Binder zu nennen, die am Keyboard und an der Ziehharmonika vielfältige Akzente setzte und wunderbare Background Vocals beisteuerte. Die reizvolle Kombination aus dunklem Brummbass und einer hellen, leichtfüßigeren weiblichen Stimme wird ja spätestens seit Lee Hazlewood und Nancy Sinatra im Pop immer wieder gern genommen (siehe Mark Lanegan und Isobel Campbell uvm.).

Zu den feinen Vokalharmonien trugen bisweilen auch die anderen drei Musiker bei: Multiinstrumentalist Kolja Radenkovic, der funkelnde Gitarrensoli, flirrende Mandolinenklänge und – besonders schön – vereinzelte Vitaminschübe aus der Trompete bereithielt; der wunderbare Schlagzeuger Michael Willmann, der dem Gesamtsound eine unerwartete Wucht und Dynamik gab; und der stoische Bassist Albrecht Klinger. Sie alle bewegten sich mit großer Sicherheit zwischen elegischen Countryklängen, Chansons und aufgeräumtem Folkrock.

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Am besten waren Son of the Velvet Rat an diesem Abend – aus meiner Sicht – immer dann, wenn sie als Band so richtig ins Schwingen kamen, zwischendurch auch einmal das Tempo anzogen und manchmal sogar wild und laut wurden. Da merkte man dann, dass zu Altzieblers Einflüssen zum Beispiel auch die Country-Punks von Dead Moon zählen sollen. Zwischen treibenden und zugleich verspielten Rhythmen, pulsierenden Trompetenstößen und Altzieblers gelegentlichen Mundharmonika-Soli (in Bob-Dylan-Manier schön rau und schneidend gespielt) war immer wieder große Spielfreude zu spüren. Und die entlockte auch dem sehr ernst und asketisch wirkenden Altziebler mehrfach ein breites Grinsen.

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Kopfüber im Schlagertraum

Konzertbericht: Fuzzman & The Singin Rebels, Weekender Club Innsbruck, 2. Dezember 2016

Schlager hat in der alternativen Popkultur einen denkbar schlechten Ruf. Er gilt als schmierig, verlogen, kommerziell, konformistisch und reaktionär. Und das völlig zu Recht. Jede einzelne Sekunde der einschlägigen Schlagerparaden im TV bestätigt die Vorurteile.

Doch da ist noch eine andere Dimension im Schlager – im guten Schlager wohlgemerkt (und ja, den gibt es). Gerade in den (über)großen Gefühlen und Melodien des Schlagers, in seiner Befreiung von jedem Coolness-Zwang, in seiner emotionalen Rückhaltlosigkeit kann sich etwas Bewegendes, Tiefes und Wahrhaftiges verbergen. Guter, richtig verstandener Schlager geht volles (Gefühls-)Risiko, lässt nichts übrig, wohinter man sich verstecken kann. Diese Art von Schlager kann, wie zum Beispiel auch gute Countrymusik aus den USA, beinhart, tieftraurig und voller Abgründe sein. Ja, im Schlager lässt sich in besonderen Momenten vielleicht sogar ein utopisches Element, die Illusion (?) einer besseren Welt, entdecken.

Genau dieses utopische, letztlich irgendwie politische Element hat auch der Kärntner Herwig Zamernik, besser bekannt als Fuzzman sowie als Mitglied der Klagenfurter Popmelancholiker Naked Lunch, im Schlager aufgespürt. Und sich, statt halbe Sachen zu machen, gleich kopfüber ins Genre hineingestürzt. Das wurde auch im Weekender-Keller zu Innsbruck, Endstation einer Kurztournee, die Fuzzman und seine Singin Rebels zuvor nach Wien, Berlin, Leipzig oder Zürich geführt hatte, von der ersten Sekunde an deutlich. An diesem Abend setzte es nämlich nicht alibihalber ein, zwei Schlager, sondern praktisch ein reines Schlagerprogramm – wenn auch eines mit einer Vielzahl an Falltüren und unerwarteten Wendungen.

Bereits rein äußerlich war die Band – die man auf dem Tourplakat mehr oder weniger erhaben auf Haflingern einreiten sieht – ein absoluter Genuss: Vier Männer in den sogenannten besten Jahren, mit Schlaghosen (im Fall des Frontmanns natürlich ganz in Weiß gehalten), offenen Hemden, wehenden 70er-Jahre-Mähnen und Bärten, die von der Geschmackspolizei eigentlich längst verboten wurden.

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Immer wieder wurde das bestens geölte Quartett zudem vom unvergleichlichen „Pfleger Mike“ verstärkt – Begleitmusiker, Merchandise-Beauftragter und aufopfernde Pflegekraft in Personalunion. „Schließlich“, so Fuzzman, „sind wir nicht mehr die Jüngsten“. Mit Rotzbremse und Haarvorhang machte Pfleger Mike jedenfalls den Eindruck, als wäre er gerade einem windigen 70er-Jahre-Softporno oder der letzten Folge von „Soko Donau“ entsprungen. Das galt optisch auch für Allzweckwaffe Richard Klammer (Schlagzeug, Trompete und Chorgesang), den Fuzzman mit den Worten „100 Kilo purer Sex“ vorstellte, mit der Ergänzung versehen, dass so „auch der Titel unserer Weihnachtssingle“ lautet.

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Man sieht schon, an diesem Abend gab es viel zu lachen. Aber mit dem Schlager meinen es Fuzzman und seine singenden Aufständischen dennoch ernst. Sie greifen das Genre zwar mit Ironie und Augenzwinkern auf, aber ohne jeden Zynismus, also ohne das Genre aus der ach-so-coolen Independent-Ecke heraus vorzuführen und lächerlich zu machen. Ihre Form von Schlager ist zwar doppelbödig, verzichtet aber, so widersprüchlich das klingen mag, zugleich auf Netz und doppelten Boden. Das muss man erst einmal zustande bringen!

Käsige Synthie-Sounds, Zupfbass, Beserlschlagzeug, soulige Männerchöre, hemmungsloser Harmoniegesang: Alles, was scheinbar gar nicht geht, geht auf einmal doch, wenn man sich erst einmal vom Coolness-Diktat gelöst hat. Mit anderen Worten: Fuzzman und die Singin Rebels spielen die scheinbar uncoolste Musik des Planeten, verbunden mit dem scheinbar uncoolsten Outfit – und den entsprechenden Gesangsposen und Tanzeinlagen -, sie tun das aber so selbstverständlich und souverän, dass es am Ende doch wieder verdammt cool wirkt.

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Psychedelischer Retrofuturismus und seine (Anti-)Helden

Konzertbericht: 4 hours with Seven That Spells and Jastreb, Q-West Kufstein, 18. November 2016

“Beyond. We are the dogs of the western Jazz society looking for dope. Modern, aggressive psychedelic wall of sound incorporating polymetrics and occasional Viking funeral rites; hailing from the 23rd century where rock is dead, Seven That Spells returned in time where it’s still possible to change the tragic course of the boring history.”
Wer bei dieser Selbstbeschreibung nicht sofort hellhörig wird, lebt nicht in meiner Welt. Seven That Spells verstehen sich offenbar als zeitreisende Heroen und geben ihr Bestes, um auf den Bühnen und Plattentellern der Gegenwart Riffwände zu errichten, die so geschichtsträchtig und gleichzeitig so ahistorisch im Sinne von zeitlos sind, dass jene dystopische, rocklose Zukunft nie eintreten wird. Nicht alle Helden tragen Maske oder Umhang, manchmal tut es auch eine Gitarre.

Am vergangenen Freitag durfte die Menschheit wieder hautnah mitansehen, wie der Trupp seiner ehrenvollen Mission und Vision nachgeht. Der Kulturverein KlangFarben lud die  Band rund um Mastermind Niko „The Last Lord of Atlantis“ Potočnjak ins Kufsteiner Q-West ein. Zu Seven That Spells gesellt sich an diesem Abend noch deren Nebenprojekt Jastreb hinzu. Dessen Kurzbeschreibung liest sich nicht weniger wahnsinnig:
“Hailing from 13th century, these mystical troubadours failed to destroy the Earth in an apocalyptic event gone horribly awry. After this failure, making music seemed the only way to get cosmic redemption and women. By opening a diabolical rift and traveling to the future, they escaped the Catholic inquisition and are now getting ready for a second attempt at the aforementioned apocalyptic event.

Eine gespaltene Persönlichkeit in Bandform. Die eine Seite destruktiv und aus der fernen Vergangenheit stammend, die andere aus der fernen Zukunft und mit ausschließlich guten Absichten im Gepäck, so prallen sie in der Gegenwart aufeinander. Wieso sollte man sich auch mit einer zweistündigen Tour de Force durch die verdrogte Welt aus okkultem Kraut- und Space Rock zufriedengeben, wenn diese mit (fast) demselben Personal auch vier Stunden dauern kann?

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