Archiv für den Monat: Januar 2018

Tiroler Magie, die auch international verzaubert

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 14
MOLLY – GLIMPSE (2017):

Fantastische Shoegaze/Dreampop/Post-Rock-Klänge – aus Tirol?? Die ungläubigen Fragezeichen kann man sich getrost sparen – wie ja überhaupt die Vorstellung, dass aufregende und innovative Musik nur in den großen Zentren der Popkultur entstehen könne, ziemlich borniert ist. Kreative Köpfe und spannende Entdeckungen gibt es schließlich überall.

Dennoch war auch ich beim ersten Hören überrascht, WIE gut das 2014 in einem Tiroler Probekeller formierte, inzwischen in Innsbruck und Wien beheimatete Duo Molly wirklich klingt – wie elegant und, im besten Sinne, abgeklärt und souverän.

„Glimpse“ heißt die jüngste, nunmehr dritte EP, die Anfang Dezember als limitiertes 12-Inch-Vinyl auf dem britischen Label Dalliance Recordings erschienen ist. „Glimpse“ heißt auch die A-Side, ein acht Minuten schwerer, kontrast- und spannungsreicher Brocken Musik, der Lars Andersson (Gesang, Gitarre) und Philipp Dornauer (Drums, Synthesizer) alle, nein: genau die richtigen Register ziehen lässt. Und der national wie international bereits beachtliche Resonanz gefunden hat.

Schon zum wiederholten Male Lob auf der US-Plattform Stereogum, Song des Tages auf der britischen Independent-Seite The Line of Best Fit, Features in deutschen Medien oder gar auf der Website des russischen Rolling Stone (ja, den gibt es tatsächlich): Keine Frage, das Talent von Molly spricht sich gerade ziemlich herum.

Hierzulande natürlich auch auf FM4: Dort waren die beiden nicht nur in den Jahrescharts bestens vertreten (Platz 56), sondern zuletzt z. B. auch Soundpark-Act des Monats samt Session im Studio2 und mehreren großen Features.

Auch internationale Liveshows haben Molly schon einige bestritten, darunter einen offenbar vielbeachteten Auftritt beim Showcase-Festival The Great Escape in Brighton oder auch eine erste Europatournee (u. a. im Vorprogramm von Xixa).

Der Blick in die Kommentarsektion der Videoportale, den man ansonsten bekanntlich eher vermeiden sollte, zeigt ebenfalls, dass die Musik der jungen Tiroler vielerorts begeisterte Hörer findet – von Brasilien bis zu den Philippinen, von China bis Honduras, im englischsprachigen Raum sowieso. Kurz gesagt: Eine beachtliche internationale Karriere scheint für Molly durchaus möglich.

Und womit? Mit Fug und Recht, wie u. a. der Track „Glimpse“ beweist. „Dreamy alpine airiness“ steht im Beipackzettel der Plattenfirma – und das trifft es nicht schlecht: Molly lassen ihre Musik atmen, statt in jugendlichem Ungestüm (btw, nichts gegen jugendliches Ungestüm!) zu viel auf einmal zu wollen. Sie nehmen sich Zeit und Raum, um Dramaturgie und Atmosphäre umso wirkungsvoller zu entfalten. Die Melodie schält sich so erst nach und nach aus dem Rauschen und Dröhnen, der sanft verhallte, verwehte Gesang setzt erst nach über zwei Minuten ein. Etwa zur Halbzeit nehmen Wucht und Dynamik spürbar zu, bis Molly das Stück in ein gewaltiges, düster lärmendes Finale münden lassen. Aus dem Lufthauch ist da längst ein Sturmwind geworden.

Dazu gibt es ein meditatives bis milde verstörendes Video mit dem einmalig-einzig-echten Mike Zangerl:

Wie fachgerecht Molly es verstehen, die genretypische Soundwand aus verwaschenen, Effektpedal-getriebenen Gitarren und Synthesizerflächen aufzuziehen, ist an sich schon beeindruckend – umso mehr aber, wenn man bedenkt, dass da eben nur zwei Musiker am Werk sind. Mit Anfang 20 noch dazu zwei sehr junge.

Auch die B-Seite der EP – mit „Time And Space“ und „Time And Space Pt. 2“ – weiß zu überzeugen. Wenn in es in Teil eins etwa nach mehr als dreieinhalb Minuten zum Bruch kommt und plötzlich sphärischer Gesang in hoher Tonlage einsetzt, denkt man nicht nur an Shoegaze-Genreväter wie Slowdive oder My Bloody Valentine, sondern mindestens ebenso sehr an  skandinavische Atmosphäriker wie Sigur Ros – die Molly ebenfalls als Einfluss nennen.

Die Wucht, mit der das alles daherkommt, etwa auch in der hymnischen, 2015 veröffentlichten Debütsingle „Sun, Sun, Sun“, hebt Molly auch wohltuend vom bisweilen etwas blutleer und akademisch anmutenden Post-Rock-Genre ab, während Laut-Leise-Dynamik und effektvolle Dramaturgie dafür sorgen, dass sie nie in allzu einförmiges Schuhestarren verfallen.

Apropos: Molly sind nicht nur Studiotüftler, sondern gelten auch und vor allem als tolle Liveband – als solche konnten sie, wie man liest, übrigens auch ihren jetzigen Labelboss überzeugen. Nachprüfen kann man diese wahrhaft hypnotisierende Qualität nun auch in einem 45-minütigen, in einer Tiroler Bogenschießarena zwischen Plastikbäumen und künstlichen Tieren aufgenommenen Konzertfilm. Nachprüfen sollte man das aber natürlich vor allem bei einem der Auftritte des Duos. Ich zumindest habe mir das fix vorgenommen.

2018 dürfte sich dafür hoffentlich doch die eine oder andere Gelegenheit eröffnen – heuer soll es nämlich nicht nur ein Debütalbum geben, sondern auch eine Europatournee. Go for it!

FOTONACHWEIS: NIKO HAVRANEK

Ein Stück Einfachheit

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 13:
OH SEES – NITE EXPO (2017):

Das Dasein als Garagenrockband stellt man sich oftmals so vor, wie der von ihnen produzierte Sound klingt: schnörkellos, geradeaus, unverkopft und nicht zuletzt sehr kurzweilig. Und auch, wenn Thee Oh Sees (alternativ auch einfach Oh Sees, The Oh Sees, The Ohsees, OCS, oder wie auch immer Mastermind John Dwyer und seine Mitstreiter gerade genannt werden wollen) sicher noch genug vom bewusst roh und wild gehaltenen Sound in ihrer Musik tragen, so ist die vielbeschäftige Band doch weit vom stereotypischen Vorstadt-Garagenprojekt entfernt.

Zum einen sind die Jungs bei weitem keine Teenager mehr und die Band existiert mittlerweile bereits seit mehr als 20 Jahren. In dieser stattlichen Laufbahn brachte das unermüdliche Kollektiv, wenn man den öfters mal wechselnden Musikerkreis rund um Dwyer so nennen will, sage und schreibe 19 Studioalben heraus. Zum anderen beschreibt „Garage Rock“ höchstens das Fundament und die Soundästhetik der Musik und wird der regelrechten Wundertüte an Genrespielereien und Ideen, die auf jedem ihrer Alben auf die Hörerschaft losgelassen werden, nur ansatzweise gerecht.

Auf dem aktuellen Album „Orc“ finden sich nicht selten schwere  Riffs, die am Metal-Territorium kratzen, Rücken an Rücken mit Synthesizern, welche die Gitarren entweder begleiten oder ihr völlig eigenes Retroding durchziehen. Droniges, zähflüssiges Gitarrengewaber wird von Streichinstrumenten begleitet, das Drummer-Doppelpack (!) entführt das Songgerüst und gibt es erst nach einem mehrminütigen Solopart wieder her, der dumpfe Bass reitet wellenartig auf und ab, bis selbst der Sänger nur noch ein in Delay getränktes Japsen hervorbringt. Oh ja, und Psychedelia! Das Album spart nicht mit diversen Facetten psychedelischer Musik, ob nun zeitgemäße Heavy Psych Jamparts oder auch direkt von krautig-kauzigen Bands der 60er und 70er entliehene Versatzstücke.

Aber trotz aller Verspieltheit, der Kern bleibt. Wenn nicht gerade völliger Virtuoso-Wahnsinn passiert, ist man im Garagensound daheim. Es scheint immer noch hauptsächlich darum zu gehen, Spaß zu haben, nicht lange zu fackeln und seine Ideen als Band zu realisieren. Spaß und Rückbesinnung auf einfachere Zeiten waren laut Pressetext auch Hauptgrund dafür, rund um Halloween ein sehr einfaches und verspieltes Musikvideo zum Song „Nite Expo“ zu veröffentlichen. „Imagination running wild and no thoughts of a heavy world.“

Track schön und gut, aber eigentlich handelt es sich hier eher um das Musikvideo der Woche. Jede Sekunde des von Alex Theodoropulos handgezeichneten Videos hat diesen „so bad it’s good“-Charme uralter Cartoonserien. Es ist irgendwie herrlich absurd, mit anzusehen, wie der Protagonist über die Länge des Songs hinweg einfach nur durch einen schier endlosen Tunnel stapft und mühelos ein plump und simpel animiertes Monster nach dem anderen zerschnetzelt. Und als würde man nicht ohnehin bereits kopfkratzend mit einer Mischung aus Belächeln, Unterhaltung und Verwirrtheit vor dem Bildschirm hocken und sich Gedanken um Sinn und Unsinn dieses farbenfrohen Monsterblutbads machen, wartet das Ende des Videos mit einem Outro auf, wo endgültig bei jedem entweder Fassungslosigkeit oder Gelächter eintreten dürfte.

Unabhängig davon, ob man dieses simple Video jetzt auf seine eigene Art und Weise charmant und unterhaltsam oder eben total bescheuert findet, darf man sich den Song und auch das dazugehörige Album gerne zu Gemüte führen.

Wagemutiger Post-Punk mit gewaltigem Suchtfaktor

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 12:
MISSION OF BURMA – NICOTINE BOMB (2004):

Österreich hat ein Rauchverbot, das nun doch nicht kommt. Kim Jong-un und Donald Trump haben Atombomben, die ihnen einen medienwirksamen Phallusvergleich ermöglichen. Doch Mission Of Burma haben etwas viel Besseres: eine Nikotinbombe!

„Nicotine Bomb“ stammt von ONoffON, jenem grandiosen Album, mit dem die einflussreiche Post-Punk-Band aus Boston 2004, 22 Jahre (!) nach ihrer letzten Studio-LP, triumphal zurückkehrten. Triumphal, was das Kritikerlob angeht, wohlgemerkt, denn eine kommerziell erfolgreiche Band waren Mission Of Burma nie.

Dafür eine umso einflussreichere: Mit ihrem rauen, dringlichen Sound, der die Wucht und Kompromisslosigkeit des Punk mit dem Gespür für betörende Popmelodien und dem Mut zu Lärm, Dissonanz und Experiment verband, zählen sie aus heutiger Sicht zu den wichtigsten Wegbereitern alternativer, innovativer Rockmusik überhaupt. Die Liste jener Bands und Künstler, die sich auf Mission Of Burma berufen (haben), ist lang, sie reicht von Jello Biafra bis Nirvana, von R.E.M. bis Sonic Youth, von Graham Coxon bis zu den Pixies, von Bob Mould über Yo La Tengo oder Guided By Voices bis hin zu Moby.

Hauptsongschreiber der Band, die ursprünglich nur von 1979 bis 1983 existierte und sich erst 2002 wieder zusammenfand (seither erschienen vier Studioalben), waren und sind Sänger und Gitarrist Roger Miller sowie Sänger und Bassist Clint Conley. Dazu kommen Schlagzeuger Peter Prescott und der hauptamtliche „Tape-Manipulator“ (!) und Soundingenieur Bob Weston, der diesen ungewöhnlichen, für den Burma-Sound eminent wichtigen Part (Tape-Effekte, Loops, Drones, Verfremdungen etc.) von Gründungsmitglied Martin Swope übernahm.

Conley ist laut Wikipedia eher der Mann für die eingängigeren, hymnischeren Nummern, er gilt quasi als die „hook machine“ der Band. Von ihm stammt neben dem größten Bandhit „(That’s When I Reach For My) Revolver“ eben auch das wunderbare „Nicotine Bomb“. Dieser Track ist mit seiner Kombination aus kantig-abstraktem Klangbild, unwiderstehlichen Harmonien und anspruchsvollen Lyrics („Vertical expression / horizontal desire“) geradezu ein prototypischer Burma-Song.

Live war bei Mission Of Burma von magischen Momenten bis hin zu furchtbar zähen Lärmorgien übrigens alles drin: „When they were good, they were very very good, but when they were bad, they were horrid“, schrieb der Kritiker Tristam Lozaw. Spannend war diese Band also immer!

Für mich persönlich führt an Mission Of Burma ohnehin kein Weg vorbei – schließlich steckt mein Spitzname ja im Bandnamen. Das hartnäckige Gerücht, Mission Of Burma hätten sich nach mir benannt, ist allerdings nicht haltbar – ebensowenig wie die Vermutung, meine Geburt im Jahr 1982 hätte sie zu ihrem fulminanten Debütalbum „Vs.“ inspiriert …

Zum Schluss bleibt mir nur noch die dringende Empfehlung, sich ins faszinierende Werk dieser Gruppe zu vertiefen. Und der fromme Wunsch, dass Blogkollege Stefan, seines Zeichens Österreichs bester Quizmaster, die – nach einer Gedenkplatte an einer Botschaft benannte – Formation einmal bei seinem fabelhaften Weltquiz bringen möge. Mission Of Burma und ich wären ihm sehr dankbar dafür!

Weitere Anspieltipps: (That’s When I Reach For My) Revolver, That’s How I Escaped My Certain Fate, Academy Fight Song, Weatherbox, (This Is Not A) Photograph, The Setup, The Enthusiast, Dirt, Careening With Conviction, Period, Dust Devil, What They Tell Me

Kinderchöre und Kurioses, Türkpop und Todescountry. Oder: Mit Udo Jürgens in der Disco! Chronologie eines laaangen Hörabends

Nennt es Faulheit. Trägheit. Den (gescheiterten) Versuch, über die Weihnachtsfeiertage den wochenlang aufgestauten Schlafmangel zu beheben. Auf jeden Fall habe ich meine vollmundige Ankündigung, den jüngsten – schön ausufernden – Hörabend bei mir zuhause rasch in einen – schön ausufernden – Beitrag zu verwandeln, bislang nicht wahr gemacht.

Doch im Sinne meines zweiteiligen Neujahrsvorsatzes (1. Du sollst mehr schreiben! 2. Und zwar nicht im Büro, kapiert?!) möchte ich diese Lücke hiermit füllen. Schließlich war es ein langer, geselliger und, wie ich finde, sehr vergnüglicher Musikabend – der hoffentlich nicht davon überschattet wurde, dass ich mich als kleiner Musikdiktator gebärdet und die Gäste womöglich etwas zu wenig an den „Play“-Button gelassen habe. Aber, hey!, dafür ist man schließlich Gastgeber – um den Besuchern den eigenen Geschmack aufs Auge drücken zu können ;-).

Musikalisch sind wir dabei, um es mal in Fußballkommentatorendeutsch zu sagen, „weite Wege gegangen“: Es gab Kuriositäten und Raritäten, elegante Übergänge und abenteuerliche Stilsprünge, Kinderchöre und Todescountry, Psychobelly und Udo Jürgens (!), Songtitel wie „Prisencolinensinainciusol“ und Bandnamen wie Kiss The Anus Of A Black Cat, aufschlussreiche Neuentdeckungen – und nicht zuletzt erste Einblicke in künftige Jahrescharts (die auf diesem Blog bekanntlich später erscheinen als irgendwo sonst in der nördlichen Hemisphäre).

Trotz meiner etwas schleißigen Mitschrift und des nicht unbeträchtlichen Konsums an (teilweise abgelaufenen) Bierspezialitäten – zwischen beiden Tatsachen besteht womöglich ein Zusammenhang – möchte ich versuchen, im Groben nachzuzeichnen, was an diesem Abend so alles „ging“:

Der Auftakt stand unter dem Motto „Kinderchor im Pop“, mit dem stillschweigenden Zusatz, dass damit NICHT die verzweifelten „Pop“versuche der bedauernswerten Wiener Sängerknaben gemeint sind. Stattdessen gab es Fallbeispiele für – meine – These, dass Musiker besonders gern bedrohliche oder krasse Aussagen in junge Münder legen, etwa bei These New Puritans, die Kinder von „Angriffen im September“ singen lassen („It was September / Holy really. / It was September / This is attack!“). Oder bei den Locas in Love, bei denen die Kleinen u. a. folgenden schönen Satz krähen: „Dieses verdammte Deutschland hat mich dazu getrieben!“

Mit der „Nature Anthem“ von Grandaddy gab es aber auch ein Liedbeispiel zu hören, in dem der Kinderchor für die Sehnsucht nach der Unbeschwertheit, Unschuld und selbstverständlichen Naturverbundenheit der Kindheit steht. Und zugleich gab es damit den willkommenen Anlass, noch weiter in die Musik dieser tollen Band vorzudringen.

Kollege Stefan trat dabei den Beweis an, dass das komische „Pling“-Geräusch in Grandaddys formidabler Single „Now It’s On“ (ca. ab 1:19) genauso klingt, als wäre es dem Soundtrack zum Amiga-Computerspiel „Blood Money“ entsprungen:

Nach einem weiteren düsteren Kinderchor-Abstecher zu den Cramps ließ dann auch noch der Leinwandschönling (wie man früher gesagt hätte) Ryan Gosling mit Dead Man’s Bones die Goldkehlchen singen und die Zombies tanzen. PS: Und weil die kleinen Racker so herzig sind, wird es hier am Blog in Bälde einen eigenen Beitrag zum Themenkreis Kinderchor goes Pop/Rock/Grindcore geben. Großes Indianerehrenwort!

Vom Kindergarten ging es in der Folge schnurstracks zum nächsten Soundschwerpunkt in die Türkei und – weil man als Eurozentrist ja alles gern über einen Kamm schert – auch gleich in den „arabischen Raum“ und nach Westafrika. Die großartigen Moğollar entführten in die faszinierende, hierzulande weitgehend unbekannte Welt der türkischen Psychedelia (auch: Anadolu Rock), in der Rockmusik westlicher Prägung mit Rhythmen, Harmonien und Instrumenten aus der türkischen Volkskultur aufs Hypnotischste zusammenfand:

Wie aufregend solche musikalischen Grenzüberschreitungen klingen – die im autoritären politischen Klima dies- und jenseits des Bosporus wohl kostbarer denn je sind – beweisen auch neuere Formationen wie Baba Zula mit ihrem „Oriental Dub“ bzw. „Psychobelly“ (schließlich gibt’s bei den Konzerten auch leibhaftigen Bauchtanz!).

In der Folge führte die Reise über israelisch-jemenitische Klänge (A-WA) oder betörenden Tuareg-Blues (Tinariwen) bis zum malischen Großmeister Ali Farka Touré.

Der Schritt zu den amerikanischen Indie/Punk/Alternative-Country-Pionieren Camper Van Beethoven war dann nur scheinbar ein großer: Schließlich passt deren surrealer Politpop-Klassiker „Take The Skinheads Bowling“ heute (leider) ebenso gut ins politische Klima wie 1985. Und ihr schräger Zugriff auf Status Quo ist ebenfalls unwiderstehlich:

Apropos schräg: Die nächsten (mindestens) zwanzig Hörabend-Minuten gehörten einem US-Künstler, der seit Jahren verlässlich zwischen Genie und Wahnsinn, göttlichen (Dreampop-)Melodien, blöden Sprüchen und verstrahltem LoFi-Trash oszilliert, nämlich Ariel Pink, dem Syd Barrett für das 21. Jahrhundert. Mit „Dedicated To Bobby Jameson“ hat er gerade wieder einen überzeugenden Beweis seiner Klasse – und seiner Seltsamkeit – abgeliefert. Sunshine, wrapped in rainbows!

Wer Dreampop sagt, muss auch Shoegaze sagen. Und wer Shoegaze sagt, muss auch Slowdive sagen. Zumal die Legenden nach schlappen 22 Jährchen 2017 ein Comeback-Album veröffentlicht haben, wie ich an diesem Hörabend erfuhr – und noch dazu ein rundum gelungenes. Für mich nicht das letzte Aha-Erlebnis in dieser Langen Klangnacht!

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