Archiv für den Monat: Februar 2018

Kalte Klänge für kalte Tage

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 17:
ERIC HOLM – STAVE (2014)

Wir haben temperaturtechnisch eine sehr ambivalente Woche hinter uns. Vor allem Mitte der Woche gab es Minusgrade jenseits der 20 trotz Sonnenschein, dann wieder beinahe T-Shirt-Wetter, schneidende Eiseskälte in der Emotionslandschaft jener Singles, die den Valentinstag etwas zu ernst nahmen, dahinschmelzende Herzen bei manch anderen, dahinschmelzender Schnee auf matschigen Gehsteigen, die anschließend erneut zugeschneit werden, dann wieder Sonne. Nach den momentanen paar Tagen angenehmer Schönwetter-Verschnaufpause schreiten wir schon wieder geradewegs der nächsten Kaltfront entgegen. Es wird also höchste Zeit für den passenden Soundtrack dazu.

Es gibt viele Mittel und Wege, wie man mit Musik den frostigen Tagen des Jahres Tribut zollen kann. Gewiss können entsprechende Songtexte innere Bilder von arktischem Schneetreiben hervorrufen, Samples von Schneetreiben oder ähnlichen eisigen Soundkulissen können ebenfalls für Kopfkino sorgen, aber in den meisten Fällen ist es eher die Musik an sich, welche widerspenstige Kälte ausstrahlt. Ganze Instrumente und ihre Klangfarben werden von Hörern als „warm“ oder eben „kalt“ erlebt und bezeichnet. Oft sind es harmonische, konsonante und organisch anmutende Klänge, die als warm beschrieben werden. Die Abwesenheit dieser Eigenschaften wirkt für die meisten Hörer als unterkühlt, auch wenn letzten Endes jeder Mensch Musik anders einschätzt und das musikalische Konsonanzempfinden für verschiedene Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen ein wenig variiert. Auch Hörgewohnheiten spielen eine Rolle. Jemand, der öfters mit Musikrichtungen wie Noise, Drone oder Metal in Berührung kommt, hat vermutlich weniger Probleme, hinter den Wänden aus Verzerrung, Feedback und Störgeräuschen auch „warme“ Klänge ausfindig zu machen als andere Menschen.

Trotz aller Geschmacksfragen will ich hier stocksteif behaupten, dass dissonante, maschinell-industrielle und sterile Sounds unterkühlt wirken. Urban und entfremdet eben. Eine weitere Assoziationshilfe ist alles, was aus dem hohen Norden stammt. Denn Musiker, die aus kalten Gegenden mit wenigen bis teilweise gar keinen Sonnenstunden stammen, lassen dies sicher in ihre Zunft einfließen und können folglich ja nur dunklere Musik produzieren, oder? Ich weiß ja nicht.

Der Londoner Produzent Eric Holm hat es auf seinem Debutalbum „Andøya“ jedenfalls geschafft, sowohl das Maschinelle als auch das Nordisch-Winterliche zu verbinden, und das auf recht ungewöhnliche und innovative Art und Weise. Sämtliche Geräusche, die auf dem Album zu atmosphärischen und mysteriösen Dark Ambient Soundflächen verwandelt wurden, entstammen einem Kontaktmikrofon, welches Eric Holm an einem Telegrafenmast auf der titelgebenden nord-norwegischen Insel Andøya anheftete. Jene Masten verbinden offenbar eine Reihe alter militärischer Abhörstationen, und auch wenn (oder gerade weil) ich mit der Technik von Kontaktmikrofonen und Funkmasten nicht vertraut bin, erstaunt mich umso mehr, was für Geräusche diesem Prozess zu entnehmen sind und welch vielseitige industrielle Soundskulpturen ein versierter Produzent aus ihnen herauskitzeln kann. Die sechs Tracks auf „Andøya“ folgen alle einem recht linearen Aufbau, führen ein Soundmuster ein, welches im Verlauf an Detailtiefe und Intensität zunimmt und irgendwann wieder abschwillt. Doch jeder einzelne Track beherbergt andere Charakteristiken. Dem voluminösen, bis ins Unendliche widerhallenden Pochen von „Stave“ könnte man am ehesten noch einen organischen Soundursprung zuschreiben, überdimensionierte Klanghölzer oder dergleichen, wenn da nicht das statische Zischen und Rauschen wäre. In anderen Stücken sind es eher die tiefen Sub-Bässe, welche bedrohlich grollen und sich vor dem Hörer aufbäumen. Manchmal fühlt sich ein Track auch sehr elektronisch an, auditive Halluzinationen unter einem Hochspannungsmasten in der einsamen Prärie. Und das ominöse Fiepen des Rausschmeißers „Andøya“ könnten genauso gut ferne, verzerrte Streichinstrumente sein und lässt an klassische Lustmord-Alben denken.

Und auch, wenn das Ergebnis dieses nordischen Soundexperiments sehr gelungen ist und die Auseinandersetzung mit widerspenstigen Klängen generell etwas sehr Lohnendes haben kann, und auch wenn es sehr nett ist, für atmosphärische Musik auch das entsprechende Klima vor der Haustür zu haben, sehne ich jetzt trotzdem stabileren und wärmeren Tagen mit mehr Sonnenstunden entgegen.

 

Lass den Elch an dir vorübergehen. Ein neuer Song und neun weitere Gründe, warum das Erste Wiener Heimorgelorchester vielleicht meine österreichische Lieblingsband sind

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 16:
ERSTES WIENER HEIMORGELORCHESTER – DIE LETTEN WERDEN DIE ESTEN SEIN (2018)

Weil Blogautor Stefan Pletzer, seines Zeichens Obmann des Österreichischen Quizverbandes, chronisch „busy“ ist (wie wir in der Quizbranche sagen), springe ich mal wieder beim Track der Woche ein. Aber Steff wird zumindest indirekt präsent sein – denn kurioser- und völlig ungeplanterweise dreht sich dieser Bericht auch um den rätselhaften Themenkomplex Quiz.

Apropos rätselhaft: Das kreative Spiel mit der Sprache, mit ihren doppelten und dreifachen Böden, ihren Geheimgängen, Irrwegen und überraschenden Wendungen und nicht zuletzt mit ihrer klanglichen Qualität, hat gerade in der österreichischen Literatur und Popkultur eine lange Tradition: Diese reicht von Nestroy (mindestens) über hauptamtliche Experimentallyriker wie Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker bis hin zum großen HC Artmann.

Bei Kabarettisten und Satirikern (Werner Pirchner, Ludwig Müller etc.) findet man die Lust an dadaistischen Wortspielen und bunter Lautmalerei genauso wie bei bekannten Bands, von Attwenger über diverse Rapformationen wie z. B. Texta bis hin zu den Superstars Bilderbuch, die gepflegte Doppelbödigkeit (Stichwort: Plansch, plunge …) ebenfalls zu schätzen wissen.

Aber niemand beherrscht das Um-die-Ecke-Singen, die Verbindung von Musik und Sprachspiel, von lautmalerischer Form und cleverem Inhalt, überzeugender als das Erste Wiener Heimorgelorchester (kurz: EWHO).

Das Quartett, das live – wie die humorvollen Söhne von Kraftwerk – hinter nerdigen Mini-Synthesizern und -Keyboards angewandten Bühnenstoizismus praktiziert, knöpft sich die Wörter und Silben gnadenlos vor, dreht und wendet, schüttelt und mixt sie, bis den Sprachbestandteilen am Ende selber ganz schwindlig im Kopf ist.

Bestes Beispiel ist die brandneue Single „die letten werden die esten sein“:
Zugegeben, die Herren vom Ersten Wiener Heimorgelorchester sind sicher nicht die Esten, äh, die Ersten, denen das titelgebende Wortspiel eingefallen ist. (Ich selbst wollte mir genau diesen Satz schon mehrfach als Teamnamen für das berühmt-berüchtigte Weltquiz merken. Genauso übrigens das Wortspiel „Wurst-Käs-Szenario“. Aber auch daraus hat das EWHO schon längst einen Song gemacht).

Die Ausgangsidee ist also vielleicht nicht ganz neu. Aber was die vier Wiener daraus machen, ist dafür umso origineller. Sie ziehen das Grundprinzip nämlich einen ganzen Song lang durch, lassen bei unterschiedlichsten Wörtern an entscheidender Stelle einen Buchstaben weg – und genießen die völlig neuen, oft verblüffenden inhaltlichen Assoziationen, die sich dadurch ergeben:

Im Himmel wie auf Eden. Lass den Elch an dir vorübergehen. Nutze jede noch so keine Chance. Man soll nicht mit den Wölfen Eulen. Und und und. Jede Zeile eine kleine Intelligenzperle.

Das zugehörige, minimalistische Video ist ein Musterbeispiel für songdienliche Ökonomie statt hohlem Gigantismus:

Und wen das noch nicht restlos überzeugt haben sollte: Hier sind neun weitere Gründe, warum man das Erste Wiener Heimorgelorchester einfach mögen muss: 

1.) Das EWHO leistet sprachliche Entwicklungs-Hilfe:
Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. In einem ihrer ebenfalls brandneuen Songs verhelfen die Heimorgler der Sprache ganz buchstäblich zur Entfaltung. Und dem in der Popkultur bisher sträflich vernachlässigten Themenkreis „Fische und Wasservögel“ zu einem meerchenhaften Auftritt:

2.) Das EWHO hat den vielleicht ungewöhnlichsten deutschsprachigen Politsong ever geschrieben:
Der schöne Satz „Widerstand ist Ohm“ ist (nach dem Sieg des EWHO beim FM4-Protestsongcontest 2009) zumindest in der heimischen Alternativszene zum geflügelten Wort geworden – und zeigt die ganze schillernde Fantasie der Band: Hier geht es gleichzeitig um elektrischen und politischen Widerstand (auf beide passt die geniale Formulierung: „Gegen den Strom“) und auf einer dritten Ebene auch noch um das meditative „Ommmmmmm“. Und das ist erst der Refrain!

Hier ein recht feiner, allerdings leider rein instrumentaler Remix:

Das unerreichte Original kann, nein MUSS man sich z. B. HIER anhören.

3.) Das EWHO hat das erste (und beste) Lied zum Thema Umlaute geschrieben:
Und das Ergebnis ist ohne Ubertreibung majestatisch, koniglich, legendar:

4.) Das EWHO sucht (und findet) den direkten Austausch mit Literaten:
Ob Ror Wolf, Clemens J. Setz oder, auf dem neuesten Album, Antonio Fian: Alle haben schon Texte für das literarische Orchester beigesteuert oder ihm zur Vertonung bereitgestellt. So unverkopft kann Lyrik klingen – und doch jede Menge Köpfchen haben. Vom EWHO würde ich mir sogar einen Gedichtband kaufen. Oh, es gibt ja tatsächlich einen!

5.) Vom EWHO stammt der vielleicht originellste Wien-Song ever:
Der heißt nicht etwa „Wien, wie es einmal war“ sondern „Wien, wie es zweimal war“. Im Wien, wie es das EWHO herbeihalluziniert – und hier darf ich einen alten Blogeintrag meinerseits re-zitieren – gibt es tatsächlich alles doppelt: zwei Stephansdome, zwei Donauströme, einen doppelten Lainzer Teich – „und der Vierfachadler hängt über Kaisergruft 1 und 2“. Klar, dass auch der Sänger bekennt: „Meine beiden Herzen und meine zwei Sinne gehören Wien“.

6.) Das EWHO hat ein ganzes Kraftwerk-Album gecovert:
Und sich bei diesem gewagten Versuch nicht nur nicht blamiert, sondern, im Gegenteil, lässige LoFi-Neudeutungen von Klassikern wie „Die Roboter“, „Spacelab“ und besonders „Die Mensch-Maschine“ zustande gebracht.

7.) Das EWHO hat der Hauptstadt von Liechtenstein ein musikalisches Denkmal gesetzt:
Einer beschaulich-konservativen Kleinstadt wie Vaduz eine verruchte, anrüchige Aura zu verleihen – und zugleich wenig popaffinen Ortsnamen wie Schaan, Nendeln oder Gamprin in einen Songtext zu verhelfen – ist große Kunst. Und einmal mehr ausgesprochen (!) Weltquiz-tauglich.

8.) Das EWHO hat den ultimativen Pubquiz-Panik-Song geschrieben:
Jeder Pubquizzer – und im Grunde jeder Mensch, der irgendwann einmal eine Prüfung ablegen musste – kennt das Quizäquivalent zur Angst vorm weißen Blatt, nämlich die Angst vorm schwarzen Loch, in dem plötzlich das gesamte im Hirn gespeicherte Wissen versickert zu sein scheint. Alle Begriffe, die sonst problemlos greifbar sind, haben das Weite gesucht. Man weiß auf einmal gar nichts mehr. Genau davon handelt „Alles ist vergessen“.

Und der Satz „Mir geht es wie dem … Dings bei der Frage der Sphinx“ wäre allein schon einen Nobelpreis wert!

9.) Ein Mitglied des EWHO hätte fast die Millionenshow gewonnen – und trägt den besten Quiznamen aller Zeiten:
Um das Ganze noch verblüffender zu machen – denn das wusste ich vor der Recherche für diesen Beitrag wirklich nicht -, möchte ich zum Schluss noch auf einen ganz direkten Konnex zwischen der Pubquizwelt und der Ersteswienerheimorgelorchesterwelt verweisen: Eines der Bandmitglieder trat 2017 als Kandidat bei der Millionenshow mit Armin Assinger auf und schaffte es bis zur Millionenfrage! (Die ich übrigens gewusst hätte – wenn ich auch nie so weit gekommen wäre). Am Ende waren es immerhin satte 300.000 Euro Preisgeld.

Und, um die Sache ein weiteres Mal zu toppen: Der betreffende Kandidat, Schriftsteller und EWHOler trägt den schönsten Quiznamen der Welt. Er heißt nämlich Daniel WISSER.

Eigentlich ein allzu naheliegendes Wortspiel. Aber eines, dass am Ende dieses Textes einfach sein muss.

Hier klingt’s nach Pisse!

Konzertbericht: PISSE (Support: JANÖSCH), PMK Innsbruck, 4/02/2018

Und da heißt es oft: Heutzutage sind keine Pionierleistungen mehr möglich, alles wurde schon irgendwann irgendwo von irgendwem gemacht. Ich kann mit Stolz den Gegenbeweis antreten: Zuerst zum Mullerlaufen in Thaur, abends dann zur radikalen Punksause in die PMK – diese bizarre sonntägliche Kombination hat in der Menschheitsgeschichte vor mir noch keiner vollbracht. Behaupte ich jetzt einfach mal.

Nicht, dass das eine besondere Leistung wäre. Aber außer einer gewissen Tendenz zur Anarchie, die beiden Veranstaltungen gemeinsam war, hätte der Kontrast definitiv nicht größer sein können – und die Schnittmenge (= ich) im Publikum praktisch nicht kleiner.

Den ohrenbetäubenden Aufakt (in der PMK, nicht beim Mullerlaufen) lieferten Janösch aus Innsbruck: Brutal geknüppelter Hardcore-Punk mit klanglichem Naheverhältnis zum Metal, wobei der Hauptunterschied in der Länge der Songs (niedrig) und dem Politgehalt (hoch) lag.

Für meinen persönlichen Geschmack war das Ganze – trotz politisch aufgeladener Sprachsamples – deutlich zu brachial und humorlos, dafür aber mit viel gerechtem Zorn gespielt, etwa gegen die „Bonzenstadt Innsbruck“ mit ihren Schlaf- und Alkoholverboten.

Wie sagte es der Ankündigungstext: „Subtil wie ein Faustschlag ins Gesicht“. Oder subtil wie das T-Shirt des Drummers, auf dem der in Tirol so populäre „Es gheat oanfach viel mehr gschmust/glesn etc.“-Spruch kurzerhand in „Es gheat oanfach viel mehr ogstochn“ geändert wurde. Das Publikum ging jedenfalls schon hier vorbildlich ab. So wie im Anschluss bei „Pisse“.

Pisse – schon mal ein exzellenter Name für eine Punkband. Und auch schon alles, was ich im Vorfeld über die Formation wusste. Jetzt ist das übrigens nicht viel mehr, denn Pisse scheinen jede Art von Hey-Wir-spielen-in-einer-Band-Getue oder Personenkult zu verabscheuen. Auch ihr Wikipedia-Eintrag macht das deutlich, wo unter „Aktuelle Besetzung“ Folgendes zu finden ist:

Gitarre, Gesang: Ronny
Schlagzeug: Ronny
E-Bass, Theremin: Ronny
Synthesizer: Ronny

Pisse, so viel ist noch in Erfahrung zu bringe, kommen aus Hoyerswerda in der Oberlausitz (Sachsen), ein Name, den man hierzulande höchstens mit brutalen Neonazi-Attacken in Verbindung bringt. Was man ansonsten noch wissen sollte: Pisse verfügen über gleich zwei Frontshouter (einer Typ asketischer Brillen-Nerd, einer Typ zorniger Wuschelkopf mit Tattoo und Muskelshirt). Und vor allem: Pisse impfen ihren harten „Minimalist Punk“ mit einer heilsamen Dosis schäbiger, jaulender, quietschender Elektronik.

Das klingt erfrischend und vital und verhindert, dass der zackige Deutschpunk ins allzu Brachiale und Martialische abgleitet – was gerade bei diesem Genre ja eine inhärente Gefahr darstellt (und mich persönlich oft ein wenig auf Distanz gehen lässt). Die fiesen Synthie-Klänge passen jedenfalls perfekt ins Klangbild, das sollten eigentlich (wieder) mehr Punkbands so machen. Fazit: Pisse fetzten live gewaltig, klangen mitreißend und energetisch – und genau das zählt bei Punk, mindestens so sehr wie die Message.

Wobei es bei Pisse an Messages erst recht nicht fehlt. Denn ihre eigentliche Stärke sind die Texte, die so sind wie ihre Songs: knapp, prägnant, hart auf den Punkt gebracht. Zu gleichen Teilen sloganhaft, illusionslos und hymnisch. Gewitzt, aber ganz weit weg von jedem Klamauk oder (schreckliches Wort!) Funpunk. Bela B. ist Fan – zurecht.

Eine Kostprobe gab es gleich zu Beginn mit „Alt sein“, einer gnadenlosen Senilitätsfantasie:

Ich möchte alt sein. / Mit einem Krückstock / Will ich einschlagen auf den Fahrkartenkontrolleur!
Und wenn ein Mädchen / Mich anlächelt / Dann ist’s mir gleich / Denn dieser Fisch laicht nicht mehr.

Zum Schluss erfährt der Song dann noch einen Dreh ins Surreale, wenn der Ich-Erzähler den Wunsch äußert, Enten zu füttern – mit Entenfutter, altem Brot und Liquid XTC.

Auch in „Drehtür“ wird die entsetzliche Trostlosigkeit metaphysisch überhöht, indem am Ende der Tod in Gestalt eines Pizzamanns erscheint. Davor heißt es, schmerzhaft präzise formuliert:

In der Drehtür des Lebens / Läufst du immer schön im Kreis / Eine tote Seele / Für die Ewigkeit.
Alles endet so / Wie es einst begann / Du liegst in deinem Bett / Und hast die Windeln an.“

Und später:
„Hier wurdest du gezeugt / hier wirst du sterben / In einem Bett von IKEA“.

Bumm! Das sitzt, das trifft den Nerv vieler Menschen, die sich wundern, warum sie in der Hochleistungs-/Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft einfach nicht so richtig glücklich werden wollen. Das Köpfenicken im Publikum hatte hier sicher nicht nur mit der Musik, sondern auch mit dem befreienden Gefühl zu tun, wenn jemand die eigene Befindlichkeit so auf den Punkt bringt, wie man es selber gerne schaffen würde.

Generell scheinen Pisse von wenig glamourösen Themen wie Alter, Krankheit und Wahnsinn geradezu besessen zu sein, etwa auch in „Ich bin der schönste Mann in der Nervenheilanstalt“ (übrigens von einem Album mit dem WTF-Titel „Mit Schinken durch die Menopause“). Auch im zackigen „Beerdigung“ treffen sie direkt in die Magengrube:

Domestizierte Langeweile / Die sie dir als Fun verkaufen / Tagsüber Selbstverwirklichung / Abends Cua Libre saufen / Tote bringt man nicht mehr um.

Ein weiteres Mal: Bumm!

Selbst erkennen darf man sich – auf welcher Seite des Spektrums auch immer – ebenso, wenn Pisse Mordfantasien auf einer Vernissage entwickeln, voller Zorn auf die an Sektflöten nuckelnden Bobos, deren Zunge „nach Arsch“ riecht – und zwar „von dem edlen Prinzen, der das alles hier bezahlt“.

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Reinhold Macks Erben

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 15
VULFPECK – DEAN TOWN (2016)

Beim aktuellen Track der Woche gibt die Bassline den Ton an, und zwar in „Dean Town“ von Vulfpeck. Joe Dart, die fleischgewordene Rhythmusmaschine, bedient hier den Fender-Bass und hebt die Basslinie in den Vordergrund, sie ist gleichzeitig Puls und Melodie des Tracks.

„In metronome factories, they use Joe Dart’s Dean Town bassline for timesetting and quality control.“
– YouTube-Kommentar zu „Dean Town“

Die Formation aus Michigan hat sich der tanzbaren Musik und den funky Grooves verschrieben, aber aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Ihre Helden sind Session-Musiker wie die Funk Brothers, die Hausband des Motown-Labels, wo mitunter Stevie Wonder und Michael Jackson produziert wurden, oder die Wrecking Crew, welche auf unzähligen Aufnahmen der 60er zu hören ist, u.a. auf dem Album „Pet Sounds“ von den Beach Boys. Die Band sieht sich dabei als Rhythmustruppe, spielt hauptsächlich instrumental, und bietet das Fundament für häufige Auftritte von Gastinstrumentalisten und -sängern.

Ihr größtes Vorbild dürfte jedoch Reinhold Mack sein, ein deutscher Produzent, welcher bei Electric Light Orchestra und Queen mitmischte. Vulfpeck quasi als „deutsche“ Version der klassischen amerikanischen Studio-Band.

„Talk about space, you could rent out the space between the kick drum and the snare drum in New York, for fifty-hundred dollars a month.“
– Jack Stratton (Vulfpeck) über Reinhold Macks Arrangement von „Another One Bites the Dust“

Doch Vulfpeck geben sich auch als Wissenschafter. Bis ins Detail werden Songs und Sounds studiert und zerlegt: Wieso groovt dieser eine Song bloß so? Im Videoformat „Holy Trinities“ wird den unbekannten Akteuren gehuldigt, jenen Musikern und Produzenten, welche oft hinter großen Studio-Produktionen stehen. Besonders zu empfehlen ist hier die Folge „Guitar“, in der Vulf Jack Stratton einen Dialog zwischen David Bowie und Chic-Urgestein Nile Rodgers zitiert.

Nile Rodgers: „David, do you think I made this too funky?“
David Bowie: „Nile darling, is there such a thing?“

Dabei wird es sich wohl um die Session zu „Let’s Dance“ gehandelt haben, der Bowie-Song wurde von Nile Rodgers produziert.

Wie oben zu erkennen, spielt der Humor eine sehr große Rolle in der Band. Ihre Live-Auftritte erinnern mitunter an Fernsehsendungen aus den 70ern wie etwa Midnight Special: Es wird viel posiert und dauernd kommentiert, Jack Stratton scheint eine kleine Plaudertasche zu sein.

Besonders möchte ich auch noch auf die Ästethik der Videoproduktionen hinweisen. Das ist etwas komisch, da ich an sich keine Musikvideos mag. Aber die von Vulfpeck mag ich: Meist sieht man die paar Herren in der Session, oft kommt noch eine komische Komponente dazu, wie z.B. bei „Cory Wong“, wo man zu den bewegten Bildern das Drehbuch lesen kann.

SWISH PAN: JOE bass fill

WOODY smiles. A common reaction to a great bass fill.

Ganz nebenbei entwickelte die Band bei einer Musikaufnahme-Software mit, um einen Sound mit dem richtigen Punch sicherzustellen, und kreierte eine eigene Schriftart (!). Ja, im Universum von Vulfpeck tut sich einiges.

Vielen Dank an dieser Stelle an meinen Bandkollegen Mex, welcher die Band vor Kurzem in einer längeren Autofahrt ausführlich präsentierte.

Jetzt aber genug, wir wollen diese elektrisierende Basslinie endlich hören!