Archiv für den Monat: März 2016

Im Land der psychedelischen Schamanen

Konzertbericht: THE OSCILLATION (UK) & HARTAL! (ITA), PMK Innsbruck, 26. März 2016

Aaaah, endlich wieder Livemusik! Ein Gefühl, das ich wirklich vermisst habe. Denn kaum zu glauben, aber wahr: Für mich war der Doppelschlag am Samstag in der PMK der erste Konzertabend des Jahres – dafür aber gleich ein sehr bemerkenswerter.

Hauptverantwortlich dafür war die junge Formation Hartal! (nur echt mit Ausrufezeichen!) aus Italien (Verona, Vicenza, Forlì), die sich als echte Entdeckung entpuppte:

Auf den Plakaten wurde die Band mit dem – für mich sehr vielversprechenden – Label „Post Punk“ beworben, was sich in der Realität zwar als irreführend, aber dennoch keineswegs als enttäuschend erwies. „Post Punk“ war bei Hartal! aus meiner (akustischen) Sicht jedenfalls maximal in Spurenelementen wahrzunehmen – in der düsteren Grundstimmung, in der experimentellen Ausrichtung, vielleicht auch in einigen punkig-noisigen Ausbrüchen, die im höheren Tempobereich angesiedelt waren. Ansonsten schwebte an diesem Abend aber vor allem ein schillerndes Wort durch den (Klang-)Raum: Psychedelik.

Der werte Schreibclub-Kollege Klippo Kraftwerk nannte das Soundgebräu „psychedelischen Stoner Rock“ – und damit lag er sicher nicht ganz falsch. Ich selbst fühlte mich angesichts der hypnotisierenden, repetitiven, sich langsam steigernden Strukturen dagegen immer wieder an elektronische Musik erinnert (auch wegen der zwei zentral platzierten, face-to-face aufgestellten Keys/Synthies, an denen sich die beiden Frontmänner zu schaffen machten).

Beeindruckend, ja phasenweise überwältigend war, abseits von allen Genrebegriffen, jedenfalls der sehr dicht gewobene, intensive Gesamtsound: psychedelische Lärmschlieren, filigrane bis brachiale Gitarrenklänge, treibende Bassläufe, wuchtige Rockdrums und hin und wieder kehliger „Gesang“, der sich gaaaanz tief im Mix, in der Wall of Sound versteckte – wie ein zusätzliches Instrument, das Klangfarben hinzufügte, statt sich in den Vordergrund zu drängen.

Eine weitere Besonderheit waren Trommel und Becken, die gleich neben den Synthies postiert waren. Auf sie wurde von beiden Sängern (die auch Schellenkranz und Maracas schüttelten) mit besonderer Inbrunst eingedroschen – was dem Gesamterlebnis nicht nur weitere Sounddetails hinzufügte, sondern auch eine erhebliche optische Dynamik brachte.

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Überhaupt, diese Dynamik! Stellenweise hatte man den Eindruck, dass sich Hartal! selbst in kollektive Trance spielten – wobei der Funke dank der grandiosen Spannungsbögen (oft mit kathartischem Höhepunkt) auch aufs Publikum übersprang.

Da wurde das Konzert (nicht zuletzt auch wegen der schieren Länge der Songs, nein eher: Tracks) dann richtiggehend rauschhaft, rituell, schamanistisch. Dieses letzte Wort habe ich im direkten Gespräch mit der Band nach dem Konzert übrigens gleich mehrfach angebracht – und damit offenbar ganz gut getroffen, welche Wirkung ihnen tatsächlich vorschwebt. Ok, vielleicht waren sie auch nur so nett zu mir, weil ich ihnen ein T-Shirt abgekauft habe …

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Primavera Sound Barcelona 2015 – Tag 2

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Da war doch noch was. Die Berichte von den Tagen 0 (äh?) und 1 des 2015er-Primavera sind da, dann gab’s nix mehr. Doch doch, Astrid und ich waren auch an den drei Hauptverkehrstagen des besten Festivals der Welt dabei. Und das haben wir – etwas durch den Nebel der verblassenden Erinnerung geschildert – erlebt:

Na Moment, Halt Stop! ich ziehe das anders auf, denn die 2016er-Ausgabe ist uns im Kalender ja schon wesentlich näher als die 2015er zurückliegt. Heuer gibt’s ein fulminantes Lineup mit den Versprechensbrechern („Letztes Konzert im Madison Square Garden“) vom LCD Soundsystem, Radiohead, Tame Impala, BRIAN fucking WILSON performing „Pet Sounds“, Animal Collective, Sigur Rós, PJ Harvey, Air, Beach House, Beirut, Regisseur John Carpenter, Dinosaur Jr., Chairlift, Julia Holter, Tortoise und und und. Da muss man hin. Ich aber nicht. Jedes Jahr ein Festival? My back says no. Mein Börserl auch. Astrid auch. Was soll man machen.

Zurück ins Jahr 2015. Abgehandelt habe ich bereits Auftritte von Ibeyi, OMD, Benjamin Booker und The Juan MacLean. Das war Dienstag und Mittwoch; Der Donnerstag ist traditionell mein Lieblingstag des gesamten Festivals. Erstens habe ich da noch genug Energie, zweitens ist dieser Tag von vielen Bands exklusiv fürs Primavera reserviert, weil weniger Konkurrenz zu anderen europäischen Wochenend-Festivals besteht. Drittens: Panda Bear.

Vor zwei Jahren sahen wir ihn ebenfalls am Primavera-Donnerstag mit seinem Animal Collective, damals wirkte das ganze aber doch schon etwas ausgezehrt vom vielen Touren. Den kreativen Zenith dürften die Viecher als Band auch schon überschritten haben, dafür war das fünfte Solo-Album „Panda Bear Meets the Grim Reaper“ eine Offenbarung. Live war das ein audiovisueller Psycho-Trip im Auditori Rockdelux, wie das 3.200 Menschen fassende Auditorium des Architektur-Tempels Museu Blau de les Ciències Naturals zu Festivalzeiten gebranded wird.

Für dieses Konzert mussten wir uns übrigens wegen der begrenzten Kapazität Stunden zuvor für ein paar Euros ein Extra-Ticket sichern. Ein Spannungsmoment, denn niemand in der Schlange wusste, wann der Ticketvorrat aufgebraucht sein würde. War dann aber kein Problem.

Weiter ging’s auf der kleineren Pitchfork-Stage mit den kanadischen Schachtelsatz-Rockern Viet Cong, deren komplexe Arrangements und Song-Strukturen ich damals nur teilweise zu schätzen wusste. Heute weiß ich: „Death“ ist ein ganz, ganz großer Song. Bin gespannt, wo sich die Band nach der unabwendbaren Umbenennung – „Viet Cong“ ist halt umstritten – hinorientieren wird.

Ein Extra-Ticket – aber kostenlos – brauchte es auch für Battles auf einer sogenannten „Hidden Stage“, die sich als Hotel-Parkgarage entpuppte und nur Platz für etwa 200 Leute bot. Wie das untere Fluc, würde ich sagen. Battles machen Mathematik-Elektrock mit echten Instrumenten und echt vielen Effekten. Das 2015er-Album „La Di Da Di“ konnte das Niveau der ersten beiden Alben nicht ganz halten, aber wer Songs wie „Ice Cream“ oder „Atlas“ im Repertoire hat, hat eigentlich eh ausgesorgt. Eine gewonnene Schlacht.

Dann war’s so 22:00 Uhr, stockdunkel, und Zeit für eine Engelserscheinung. Staturbedingt unwahrscheinlicherweise in Form von Antony, einer der (ungegendert) größten Künstler unserer Zeit, der in weißen Gewändern auf die Bühne der Main Stage schwebte. Antonys Stimme ist auf Platte umwerfend, live in ihrer Einzigartigkeit kaum mehr in Superlative zu fassen. Begleitet vom vollständigen Barceloner Stadt-Orchester – genau diese kuratierte Exklusivität wünscht man sich von Mega-Festivals – und einem Film des japanischen Butoh-Tänzers Kazuo Ono sang sich Antony von Höhepunkt zu Höhepunkt: das selten live gespielte „Blind“ von Hercules & Love Affair, das zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte „4 Degrees“ vom nächsten Album „Hopelessness“ oder „Hope there’s someone“ inklusive sympathisch überspieltem Mikrofon-Kratzer zur ungünstigsten Zeit. Davon werde ich noch meinen Enkeln erzählen, wenn Antony in einigen Jahrzehnten ihren rechtmäßigen Platz im Künstler-Olymp eingenommen hat.

Ein kleiner Dämpfer war dann der Sorgenkind-Headliner dieser Ausgabe, die Black Keys. Ich war großer Fan, habe zwei T-Shirts von ihnen, aber mein Lieblingsalbum („Rubber Factory“) ist halt schon zwölf Jahre alt. Seitdem ging’s mit der Publikumsgröße ständig bergauf, mit der Qualität der Songs aber bergab. Es passte irgendwie ins Bild, dass von den 19 gespielten Nummern keine von „Rubber Factory“ dabei war. Und nur von „Gold on the Ceiling“ und „Your Touch“ werde ich halt nicht satt. Der Auftritt war mir erschreckend wurscht.

Einen kurzen Abstecher nach der Geisterstunde verdiente sich die ATP-Stage mit dem Druiden-Doom-Drone von Sunn O))). Irgendwann hatte ich die Fuck Buttons zur lautesten Band der Welt erklärt – aber die amerikanischen Nebelmaschinensammler mit den 20-Minuten-Plus-Songs sind ernste Herausforderer. Das ist nicht ganz meine Musik, dieser Hypnose kann man sich aber unmöglich entziehen. Man kann nicht nicht hinsehen. Ein Viertel des Gesamt-Auftritts, also ungefähr ein Song, also ungefähr eine halbe Stunde, hat mir dann aber doch gereicht.

Astrid hatte dann eine ganz schwierige Entscheidung zu fällen: James Blake auf der Main Stage oder Jungle auf der kleineren Ray-Ban-Stage. Ich hatte James Blake schon 2013 gesehen, Astrid nicht, versuchte sich daher zu zerteilen und sah sich eine Handvoll Songs von James Blake an, um dann schweren Herzens doch auch noch Jungle zu erwischen. Lohnte sich, denn das sicher nicht ganz leicht auf die Bühne umsetzbare Debüt-Album der Briten konnte sich auch live hören lassen. Hier die Live-Version der Nummer zwei meiner 2014er-Jahrescharts.

Hätt‘ ma das auch. Irgendwann geht’s dann weiter mit Tag 3 von 4 🙂

Die schlechtesten Songs aller Zeiten? Eine subjektive Auswahl

Was ist das Geheimnis eines richtig schlechten Songs? Gibt es dafür so etwas wie objektive Kriterien? Eine Art Katastrophenkatalog, eine musikalische „Geht gar nicht“-Liste? Wohl kaum.

Musikalische Inkompetenz ist – zumindest aus meiner Sicht, der ich nichts vom Musikhandwerk verstehe und nicht einmal Noten lesen kann – keinesfalls der alleinige Maßstab: Zum einen sind viele meiner Lieblingssongs (von Punk bis Experimentalmusik) ganz offensichtlich mit sehr beschränktem musikalischem und produktionstechnischem Können entstanden, machen das aber über ihre Dringlichkeit, ihre Originalität, ihre Wucht und ihre Chuzpe locker wieder wett.

Zum anderen zählen für mich viele handwerklich perfekt gemachte Songs – man denke nur an Musical-Arien, „virtuose“ Rrrrrockmusik oder überladene Dicke-Eier-Arrangements aller Art – zum Unterträglichsten, was die Popkultur zu bieten hat.

Was ist es also, das einen fürchterlichen Song so fürchterlich macht? Ist es seine pure Penetranz? Quasi seine aufdringliche Art? Sein quälender Ohrwurmcharakter? Ist es die Situation, in der man ihn hört/hören muss (etwa, wenn man am Arbeitsplatz zu dauerhaftem Ö3-Konsum gezwungen wird oder vergleichbare Beispiele angewandter Folter)? Sind es vor allem subjektive, persönliche Faktoren?

Gesichert ist zumindest, dass die stete Wiederholung nervtötender Songs ihren Nervigkeitsfaktor potenziert. Mir persönlich ging und geht es zum Beispiel so mit „Get Lucky“ – objektiv betrachtet ein perfekter, nach allen Regeln der Kunst produzierter Popsong. Was die Sache nur noch schlimmer macht.

Wie bei schlechten Filmen muss man wohl auch bei schlechter Musik grundsätzlich zwischen Liedern unterscheiden, die so schlecht sind, dass sie schon wieder gut sind (weil sie so sympathisch/unterhaltsam/erfrischend anders sind) und jenen schlechten Songs, die einfach nur eines sind: schlecht.

Zur ersten Kategorie zählt zum Beispiel das legendäre „Philosopy Of The World“ (1969) von der unvergleichlichen All-female-Band The Shaggs aus den USA. Hier fügen sich musikalische Unbedarftheit und eine geradezu unwirkliche Schrägheit zu Outsider Art von geradezu hypnotischer Qualität. Das Wort „grenzgenial“ passt hier einmal wirklich:

In Zusammenhang mit der kanadischen Band Nickelback wird man das Wort „grenzgenial“ dagegen eher selten hören. Dafür sind Chad Kroeger und seine Spießgesellen bei vielen Worst-of-Listen ganz weit oben. Denn Nickelback (deren erste Hitsingle „How You Remind Me“ ich als Spät-Teenager damals gar nicht sooo scheiße fand) bringen einfach verdammt viele Zutaten mit, die einen grottigen Song ausmachen: schlechtes Pathos, gepressten RAWK-Gesang und peinliche Setzkasten-Lyrics, die vor abgeschmackten Bildern nur so strotzen:

„And our time apart / like knives in my heart“ ODER „All I need is you / Come please I’m callin‘ / And oh I scream for you“ ODER „I miss it now / I can’t believe it / So hard to stay / Too hard to leave it“

Was bei Nickelback strafverschärfend hinzukommt: Sie kochen ihr Süppchen immer nach demselben Rezept, was unvermeidlich zur Folge hat, dass JEDER ihrer Songs gleich klingt. Wahrscheinlich will man die Zielgruppe der Ö3-Hörer dieser Welt nicht beim Autofahren oder Im-Stau-Stehen erschrecken.

Wobei: Wenn sich Nickelback dann doch einmal von den gewohnten Schablonen entfernen, ist das Ergebnis fast noch schlimmer. Besonders, wenn sie im Video dann auch noch einen auf Selbstironie machen. Brrrr …

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