Wünschel-Route du Rock

VON STEFAN PLETZER

Nein, ich will das Route du Rock 2017, ein Festival in Saint Malo in der bezaubernden Bretagne, nicht über den grünen Klee loben. Dafür waren die beiden Tage, die Astrid und ich im Rahmen unseres Portugal-Frankreich-Urlaubs 2017 dort verbrachten, etwas zu sehr von den gefürchteten Festival-WWWs geprägt: Warteschlangen, Wetter und Wirbelsäule. Musikalisch hielten die auftretenden Bands jedoch alles, was das fulminante Line-Up versprochen hatte. Und darum soll es ja in diesem Blog gehen.

Daher will ich auch nur ganz kurz übers nicht ganz so Tolle sprechen. Jeder weiß ohnehin, dass ich ein Edel-Festivalgänger bin und mit Zelt-Romantik und sanitärem Mittelalter weniger am Hut habe. Aber hey, immerhin bin ich noch nicht zum VIP-Karten-Käufer avanciert. Kommt aber sicher auch noch. Wer die Jammerei überspringen möchte, liest einfach etwas weiter unten weiter. Hier meine Kritikpunkte:

* Viel zu viele Leute (20.000 oder so) am winzigen Gelände des Fort de Saint-Père. Die Organisatoren blicken auf 27 Jahre Erfahrung zurück, deshalb unterstelle ich ihnen einfach mal, dass sich im Ernstfall magisch zig Schleusen öffnen, um die Besucher in Sicherheit zu geleiten. Aber die Vorstellung, was passieren würde, müssten die Einsatzkräfte ihre Terror-bedingt mitgebrachten Maschinengewehre tatsächlich einmal einsetzen, ist mir trotzdem ungeheuer. Nebenbei verursacht die Platznot einen Mangel an Sitzgelegenheiten und einen klaren Überschuss an Wildpissern und Warteschlangen. Man muss das positiv sehen: Die Organisatoren wissen, dass sie die beiden Bühnen intelligenterweise weder mit Giga-Headlinern noch mit Krawallbands bestücken können. Deshalb heißen die Headliner auch PJ Harvey, Future Islands und Interpol. Trotzdem: Bei der Kapazität kratzt das Festival sicher an der Grenze.
* Weder für noch gegen das Wetter können die Veranstalter etwas. Doch im August wird’s in Küstennähe ganz schön frostig. Dabei hatten wir noch großes Glück, denn normalerweise soll es am Route du Rock immer regnen. Diesmal nicht.
* Für jedes Konzert bräuchte meine Skoliose eigentlich eine Massageeinheit als Wiedergutmachung. Masseure hatte ich nicht erwartet, aber am Route du Rock findet man nur sehr schwer Plätze zum Sitzen.

Mehr will ich gar nicht jammern. Zum einen könnte man auch viel Gutes über die Organisation sagen (Bargeldlose Gastronomie, relativ hohes Durchschnittsalter, recht gute Stimmung bei gar nicht mal so vielen Besoffenen, überdurchschnittlich guter Shuttle-Service und Saint Malo als Stadt ist unwiderstehlich schön), zum anderen rede ich lieber über das, weswegen ich mir die Tortur überhaupt antue, nämlich die Konzerte:

 

* FOXYGEN
Schon seit dem Primavera 2015 war klar, dass diese Band eher auf Effekt als auf Inhalt setzt. Von den drei Background-Sängerinnen ist mittlerweile nur noch eine übrig, Sänger Sam Frances Live-Extravaganzen sind mir völlig wurscht und die paar guten Songs vom zugegeben starken 2013er-Album „We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic“ können den Karren nicht aus dem Dreck ziehen. 2015 begaben sich Foxygen auf die selbsternannte Farewell-Tour. Letztlich entpuppte sich das als Marketing-Gag, aber ob’s nicht gscheiter gewesen wär?

* PJ HARVEY
Ungewöhnlich früh (20:30) betrat der Ober-Headliner – nicht nur des ersten Tages, sondern des gesamten Festivals – die Bühne. Ich war bisher kein nennenswerter Verehrer und hatte sie nie zuvor live gesehen. Umso mehr erfreut es mich zu sagen, dass die Live-Show zum aktuellen Album „The Hope Six Demolition Project“ zum Besten gehört, das ich je live miterlebte. Eine perfekt eingespielte, zehnköpfige Band, gespickt mit Elder Statesmen in der Musikbranche, die nicht nur live, sondern auch im Studio auf bemerkenswerte Lebensläufe zurückblicken können und sich nun am Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens zu befinden scheinen. Nicht, dass es wichtig wäre, aber Frontfrau Polly Jean sieht als Bald-50er noch besser aus als zu Beginn ihrer Karriere in den frühen 90ern. Und Songs wie „The Words That Maketh Murder“, „White Chalk“ oder „The Wheel“ erklingen wie schallende Ohrfeigen als Strafe, dass ich sie damals nicht in meinen Jahrescharts inkludierte. Das tut mir unendlich leid, PJ, ich trete deinem Kult viel zu spät, aber immerhin doch bei.

* CAR SEAT HEADREST
Mir scheint, sie nehmen sich etwas wichtiger, als sie tatsächlich sind. Aber ganz übel war „Teens of Denial“ nicht. Eine Band, die es zu beobachten gilt. Auch wenn’s schlafmützige College-Streber sind.

* THEE OH SEES
Ich erkenne live zwar keine besonderen Unterschiede innerhalb der Tracks, doch weil John Dwyer seine Songs derart leidenschaftlich ins Mikro schreit, spuckt und schluckt, sind die Garagenrocker aus Rhode Island das zweite große Faszinosum des ersten Festival-Tags. Wer diese viel zu unbekannte Band zufällig auf einem Festival-Lineup sieht, bitte unbedingt hingehen!

* DJ SHADOW
Auch bei der vierten Live-Show nach Bizarre 2002, Amsterdam Zweitausendirgendwann und Pukkelpop 2006 ist mir Josh Davis überaus sympathisch. Aber von den Visuals habe ich mir etwas mehr erwartet. Daft Punk, Etienne de Crecy oder Amon Tobin zeigen vor, was man heute alles mit einer Show machen kann, in der die Betätigung einiger Knöpfe und das Spinnen und Scratchen von Platten allein für eine Festivalcrowd jetzt nicht zu DEN optischen Highlights zählen. Ich mag ihn trotzdem.

* ARAB STRAP
Die mürrischen Songs der Schotten hab ich immer geliebt. Die fünf Kronenbourg 1664er-Dosen, die Sänger Aidan Moffat wohl vertragsgemäß auf die Bühne gestellt werden, reichten knapp für einen 50-Minuten-Auftritt zu Beginn von Festival-Tag zwei. Sie haben „Turbulence“ gespielt, also war ich glücklich.

* TEMPLES
Tame Impala für Durchschnittsverdiener. Das dritte Album wird wohl weisen, wo der Weg hingeht. Aber Astrid war positiv überrascht, wie viele der Songs sie aus dem Radio kannte. Das war schon okay.

* THE JESUS & MARY CHAIN
Seit dem vorläufigen Bandende im Jahr 1999 bin ich nicht ausnahmslos jeden Tag aus dem Schlaf erwacht und fragte mich, wann The Jesus & Mary Chain sich wiedervereinigen würden, zählten die Schotten doch schon zu Beginn meiner musikalischen Sozialisation Mitte der 90er-Jahre für mich zum alten Eisen. Nach wie vor sind Songs wie „Just Like Honey“, „You Trip Me Up“ oder „Reverence“ aber tadellose Festival-Schlager. Die Kette hält.

* FUTURE ISLANDS
Wenn er den Soundcheck unter dem Jubel der ersterschienenen Gäste selbst bestreitet, wenn er erzählt, wie hart erkämpft der kommerzielle Durchbruch war oder wie ihr Auftritt zwischen Shows in Wales und den Niederlanden durch einen Privatjet a la Bon Jovi möglich gemacht wurde, wenn er sich bei Songs wie „A Dream of You and Me“ oder „Seasons“ in mittlerweile bekanntem Pathos auf die Brust klopft, als würde er seinem Tagebuch gerade unter Tränen seine Lebensbeichte ablegen: Man muss Sänger Sam Herring einfach mögen. Große Songs, große Gefühle. Und wir in der zweiten Reihe!

* SOULWAX
Ich liebe Drums. Zwei Drumsets – gesehen etwa bei Dan Deacon oder hier bei den Oh Sees – liebe ich noch mehr. Aber drei!? Das kann auch nur den Haudrauf-Elektroniker gewordenen Rockern von Soulwax einfallen. Einer der drei Trommler übrigens: Sepultura-Gründungsmitglied Igor Cavalera! Kein Wunder, dass nach dem einstündigen Set um ca. 3:45 Uhr die Ohren klingeln. Bemerkenswert, auch wenn das neue Material nicht ganz mit den Überdrüber-Niteversions von „Krack“ oder „NY Excuse“ mithalten kann.

Den dritten Tag ließen wir übrigens – keineswegs spontan, sondern von langer Hand geplant – aus. Interpol hatten wir schon beim Primavera 2015 gesehen, den Rest nicht zu sehen konnten wir verschmerzen.

La Route du Rock, wir kommen nicht wieder. Aber wir sind froh, dagewesen zu sein!

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