Archiv für den Monat: April 2017

Showdown im Weirdo Canyon

Festivalreport: Roadburn 2017, 20.-23. April

Unter etwas offeneren Anhängern extremer Musik gibt es weltweit wohl kaum ein Event, das mehr zelebriert und zum Kult hocherkoren wird, als das jährlich in Tilburg stattfindende Roadburn Festival. Jeden April pilgern Leute aus aller Welt in die Niederlande, um sich eine halbe Woche lang der sorgfältig kuratierten Mischung aus allen möglichen Ecken extremer Gitarrenmusik, psychedelischen Klangwelten, (Post-)Industrial und anderen alternativen Spielarten hinzugeben. Eine Besonderheit des Festivals sind die vielen exklusiven Spezialgigs, in denen Bands beispielsweise Full Album Sets ihrer alten Klassiker zum Besten geben, ihr Material in abgewandelter Form präsentieren, oder gemeinsam mit Szenekollegen die Bühne entern. Und dieses Jahr wollten einige Kollegen und ich nicht mehr nur neiderfüllt auf überschwängliche Reports und Lineups starren, sondern selbst live dabei sein, also starteten wir einen Roadtrip gen Holland. Ein Wochenende wie dieses hat gewiss auch verdient, dass man darüber berichtet, also komme ich um einen kurzen (ich ahne, dass es dann doch etwas ausladend werden wird) Festivalreport nicht herum – wackelige Handykamerabilder inklusive.

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Wörgl? Graz? Amerika!

Konzertbericht: Son of the Velvet Rat, Astnersaal Wörgl (Hotel Alte Post), 8. April 2017

Man mag ja zur Globalisierung stehen, wie man will. Aber in der Popkultur ist sie seit jeher eine Tatsache, wenn nicht sogar eine grundlegende Voraussetzung. Ohne internationalen Austausch, ohne wechselseitige Inspiration, ohne den Blick über den Tellerrand gäbe es keine vitale Popkultur. Vielleicht sind Globalisierung und Pop sogar ein und dasselbe Phänomen.

Und das digitale Zeitalter macht hier vieles möglich, was vor ein paar Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre. Zum Beispiel, dass der kulturelle Austausch bzw. die Globalisierung auch wieder in die Gegenrichtung verläuft – wenn zum Beispiel uramerikanische Musik von steirischen (!) Musikern quasi in die USA reimportiert wird. Und dort, im Mutterland, mittlerweile auch deutlich wahrgenommen und gewürdigt wird.

Georg Altziebler, Frontmann der Grazer Band Son of the Velvet Rat, die auf Einladung des Kulturvereins SPUR. kürzlich schon zum vierten Mal in Wörgl zu Gast war, lebt das, was man heute zusammenfassend meist als „Americana“ bezeichnet, mit vollem Herzen und grenzenloser Leidenschaft, wahrscheinlich leidenschaftlicher als viele amerikanische Musiker selbst. Das betrifft nicht nur die Musik, sondern auch den ganzen sie umgebenden Mythen-Kosmos voll Wüstenstaub, sengender Sonne, endlosen Highways und all den großen und kleinen Schicksalen und Gefühlen, die diesen Kosmos bevölkern. Es ist ein Mythos, der im Grunde größer ist als die Realität selbst – und genau darin liegt sein unerschöpflicher Reiz.

Altziebler hat sich diesem Kosmos mit Haut und Haaren verschrieben. Das jüngste SotVR-Album „Dorado“ (noch so ein mythisch aufgeladener Begriff) wurde in den USA mit amerikanischen Musikern aufgenommen. Produziert hat das Ganze niemand Geringerer als Joe Henry, der etwa für seine Grammy-geadelte Kooperation mit dem späten Solomon Burke („Don’t Give Up On Me“) bekannt wurde. Zuletzt, 2016, hat Henry mit dem großen englischen Polit-Folk-Barden Billy Bragg ein ergreifendes Album mit „Field Recordings From The Great American Railroad“ eingespielt, aufgenommen in Bahnhöfen und an Bahnstationen. Auch die Eisenbahn, die ein schier endloses, vielfältiges Land durchzieht, ist ja so ein großer – inzwischen leider ziemlich verkümmerter – amerikanischer Mythos.

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Altziebler und Familie leben inzwischen sogar einen Teil des Jahres in den USA, haben dort auch intensiv getourt – und beweisen, dass Americana nicht zwingend von Amerikanern gemacht werden muss, um zu überzeugen. Vielleicht braucht es – wie so oft – sogar den Blick von außen, um dieses reiche kulturelle Erbe und seine andauernde Aktualität richtig wahrzunehmen und auf die Amerikaner zurückzuspiegeln. In diesem Sinne äußert sich jedenfalls auch Joe Henry in den Liner Notes zu „Dorado“:

„I sometimes believe that as sprawling and confused as our national character has become, it requires a foreigner to actually make sense and whole cloth of its particular alchemy – to see it clearly, as if from the fire tower high above us.“

Generell heimsen SotVR inzwischen nicht nur in Österreich regelmäßig großes Kritikerlob ein, sondern auch in der amerikanischen Alt(ernative-)Country- und Folk-Szene. So erzählte die Hohepriesterin des Genres, die große Lucinda Williams, in einem Interview auf Stereo Subversion:

„There’s a band from Austria of all places who we heard here. It’s a husband and wife team called Son of the Velvet Rat. He’s got this great sexy, gravelly voice. (…) It’s beautiful melodies and sort of this Nick Drake, Mark Lanegan kind of thing. I freaked out when I saw them at this little place called the Hotel Cafe.“

Mit Lucinda Williams haben SotVR übrigens auch schon zusammengearbeitet, ebenso mit dem ehemaligen Wilco-Schlagzeuger Ken Coomer, der zwei Alben produzierte, oder mit dem grimmigen Genie Kristof Hahn (Swans, Les Hommes Sauvages, Justice Hahn). Kein Zweifel, SotVR sind längst angekommen.

Bestens angekommen (hey, was für ein eleganter Übergang!) ist die Band auch im Wörgler Astnersaal, dessen altehrwürdiger, in die Jahre gekommener, schäbig-eleganter Charme wunderbar mit dem Folk Noir von SotVR korrespondierte.

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Zuvor hatten The Tiptoes aus Graz (Bild oben) in Duo-Formation schön sanft auf den Konzertabend eingestimmt. Sängerin Miriam Bichler hat eine (wunder-)volle Indiepop-Stimme, von der man sich gerne hypnotisieren lässt. Nur mit akustischer Gitarrenbegleitung klang das Ganze auf Dauer dann aber doch ein klein wenig gleichförmig, man hätte sich zwischendurch gewünscht, die vollständige Band zu hören (ich persönlich bin generell kein großer Fan von Akustik-/Unplugged-Formaten). Dennoch ein wirklich feiner Auftakt, der vom aufmerksamen Publikum geradezu euphorisch beklatscht wurde.

Welche Vorzüge eine vollständige Bandbesetzung in puncto Wucht und Facettenreichtum haben kann, bewies im Anschluss die Hauptband: Denn obwohl Son of the Velvet Rat bisweilen als das „Projekt“ von Georg Altziebler wahrgenommen werden, sind sie in Wirklichkeit eine komplette, bestens eingespielte und „geölte“ Liveband, die zu vielerlei Stimmungen, Tempi und Klangfarben fähig ist.

Na gut, Altzieblers aufgerauhte Bassstimme, die an einen verletzlicheren Johnny Cash oder einen waidwunden Tom Waits denken lässt, steht natürlich schon im Mittelpunkt des SotVR’schen Klangbildes. Und es ist seine große Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit, die Abwesenheit jeglicher „cooler“ Ironie, die viel vom Reiz und der Würde dieser Songs ausmacht. (Nicht umsonst wird im Zusammenhang mit SotVR gerne auf das traurige Countrygenie Townes van Zandt verwiesen). Aber dass es so ein abwechslungsreicher und vielschichtiger Konzertabend wurde, lag nicht an Altzieblers Stimme – die zwar markant und eindrucksvoll, aber nicht unbedingt allzu wandlungsfähig ist -, sondern in erster Linie an der äußerst kompetenten Band.

Da ist zunächst Altzieblers Frau Heike Binder zu nennen, die am Keyboard und an der Ziehharmonika vielfältige Akzente setzte und wunderbare Background Vocals beisteuerte. Die reizvolle Kombination aus dunklem Brummbass und einer hellen, leichtfüßigeren weiblichen Stimme wird ja spätestens seit Lee Hazlewood und Nancy Sinatra im Pop immer wieder gern genommen (siehe Mark Lanegan und Isobel Campbell uvm.).

Zu den feinen Vokalharmonien trugen bisweilen auch die anderen drei Musiker bei: Multiinstrumentalist Kolja Radenkovic, der funkelnde Gitarrensoli, flirrende Mandolinenklänge und – besonders schön – vereinzelte Vitaminschübe aus der Trompete bereithielt; der wunderbare Schlagzeuger Michael Willmann, der dem Gesamtsound eine unerwartete Wucht und Dynamik gab; und der stoische Bassist Albrecht Klinger. Sie alle bewegten sich mit großer Sicherheit zwischen elegischen Countryklängen, Chansons und aufgeräumtem Folkrock.

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Am besten waren Son of the Velvet Rat an diesem Abend – aus meiner Sicht – immer dann, wenn sie als Band so richtig ins Schwingen kamen, zwischendurch auch einmal das Tempo anzogen und manchmal sogar wild und laut wurden. Da merkte man dann, dass zu Altzieblers Einflüssen zum Beispiel auch die Country-Punks von Dead Moon zählen sollen. Zwischen treibenden und zugleich verspielten Rhythmen, pulsierenden Trompetenstößen und Altzieblers gelegentlichen Mundharmonika-Soli (in Bob-Dylan-Manier schön rau und schneidend gespielt) war immer wieder große Spielfreude zu spüren. Und die entlockte auch dem sehr ernst und asketisch wirkenden Altziebler mehrfach ein breites Grinsen.

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