Archiv für den Monat: Januar 2014

You know, the Germans have a word for that

Letztens spielte ich also dieses Sporcle-Quiz „Thanks for the Words, Germany!“. Mal abgesehen davon, dass ich es ein wenig diskriminierend finde, dass hier nur Deutschland gedankt wird, da doch sicher auch einmal ein Österreicher, Schweizer, Luxemburger oder Namibier ein nettes Wort über die Sprachbarriere gewuchtet hat, unterlief mir der Fauxpas, bei einem Deutsche-Wörter-Quiz nur 19 von 20 richtige Antworten gegeben zu haben. Weltanschauung und Zeitgeist verwechselt, hoppla. Witzig übrigens, dass das englische loanword auch vom deutschen Lehnwort stammt. Wie auch immer.

Wenn es ein nettes deutsches Wort gibt, das ich der englischsprachigen Welt für die Erweiterung ihres Wortschatz empfehlen würde, dann ist das Torschlusspanik. Das amerikanische Time Magazine widmete diesem Wort in einem Artikel aus dem Jahr 1961 über den deutschen Mauerbau einen netten Absatz.

“Last week a curious and serious malady was affecting Communist East Germany and reaching almost epidemic proportions. The name of the disease was Torschlusspanik, which literally means ‚fear of gate closing‘. Everything East German leaders did to shut off the flow of refugees to the West seemed, instead, to spur it on. The day that Deputy Premier Willi Stoph announced new secret measures to halt the refugees—ostensibly at the urging of „delegations of workers“—1.532 East Germans beat it over the border and checked into the big Marienfelde refugee center in West Berlin.”

Und während landläufig der Begriff eher für Frauen verwendet wird, die tickende Uhren hören – für mich im Schlafzimmer übrigens eine veritable Foltermethode -, so empfand ich das Gefühl gestern bei der wunderschönen Doku „Shut up and play the Hits“, einem Konzertfilm über den allerletzten Gig der besten Band der 2000er-Jahre mit dem besten Song der 2000er-Jahre, LCD Soundsystem.

James Murphy war 30 oder 31, als er die Band ins Leben rief. Zehn Jahre und drei Alben später verkaufte er den Madison Square Garden aus. Und erklärte die Band für Geschichte. Am Höhepunkt. Weil er, wie er in der Doku verriet, zu viele graue Barthaare bemerkte, wenn er von Tourneen zurückgekehrt war.

Alles begann aber eigentlich mit Torschlusspanik. Denn in der Debüt-Single „Losing my Edge“ ging es um Murphys Angst, sein tolles Leben als DJ zu verlieren, weil von hinten die jungen coolen Hüpfer nachrücken und dieselben Lieder spielen. Also vielleicht nicht präzise Torschlusspanik, sondern Vorsprungsverlustangst, aber sicher dachte Murphy mit 30 auch: „Wenn ich nochmal eine Spur als Musiker hinterlassen möchte in diesem Leben, dann muss ich jetzt endlich was Gutes schaffen.“ Und im selben Maße, in dem ich Murphy für das beneide, was er im folgenden Jahrzehnt alles erreichte, ist er natürlich auch ein Vorbild. Vor meinem anstehenden 31. Geburtstag bin ich als 13 Jahre nach Murphy Geborener nach Verlustpunkten wenigstens noch nicht hinter ihn zurückgefallen. Aber bald!

Gutgelaunter Highspeed-Swing

Konzertbericht: Harri Stojka Trio, Café Egger’s, Kufstein, 16. Jänner 2014

Wie viel Virtuosität verträgt die Popmusik? Wann wird aus eindrucksvollem instrumentalem Können reine Selbstdarstellung (um nicht zu sagen: musikalische Masturbation)? Für mich, der ich von technischen Musikaspekten aber so was von keine Ahnung habe, heißt das entscheidende Kriterium: ENERGIE. Solange Musik energiegeladen und dringlich bleibt, droht erfahrungsgemäß keine Erstarrung in Eitelkeit, Angeberei und hohlem Virtuosentum.

Schön beobachten konnte man das am Donnerstag im Café Egger’s zu Kufstein [ich weiß, das  Apostroph-S ist Blödsinn und ein echtes No-Go, aber so schreibt man das Beisl eben]: Dort war – auf Einladung des engagierten Kulturvereins Klang-Farben – das Harri Stojka Trio mit einem rein instrumentalen Gypsy-Swing-Programm zu Gast. Und in den vielfältigen (Tanz-)Musiktraditionen der Roma und Sinti sind Virtuosität und Energie nun einmal fast untrennbar vereint. Das gilt auch für den ab den späten 20er und frühen 30er Jahren entstandenen Gypsy-Jazz.

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Stojkas Reise in die Klangwelt von Django Reinhardt & Co. geriet trotz ausgedehnter solistischer Ausflüge stets mitreißend, gut gelaunt und zum Glück nie über die Maßen selbstverliebt. Sicher: Stojka (mit seinem schwindelerregend schnellen, bisweilen ungestümen und unkonventionellen Gitarrenspiel), der nicht minder exzellente Gitarrist Claudius Jelinek und der wunderbar vor sich hin zupfende, slappende und streichende Kontrabassist Peter Strutzenberger übertrumpften sich gegenseitig mit instrumentalen Bravourstücken und rasanten Improvisationen. Aber naja, das ist halt so beim Jazz – und wenn es so freundschaftlich und unverbissen (sagt man das so?) geschieht wie hier, dann ist ein solches Konzert durchaus ein erfreuliches Erlebnis.

Schön auch, dass sich die drei Könner nicht als Puristen erwiesen: Eigenkompositionen von Stojka („Romano Suno/Gipsy Dream“) waren ebenso zu hören wie etwa das bekannte jiddische Swingstück „Bay mir bistu sheyn“. Einmal machten die Spaßvögel kurzerhand sogar die Titelmelodie der „Flintstones“ zum furiosen Gypsy-Swing.

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Dunkelschöne Bastelstunde

Konzertbericht Christine Owman, 13. Jänner 2014, Bäckerei, Innsbruck

Das perfekte Kontrastprogramm zur derben Mad Sin-Sause am Donnerstag davor: Düsterer, experimenteller, ebenso kunstvoller wie kunstsinniger (aber zum Glück alles andere als kunsthandwerklicher) Pop. Und eine Sängerin, die sich schon mal unters Publikum mischt, um sich persönlich zu erkundigen, ob wohl jemand Ohrstöpsel brauche: „I myself am very cautious about my ears. I dont’t want my music to ruin your ears. On the contrary“.

Eines steht fest: Die Ohren ihres Publikums hat Christine Owman, in London ansässige Songwriterin und Multiinstrumentalistin aus Südschweden, an diesem Abend absolut nicht ruiniert. Das Konzert in der Bäckerei erwies sich als genau so schön wie erwartet. Ein wesentlicher Grund dafür: Owmans ätherischer bis avantgardistischer Gesang, ihre dunkle, sinnliche Stimme, die sie noch dazu durch diverse Verzerrer und Effektgeräte jagte – ein Effekt, der gleich bei der zweiten Nummer des Abends, „Deathbed“, besonders gut zum Tragen kam.

Owman erwies sich an diesem Abend generell als sehr vielseitige Künstlerin: Sie spielte Cello (gestrichen und gezupft), Ukulele und Singende Säge, griff zur Triangel und sogar zu einer seltsamen Plastikschlange, die beim Schwingen schwirrende Geräusche produzierte (ich persönlich habe so etwas zum letzten Mal vor 25 Jahren im Kindergarten von Unterlangkampfen gesehen).

Mittels Loop-Pedalen baut Owman ihre Lieder quasi live auf der Bühne zusammen – eine Art Collagetechnik mit selbst produzierten Samples, die mir persönlich sehr gut gefällt (auch wenn sie dem Bühnenauftritt manchmal etwas Zerfahrenes, Bastelstunden- oder Workshopartiges verleiht). Auf jeden Fall ergaben die Zutaten (dunkler, intensiver, manchmal auch zärtlich gehauchter Gesang; dramatische Cellofiguren; das Klingeln der Ukulele; das Wimmern der Singenden Säge …) insgesamt einen mystischen, wunderbar artifiziellen Sound.

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Bierbecher und Pickelhaube

Konzertbericht: MAD SIN und HELLFISH, 9. Jänner 2014, PMK Innsbruck

„Das Schlimmste ist, wenn Musik zur Erwachsenenunterhaltung verkommt“: So brachte es Kollege Dave im Vorfeld dieses in jeder Hinsicht denkwürdigen Konzertabends auf den Punkt. Damit war nicht etwa gemeint, dass es für populäre Musik eine Altersbeschränkung gibt oder geben sollte, im Gegenteil. Die Kritik richtete sich vielmehr gegen Musik, die ihren eigenen Kunstanspruch wie eine Golden-Member-Card vor sich her trägt, gegen Musik, die man gefälligst still und konzentriert zu konsumieren hat – am besten im Sitzen und mit möglichst ernster Kennermiene.

Die Gefahr der Erwachsenenunterhaltung bestand beim „Mad Sin“-Konzert in der Innsbrucker PMK allerdings keine Sekunde lang: Schließlich sind die Berliner, die 1987 als Straßen- und Kneipenband zusammengefunden haben, die bekannteste Psychobilly-Formation des  deutschsprachigen Raums, vielleicht sogar ganz Europas. Und das Psychobilly- oder Horrorpunk-Genre (als Begründer gelten The Meteors, als Säulenheilige unter anderem The Cramps) ist per se eine Spielwiese für große Kinder, die es gerne wild, laut und dreckig mögen.

Die (nicht allzu gewagte) Prognose „Das wird heut auch was fürs Auge“ traf voll und ganz ein: „Mad Sin“ ist eine Band, die man gesehen (!) haben muss: Allein schon der Kontrast zwischen dem in jeder Hinsicht gewaltigen Sänger „Köfte“ de Ville (Stiernacken, ganzkörpertätowiert, energiegeladen und wuchtig wie ein Bulldozer) und dem hageren, stoischen, einem ausgezehrten Vampir gleichenden Gitarristen Stein war das Eintrittsgeld wert.

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