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Unbeliebte Schweineteile, unfähige Pferdediebe und ein kafkaesker Kafka – Mclusky sind zurück und haben noch immer die besten Songtitel der Welt

2004 – wie kann das schon wieder 21 Jahre her sein? Wohin ist all die Zeit verschwunden? Und ist es wirklich möglich, dass das bislang letzte reguläre Studioalbum der walisischen Noiserock-Wüstlinge Mclusky in ebendiesem Jahr erschienen ist?

Unvorstellbar, aber nicht zu leugnen. Und jetzt, 2025, sind Mclusky plötzlich zurück, als wäre nichts gewesen. 21 Jahre – nur ein Wimpernschlag (wobei im Falle von Mclusky die Betonung eindeutig auf „Schlag“ liegen muss). Der Titel ihres neuen Albums – kommerzielle Ausdrücke wie „Comebackalbum“ verbieten sich bei einer so kompromisslosen Band – bringt die beträchtliche Zeitspanne, die seit 2004 vergangen ist, auch gleich lakonisch und unsentimental auf den Punkt: „The World Is Still Here and So Are We“.

Und, das möchte man sofort hinzufügen, Mclusky sind nicht nur wieder oder immer noch da – sie sind auch so schlecht gelaunt und unbarmherzig sarkastisch wie eh und je, genauso „biestig“ (wie es in einer Kurzrezension des „Standard“ treffend heißt) und „crass“ (wie es die Online-Plattform „Pitchfork“ nicht minder passend formuliert).

Auch an Energie hat das Trio, aktuell bestehend aus Front-Brüllaffe Andy „Falco“ Falkous, Schlagzeuger Jack Egglestone und dem vergleichsweise neuen Bassisten Damien Sayell, kein Jota eingebüßt. Mclusky – das ist nach wie vor eine konfrontative, provokante In-your-face-Erfahrung, auf musikalischer und textlicher Ebene.

Wer ein Album mit der Textzeile ‚Delicate seeds come from delicate flowers‘ / That was the horseshit she fed me for hours beginnt (in: „Unpopular Parts of a Pig“), macht keine Gefangenen. Mclusky, das bedeutet auch 2025 ätzenden, krachenden, in seinen harten Laut-Leise-Kontrasten höchst beweglichen Noiserock, der in radikaler Punk-Manier einer oft gnadenlosen Gesellschaft ihre Fratze zurückspiegelt, ihre eigene Säure zurück ins Gesicht spuckt: Money makers making moves / What else should money makers do? / Money makers making money making moves heißt es mit unverhohlener Verachtung in „Cops and Coppers“. Und, nur einen Song später (in „Way of the Exploding Dickhead“): Jerks prefer jerks for sure

Und dass man Zynismus, vor allem dem des Krieges, oft nur noch mit Zynismus beikommen kann, zeigen heftige Zeilen wie diese: Exploding kids, exploding kids, exploding kids can kill the mood / Can kill the mood if kid explosions aren’t your heart’s desire (aus: „People person“).

Musikalisch erreicht das Album spätestens mit dem Doppelpack aus „Kafka-Esque Novelist Franz Kafka“ und „The Digger You Deep“ seinen Höhepunkt – bissige, beißende Lieder, die problemlos mit den besten im Mclusky-Katalog mithalten können.

Und damit sind wir auch schon mitten im eigentlichen Thema dieses kleinen Beitrags angelangt: Mclusky waren, sind und bleiben unerreicht, wenn es um krasse, nicht selten grenzwertige, oft höchst originelle oder einfach verdammt lustige Song- und Albumtitel geht:

Wer sein erstes Album „My Pain and Sadness is More Sad and Painful Than Yours“ nennt und ein späteres „The Difference Between Me and You Is That I’m Not on Fire“, der versteht sein, nun ja, literarisches Handwerk, will sagen: Mundwerk, meisterlich.

Ja, ein Mundwerk haben Andy Falkous und Mclusky wie keine zweite Band – mit einer Ausnahme: Die heißt „Future of the Left“ (was ein angemessen großartiger Name ist) und stellt die zweite, nicht minder wahn-witzige und räudige Formation von „Falco“ Falkous und Drummer Jack Egglestone dar, im Team mit der Bassistin Julia Ruzicka.

Was liegt also näher als eine Liste (hat man heute bekanntlich so) der großartigsten, irrsten, grenzwertigsten, seltsamsten und verblüffendsten Songtitel von Mclusky und Future of the Left, am besten im Countdown? Eben. Here weg go!

DIE 25 (+1) BESTEN SONGTITEL VON MCLUSKY:

25) „Rice is Nice“
24) „Hate the Polis“
23) „She Will Only Bring You Happiness“ [okay, der wirkt recht unverfänglich, wartet aber mit einem umso verfänglicheren, tatsächlich grenzwertigen Chorus auf: Our old singer is / A sex criminal …]

22) „Falco vs. the Young Canoeist“
21) „Dethink to Survive“
20) „Whiteliberalonwhiteliberalaction“
19) „Icarus Smicarus“
18) „Undress For Success“
17) „Your Children Are Waiting for You to Die“
16) „Way of the Exploding Dickhead“
15) „See Them Smell Them Sign Them“
14) „You Should Be Ashamed, Seamus“
13) „Lightsabre Cocksucking Blues“
12) „The Habit That Kicks Itself“
11) „The Competent Horse Thief“
10) „Forget About Him I’m Mint“
9) „Unpopular Parts of a Pig“
8) „Reformed Arsonist Seeks Child Bride“
7) „Alan Is a Cowboy Killer“

6) „The Digger You Deep“
5) „Dave, Stop Killing Prostitutes“
4) „The Difference Between Me and You Is That I’m Not on Fire“
3) „Kafka-Esque Novelist Franz Kafka“
2) „Bipolar Bears Take Seattle“ [Merken als Teamname fürs nächste Pubquiz]
1) „To Hell with Good Intentions“ [das ist der Song mit der unübertrefflichen Eröffnungszeile: My love is bigger than your love (…) / Sing it!]
ODER (ex-aequo):
1) „How Can 15 People Be Wrong?“

DIE 33 BESTEN SONGTITEL VON FUTURE OF THE LEFT:

33) „Johnny Borrell Afterlife“ [Johnny Borrell ist der legendär großmäulige Sänger der längst vergessenen Band Razorlight, dem Future of the Left hier durchaus mit einiger Sympathie begegnen]
32) „Plague of Onces“
31) „Singing of the Bonesaws“
30) „50 Days Before the Hun“
29) „Why Aren’t I Going To Hell?“
28) „Fingers Become Thumbs!“
27) „Arming Eritrea“
26) „The Lord Hates a Coward“
25) „I Am Civil Service“
24) „Polymers Are Forever“
23) „The Limits of Battleships“

22) „She Gets Passed Around at Parties“
21) „No Son Will Ease their Solitude“ [womit Future of the Left beweisen, dass sie sich in all ihrem Sarkasmus auch auf tragische, ja berührende Titel verstehen]
20) „Real Men Hunt in Packs“
19) „adeadenemyalwayssmellsgood“
18) „Stand by Your Manatee“ [„manatee“ bedeutet so viel wie „Rundschwanzseekuh“, würde also auch auf Deutsch einen ziemlich guten Songtitel ergeben]
17) „Future Child Embarrassment Matrix“
16) „My Gymnastic Past“
15) „Robocop 4 – Fuck Off Robocop“
14) „Failed Olympic Bid“
13) „I Am The Least Of Your Problems“
12) „Things to Say to Friendly Policemen“
11) „I Don’t Know What You Ketamine“
10) „I Need To Know How To Kill A Cat“
9) „Suddenly It’s a Folk Song“
8) „Throwing Bricks at Trains“

7) „The Real Meaning of Christmas“
6) „If AT&T Drank Tea What Would BP Do?“
5) „You Need Satan More Than He Needs You“
4) „Sorry Dad, I Was Late For The Riots“
3) „Wrigley Scott“ [auch das ein heißer Tipp für einen Pubquiz-Teamnamen]
2) „The Hope That House Built“

1) „Sheena Is A T-Shirt Salesman“ [Ein Song und Video wie eine einzige brutale Energieeruption]

Nur die Frau im Mond schaut zu

Albumtipp: Moon Woman – Open Gates (2020)

Hätte mir vor bald 14 Monaten (um Gottes willen!) jemand gesagt, dass der mitreißende Auftritt von Kosmodrom aus Oberfranken und Moon Woman aus Tirol in der Jungen Talstation zu Innsbruck vorerst mein allerletztes Livekonzert sein würde, ich hätte sie oder ihn mindestens mit einem sorgenvollen Blick bedacht. Inzwischen ist das damals Unvorstellbare längst neue Normalität geworden – und wann Konzertabende oder Festivals wieder in gewohnter Form stattfinden können, steht weiter in den Sternen.

Wechseln wir also von den Sternen lieber gleich auf den Mond – und von geschlossenen Saal- und Clubtüren zu „Open Gates“, dem gleichnamigen, hoffnungsfroh betitelten Debütalbum von Moon Woman aus Innsbruck. Daniel Rieser (Gesang, Bass), Florian Ortner (E-Gitarre, Slidegitarre) und Rene Nussbaumer (Schlagzeug, Synths) haben die Pandemie nämlich bestens genützt, im Sommer 2020 binnen zwei Wochen ein Album mit acht Tracks in Eigenregie aufgenommen (bei zwei Nummern mit Unterstützung von Thomas Riesner an der Violine) und dieses gegen Jahresende ebenso autonom herausgebracht.

Als ein „Bier-aufmach-und-ganz-durchhör-Album“ bezeichnet die Band ihr Erstlingswerk selbst – und das trifft tatsächlich ins Schwarze. Mit seiner geschickten Dramaturgie und seinem Wechsel zwischen kompakten Tracks und Stücken, die sich viel Zeit zum gepflegten Ausfransen nehmen, eignet sich „Open Gates“ wirklich besonders dazu, in einem Zug gehört zu werden. Beim beschwörenden „Sun Chant“ (sehr schön gewählter Titel!) oder dem eröffnenden „Tiger and his warrior“ würde man sich im besten Sinne fast wünschen, dass sie noch länger dauern, während Moon Woman im Titelsong, bei „Western Territories“ oder dem finalen Dreizehnminüter „Eastern Lights“ ihren Psychedelic/Stoner/Heavy Blues-Sound in Ruhe in verschiedenste Richtungen wuchern lassen.

Was den Tracks bei allen Kontrasten gemeinsam ist: Trotz wuchtiger Riffs und zentnerschwerer Drums bleibt der Gesamtsound stets groovy, beweglich, luftig und leichtfüßig, was manch anderer, allzu verbissener und schwerfälliger Band in verwandten Genres abgeht. Trotzdem (oder gerade deshalb) verstehen es Moon Woman, stetig Spannung aufzubauen – und zwar ohne sie immer gleich voll ausbrechen zu lassen, manchmal sogar ohne sie überhaupt aufzulösen. Die jungen Musiker gönnen sich immer wieder Momente fast vollständiger Stille, nur um Schlagzeug, Bass, Gesang dann fast gemächlich wieder einsetzen und wachsen zu lassen. Nicht nur in diesem bewusst zurückhaltenden Ansatz lassen sie bisweilen an die gefeierten Psychedelic-Blueser All Them Witches denken. Was den düsteren Sprechgesang betrifft, sind, etwa in „Dance of the Komorebi“, auch Parallelen zu den Doors (im Sinne von „When The Music’s Over“ oder „The End“) nicht von der Hand zu weisen, auch wenn der Sound insgesamt natürlich in eine ganze andere Richtung weist.

Und diese Richtung liegt, wie schon der Bandname suggeriert, in der Weite, im Kosmischen und Sphärischen. Die Produktion ist angenehm reduziert, nie überladen. So entfaltet der Gesamtsound eine einlullende, fast beruhigende Qualität, auch wenn er wie in „Stray Dog“ oder dem dunklen „Eastern Lights“ mit seinen dramatischen Vocals und räudigen Synths volle Fahrt aufnimmt.

Fazit: „Open Gates“ ist ein willkommener, einladender Weg, um sich aus der Pandemie fortzuträumen – und weckt zugleich die Lust auf eine Rückkehr der Livemusik. Übrigens: Mit „Meeting at old valley station“ haben Moon Woman dem Baudenkmal der Jungen (Alten) Talstation der Hungerburgbahn, einer tollen Konzertlocation, sogar ein skizzenhaftes instrumentales Denkmal gesetzt. Und für Sommer plant das Trio eine Tour mit Kosmodrom durch Österreich und Bayern. Wär schön, wenn das klappt!

Hören kann und sollte man das Album in voller Länge HIER oder HIER. Und damit entlasse ich die geneigte Leserschaft mit mysteriösen Zeilen des Dichters Christian Morgenstern, die mir irgendwie sehr passend erscheinen:

Das Mondschaf spricht zu sich im Traum:
„Ich bin des Weltalls dunkler Raum.“
Das Mondschaf. 

Wean, du bist a junge Frau

Album-Rezension: WIEN MUSIK 2013 (Diverse)

Manche Dinge ergänzen sich einfach perfekt. Vor wenigen Wochen ist mit dem formidablen und formschön gestalteten Kompendium „WIENPOP“  eine längst fällige Oral History über die Entwicklung der Wiener Musikszene(n) seit den 1950er Jahren erschienen (Rezension folgt, sobald ich durch bin). Doch während der reich bebilderte Prachtband die historische Komponente in vier Kapiteln abdeckt (vom Aufkommen des Rock ‘n‘ Roll in den 50ern und 60ern über die Kritische Liedermacherszene der 70er und die aufregende Wiener Punk- und New Wave-Szene bis hin zum Hip-Hop- und Elektronik-Boom der 90er), hat man das aktuelle Wiener Popmusikleben ausgespart. Bewusst, wie die Autoren schreiben, da es für eine objektive Beurteilung eben einen gewissen zeitlichen Abstand brauche.

Trotzdem handelt es sich hier um eine Lücke – die allerdings von den WIEN MUSIK-Samplern auf wunderbare Weise geschlossen wird. Der bereits vierte Teil dieser Serie mit aktueller Musik aus (und häufig auch über) Wien ist im Sommer erschienen, gerade rechtzeitig zum Wiener Popfest.

WIEN MUSIK 2013, kundig zusammengestellt vom Musiklabel monkey., zeigt mit der tollen Schauspielerin Birgit Minichmayr erstmals eine Frau auf dem Cover (Foto: Manfred Klimek). Die drei bisherigen Covermodels waren Franz Schuh, Dominic Heinzl (sic!) und David Schalko gewesen. Vor allem aber zeigt der Sampler (einmal mehr), dass in der österreichischen Hauptstadt derzeit, fernab größerer Hypes, ziemlich viel passiert. Das moderne Wienerlied (= Wiener Lied) klingt vielfältiger denn je, ganz wie es einer bunten, rasch wachsenden Metropole gebührt.

wien musik 2013 cover_gr

Ja, die stilistische Bandbreite ist gewaltig: vom kryptisch-düsteren Auftakt mit Julian & der Fux („Wie geht es?“) bis hin zu Filou mit ihrem schlicht und einfach „Wien“ betitelten Songhybriden (etwas eckiger Sprechgesang in der Strophe, hymnischer Rock im Chorus: „Wien, oh, Wien – ich oder du, du oder ich?“);  von Atomique, P.Tha & Con mit ihrem Mix aus dubsteppiger Haudraufelektronik und brachialem Highspeed-Rap („Spring! Spring, bis Beton zerspringt!“) bis hin zur Sängerin und Schauspielerin Monica Reyes, die mit ihrer nervig-charmanten Aufforderung zum „Schmusen“ die Nummer eins der FM4-Charts erreichte.

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Wie ich doch noch Affen-affin wurde

Album-Rezension: Arctic Monkeys – AM

Arctic_Monkeys_-_AM

Eingangs muss ich gleich eines zugeben: Die Arctic Monkeys haben bei mir lange nicht so recht gezündet. Schwer zu sagen, woran das lag. Vielleicht daran, dass ich mich bei Erscheinen des explosiv einschlagenden Debüts „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ (2006) schon einigermaßen an der „New Class of Rock“ der frühen und mittleren Nullerjahre sattgehört hatte. Vielleicht auch daran, dass mich die Hype-Maschine auf der Insel, die pausenlos irgendwelche Bands, DJs und Solokünstler hochjazzt, um sie dann mindestens ebenso schnell wieder fallenzulassen, generell ein bisschen nervt.

Jedenfalls fand ich die hysterisch abgefeierten Songs wie „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ oder „When The Sun Goes Down“ zwar ganz ok, aber leider nicht wirklich aufregend oder gar berührend. Und danach verschwanden die Monkeys für ein paar Jahre überhaupt von meinem Radar (auf dem sie nie wirklich aufgetaucht waren).

Dabei hätten mir die Buben aus Sheffield grundsätzlich sympathisch sein müssen. Das waren keine engstirnigen Rockisten, sondern intelligente und energiegeladene junge lads, die mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen, gerne Hip-Hop hören und so weiter. Und auch das, was ich von ihren Nebenprojekten so mitbekam, etwa den dreckigen Rap-Rock von Mongrel oder den barocken Pop von Alex Turners Supergroup The Last Shadow Puppets, gefiel mir eigentlich recht gut.

Das Lied, mit der ich erstmals wirklich Zugang zu den Inselaffen fand, war dann kurioserweise „Don’t Sit Down ‚Cause I’ve Moved Your Chair“ vom ansonsten nicht gerade hochgelobten 2011er-Album „Suck It And See“, ein fetter, psychedelischer, eindeutig von US-amerikanischen Einflüssen geprägter Hardrock-Kracher.

Apropos amerikanische Einflüsse: Seit dem 2009er-Album „Humbug“, das von Josh Homme koproduziert wurde, sind die Arctic Monkeys mit dem – in jeder Hinsicht – großen Kyuss- und Queens-of-the-Stone-Age-Mann befreundet. Eine Begegnung, die den bleichen englischen Milchbubis sicher nicht geschadet hat. Denn auch wenn aus den Monkeys keine Wüstenrockband geworden ist, klingen sie auf ihrem neuen Album „AM“ deutlich grooviger, sexuell aufgeladener, gefährlicher – genau jene Eigenschaften, die bekanntlich auch die Queens auszeichnen.

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