Konzertbericht: GEWALT und TEXTA, Bogenfest Innsbruck, 19. Mai 2024
Es war ein starkes Zeichen: Das alternative, subkulturelle Innsbruck ist noch am Leben, trotz schwieriger Zeiten, trotz in den letzten Jahren stetig schwindender Flächen – vom Hafen über den Weekender und die Junge Talstation (hier besteht noch Hoffnung) bis hin zu Clubs wie Dachsbau und Cubique. Schon zum dritten Mal schlug das Bogenfest, organisiert vom Innsbruck Marketing und dem Kulturverein Bögen (nebst zahlreichen Vereinen und Initiativen, die in den Viaduktbögen angesiedelt sind), voll ein, mit Tausenden BesucherInnen, entspannter Atmosphäre und einem ganz schön bunten Gesamtbild.
„A mords Zuagang“, dachte man sich unwillkürlich – und war damit in Gedanken gleich bei Gewalt. Nämlich der gleichnamigen Berliner Band, die beim Bogenfest ihr erstes Livekonzert dieses Jahres bestritt – und schon beim Namen ein Statement setzt: Harmlos-bequem und gemütlich ist hier nichts.
Dafür bürgt ein Name: Patrick Wagner. Wer wie ich ein lebendes Relikt seliger, prägender Viva-2-Zeiten ist, muss sofort an Wagners seinerzeitige Band „Surrogat“ (1994 bis 2003) denken, die als einnehmend größenwahnsinnig und polarisierend im Gedächtnis blieb. So ließ sich Wagner auf dem finalen „Surrogat“-Album für die titelgebende, etwas andere Hardrock-Nummer „Hell in Hell“ vom legendären Boxer René Weller (im Vorjahr verstorben) zu denkwürdigen Zeilen inspirieren: „Wir sind immer oben, und wenn wir unten sind, ist unten oben.“ Das saß.
Zu Unten und Oben dürfte Patrick Wagner, während und nach der „Surrogat“-Ära, auch persönlich einige Erfahrungen gemacht haben, doch das interessiert hier nicht. Was umso mehr interessiert, ist Wagners aktuelle Band „Gewalt“, zuhause im weiten und wilden Feld zwischen Noiserock und Postpunk. „German Wut Wave“ lautet eine Eigendefinition – und die passt wie die Faust aufs Auge.
Im Trio mit Gitarristin Helen Henfling und Bassistin Jasmin Rilke präsentiert sich Wagner (Gesang, Gitarre) keineswegs altersmilde oder versöhnlich, im Gegenteil: In Zeiten, in denen auch alternative Musik, vor allem die gitarrenlastige, oft allzu vorhersehbar und stromlinienförmig daherkommt, geht es hier schön schroff, konfrontativ und kantig zur Sache. Das gilt für die Musik ebenso wie die von Wagner repetitiv, gnadenlos und parolenartig hinausgebellten Texte.
Man nehme nur die Single „Deutsch“, mit der „Gewalt“ erstmals in meinem kleinen Kosmos aufschlugen (Jahrescharts 2019) – eine heftige Attacke gegen (selbstge)rechte Politik, Borniertheit und dumpfen Nationalstolz, die es selbstverständlich auch in Innsbruck zu hören gab. Wobei Wagner in der Anmoderation klarstellte: „Und natürlich sei damit ihr gemeint.“
„Deutsch“ sendet, wenn auch musikalisch denkbar anders umgesetzt, eine ganz ähnliche Botschaft wie einst „Attwenger“ mit ihrem Volksmusik-Elektropunk-Agitprop-Klassiker „Kaklakariada“ (womit dann auch der Übergang zum Konzert von „Texta“ geschafft wäre – hurra, aber leider viel zu früh):
„Diese gaunzn patriotn, nationale idiotn / Bitte saz so guad und stöts eich in a schwimmbod aufn bodn / Und pinkelz bis zum hois eich olle gegnseitig au / Und daun tauchz nu amoi unta und daun nemz an schluck davau / Und spukz eich au damit solaung bis dass eich schlecht is von der kacke / Und wählen sie die nummer bitte neben ihrer landesflagge“ hieß es 2002 bei „Attwenger“, gefolgt von einer zeitlosen Abrechnung mit dem „Hausverstand“, mit dessen Hilfe die Kleinkarierten die ganze Welt „in sämtlichen Verzierungen“ erklären zu können glauben.
„Gewalt“ sagen so ziemlich dasselbe, wenn es heißt:
„denk dir deinen teil – du seelenloser, du kleinkarierter, du untertan. D-D-Deutsch!“
In wenigen, drastischen Zeilen kommt hier viel zur Sprache, von Aggression, die in Ängsten wurzelt („ich seh die angst in deinen augen, du fieser mob“) bis zum Zusammenhang zwischen Hass und Hässlichkeit. Letzteres bezieht sich klarerweise nicht auf körperliche Merkmale (dann wären bösartige Menschen ja leicht zu erkennen), sondern ist im Sinne des „hässlichen Deutschen“ / „hässlichen Österreichers“ zu verstehen.
Man sieht schon: Textlich werden bei „Gewalt“ keine Gefangenen gemacht. Es geht immer um uns selbst, es geht immer aufs Ganze. Bei der Anmoderation einer weiteren Nummer, „Guter Junge, böser Junge“, strich Wagner das in Innsbruck selbst hervor: Er habe einen Song schreiben wollen, der alles umfasst, worum es in seinem und unser aller Leben geht. Das Publikum möge nach der Darbietung selbst beurteilen, „ob das gelungen ist“.
Und tatsächlich wird hier in ultrareduzierten, einhämmernden Zeilen (fast) alles gesagt:
„Ich lebe / Du lebst / Wir leben / Das ist Leben“ oder „Ich arbeite / Du arbeitest / Wir arbeiten / Das ist Arbeit“.
Für Humor ist bei allem Existenzialismus auch noch Zeit („Ich bin langweilig / Du bist langweilig
Wir sind langweilig / Das ist Netflix“), ehe es gegen Ende um das Ende geht:
„Ich möchte nicht sterben / Du möchtest nicht sterben / Wir möchten nicht sterben / Das ist Angst vor dem Tod.“
Wagner und „Gewalt“ schonen weder sich selbst noch das Publikum. Da ist ein explizites Lied über den Wunsch nach einem „Jahrhundertfick“ (huch!) statt allzu viel Geschwätz schon fast eine Erleichterung, bevor es erst recht wieder ans Eingemachte geht – so wie in „Nichts in mir ist einer Liebe wert“, das Wagner laut eigener Aussage seinem Vater zu verdanken hat. Kafka, schau oba!
Die Musik dazu fällt ebenso gnadenlos aus: scharfkantig, krachig, mit markanten Laut-Leise-Kontrasten, die auch dem kürzlich viel zu früh verstorbenen Steve Albini ein grimmiges Lächeln aufs Gesicht gezaubert hätten. Bisweilen verspürte man fast Industrial-Vibes (samt elektronischer Eruptionen), wozu auch das Fehlen eines Schlagzeugs beiträgt: Als viertes Bandmitglied geben „Gewalt“ stattdessen „DM 1“ an – eine Drum-Machine.
Das Gute daran: Dieser harte, monotone Im-weitesten-Sinne-Rock kommt ohne männliche Mucker- und Macker-Attitüden (wie man in Deutschland sagen würde) aus, dank Gitarristin Helen Henfling, dem bewundernswert stoischen Gegenpol zum wild gestikulierenden Wagner, und der formidablen Jasmin Rilke am Bass.
Am Ende setzte es, neben kleinen Sticheleien („Klagenfurt, ihr seid großartig!“), erwartungsgemäß noch die tolle neue Single „Trans“: In der geht es nicht nur um Körperpolitik und Selbstermächtigung/Selbsterfindung („Ich hab mich selbst erschaffen, ich bin trans, ich bin trans“) – nein, das Ganze wird nochmals auf ein andere Ebene gehoben: „Ich bin trans / Ich bin trans / Ich bin transzendent.“
Fazit: Mit dem „Gewalt“-Konzert wurde in Innsbruck ein schwerer, dunkler Brocken, ein – im positiven Sinne – Fremdkörper ins Bühnenprogramm des Bogenfestes gesetzt, mitten hinein zwischen partytauglichere Klänge (Electronic Afro-Dub von „Tasheeno“, exaltierter Disco-Pop von Ankathie Koi). Schön, dass dafür Platz war! Oder, wie es Patrick Wagner am Ende selbst sagte: Besten Dank an David Prieth (PMK) für den Mut, die Band zum Bogenfest zu holen.
Damit ging es für mich ans andere Ende der Bogenmeile und an ein anderes Ende im musikalischen Spektrum, nämlich zu Texta aus Linz, Pionieren des österreichischen Mundart-Raps, die zum Abschluss auf der „Block Party Stage“ zu hören waren.
Leider habe ich Texta nie in ihrer vollen personellen Wucht erlebt, mit dem großartigen Skero und dem leider früh verstorbenen Energiebündel Huckey. Aber auch in kleinerer Besetzung gaben sich Flip, Laima und DJ Dan redlich Mühe, die zahlreich Versammelten mitzureißen. Österreichs Hip-Hop-Pioniere mögen inzwischen längst gesettelte Familienväter sein – der Flow und die Energie stimmen nach wie vor.
Außerdem spielen „Texta“ selbst augenzwinkernd und selbstironisch damit, nicht mehr die Jüngsten zu sein. Das tun sie auf Social Media (wo sie zum 20-Jahr-Jubiläum ihres Albums „So oder so“ schrieben: „Im Nachhinein lustig, dass wir damals schon den Track ‚Alt‘ mit Blumentopf gemacht haben, dabei waren wir da ja eh noch jung und knackig“) genauso, wie sie es beim Konzert in Innsbruck taten.
Man stehe für Old-School-Hip-Hop, meinte Flip, bei dem es zum Beispiel statt einem simplen Druck auf den Play-Button noch einen DJ gibt. Schließlich, so Flips kleine Geschichtsstunde, sei die DJ-Kultur vor 50 Jahren die Keimzelle für das gesamte HipHop-Universum gewesen. An anderer Stelle konnte er sich einen Seitenhieb auf die Generation der 16- bis 25-Jährigen und ihren angeblichen „Granny“-Lifestyle (früh ins Bett, früh aus dem Bett) nicht verkneifen: Hier müssten wohl die Eltern ihre Kinder dazu bringen, wieder um die Häuser respektive durch die Bogenmeile zu ziehen, meinte er mit breitem Grinsen.
Jedenfalls war deutlich zu spüren: Klassischer Hip-Hop ist nicht das Schlechteste. Was „Texta“ servierten, mag durchaus weit weg sein vom heutigen Rap-Game. Und sicher konnten nicht alle Jungen, die vor dem Konzert zu DJ-Klängen abfeierten und Tanz-Battles bejubelten, etwas mit den gut gelaunten Reimen in breitem Linzer Slang oder den feinen Scratches von DJ Dan anfangen.
Aber: Hip-Hop lebte immer von Kreativität und Sprachwitz – und beides hatten und haben „Texta“ einfach drauf. Ihr größtes Asset ist dabei die geschmeidige oberösterreichische Mundart („Geschmeidig“ hieß nicht umsonst bereits ihre erste EP aus dem Jahr 1995). Gut, dass sie vor rund 30 Jahren diese kulturelle Aneignung wagten!
Und so ging es in Innsbruck auf Zeitreise in eine Ära, in der Hip-Hop noch nicht die alles dominierende Jugend-/Musikkultur, sondern zumindest im deutschsprachigen Raum (und erst recht in Österreich!) noch frisch, ungewohnt und aufregend war.
Auch wenn das Set nicht frei von Tonproblemen war (gerade die Samples gerieten oft etwas leise), sorgte der Streifzug durch einen erstaunlich langen Katalog an kleineren und größeren Hits für gute Laune: Die Palette reichte von „Sprachbarrieren“ bis „Ois Ok Mama“, von „So oder so“ und „Mehr oder weniger“ bis, natürlich, „Hediwari“. Und dabei wären noch diverse weitere Kracher im Talon gewesen, man denke nur an „(so schnö kaust gor net) schaun“ mit den mächtigen „Attwenger“ (ja, da sind sie wieder!), das wunderbare „So könnt’s gehen„, „You’re driving me wild“ und mehr.
Auch der Tirol-Bezug kam übrigens nicht zu kurz: Bereits der Einzug der Linzer erfolgte zu den Klängen der augenzwinkernden Hymne „Aus Innsbruck“ von „IBK Tribe“, bei den Zwischenansagen gab es auch Reminiszenzen an Tiroler Rap-Pioniere wie „Total Chaos“ – und später einen kurzen Gastauftritt der Formation „AUTsiderz“ aus Zirl.
Das Publikum taute immer mehr auf und feierte die Genre-Legenden (die nächstes Jahr ein neues Album veröffentlichen werden) verdientermaßen ab, so dass am Ende des „Texta“-Auftritts beste Partystimmung herrschte. Schade nur, dass beim Bogenfest Punkt 22 Uhr die Verstärker abgedreht werden müssen – eine Zugabe war deshalb nicht möglich.
Abgesehen davon zeigt das Festival eines eindrucksvoll auf: Innsbrucks Subkulturen brauchen in erster Linie Platz und Infrastruktur – den Rest macht die Szene dann schon selbst. Diese Botschaft ist sicher auch bei der neuen Innsbrucker Dreierkoalition (deren RepräsentantInnen am Fest gesichtet wurden) angekommen …