Konzertbericht: EDOM, Kulturfabrik Kufstein (KuFa-Bar), 2. März 2018
Für das Leben wie für die Musik gilt: Erwartungen sind eine seltsame Sache. Manchmal werden sie enttäuscht – und trotzdem (oder gerade deswegen?!) ist man am Ende glücklich und zufrieden. Mit Edom ist es mir gestern Abend in der Kulturfabrik genau so ergangen.
Nicht dass ich im Vorfeld viel über die Formation und die beteiligten Musiker gewusst hätte (ohne großes Vorwissen und damit möglichst unvoreingenommen in Konzerte zu gehen, empfinde ich oft sogar als Vorteil). Aber schon das Wenige, das ich wusste – es handelt sich hier um in New York ansässige Künstler aus dem Dunstkreis des Avantgardejazz-meets-Experimental-Noise-Meisters John Zorn und seiner „Radical Jewish Music“ – legte meine Erwartungen fest: Diese Musik würde lärmig und abstrakt klingen, sperrig und dissonant, schwer zugänglich und für ungeübte Ohren möglicherweise recht anstrengend.
Die Realität stellte sich dann ganz anders dar: Das Sounduniversum von Edom entpuppte sich als deutlich zugänglicher, „straighter“ und vor allem grooviger als erwartet. Mit anderen Worten: Eine völlig andere Klangbaustelle als das um maßgeschneiderte John-Zorn-Kompositionen kreisende Avantgarde-Projekt Abraxas, mit dem Bassist Shanir Ezra Blumenkranz und der aus Israel stammende Gitarrist Eyal Maoz schon zweimal in Kufstein zu Gast waren (beide Male habe ich unverzeihlicherweise versäumt). Blogkollege Johannes, der Abraxas erst kürzlich im Stromboli Hall erlebt hatte, bestätigte diesen Eindruck: Im direkten Vergleich klingen Edom ungleich zugänglicher und, ja, poppiger. Aber dazu kann Johannes hier bei Gelegenheit ja vielleicht selbst mehr erzählen …
Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Edoms wirbelnder Mix aus instrumentalem Avant-Rock, Fusion Jazz und jüdisch-nahöstlichen Klangfarben klingt immer noch laut, schräg und experimentell genug, um den Großteil der Middle-of-the-Road-Musikhörer zu verschrecken. Aber das Ergebnis ließ phasenweise eher an fast schon klassischen Psychedelic-, Space- oder Jam-Rock denken als an radikalen Avantgarde-Trancemetal.
Dazu trugen sicher vor allem die dominanten Synths des furiosen Tastenmanns Brian Marsella bei, die im Gesamtkontext vielleicht gewöhnungsbedürftig sein mochten – mich persönlich durch ihre atemlose Rasanz und pure Energie aber besonders elektrisierten.
Überhaupt, was für brillante, dabei uneitle Musiker! Statt ihre Virtuosität selbstverliebt zur Schau zu stellen, schienen alle in erster Linie fürs Kollektiv zu arbeiten und zu denken. Hier drängte sich niemand in den Vordergrund, erst recht nicht der nominelle und faktische Frontmann Eyal Maoz, der in seinem Auftreten wie bei seinen perlenden Gitarrenfiguren Understatement übte – und damit umso mehr zu beeindrucken wusste. In Summe hatte man den Eindruck von vier gleichberechtigten Frontmännern, die ineinandergriffen wie Zahnräder, aber eben nicht maschinenhaft, sondern leichtfüßig und elegant. Selbst Momente freier Improvisation (sofern solche für den Laien überhaupt zu erkennen sind) und lärmiger Ekstase wirkten stets kontrolliert und souverän – im positivsten Sinne.
Schön auch, die Kommunikation zwischen den Musikern zu beobachten: Ein kurzes Kopfnicken hier, ein kurzer Augenkontakt da, hin und wieder ein breites Grinsen oder zwei, drei kurze Sätze – und schon lief das Werkl wieder weiter wie geschmiert.
Besonders zwingend – auch das hatte ich im Vorfeld nicht unbedingt erwartet – gelangen die
ruhigen Momente, in denen die einzelnen Klangelemente bis aufs Skelett freigelegt wurden, in denen jedes Klackern der Drumsticks am Rahmen der Trommel, jedes Wischen des Besens, jedes Brummen der Basssaite, jeder spacige Sound am Keyboard und jede delikate Gitarrenlinie klar zu hören waren (freilich auch jedes Klimpern der Biergläser und jeder Lacher an der Bar – wie es halt so ist, wenn Konzert- und Konsumraum direkt ineinander übergehen). Hier erwiesen sich Edom als Meister des dramatischen Spannungsaufbaus: Wie sie, ausgehend von den Augenblicken des Innehaltens, langsam wieder Rhythmus und Melodie einsetzen ließen, um schließlich meist zu den Leitmotiven zurückzukehren (und diese abschließend in euphorische Eruptionen zu überführen), das war wirklich großes Ohrenkino.
Apropos Euphorie: Das überschaubare, aber begeisterungsfähige Publikum in der KuFa-Bar ließ sich von der Spielfreude und Energie der Musiker gerne anstecken. Einen kurzen Schockmoment gab es nur nach ca. 50 Minuten, als viele (inklusive mir) schon dachten, das Konzert wäre bereits vorbei. Es war dann aber zum Glück nur eine viertelstündige Pause, gefolgt von einem mindestens ebenbürtigen zweiten Konzertteil – eine eifrig herbeigeklatschte Zugabe inklusive.
Selbst die Tatsache, dass die Soundanlage der Bar zu Konzertbeginn noch weiterdudelte, obwohl schon zwei oder drei Songs gespielt waren, wirkte an diesem feinen Konzertabend höchstens skurril, aber keineswegs respektlos.
Apropos: Großer Respekt gebührt einmal mehr dem veranstaltenden Kulturverein Klangfarben rund um Mastermind Mike Litzko. Ohne Veranstalter wie diese, die mit Herzblut und Einsatz – und wohl auch beträchtlichem finanziellem Risiko – unbeirrbar ihren Weg gehen, wäre es absolut undenkbar, solche Künstler in einer kleinen Stadt wie Kufstein zu erleben.
Nur: Von Respekt allein kann man sich als Veranstalter auf Dauer nichts abbeißen. Und der Kreis derjenigen, die für ungewöhnliche, experimentelle Klänge jenseits ausgetrampelter Kommerzpfade potentiell empfänglich sind, ist bei uns sicher begrenzt. Umso mehr gilt für alle Musikfans (auch für mich selbst, der oft nicht die Zeit oder Energie findet): Hingehen! Unterstützen! Genießen! Sonst gibt auch der engagierteste Veranstalter irgendwann klein bei. Und das kann ja nun wirklich keiner wollen.
Zum Abschluss noch ein zweckdienlicher Hinweis zum Bandnamen (unser Blog hat schließlich Servicecharakter): Edom sind nach einem historischen Gebiet bzw. Volksstamm im heutigen Jordanien benannt. Man sollte sie keinesfalls mit EODM (Eagles Of Death Metal), der Hauptband des bizarren Josh-Homme-Kumpels Jesse Hughes, verwechseln – und erst recht nicht mit der, ähem, rumänischen Extrem-Gothic-Metal-Gruppe E.D.O.M., bei denen das Kürzel für „Eternal Darkness Of Moldavia“ steht. Wobei das auch kein ganz schlechter Bandname ist …
Übrigens: Wer wissen will, wie Edom klingen (also Edom und nicht E.D.O.M.), erfährt es unter anderem: HIER.