Man könnte sagen, dass wir für unsere unfassbar späten Jahrescharts bekannt wären – wenn wir denn bekannt wären. Dieser Beitrag wird sowohl das eine als auch das andere nicht ändern. Auch Mitte Februar ist eigentlich vergleichsweise sehr spät für ein Jahres-Recap. Aber dieser persönliche Jahresrückblick hat weder den Anspruch, einen neuen Pünktlichkeitsstandard zu etablieren, noch unsere traditionellen, früh- bis hochsommerlichen Vorjahrescharts zu ersetzen. Schließlich geht es in den kollaborativen Charts um die Hits des Jahres, die Singles, die Ohrwürmer, die für sich allein stehenden Songs. Ich bin eher Albummensch, also präsentiere ich in diesem Egotrip die 20 Alben, die mein persönliches Musikjahr 2018 ausgemacht haben.
Die Beschränkung auf exakt 20 Alben ist natürlich total willkürlich. Wer sagt, dass nicht bloß 18 Alben besonders hervorstachen, oder dass es nicht 37 oder gar 51 Alben wert waren, dass man einige Worte über sie verliert? Ebenso willkürlich ist die Beschränkung auf Full-Length Alben, schließlich wurden wir 2018 auch mit einigen großartigen EPs beschenkt, beispielsweise jene von Aphex Twin (!), Protomartyr oder Panda Bear.
Eines der erwähnenswerten Alben, die vom Rasiermesser dieser Willkür erwischt wurden, ist „Dead Magic“ von Anna von Hausswolff. Man hört der schwedischen Vorzeigesängerin und -Organistin die ausgedehnten Tourneen mit Swans deutlich an. Sons of Kemet präsentierten auf „Your Queen is a Reptile“ eine moderne, abwechslungsreiche und auch politische Palette an Afro-Jazz Hymnen. George Thompson alias Black Merlin begab sich für die „Island of the Gods“ Labelreihe erneut auf Reisen. In mehreren Expeditionen nach Papua-Neuguinea nahm er die Klänge des Kosua-Stammes und des ihn umgebenden Dschungels auf und verwandelte die Soundaufnahmen und Eindrücke in ein außergewöhnliches Album. Soldat Hans formen auf „Es Taut“ einzigartige Balladen aus Düsterjazz, Sludge und Post-Irgendwas. Und dann gab es da noch das vielseitige Zweitwerk von Skee Mask, neues Melancholiematerial von Low, die außerweltliche Kollaboration von Actress und dem London Contemporary Orchestra, den folktronisch-neopsychedelischen vertonten Sonnenschein von 공중도둑 (Mid-Air Thief), ein neues Solowerk von Godspeed You! Black Emperors Frontmythos Efrim Menuck, und noch viel viel mehr.
Man kann es womöglich vor den eigentlichen Top 20 bereits herauslesen: 2018 war für mich ein sehr gelungenes Musikjahr. Jetzt aber ohne weitere Umschweife auf ins Getümmel!
- Warm Drag – s/t
Das grundlegende Soundfundament von Warm Drag schreit nach Garagenband, wobei diese Bezeichnung angesichts der vielen psychedelischen, elektronischen, lärmigen und anderweitig experimentellen Ausschweifungen dann doch nicht so treffend erscheinen mag. Noch kurioser: Es ist nicht nur keine Garagenband, es ist eigentlich gar keine Band im herkömmlichen Sinn. Paul Quattrone, den man auch von Thee Oh Sees und !!! kennt, hat alle Songs mit einem Sampler kreiert, durch welchen alles Mögliche an Quellenmaterial gejagt und bis zur Unkenntlichkeit manipuliert wurde. Für noch mehr Abwechslung sorgt die laszive bis rotzfreche Chamäleonstimme von Sängerin Vashti Windish.
- GAS – Rausch
Ganze 17 Jahre mussten verstreichen, bis 2017 mit „Narkopop“ endlich ein neues GAS-Album erschien. Nun, kaum ein Jahr später, schickt Wolfgang Voigt den Hörer mit „Rausch“ erneut auf eine Reise durch den Nebelwald, sich selbst treu bleibend mit einem leichten Hauch von Nationalromantik und aus weiter Ferne hallenden Bläsern und Streichern. Der Direktvergleich mit dem Vorgänger hinkt jedoch, „Rausch“ ist dringlicher, intensiver, schreitet stoisch und pulsierend immer geradeaus, bei gleichzeitigem Gefühl schwindenden Orientierungssinns. Rausch eben.
- Sleep – The Sciences
GAS-Fans mussten 17 Jahre auf neues Material warten, das letzte ordentliche Sleep-Album ist jedoch geschlagene 20 Jahre her. Umso beeindruckender, dass das Stoner Metal Urgestein es wahrhaftig geschafft hat, den Erwartungshaltungen gerecht zu werden und genau den Monolithen von einem Album abzuliefern, den die Community sich so lange erhofft und gewünscht hat. Auch live nach wie vor eine Wucht!