HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK [EP] DER WOCHE, # 30:
JHEREK BISCHOFF – CHESTNUTS ROASTING ON AN OPEN FIRE WALK WITH ME (2017)
Für manche Menschen (nicht nur für überzeugte Atheisten) soll Weihnachten ja der Horror sein. Andere wiederum verbinden mit dieser Zeit des Jahres die spezielle Magie der Kindheit, die geheimnisvolle Aura, die das große Fest damals umgab und der sie im Erwachsenenleben (mehr oder weniger erfolgreich) nachjagen. Für beide Gruppen könnte dieser Track, präziser: diese EP der Woche von Interesse sein – vorausgesetzt, sie sind Fans von Twin Peaks.
In diesem Fall wird ihnen schon der Titel der EP ein seliges Lächeln aufs Gesicht zaubern und/oder wohlige Schauer den Rücken hinunterjagen: „Chestnuts Roasting on an Open Fire Walk with Me“ hat der kalifornische Musiker, Arrangeur und Komponist Jherek Bischoff sein Werk getauft – was nicht nur einen wunderbaren Teamnamen fürs Pubquiz abgäbe, sondern auch sofort verrät, was Sache ist: Es handelt sich hier – erraten! – um sehr bekannte (mir als Nicht-Amerikaner teilweise auch unbekannte) Weihnachtslieder, die im unverkennbaren Twin-Peaks-Stil interpretiert werden.
Zugegeben, das ist zunächst einmal vor allem die skurrile Fingerübung eines Nerds [auf die mich mein popkulturell umfassend interessierter Kumpel Peter aufmerksam gemacht hat; danke dafür] und wäre früher wohl direkt im Exotica- oder Novelty-Regal gelandet. Auch Bischoff selbst beschreibt den Versuch als „dark“, „moody“ und „totally ridiculous“.
Zugleich ist das Ganze aber sehr liebevoll und detailversessen gemacht, mit offensichtlicher Leidenschaft für die dunkle Magie von Twin Peaks im Allgemeinen und die kongenialen Scores von Angelo Badalamenti im Speziellen. Bischoff ist hier nicht (nur) auf den schnellen Lacher, den billigen Effekt oder den offensichtlichen Strangeness-Faktor aus. Immerhin hat er auch das aufwühlende, verstörende und zutiefst ernsthaft gemeinte Twin-Peaks-Album von Xiu Xiu produziert (einer Band, der Bischoff früher selbst angehörte).
An dessen emotionale Intensität reichen diese Weihnachtslieder natürlich nicht einmal annähernd heran (und wollen es wohl auch gar nicht), aber reizvoll und sympathisch ist das Ergebnis allemal: Vor allem der Bass mit einer Extraportion Twang und Hall und die sphärischen Synthieflächen lassen sofort Bilder von Douglastannen, Kirschkuchen, Sägewerken, roten Vorhängen und narkotisierenden Bodenfliesen durchs Hirn flimmern. Dazu gibt es Schlittenglöckchen und knisterndes Kaminfeuer.
Das bereitet phasenweise richtig Freude – sogar bei einem zu Tode genudelten Schmachtfetzen wie „Happy Xmas (War is Over)“ von John Lennon. Da schimmert (bei mir) zwar noch der Schrecken gymnasialer Englisch- oder Musikstunden durch, doch die schaurig-schöne, dramatische Twin-Peaks-Soundästhetik deckt diesen gnädig zu wie frisch fallender Schnee. Und man könnte sich fast vorstellen, wie dazu im Double R Diner langsam und innig getanzt wird.
Bischoff zeigt keine Angst vor Kitsch und Romantik, was gut zu Twin Peaks passt. Eine der ganz großen Stärken der Serie (und von David Lynch) ist es ja gerade, in vermeintlichem Kitsch Wahrhaftigkeit und Schönheit zu entdecken. (Trotzdem ist man froh, dass Bischoff zumindest „Last Christmas“ dort gelassen hat, wo es hingehört. Weit, weit weg).
Auch das EP-Cover läutet natürlich all jene Weihnachtsglöckchen, die den konditionierten Twin-Peaks-Fan speicheln lassen, von der Wrapped-up-in-plastic-Ästhetik bis zum giftgrünen Schriftbild.
Beim finalen „Silent Night“ fällt die Adaption vielleicht ein bisschen plump aus, dafür bleibt aber die Erkenntnis, dass „Stille Nacht“ (auch in dieser Version) wirklich ein sehr schönes Lied ist. Btw, ob Gruber und Mohr heutzutage wohl Twin-Peaks-Fans wären?
Statt über diese bizarre Frage wirklich nachzudenken, wünsche ich euch, liebe LeserInnen, lieber frohe Weihnachten – und zitiere als Handlungsempfehlung ausnahmsweise mal die VICE: „Listen to it in your family home; avoid ceiling fans.“