Festivalreport: Roadburn 2017, 20.-23. April
Unter etwas offeneren Anhängern extremer Musik gibt es weltweit wohl kaum ein Event, das mehr zelebriert und zum Kult hocherkoren wird, als das jährlich in Tilburg stattfindende Roadburn Festival. Jeden April pilgern Leute aus aller Welt in die Niederlande, um sich eine halbe Woche lang der sorgfältig kuratierten Mischung aus allen möglichen Ecken extremer Gitarrenmusik, psychedelischen Klangwelten, (Post-)Industrial und anderen alternativen Spielarten hinzugeben. Eine Besonderheit des Festivals sind die vielen exklusiven Spezialgigs, in denen Bands beispielsweise Full Album Sets ihrer alten Klassiker zum Besten geben, ihr Material in abgewandelter Form präsentieren, oder gemeinsam mit Szenekollegen die Bühne entern. Und dieses Jahr wollten einige Kollegen und ich nicht mehr nur neiderfüllt auf überschwängliche Reports und Lineups starren, sondern selbst live dabei sein, also starteten wir einen Roadtrip gen Holland. Ein Wochenende wie dieses hat gewiss auch verdient, dass man darüber berichtet, also komme ich um einen kurzen (ich ahne, dass es dann doch etwas ausladend werden wird) Festivalreport nicht herum – wackelige Handykamerabilder inklusive.
Auch wenn es im April noch sehr kühl sein kann und das Roadburn kein klassisches Zeltplatz-Sauffestival darstellt, werden Campingmöglichkeiten angeboten und auch von vielen in Anspruch genommen. Wir haben uns trotzdem lieber für eine urige Blockhütte im Nachbarort entschieden. Für gute Zimmer in näherer Umgebung muss man aber auch Glück haben oder wesentlich früher agieren, denn viele Besucher buchen bereits direkt nach dem Festival die Unterkunft für das nächste Jahr. In unserer Hütte hielten wir uns dann auch nicht mehr allzu lange auf, da auf dem Festival bereits am frühen Donnerstagnachmittag erste Highlights auf uns warteten. Also auf nach Tilburg, das sich – wie so viele Orte in den Niederlanden – als ein sehr schönes und auffallend modernes und sauberes Städtchen präsentierte. Das 013 Poppodium, die zwei von fünf Hauptbühnen beherbergende Hauptlocation des Festivals, ist sehr zentral gelegen und direkt neben einer vor Bars und Restaurants nur so strotzenden Fußgängerzone, von den Betreibern liebevoll „Weirdo Canyon“ genannt. Auch die restlichen drei Bühnen sind keine drei Gehminuten voneinander entfernt und das Parkhaus befindet sich direkt im Poppodium. Näher aneinander geht fast nicht, kürzere Gehzeiten als bei jedem Freiluftfestival.
Anders sieht es mit Stehzeiten aus, was auch direkt unsere erste und wichtigste Lektion des Festivals war. Während das Einlösen der Festivaltickets noch total schnell und unkompliziert vonstattenging, standen wir bei unserer ersten geplanten Band Ash Borer vor einem restlos überfüllten „Green Room“ und versuchten zusammen mit vielen anderen überforderten Leuten, durch den vollgestopften Seiteneingang ein paar Blicke auf die Band zu erhaschen. Während es in der bis zu 3700 Besucher fassenden Main Stage nie ein Problem ist, seine Lieblingsbands ansehen zu können, muss man in den anderen, teilweise deutlich kleineren Konzertsälen zeitig vor Konzertbeginn vor Ort sein, oder man findet sich in einer grotesk langen Schlange vor dem jeweiligen Gebäudeeingang wieder. Denn nur, weil die Bands auf kleineren Bühnen spielen, sind sie nicht unbedingt weniger beliebt als die Bands der Main Stage, und vielen Acts steht ein kleinerer, intimer Konzertraum auch wesentlich besser zu Gesicht als die große Bühne. Ein weiterer, in mehrerlei Hinsicht „ernüchternder“ Punkt, für den das Festival aber nicht viel kann, sind die typisch holländischen Essens- und Getränkepreise, die doch teilweise fast das doppelte von dem betragen, was wir hierzulande so gewohnt sind. Aber wir sind ja ohnehin nicht für den Exzess angereist, und stilvolles Billig(-dosen-)bier aus dem Supermarkt wurde scheinbar auch quasi überall geduldet.
Nachdem wir uns auf der Main Stage dann ein-zwei Songs von SubRosa anschauten, die ihr letztes Album in voller Länge präsentierten, und wir dort von einer sehr guten Performance auch direkt die ersten Gänsehaut-Schauer des Wochenendes mitnahmen, eilten wir zum „Het Patronaat“, um unsere zuvor gelernte Lektion auch direkt anzuwenden und nicht zu spät zu Rome zu kommen. Das Patronaat entpuppte sich als ein zum Veranstaltungssaal umfunktioniertes, ehemaliges Klostergebäude, komplett mit Empore (in der sich auch eine Craftbeerbar befand) und bunten Bleiglasfenstern. Ich könnte mir kaum ein passenderes Ambiente für den atmosphärischen Neofolk vorstellen, den Rome hier zum Besten gaben, auch wenn ich mir anstatt der vielen (mir unbekannten) neuen Songs schon deutlich mehr klassische Nummern wie „To Die Among Strangers“ in der Setlist gewünscht hätte. Nach dem trotzdem sehr zufriedenstellenden Gig ging’s direkt zurück zur Main Stage, wo die heiß von mir erwarteten Wolves in the Throne Room bereits den ersten Song spielten. Das Aushängeschild schlechthin für „cascadian“ US-Black Metal wagte sich nach fünf Jahren (inklusive Bandpause) wieder das erste Mal nach Europa, und statt den sphärischen Ambientklängen des letzten Albums gab es auch wieder das klassische Material zu hören, welches sie innerhalb des Subgenres so legendär machte. Und oh boy, waren die Jungs in der Lage, jenes Material auch im Livekontext abzuliefern. Von Anfang bis Ende stimmte die Atmosphäre, die Setlist passte genau, und dem Publikum der sehr gut gefüllten Main Stage war die Zufriedenheit auch deutlich anzusehen.
Später zog mich die Neugier kurz zum Auftritt von Coven. Die Occult-Rock-Formation rund um Jinx Dawson sorgte in den späten 60er Jahren mit ihrem Auftreten und ihren Texten für einige Kontroversen. Anno 2017 reißt satanisches Image alleine zwar niemanden mehr vom Hocker, aber die Band spielte hier ihr erstes Konzert seit Jahrzehnten, und das erste Mal in Europa, also ging ich trotzdem kurz hin und fand eine recht unterhaltsame Band vor, denen man ihr respektables Alter gar nicht wirklich ansah. Kein Highlight, aber auch kein Fehler, und in der imaginären to-do-Liste freudig nickend abgehakt. Aber wichtiger waren die kurz darauf im Patronaat spielenden dälek, klar ein weiteres Highlight des Tages. Die experimentell bis noise-lastig agierende Hip-Hop-Gruppe war die einzige ihrer Art auf dem Festival, wurde aber vom Publikum sehr wohlwollend aufgenommen und selbst eher konservativ-metallastig aussehende Besucher konnten nicht anders, als im widerspenstigen, aber umso energiegeladeneren Sound aufzugehen. Als Abschluss des Tages gönnten wir uns noch Bongzilla, die ihren Stoner-Metal-Monolithen „Gateway“ in voller Länge spielten. Dazu gab es im Hintergrund haufenweise Videomaterial aus Anti-Drug-PSAs und Propagandavideos des War on Drugs anno Nixon. Der herrliche Kontrast zwischen völlig überzogenen Hetzkampagnen-Clips und den trägen Riffwalzen der Band funktionierte perfekt, und schnell sahen wir von unserem Tribünenplatz aus die Rauchschwaden aus dem Publikum emporsteigen (die Stadt Tilburg erlaubte Festivalbesuchern aus dem Ausland übrigens für das Wochenende, die lokalen Coffee Shops ebenfalls in Anspruch zu nehmen).
Auch Tag 2 versprach schon im Vorfeld, wieder sehr terminlastig zu werden. Neben Konzerten würde das Roadburn Festival auch genügend anderes Rahmenprogramm anbieten, von Listening Sessions, Meet and Greet Gelegenheiten, Filmvorstellungen bis hin zu Podiumsdiskussionen. Leider haben wir nichts davon wirklich in Anspruch genommen und haben die wenigen Bandpausen für Stadtbummel durch die Fußgängerzonen, Merchandise-Shopping und Essen genutzt. Für die Zeit vor den ersten Bands lieferte das Festival auch immer die passende Lektüre. Es lag nämlich an jedem Tag eine neue Ausgabe des „Weirdo Canyon Dispatch“ – quasi die Tageszeitung des Festivals – an den Eingängen aus, in der sich Fotos und Konzertberichte zum Vortag, aber auch Interviews und sogar Albumrezensionen befanden. Eine sehr schnelle und fleißige Redaktion also, von der ich mir eine gehörige Scheibe abschneiden könnte.
Als erste Band des Tages stand die schweizer Band Schammasch auf dem Plan, die ihr letztes Album „Triangle“ in voller Länge spielten. Sie legten damit auch den längsten Auftritt des Festivals hin, denn das sehr ambitionierte Album umfasst 3×33 Minuten Material, wobei jedes Drittel musikalisch in eine andere Richtung schwenkt. Der rasende Black Metal des Anfangs wird im zweiten Drittel deutlich progressiver, bis das Album im letzten Drittel mit düsterem, rituellem Ambient ausklingt. Vor allem letzteres Ritual Ambient Set hinterließ den größten Eindruck, wurden doch sämtliche Trommeln, Stimmchöre, Drones und auch das eine oder andere schwummrige Saxophon-Solo live performt. Leider überschnitt sich diese Performance mit der verschrobenen Zeuhl-Weirdness von Magma, die unter anderem ihr 1973er Werk „Mekanïk Destruktïw Kommandöh“ gespielt hätten. Die paar Minuten, die ich danach noch von ihnen erhaschen konnte, waren in ihrer Eigenständigkeit zumindest sehr lohnend. Hoffentlich ergibt sich diese Möglichkeit noch einmal. Nach den dumpfen, leider nicht ganz überzeugenden Riffsalven der isländischen Zhrine waren Oathbreaker dann das nächste Highlight des Tages. Die Belgier zeigten schon im Vorjahr in der Innsbrucker pmk, wie wuchtig ihr aktuelles Album „Rheia“ im Livekontext kommt, aber auch auf der Mainstage vor dem zehnfachen Publikum funktionierte das Wechselspiel aus introvertierten, zerbrechlichen Verschnaufpausen, die sich aber nie wie solche anfühlen, und wilder, sich überschlagender Raserei tadellos. Mit Chelsea Wolfe folgte im Anschluss gleich die nächste Band mit starker Frontfrau. Während sich ihr Studiomaterial eher in dämmrigen Ethereal Wave-Gefilden (nein, nicht Enya) mit leicht gotischem Anstrich bewegt und Rock-Kontexte nur in ausgewählten Songs eine größere Rolle spielen, wird das Material live deutlich schwerwiegender und druckvoller präsentiert und wirkt stellenweise eher wie Doom Metal. Für eine große, gut besuchte Hauptbühne ist das aber genau der richtige Weg, fraglich ob die Songs in Originalversion so funktioniert hätten.
Am Abend standen dann Amenra auf dem Plan! Die Post-Metal Truppe und Kern des talentierten belgischen Künstlerkollektivs der Church of Ra (zu denen auch Oathbreaker gehören) zählt für mich persönlich zu den allerbesten derzeit aktiven Livebands, und der Roadburn-Auftritt festigte diesen Eindruck nur noch mehr. Die niederschmetternden Gitarrenwände, die verzweifelten Vocals und das monochrome, triste wie ästhetische Bildmaterial im Hintergrund ergeben einfach eine perfekte Symbiose, in der man sich eine Stunde lang komplett verlieren kann. Als netten Bonus enterten irgendwann John Baizley von Baroness und Neurosis-Sänger Scott Kelly für einen kurzen Gastauftritt die Bühne. Nachdem mit Naðra ein zweites Mal isländischer Black Metal genossen wurde, ging es weiter mit Baroness, einem „Headliner“ des Festivals, wenn man so will und falls es so etwas hier überhaupt geben sollte. Neben dem Auftritt mit Baroness ist Frontmann John Dyer Baizley auch Kurator des Festivals und hat den Sonntag des Festivals mitgestaltet. Es hat mittlerweile Tradition, dass jedes Jahr ein anderer Musiker diese Position verliehen bekommt und so neben den musikalisch-szenetechnisch offensichtlich sehr diversen und versierten Hauptveranstaltern für frischen Wind im Line-Up sorgen kann. Ebenso ist Baizley für das meiner Meinung nach ziemlich Misslungene Artwork des Festivals verantwortlich. Absolut unverständlich, wie man Proportionen dermaßen vergeigen kann, obwohl er sonst ein sehr geschätzter und talentierter Künstler ist und für alle möglichen Bands grandiose Albumcover zeichnete, aber gut. Der Auftritt von Baroness war eine chronologische Reise durch die gesamte Diskografie der Band, vom Debutalbum „Red Album“ hin bis zum aktuellen „Purple“. Auch das Farbschema des Backdrops und der Lichtshow wurde immer an das gerade gespielte Album angepasst, was zusätzlich für ein sehr stimmiges Konzert sorgte. Die Band fühlt sich auf der großen Bühne sichtlich wohl und liefert ein solides Set ab, auch wenn einige Hits fehlten. Das DJ-Set von Synthwave-Mastermind Perturbator wäre dann sicher ein wilder Abschluss des Tages gewesen, aber ich habe ihn eh bereits zwei Male erleben dürfen, und irgendwann quittieren die (Tanz-)Beine nun mal ihren Dienst.
Tag 3 begann mit räudigem Black Metal von Cobalt, deren altes Material von mir sehr geschätzt wird. Aber leider lag der Fokus sehr auf dem neuen, nicht ganz so mitreißendem Material, nicht zuletzt aufgrund eines neuen Sängers, dessen eigenwilliges und unnötig provokantes Auftreten ich eher mit einer Prise Fremdscham aufnahm. Gleichzeitig wäre Dubstep/Dancehall/UK-Bass-Eigenbrötler The Bug zusammen mit Drone-Doom-Pionier Dylan Carlson (Earth) auf der Hauptbühne gestanden. Eine alles andere als alltägliche Kollaboration, die sicher die interessantere Wahl gewesen wäre. Dafür war der folgende Auftritt von Oranssi Pazuzu wieder ein voller Erfolg, ein psychedelischer Horrortrip vom feinsten. Lediglich das Keyboard, das in ein-zwei Tracks doch eine recht tragende Rolle für die Grundstimmung hat, ging im Mix völlig unter, dafür walzten die Gitarren, die bei der Band ständig zwischen stoischer Krautrock-Repetition, Black Metal Tremoloraserei und ruhigen, fast ambientartigen Zwischenmelodien oszillieren, ordentlich über das Publikum hinweg. Eine Walze der etwas anderen Art waren dann Warning, die ihren tieftraurigen Doom-Klassiker „Watching From a Distance“ spielten, von Anfang bis Ende begleitet von thematisch passenden Kunstwerken im Hintergrund, in denen man sich sehr leicht verlieren konnte. Eine wahrlich seltene Gelegenheit, da die Band in dieser Form gar nicht mehr existiert und einige Songs des Albums noch nie vorher live gespielt wurden. Und genau wie das Album vermochte es auch der Liveauftritt, unsere Gemüter kollektiv in den Keller zu reißen. Auch wenn ich nicht der allergrößte Fan der Band bin, kam die erdrückende Stimmung voll und ganz bei mir an und wir mussten uns danach erst einmal eine Stunde lang wieder sammeln.
Später am Abend stürmten wir dann den Green Room – diesmal rechtzeitig! – für Aluk Todolo. Erneut wurde es sehr voll, denn die sehr eigenwillige Kombination aus monotonem Krautrock und Psychedelia einerseits und chaotischer Instrumentalextase andererseits, sprach sich in den letzten Jahren gut herum. Wirr durch den Raum gleitende Gitarrenläufe wie Glenn Branca auf Speed, dazu hektisch vor und zurück springende Bassläufe, garniert mit einem ebenso hyperaktiven, klar vom Jazz beeinflussten Drummer in der Mitte. Die Band kannte auch live keinen Stillstand und prügelte von Sekunde 1 bis zum Schluss ihr Set durch die Halle, teilweise nur von einer großen, an einem dicken Kabel von der Decke hängenden Glühbirne beleuchtet, mit der Nebelmaschine direkt unter dem Drummer, sodass dieser regelmäßig komplett im Nebel verschwand. Eine Kombination, die man sich bei sich bietender Gelegenheit definitiv ansehen muss, wenn einem auch nur eine der oben angedeuteten Musikbereiche zusagt. Als Abschluss für diesen weiteren, sehr gelungenen Tag gönnte ich mir dann den Synthwave-Act Carpenter Brut, um das Versäumnis von Perturbator am Vortag auszugleichen. Und das stellte sich als großartige Idee heraus, denn im Gegensatz zu anderen Interpreten des momentan so beliebten Retrogenres traten Carpenter Brut als vollständige Band auf. Alle Beats kamen live vom E-Drumkit, die Synthie-Riffs wurden großteils mit einer Gitarre gespielt. Im Hintergrund liefen dazu herrlich rohe Ausschnitte alter Trash-Filme. Diese völlig eigene Dynamik kam auch beim Publikum an, welches angeregt zur Musik tanzte und vor allem bei der Zugabe, einem Cover von „She’s a Maniac“, auch lautstark mitsang.
Den vierten und letzten Tag des Festivals wollten wir etwas ruhiger angehen. Die Running Order kam uns hier auch sehr gelegen, außer Ulver gab es nichts, was unbedingt angeschaut werden musste. Aber tatenlos rumsitzen will man natürlich auch nicht, also schaute ich mir im Patronaat Oxbow an, von denen ich im Vorfeld viel Gutes gehört hatte. Auf die Ohren gab es letztendlich geradlinigen Noise Rock, der zugänglicher war als erwartet und stellenweise gar bluesig klang, dazu ein extrem charismatischen Sänger mit einnehmender Bühnenperformance. Wurde definitiv als Post-Festival-Hausübung notiert. Im gleichen Saal spielten im Anschluss Sumac, ein aktuelles Projekt von Aaron Turner, den man hauptsächlich als Frontmann der Post-Metal-Vorreiter Isis und als Hydra Head Labelchef kennt. Ich habe erst erfahren, dass Turner in der Band spielt, als ich mich bereits mitten im Publikum befand. Und als die ersten tonnenschweren Soundwände uns nach hinten drückten war klar, dass dieser Herr seinem Ruf gerecht wird. Leider empfand ich das Konzert songtechnisch als relativ monoton und jeder neue Track fühlte sich irgendwann sehr deja-vu-artig an, aber rein soundtechnisch konnte man hier echt nicht meckern.
Abends war es dann soweit und Ulver gaben ihr neues Album zum besten. Die wohl vielseitigste Band aller Zeiten hat mittlerweile mehr Spielarten abgedeckt, als ich mit beiden Händen abzählen kann, und trotzdem bietet „The Assassination of Julius Caesar“ wieder etwas, was sie vorher noch nicht wirklich probierten: Synthpop Marke Depeche Mode. Nach anfänglicher Skepsis bin ich mittlerweile Fan vom Album, und live funktionierte das neue Material ebenfalls blendend. Garms großartige Gesangsstimme passt perfekt in den Pop-Kontext, und dass eigentlich immer mindestens zwei Bandmitglieder mit Percussion beschäftigt waren, wirkte sich gut auf die Tanzbarkeit des Materials aus, was sich beim Umsehen durch die Menschenmassen auch bestätigte. Hinzu kommt eine Lichtshow, die uns nur noch in Staunen versetzte. Eine Lichtregie, die sekundengenau auf das Songmaterial abgestimmt war und Effekte bot, die ich so zuvor noch nicht gesehen habe. Ulver wären nicht Ulver, wenn sie bloßen Synthpop spielen würden, also kam auch die experimentelle Seite der Band kam gut zum Vorschein, zum Beispiel beim ekstatischen Outro von „Rolling Stone“, wo sich die elektronischeren Spielereien Post-Rock-artig immer weiter zu einem Crescendo hin aufbauen, oder bei einem fast 20-minütigen Interludium aus leichtfüßigem Gitarrenambient. Diese Kunstpause kam allerdings auch etwas erzwungen rüber und war vor allem zu lang für ein 70-minütiges Konzert. Ansonsten gab es aber nichts zu beanstanden und nach der Reizüberflutung, die das intensive Finale des letzten Songs zusammen mit den Projektionen und der Lichtshow darstellte, waren wir alle nur noch glücklich, diese Band endlich mal erlebt zu haben. Wie viele andere Besucher versuchten wir dann, hinüber zum Green Rom zu laufen und noch etwas von Emma Ruth Rundle mitzukriegen, die ihr Konzert bereits begonnen hatte. Aber natürlich war die Mühe umsonst, da der Saal bereits wieder aus allen Nähten platzte. Also schlossen wir unser Festival mit ein paar Minuten Hypnopazūzu ab, dem exzentrischen Kollaborationsprojekt der Kultmusiker David Tibet (Current 93) und Youth (Killing Joke). Da die Kollegen aber teilweise überhaupt kein Fan von dem waren, was das Kollektiv auf der Bühne ablieferte, hauten wir wieder vorzeitig ab und ließen das Festival bei ein paar Bier in der Blockhütte ausklingen.
Gewiss gibt es näher liegende und vor allem kostengünstigere Gelegenheiten, ein Wochenende mit Livemusik und Gleichgesinnten zu verbringen. Aber wie man hoffentlich herauslesen konnte, war die Erfahrung Roadburn 2017 jeden verdammten Cent wert. Das Problem ewig langer Schlangen vor den kleineren Venues war lästig und dürfte schwer in den Griff zu bekommen sein, vor allem bei so beliebten bis exklusiven Interpreten. Und einige Überschneidungen in der Running Order kamen mir dann doch sehr ungeschickt vor, womit auch immer diese begründet gewesen sein mochten. Ansonsten würde mir aber nicht viel einfallen, was man an diesem Wochenende hätte verbessern können. Sollte nichts Gröberes dazwischen kommen, dürfte mich Tilburg 2018 ziemlich sicher wiedersehen.