Review: Kairon; IRSE! – Ruination
Auf der Suche nach schräger, andersartiger und Konventionen systematisch missachtender Musik landet man meist sehr schnell in Japan. Dass aus dem Land, das der Welt Dinge wie Hentai, Kanchō, Dakimakura, Yaeba-Zahnoperationen und Robotertoiletten offenbart hat, auch auffällige bis sonderliche Musiktrends stammen, ist nicht verwunderlich. Dass es mit Finnland auch in Europa einen kleinen Hotspot für etwas speziellere Klänge gibt, schon eher. Gerade jenes Land also, dessen Einwohnern man eher eine distanzierte, unterkühlte Mentalität zuschreibt. Und dennoch findet man gerade dort einen Fundus an herrlich unkonventionellen Musiknischen, Humppa mal ganz außen vor gelassen. Beispielsweise ist „Suomisaundi“ eine freiere, experimentellere Form des (für viele Menschen bereits in seiner herkömmlichen Form sehr kuriosen) Psytrance. Das Funk neu interpretierende, Synthesizer-lastige Subgenre „Skweee“ hat seinen Ursprung ebenfalls im kühlen Nordosten. Und mit „New Weird Finland“ existiert auch eine finnische Antwort auf die im Umfeld des (Freak-) Folk beheimatete kulturelle Strömung des „New Weird America“.
Das in Szenekreisen sehr geschätzte finnische Label Svart Records beherbergt viele Spielarten alternativer, experimenteller und schwerwiegender Gitarrenmusik und bietet neben internationalen Bands auch vielen dieser etwas spezielleren Gruppen aus heimischen Landen eine Heimat. Eine dieser Bands ist das aus dem eher spärlich bewohnten Westen Finnlands stammende Quartett Kairon; IRSE!. Ja, die Satzzeichen gehören so. Hinter diesem kryptischen Namen wartet ein nur schwer in Genreschubladen zu stopfender Sound auf, der verschiedene Strömungen psychedelischer, improvisatorischer, verträumter und progressiver Musik in sich vereint. Nachdem ihr erster Release, welcher vom schrillen Falsettgesang abgesehen noch aus recht gewöhnlichem Post-Rock bestand, noch unter sämtlichen Radaren durchrutschte, konnte der Nachfolger „Ujubasajuba“ 2014 bereits die Gunst einiger Blogs und Reviewplattformen erspielen und einen kleinen Internethype auslösen. Die dynamische Hochzeit von reverbgetränktem Shoegaze, stilbetontem bis kakophonischem Saxophonspiel und satten Post-Rock-Riffsalven mit dem bereits erwähnten grellen wie gewöhnungsbedürftigen Gesang, war und ist aber auch jeden Hype wert. Der Großteil von Ujubasajubas Songstrukturen beruht auf krautrockiger Repetition mit kontinuierlich aufeinander aufbauenden Elementen und die so heranwachsenden Monotoniemonolithen muten weniger wie ein verkopft in Theoriearbeit ausgetüfteltes Studioalbum und eher wie eine im positivsten Sinne aus den Fugen geratene Jamsession an, was dem eh schon beflügelten Langspieler zusätzliche Leichtfüßigkeit verleiht.