Archiv für den Monat: August 2013

M83 sind die neuen Queen

Als Soundtrack der Trophäenübergabe beim Europäischen Supercup ließ die UEFA „Outro“ von M83 in Endlos-Schleife laufen. Den Song hatte sich vorher schon Red Bull für eine Werbung unter den Nagel gerissen (und ja, auch Persil. uiui 🙁 ). „We are the Champions“ hat langsam aber sicher ausgedient.

Unfassbar, welche Resonanz das M83-Album „Hurry up we’re dreaming“ auch zwei Jahre nach Release noch erhält. „Midnight City“ war der Hipster-Hit des Jahres 2011, Mastermind Anthony Gonzalez durfte einen Tom Cruise-Film scoren und jetzt also Supercup-Finale vor Trillionen Zusehern. Wohlverdient.

Ob eine ähnliche Reise auch den Fuck Buttons bevorsteht? Die belieferten potentiell eine Milliarde Menschen über den von Underworld konzipierten Soundtrack zur Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele von London 2012. Tatsächlich hatte ich schon im Dezember 2009 getwittert:

Fuck Buttons – „Olympians“ ist das „Chariots of Fire“ (Vangelis) des nächsten Jahrzehnts, sollte die Hymne von Olympia in Vancouver werden.

Es wurde dann eben London zwei Jahre später, aber macht gar nichts 🙂

Die Fuck Buttons spielen am 27. September live in der Innsbrucker pmk! Ich hab sie bereits im Mai beim Primavera in Barcelona gesehen und verspreche: Es wird ein großer Abend, ganz sicher.

Inspired by …

Gerade als US-Open-Seitenwechsel-Programm gehört, die alte Single von Breakbot.


Ok, konnte natürlich nicht sein. Aber wenn sie wirklich Breakbot gespielt hätten, es hätte wohl trotzdem jeder gedacht, es wäre das Mars-Männchen.


Ganz schön dreist. Vor allem wenn man liest, wie Breakbot die Hintergründe erklärt:

“To those who think that it’s just a coincidence, or that “we are both inspired by the same artists”, let me just tell you that Bruno asked my label if he could cover “Baby I’m yours” a few months ago and we said no. Then he recorded “treasure”. To be perfectly honest, I’m not mad at all, if anything I am rather flattered that someone selling millions of mp3s is interested in my music.”

Und so nebenbei hat „Baby I’m yours“ durch die ganze Debatte mittlerweile auch schon mehr als 8 Millionen YouTube-Views.

Ich mag beide Songs nicht besonders. Ganz anders bei Six by Sevens „IOU Love“ aus dem Jahr 2002.


Die haben wohl auch nicht bei The Church nachgefragt, als sie eine Quasi-1:1-Kopie von deren 80er-Jahre-Song „Under the Milky Way“ anfertigten.


Gefragt, ob sich das nicht ein wenig ähnlich anhört und er The Church denn wenigstens einen Songwriting-Credit zubilligte, antwortete Six by Seven-Sänger Chris Olley in einem Interview:

„Yes, It’s a carbon copy…..a hommage…and erm no, I think we will wait for them to phone us!!“

Schön! Es muss ja nicht immer eine Komplett-Cover-Version sein. Kann aber gerne, wie in diesem Fall.

Warum Punk doch nicht vor die Hunde geht

Konzertkritik: The Stitches, PMK, Innsbruck, 22. August 2013:

„Nazi Dogs?? Du gehst doch nicht etwa auf ein Rechtsrock-Konzert?“, meinte ein guter Kumpel skeptisch, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte, mir ein punkiges Double-Feature im PMK zu genehmigen, bei dem neben den „Stitches“ aus den USA eben auch eine Formation dieses Namens auftreten sollte – die noch dazu aus Deutschland kommt.

Aber nur die Ruhe: Abgesehen davon, dass der Konzertort PMK natürlich für eine glasklar antifaschistische und emanzipatorische Gesinnung bürgt – und abgesehen davon, dass Rechtsextreme nie die Selbstironie hätten, sich selbst als „Nazihunde“ zu bezeichnen (obwohl die Nazis ja durchaus ein Faible für Hunde hatten) – kam der Auftritt ohnehin nicht zustande. Schade, ich persönlich hätte mich auf „snotty ’77 Punk“ gefreut, und ich glaube, auch Blogollege (=Blogkollege) Dave hätte nichts dagegen gehabt.

Als kurzfristiger Ersatz für die Support-Hunde sprang verdienstvollerweise die Gruppe „Just Busina$$“ aus dem Tiroler Unterland ein, deren stark emotionshaltiges Hardcore-/Metalcore-Gebräu mir persönlich dann aber doch zu brachial und humorlos schmeckte.

Dafür gab es als Hauptgang ein klassisches, wunderbares Punk(rock)-Menü: frisch zubereitet, heiß gekocht und äußerst flott serviert: The Stitches, vier – wie sich nach dem Konzert erwies, hochsympathische – Kalifornier, vermittelten von der ersten Sekunde an das Gefühl, dass es hier um etwas geht, dass sie sich die Seele (oder zumindest verdammt viel Schweiß) aus dem Leib spielen wollen. Kaum ein Song länger als drei Minuten, dafür jeder Refrain ein „Battle Call“, in bester The Clash-Manier zeitgleich in zwei Mikros gebrüllt (was übrigens auch optisch verdammt viel hermacht).

stitches eins

Mit Mike Lohrman (dem Krawattenträger links im Bild) verfügen „The Stitches“ über einen idealen Seventies-Punk-Frontmann: angemessen psychotisch und unberechenbar, mit einer Stimme wie Johnny Rotten und einer Zahnlücke wie aus dem Lehrbuch. Wobei die Unberechenbarkeit natürlich bis zu einem gewissen Grad kalkuliert sein dürfte: Obwohl dem Sänger während der ersten drei Songs circa fünfmal der Mikroständer von der Bühne purzelte, lehnte er jede Alkohol-Anbiederung aus dem Publikum ab. Wahrscheinlich war er nicht einmal wirklich betrunken.

Was ich wesentlich wichtiger finde: Der Mann hat sich auch mit der Ideologie des Punk auseinandergesetzt – und die geht bekanntlich über rein musikalische Merkmale hinaus (meine These ist ja, dass es in jeder Musikrichtung Punks gibt): Es sei, meinte Lohrman, als das Innsbrucker Publikum noch etwas Respektabstand zur Bühne wahrte, ein Grundgedanke des „streetstyle rock“, also des Punk, dass es zwischen Band und Publikum keine Trennlinie gebe.

Das mag zwar etwas übertrieben sein (totale Egalität ist auch im Punk utopisch), aber dennoch wurde fortan fleißig Pogo getanzt, so dass typische Zweite-Reihe-Besucher wie ich ihre wohlverdiente Dosis an Bierduschen und (hoffentlich unabsichtlichen) Schlägen aufs Brillengestell erhielten.

Den Stitches-Drummer schien all das nicht weiter zu beschäftigen. Seelenruhig trommelte er seinen Stiefel herunter, in einem schlichten weißen Kurzarmhemd, mit dem er locker auch als Gebrauchtwagenhändler oder Geographielehrer durchgegangen wäre. Understatement – auch das kann Punk sein.

 

Suuns.

Konzert-Kritik: Suuns, Treibhaus Innsbruck,15. August 2013

Jeder bis auf Filter und Barrett Strong weiß: The best things in life are free. Liebe, Sex – zumindest hat mich selbst Tony Soprano nicht davon überzeugen können, dass er bezahlt was taugen könnte -, Freunde, Familie, usw.

Und weil auch das Konzert der Suuns im Treibhaus gratis war, verschlug es mich auf Martins Empfehlung dorthin. Blicke sagen manchmal mehr als 1000 Worte und nicht erwiderte Blicke oft noch mehr, und so wich ich dem Mann mit dem Klingelbeutel geschickt aus, was so viel heißen sollte wie: „Sorry, ziemlich pleite :/ …“

Ich kannte vorher nichts dieser kanadischen Band, las nur einige (positive) Reviews. Beliebt ist daher immer das „Klingt wie …“-Spiel, das sich mir während des Konzerts unweigerlich aufdrängte. Der Sänger klingt wie der Sänger von Clinic, die Rhythmus-Section könnte auch von Holy Fuck – auch Kanadier – stammen, nur mit wem Clinic und Holy Fuck ein Album aufgenommen haben könnten, der diesen düsteren, harten Lärm reinbrachte – darauf kam ich nicht.

Eine kurze Google-Suche (suuns clinic) brachte Erfolg, denn irgendwo hatte das „Klingt wie …“-Spiel schon mal jemand mit den Suuns gespielt. HEALTH! Ja, das passt doch. Clinic+Holy Fuck+HEALTH = Suuns. Und weil ich alle diese Bands mag, konnte ich auch dem Suuns-Konzert einiges abgewinnen. Martin meinte zwar etwas in die Richtung, es wäre nicht das erste und wahrscheinlich das letzte Mal gewesen, dass er sich über ein Konzert in Innsbruck massiv aufregen muss, aber das bezog sich ausschließlich auf den Sound im Treibhaus-Turm – übrigens geschätzt 80 Besucher – als auf die Band, die er schon beim Haldern Festival kurz zuvor gesehen hatte und ausgezeichnet fand und findet.

Und jetzt werde ich mir mal ein paar Suuns-Songs auf Spotify suchen. The best things in life …

ORF. WIE ICH.

Wer mich kennt, weiß ja, dass ich ein notorischer Verteidiger des vielgescholtenen Staats-Rundfunks bin. Und deshalb lobe ich ihn bei jeder Gelegenheit. Zum Beispiel, wenn er mir den schönsten Musikmoment des Tages beschert, indem er im Abspann des an sich völlig uninteressanten zweiten Formel-1-Trainings zum Großen Preis von Belgien diesen belgischen „Klassiker“ spielt. Den Sebastian-Remix von „Fool for Love“ von Das Pop. Haudrauf-Elektro, yaaaaaaaaaaaay!

Wochenend-Playlist

Letzten Samstag feierte mein guter Freund Jürgen seinen 30er. Er bat mich – wohlwissend, dass ich das ohnehin wahnsinnig gern mach -, die Feier zu bespielen und eine personalisierte Playlist zusammenzustellen.

Jürgen ist Classic-Rock-Fan mit einem Hang zum Pompösen. Zu seinen Facebook-Likes zählen Queen, Muse, Bruce Springsteen, Arcade Fire, Neil Young und Mumford and Sons. Auf Letztere habe ich übrigens verzichtet, weil ich sie nicht ausstehen kann 🙂 Die knapp zehneinhalbstündige Playlist – etwa von 16:30 bis 03:00 – möchte ich hiermit gerne mit Euch teilen.

Jürgen selbst erlebte die Musik übrigens nur bis etwa zwei Stunden vor dem Ende mit, aber das ist eine andere Geschichte.

1. Ventures – Apache (3:05)
2. The Meters – Cissy Strut (3:06)
3. Booker T. & The Mg’s – Green Onions (2:57)
4. Muddy Waters – Mannish Boy (2:58)
5. Steppenwolf – The Pusher (5:48) Weiterlesen

Wie viel Musik passt in drei Tage?

Diese Frage stellt sich natürlich bei jedem größeren Musikfestival. Doch beim heurigen Primavera Sound Festival in Barcelona war sie besonders virulent. Schließlich will man als Musikfreund, der an die 200 Euro für einen vollen Festivalpass abgelegt hat, möglichst viele unvergessliche Konzerterlebnisse in die wenigen verfügbaren Stunden packen.

Dies erfordert umso größeren Einsatz, als es dem Festivalbesucher beim Primavera unmöglich ist, nach dem Motto Klasse statt Masse vorzugehen (d. h. man konzentriert sich in Ruhe auf einige Highlights), denn es bietet Jahr für Jahr Klasse in Masse. Und gerade heuer war das Line-up fast schon obszön gut – auch nachdem einige wunderbare Künstler (Sixto Rodriguez, Fiona Apple, Foxygen, Band of Horses) kurzfristig absagen mussten. Primavera, das bedeutet für den unersättlichen Musikfan also auch: Jammern auf allerhöchstem Niveau.

PRIMAVERA, TAG EINS (Do., 23. Mai): Sympathisch bis erhaben
Geschafft! Die Schlange vor dem Eingang (so lang wie die Chinesische Mauer, nur mit deutlich mehr Windungen) ist bewältigt, das Festivalband baumelt ums Handgelenk – und wider Erwarten schaffen wir es sogar noch rechtzeitig zu Tame Impala, die sich soeben anschicken, die riesenhafte Heineken-Bühne neben dem Riesenrad mit ihrem hypnotisierenden Rock zu beschallen. Begleitet wird der sympathisch-bodenständige Auftritt der Australier von passenden, bunt blitzenden Visuals. Die Zukunft des Rock kann ich hier zwar nicht heraushören, dafür aber einen grandiosen Teil seiner Vergangenheit, namentlich 60s-Psychedelia und stampfenden Hardrock. Und ich bleibe dabei: Sänger Kevin Parker klingt phasenweise verdammt nach John Lennon. Alles in allem ein feiner Festivaleinstieg.

Gleich weiter zu Dinosaur Jr.: Die Alternative-/Grunge-Urväter gefallen mir diesmal (auf der gewaltigen Primavera-Bühne) wesentlich besser als beim Southside-Festival 2005: (…)

Weiterlesen

I listen to bands that don’t even exist yet

Konzert-Kritik: Jessie Ware, Primavera Festival Barcelona, 23. Mai 2013

Letztens fuhr ich heim zu Mama, um mir ein T-Shirt flicken zu lassen. Es war nicht der einzige Grund, aber ein wichtiger, handelte es sich doch um mein Lieblings-T-Shirt. Es hatte ein Loch vom vielen Anziehen, vor allem aber vom vielen Ausziehen, denn die Stelle war knapp unterhalb des hinteren Kragens, also dort, wo man anzieht, um es auszuziehen.

Auf dem T-Shirt, das mir vor einigen Jahren meine gute Freundin Julia schenkte, meine liebe Mama reparierte und nur meine geliebte Lebensgefährtin nicht so mag und despektierlich „Aufreißer-T-Shirt“ nennt, weil ich in ihrer Gegenwart irgendwann einmal von irgendeiner auf den Text angesprochen wurde, steht geschrieben: „I listen to bands that don’t even exist yet.“

Ich dachte immer, wer sich mit diesem selbsterklärenden ultimativen Musiknerdtumspruch identifizieren kann, ist an Musiknerdtum schwer zu überbieten. Diese Überheblichkeit, diese Arroganz, diese Selbstverliebtheit – er hatte alles. Doch was ich beim Primavera Festival in Barcelona beim Konzert von Jessie Ware erlebte, eröffnete mir diesbezüglich eine ganz neue Dimension.

Irgendwo halblinks im Mittelfeld des Publikums vor der kleinen Pitchfork-Stage stehend freute ich mich auf die bezaubernde Stimme einer aufstrebenden britischen Neosoul-Sängerin – bekam sie nur kaum je zu hören. Gleich rechts hinter mir hatte sich nämlich offenbar der größte Fan der Dame eingefunden.

Doch es war nicht die Tatsache, dass der Brite in seinen 30ern jede Textzeile des Albums „Devotion“ auswendig kannte, nicht der Fakt, dass er sie laut mitgröhlte und in meinen Ohren selbst die lautesten Festivalboxen übertraf, was mich in Ehrfurcht erstarren ließ.

Es waren die kurzen Pausen zwischen den Zeilen, die dieser formvollendete Musiknerd nützte, um seiner Entourage mitzuteilen, welche Textzeile als Nächstes folgen würden.

„Pass auf, jetzt kommt ‚Baby in our wildest Moments‘ – ‚BABY IN OUR WILDEST MOMENTS!!!‘ – Und jetzt kommt gleich ‚We could be the greatest‘ – ‚WE COULD BE THE GREATEST'“

Dieses Alternieren von „Bitte ich weiß was“ und Mitgröhlen, diese Mischung aus Zurschaustellung des eigenen Musikwissens, des Ruinierens der Konzerterfahrung seiner unmittelbaren Umgebung und irgendwie ja wohl auch des Ruinierens der eigenen Konzerterfahrung, weil er die Stimme der Sängerin ja selbst nicht mehr hören konnte, übertraf meine kühnsten Vorstellungen von gelebtem Musiknerdtum.

Von diesem Zeitpunkt an sah ich mein Lieblings-T-Shirt mit ganz anderen Augen, wusste ich doch: Egal, was auf ihm geschrieben steht, es gibt da draußen einen, der mich um Welten übertrumpft.

Die spätesten Jahrescharts der Welt

Ist es im Zeitalter der totalen Verfügbarkeit überhaupt noch relevant, wann Musik erschienen ist? Und ist es daher nicht vollkommen zulässig, Jahrescharts für 2012 erst im Spätsommer 2013 zu veröffentlichen? Oder suche ich gerade verzweifelt nach einer Entschuldigung für die monatelange Verspätung? Egal, hier sind jedenfalls meine 100 Lieblingslieder aus dem Jahr 2012:

1. Django Django – Default
Eingängig und trotzdem intelligent, innovativ und poppig zugleich, ebenso spleenig-verspielt wie tanzbar (die Mutter eines Kumpels hat „Default“ sogar für den Zumba-Unterricht verwendet). Für mich das Lied des Jahres 2012.

2. Tu Fawning – Anchor
Wunderbar hypnotischer, mystisch-erhabener Song aus dem großartigen, in den meisten Jahresrückblicken sträflich vernachlässigten Album „A Monument“. Die x-te tolle Band aus Portland, Oregon (dem neuen Seattle) – und eine, die man nicht so einfach in eine „Klingt wie …“-Schublade stopfen kann.

3. Alt-J – Fitzpleasure
Himmlische Vokalharmonien über einem fetten Rhythmusfundament, dazu ein verdammt anzüglicher Text (den man allerdings frühestens nach ein paar Hördurchgängen versteht). Ähnlich britisch-verschroben wie Django Django. Das zugehörige Album wurde von Pitchfork und ein paar anderen Meinungsführern eher zerrissen – warum auch immer.

4.  Beach House – Myth
Die Band kommt eigentlich aus Maryland, aber der wunderbare Dream Pop von „Myth“ lässt eher an die Westküste denken: verträumt, melancholisch, melodieselig, der Soundtrack für ein imaginäres Kalifornien.  Hier rufen Bandname und Songtitel einmal genau die richtigen Assoziationen hervor.

5.  Azealia Banks ft. Lazy Jay – 212
Quasi das Kontrastprogramm zu Beach House: Ultramodern produzierter Hip-Hop aus New York, voll funkiger Aggressivität und jugendgefährdendem Slang (nach den paar versauten Brocken zu urteilen, die man versteht). Nicht nur vom hysterischen NME in den Himmel gelobt. Azealia Banks, die Foxy Brown / Missy Elliott für die Einserjahre?

6. Grizzly Bear – Half-Gate
Ich mag Alben, die nach hinten hin nicht abbauen, sondern sich ihre wahre Stärke quasi für die Rapidviertelstunde aufbewahren. Genau so ein Album ist die aktuelle Grizzly-Bear-Platte „Shields“. Und „Half-Gate“ ist für mich der schönste Song darauf: Hymnisch, opulent und bis ins Detail perfekt arrangiert. Progressiv, aber nicht als Selbstzweck.

7. Cat Power – Ruin
Dem Vernehmen nach hat die famose Chan Marshall für die Aufnahmen zum Album „Sun“ weite Teile ihrer Pensionsversorge verpulvert (und sympathischerweise lieber Fahrräder für ihre Freunde gekauft oder so ähnlich). Den Titel der tranceartigen, polyglotten Vorab-Single „Ruin“ kann man also plötzlich auch ganz anders lesen.

8. Laurel Halo – Airsick
Abstrakte Elektronik trifft auf schwebenden, quasi – wie die taz schreibt – „außerirdischen“ Gesang. Laurel Halo, die aus der Techno-Geburtsstadt Detroit stammt und inzwischen in Brooklyn lebt (wo auch sonst?), ist eine von vielen jungen Künstlerinnen, die zeigen, dass wagemutige Heimwerker/Laptop/Schlafzimmer-Elektronik längst nicht mehr männlichen Nerds vorbehalten ist. Siehe dazu z. B. auch Julia Holter (Plätze 26 und 55), Holly Herndon, tUnE-yArDs oder, hierzulande, Gustav …

9. Regina Spektor – All The Rowboats
Nicht jeder Popmusiktext muss um das Thema „Boy meets Girl“ kreisen: Regina Spektor empfindet beispielsweise großes Mitleid mit all den berühmten Ölgemälden, Marmorskulpturen und historischen Instrumenten, die irgendwo in Museen eingesperrt sind wie in einem „öffentlichen Mausoleum“ oder einem Hochsicherheitstrakt: „First there’s lights out, then there’s lock-up, masterpieces serving maximum sentences“. Und sie hat diese skurrile Botschaft in einen dramatisch arrangierten Pianopop-Ohrwurm verpackt.

10. Alt-J – Breezeblocks
Ein weiteres Groovemonster aus dem Album „An Awesome Wave“. Der „Musikexpress“ fühlte sich an das Spiel „Kommando Trommele“ aus der längst eingestellten RTL-Sendung „Alles Nichts Oder?!“ erinnert, weil man bei diesem Lied nämlich auch versucht ist, den Rhythmus auf dem Tisch mitzuklopfen.

11. Bob Dylan – Tempest
Ein fast 14-minütiger apokalyptischer Walzer, bei dem Dylans Stimme und die Begleitmusik archaischer und unzeitgemäßer denn je klingen, passend zur alttestamentarisch angehauchten Botschaft des Songs: In 180 (!) Verszeilen ohne jeden Refrain erzählt His Bobness vom Untergang der Titanic (der sich 2012 zum 100. Mal jährte), aber natürlich auch von der Vergeblichkeit des menschlichen Strebens an sich: „There ist no understanding to the judgement of God’s hand“. Das Arsenal an Figuren und Archetypen – von einem gewissen Leo (di Caprio?) bis zum „watchman“, vom Priester bis zum Bordellbesitzer – wird Dylanologen sicher noch länger beschäftigen.

12. Swans – Lunacy
„Lunacy“ ist nicht nur ein schönes Wort, sondern auch eine angemessene Beschreibung für „The Seer“, den zweistündigen Albumbrocken der Noise-/Post Punk-Säulenheiligen Swans, den man sich am besten am Stück genehmigen sollte. Bei „Lunacy“, das klingt wie eine gespenstische schamanische Beschwörung, singen übrigens Alan Sparhawk und Mimi Parker von Low. Noch so eine Band, in deren Werk man endlich einmal tiefer eintauchen sollte …

13. Kofelgschroa – Sog ned
Eine oberbayerische Blasmusik-/Wirtshausband spielt Lieder (oder eher Tracks?), die so repetitiv und hypnotisch klingen wie Techno oder indische Ragas. Wer dabei an Attwenger im Allgemeinen und deren Mantra-artiges Album „Song“ (1997) im Besonderen denkt, liegt gar nicht so weit daneben. Den ultraknappen Liedtext („Und i sog ned a so und a ned a so, ned dass irgendeppa song kunt, i sog so oder so“) lese ich als pointierten Kommentar zu Leuten, die sich nicht trauen, hinter irgendeiner (politischen oder sonstigen) Meinung zu stehen. Griawig!

14. Tu Fawning – To Build A Great Cliff
Noch so ein seltsames, theatralisches Stück Musik, das stilistisch nur schwer greifbar ist. Aber wer braucht schon Genres? Was zählt, ist, dass speziell der Refrain mit einer solchen fast schon opernartigen Wucht und Exaltiertheit daherkommt, dass man sich tatsächlich an eine riesige Woge erinnert fühlt, die sich an einer gewaltigen Klippe bricht.

15. Giant Giant Sand – Cariñito
Howe Gelb, der zuletzt vor allem mit europäischen Musikern zusammengearbeitet hat, scharte für das aktuelle Album „Tucson“ auch wieder Leute aus seiner gleichnamigen Heimatstadt um sich und erweiterte Giant Sand daher zu Giant Giant Sand. Beim ausgelassenen „Cariñito“ wird Gelb von Brian Lopez, Jon Villa und Gabriel Sullivan unterstützt. Angeblich handelt es sich hierbei um eine Cumbia (wobei ich die vielen lateinamerikanischen Stile und Tänze noch nie wirklich auseinanderhalten konnte). In einer besseren Welt würde so ein (Geheim-)Hit auf Radio Tirol oder anderen Regionalsendern rauf und runter gespielt werden.

16. Jake Bugg – Lightning Bolt
Ich geb’s gerne zu: Ich gehöre zur Minderheit derjenigen, die eine dünne (oder sonst irgendwie seltsame) Stimme jederzeit all den hochgezüchteten Rockröhren und Soulakrobaten vorziehen, die ihre Gesangsausbildung vor sich hertragen wie einen Orden. Also schätze ich nicht nur das heisere Gefistel von Bob Dylan, sondern auch die schmale Stimme von Folkrock-Wunderkind Jake Bugg. Dass der auf der Insel gleich wieder zum großen Hoffnungsträger und Retter des Wasauchimmer hochgejubelt wird, wird ihm hoffentlich, ebenso wie Dylan, sonstwo vorbeigehen. „Lightning Bolt“ wird jedenfalls als – im besten Sinne – zeitloser Zweiminüter Bestand haben.

17. Ken Stringfellow – Superwise
Herrn Stringfellow könnte man(ch einer) als einen von zwei Hauptsongschreibern der Posies kennen (Anspieltipp: „Dream All Day“), aber auch als Mitglied bei den zwischenzeitlich reformierten Powerpop-Göttern Big Star oder als Tournee-Allzweckwaffe von R.E.M. In den detailverliebten Arrangements seines schönen Soloalbums „Danzig in The Moonlight“ kann man all diese und noch viele weitere Einflüsse und Erfahrungen heraushören. „Superwise“ ist fei(n)ster Powerpop (generell ein sträflich unterschätztes Genre!).

18. Stealing Sheep – Rearrange
Fein ziselierter, leicht psychedelischer, zeitgemäß produzierter Britfolk mit traumhaften Vokalharmonien – was bei mir persönlich immer einen Nerv trifft. Das dürfte den meisten Bands zwar wurscht sein, doch auch ein Jarvis Cocker drückt hier den „Gefällt mir“-Button.

19. Santigold – Disparate Youth
Eigentlich erstaunlich, dass es in einem Zeitalter, in dem alle möglichen und unmöglichen Stile munter zusammengemischt werden, noch immer wenige bekannte MusikerInnen gibt, die sich sogenannten „schwarzen“ Stilen mit der Frechheit des Punk nähern. Die Afro-Punk-Lady Santigold klingt daher noch immer ziemlich einzigartig. Und dank der letzten Sekunden von „Disparate Youth“ kann man endlich auch wieder den Ausruf „E-yo“ hören, ohne gleich an Captain Jack denken zu müssen.

20. Lianne La Havas – Forget
Das Debütalbum der englischen Folk/Soul-Hoffnung ist für meinen Geschmack in weiten Teilen viel zu glattpoliert und pseudosoulig ausgefallen. „Forget“ ist jedoch ein ganz bezauberndes Stück hypnotischen Folkpops.

21. Grizzly Bear – Yet Again
Zart schwebende Gesangsharmonien, eine bis ins Detail ausgefeilte Produktion, darunter ein durchaus wuchtiges Rhythmusfundament: alles da, was einen grandiosen „Grizzly Bear“-Song ausmacht.

22. The Vaccines – Teenage Icon
Im Grunde kann mir der Indie-Garagenrock der Nullerjahre inzwischen gestohlen bleiben. Aber den Vaccines (die eh erst 2009 gegründet wurden) ist mit „Teenage Icon“ einfach ein unverschämt eingängiges Stück Gitarren-Powerpop gelungen, das man schon nach dem ersten Durchlauf mitsingen könnte und möchte. So was ist große Kunst. Und der Refrain macht Lust darauf, sofort das (heute völlig vergessene) 50er-Jahre-Teenie-Idol Frankie Avalon zu wikipedisieren.

23. Why – Sod In The Seed
Guter Hip-Hop braucht vor allem zweierlei: zwingende Beats und einen geschmeidigen Flow. „Sod In The Seed“ hat beides, dazu unkonventionelle Reime („brutish bear“ – „jew in prayer“) und einen eleganten Indiepop-Refrain. Erinnert mich irgendwie an den Beck der 90er Jahre – und das finde ich super.

24. Adam Green & Binki Shapiro – Here I Am
Um den frechen New Yorker Antifolker, Indie-Liebling und begnadeten Crooner Adam Green ist es in den letzten Jahren still geworden (in den USA war es ohnehin nie wirklich laut um ihn). Dass er nach wie vor tolle Musik macht (und vor allem über eine wunderbar sonore Stimme verfügt) beweist er hier im Duett mit der liebreizenden Binki Shapiro. Diese hatte bereits im Trio „Little Joy“ – gemeinsam mit Fab Moretti von den Strokes – viel schönere Musik gemacht als die Strokes selbst.

25. Graham Coxon – What’ll It Take
Als Gitarrist von Blur weltbekannt geworden, war Graham Coxon schon immer für kleine, aber feine, erfrischend widerspenstige Soloplatten gut (man denke nur an wunderbare Singles wie „Bittersweet Bundle Of Misery“ oder das punkige „Freakin’ Out“). Hier sucht Coxon sein Heil in Repetition und Elektronik – und findet es auch. Der schönste stumpfsinnige Song des Jahres.

26. Julia Holter – Goddess Eyes I
Noch so eine grandiose Heimwerkerin: Experimenteller, (im positiven Sinne) esoterischer Elektropop aus L.A., mit sehnsuchtsvollen Melodien, die den Zugang erleichtern. Aufgepasst, hier gibt’s den schönsten Vocoder-Effekt des Jahres! Und wer mit großen Namen wie Laurie Anderson, Kate Bush oder Joanna Newsom verglichen wird, der, nein: die hat sowieso etwas richtig gemacht.

27. Cody ChesnuTT – I’ve Been Life
In der gemeinsam mit den Roots aufgenommenen Version wurde Cody ChesnuTTs Song „The Seed“ 2003 zum Hit. Sein nicht minder grandioses LoFi-Album „The Headphone Masterpiece“ brachte es seinerzeit dagegen nur zum Kritikerliebling. Nachdem er in den letzten Jahren fast komplett vom Radar verschwunden war, hat der Mann aus Georgia jetzt wieder eine herrliche Funk- und Soulplatte abgeliefert. Wobei hier messerscharfer, leidenschaftlicher Soul im Sinne der Sechziger- und Siebzigerjahre gemeint ist und nicht die vokale Weitwichserei des Mainstream-R’n’B von heute. An Selbstbewusstsein mangelt es dem bunten Vogel offenbar auch weiterhin nicht: „Since my birth I’ve been the greatest attraction on the earth …“. Und dass er sich nebenbei vor sämtlichen afrikanischen Staaten von Algerien bis Z-Z-Zimbabwe verneigt (wohl als Hinweis auf seine spirituelle Heimat) freut mich als Pubquizfan besonders.

28. Diplo ft. Jahan Lennon – About That Life
Alles, was US-Produzent Diplo angreift, wird zu Gold – oder klingt zumindest richtig fett. So wie dieser leicht psychedelische Acid-Trip mit einem gewissen Jahan Lennon am Mikro.

29. Haight-Ashbury – She’s Go Groovy 86
Nach den unwiderstehlichen 2011er-(Mini-)Hits wie „Freeman Town“ oder „Favourite Song“ eine weitere Songperle des schottischen Trios, das sich nicht zufällig nach dem einstigen Hippieviertel von San Francisco benannt hat. Zuckersüßer Girl-Pop/Dream Pop in psychedelischem Kleid. Live teilweise auch angenehm lärmig, wie ich im Oktober 2012 bei einer Clubshow in der Kulturfabrik Kufstein feststellen konnte. Vor erbärmlich kleinem Publikum, versteht sich.

30. Lee Ranaldo – Off The Wall
Ein Jahr nach seinem Sonic-Youth-Kollegen Thurston Moore (dem hochmelodiöse, Nick-Drake-artige, übrigens von Beck produzierte Kleinode wie „Circulation“ oder „Benediction“ gelangen) legte auch Lee Ranaldo ein sehr feines Soloalbum vor. Songs wie „Off The Wall“ erinnern aufs Angenehmste an die (nicht nur von mir kultisch verehrten) R.E.M. der Achtzigerjahre, nicht zuletzt deshalb, weil Ranaldo stimmlich stark an Michael Stipe erinnert. Dass sich inzwischen sowohl R.E.M. als auch Sonic Youth aufgelöst haben, macht das Ganze nur noch herzerwärmender.

31. Chloe Charles – Business
Die Stiefschwester von John Lennons Sohn Julian kommt ähnlich versponnen und schräg daher wie Regina Spektor oder Joanna Newsom, auch an sensible Songschreiberinnen wie Cat Power, Tori Amos oder Leslie Feist könnte man denken. Schön, dass das Ganze trotz all dieser Referenzen sehr eigenständig klingt. Trotzdem, einer geht noch: Chloe Charles klingt wie das Missing Link zwischen Kate Bush und Kate Nash.

32. Django Django – Hail Bop
Die zweite Single aus dem Debütalbum von Django Django. Perfekt gemachter, moderner, halbelektronischer Psychedelic-Pop (mit schönem Wortspiel im Titel).

33. Tu Fawning – Bones
Mindestens drei Songs in einem: düster, psychedelisch, mit hypnotischer Sogwirkung. Und der dunkle, bisweilen an Nico erinnernde Gesang von Corrina Repp bewegt sich einmal mehr auf dem schmalen Pfad zwischen mystischer Erhabenheit und übertriebener Theatralik – ohne jemals abzurutschen. Wenn diese Frau nebenher immer noch als Kellnerin jobben muss (wie sie beim Innsbruck-Konzert behauptet hat), wäre das echt eine Schande.

34. Mission Of Burma – Dust Devil
Dass die experimentellen Post-Punk-Magier und Tape-Manipulatoren Mission Of Burma zu meinen absoluten Lieblingsbands zählen, betone ich bei jeder passenden (oder auch unpassenden) Gelegenheit. Trotzdem ist etwa das 2009er-Album „The Sound, The Speed, The Light“ völlig an mir vorbeigezogen. Und auch nach den ersten Hördurchgängen von „Unsound“ steht für mich fest, dass das epochale 2004er-Werk „ONoffON“ unerreicht bleibt, was die Alben nach der Reunion betrifft. Tolle Songs wie der nicht einmal zweiminütige Opener „Dust Devil“ sind natürlich trotzdem dabei.

35. Ken Stringfellow – History Buffs
Eine schwelgerische, aber niemals kitschige Pianopop-Perle, die bis zum hymnischen Refrain einen raffinierten Spannungsbogen aufbaut. Und ein Händchen für einprägsame Sprachbilder hat Stringfellow auch: „Stuck like a monkey on the rock of Gibraltar, waitin’ for evolution to make me appealing“.

36. Giant Giant Sand – The Sun Belongs To You
Gabriel Sullivan, der seine Wurzeln in der Punkszene von Tucson, Arizona hat – ebenso übrigens wie Giant Sand-Mastermind Howe Gelb – leiht diesem schwülen Texmex-Schleicher seine raue, ein wenig an Tom Waits erinnernde Stimme.

37. Friends – Friends Crush
Von dieser jungen Band weiß ich nichts, außer dass sie (mal wieder) aus Brooklyn kommt, dass sie sich stilistisch irgendwo zwischen Indiepop, Dance Punk und Disco bewegen soll (Wikipedia) – und dass „Friends Crush“ wunderbar eingängig und verführerisch klingt.

38. Bob Dylan – Tin Angel
Knackige neun Minuten, ebenfalls ohne Refrain – faszinierend monoton und unglaublich düster. Erzählt in Shakespeare-Manier von Liebe, Rache und Mord, wobei ich die genaue Handlung bis jetzt noch nicht durchschaut habe. Wurscht. Viel wichtiger als das Was ist hier ohnehin das Wie. Allein die unnachahmliche Art und Weise, wie Dylan hier die zwei Worte „greasy hair“ näselt, rechtfertigt den Kauf des ganzen Albums.

39. Fraktus – Affe sucht Liebe
Neben dem Video der Raika Radstadt („Weine nicht, wenn der Zinssatz fällt“ …) wohl der gelungenste musikalische Spaß des Jahres. Der Film „Fraktus“ ist eine Mockumentary über eine gleichnamige, klarerweise fiktive Band aus Brunsbüttel, die in den Achtzigerjahren quasi das Techno-Genre erfunden hat. Die Anarchokomiker Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger (siehe „Studio Braun“) ziehen hier die halbe deutsche Popmusikgeschichte von Kraftwerk über die Einstürzenden Neubauten bis Trio durch den Kakao. Den Film habe ich noch nicht gesehen, die auf unterkühlten 80s-Synthiepop getrimmten Lieder und Videos sind jedenfalls verdammt lustig. Hier zahlt es sich ausnahmsweise sogar aus, die Youtube-Kommentare zu lesen, denn das Publikum macht den Fake mit. Wobei: „Affe sucht Liebe“ hätte in den Achtzigern tatsächlich ein Hit werden können.

40. Twin Shadow – Five Seconds
Und gleich noch ein Song, der in den Achtzigern ein Hit hätte werden können, nein müssen. Die Kombination aus dunkel-romantischem Gesang und retrofuturistischer Instrumentierung zündet heute wie damals. Ein weiterer Beweis, dass musikalische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Zeiten der totalen Verfügbarkeit kaum noch zu trennen sind. Und das meine ich wertfrei.

41. Go-Kart Mozart – White Stilettos In The Sand
Weiter geht’s mit Synthie/Elektropop, diesmal allerdings herrlich trashig und im breitesten Inselslang vorgetragen. Hinter dem bescheuerten Namen Go-Kart Mozart steckt Lawrence (Hayward), den man von den (mir nicht wirklich geläufigen) Alternative-Rockern Felt kennen könnte. Man muss selbst erlebt haben, wie er hier wunderbare Zeilen wie die folgende hervorpresst: „Why do football fans insist on runnin’ riots and gettin’ pissed? (…) Guerillas in your midst.“ Hat in meinen Charts im letzten Moment noch einen ordentlichen Sprung nach oben gemacht.

42. Miike Snow – Paddling Out
Als elektronischen Pop im weitesten Sinne könnte man auch das bezeichnen, was die schwedische Band Miike Snow so macht. Das Trio mit dem Wolpertinger als Maskottchen legte 2012 sein zweites Album vor (nach dem Debüt aus dem Jahr 2009, auf dem wunderschöne Songs wie „Burial“ und „Animal“ zu finden waren). Das hymnische „Paddling Out“ wurde als erste Single ausgekoppelt (verwendet man das Wort „ausgekoppelt“ eigentlich auch in irgendeinem anderen Zusammenhang?).

43. Cat Power – Cherokee
Dass Cat Power ihren ätherischen Folkrock auf dem Album „Sun“ verstärkt mit elektronischen Elementen anreichert (bei „Cherokee“ kann man das gut hören), ist erfreulich. Noch erfreulicher ist, dass das Ganze sogar vordere Chartsränge in den USA (und Österreich) erreicht hat.

44. Crystal Stilts – Through The Floor
Post Punk, wie Wikipedia meint, kann ich zumindest bei dieser Nummer der Kristallstelzen aus Florida nicht heraushören. Dream Pop/Neo Shoegaze-Klänge schon viel eher. Klingt wie Elvis mit ganz viel Hall auf der Stimme und verwaschenen Gitarren. Ist übrigens schon 2011 rausgekommen, mir halt aber erst 2012 untergekommen. Sorry, aber wurscht.

45. Two Door Cinema Club – Sun
Irgendwo zwischen Indierock und Elektropop sind die Nordiren zuhause. Wobei POP bei diesem Song in Großbuchstaben zu setzen ist, so sommerlich leichtfüßg, fast mainstreamig kommen die Arrangements daher. Von den großen Gefühlen im Refrain ganz zu schweigen. Waren übrigens zusammen mit der US-Band Friends (Platz 37) auf Tour. Sicher ein feines Paket.

46. Cut Copy – Where I’m Going
Elektropop, wo man hinhört: Mehr als diesen frisch-fröhlich-forschen Song habe ich von den Australiern zugegebenermaßen noch nicht gehört. Daher kann ich auch nicht sagen, ob das nun wirklich Synthpop, Indietronica, Dance-Punk (wie das allwissende Onlinelexikon schreibt), alles zusammen oder doch was anderes ist.

47. On and On – Ghosts
Laut Rolling Stone klingen On and On hier wie eine „transzendente, verträumtere Variante von Yeasayer“. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich zu den Jasagern noch immer keinen wirklichen Zugang gefunden habe. Auf jeden Fall ein Song, der sich schön Zeit lässt, um seine bittersüßen, gerade richtig kitschigen Vokalharmonien voll zu entfalten. Einen Extrapunkt gibt es für den markant schnarrenden Trommelwirbel im Rhythmustrack.

48. The Black Keys – Little Black Submarines
Ich mag Bands, die Laut-Leise-Kontraste effektiv einsetzen, von psychotisch-hysterischen Alternativrockern wie den Pixies oder den Violent Femmes bis hin zu den Foo Fighters auf ihren ersten beiden Alben. Die groß herausgekommenen Retrorocker Black Keys kriegen das auf „Little Black Submarines“, der vierten Single von „El Camino“, ebenfalls prächtig hin.

49. Toy – Motoring
Psychedelische Klänge scheinen wieder in Mode zu sein, speziell in Britannien (siehe in dieser Liste z. B. auch Django Django, Haight-Ashbury etc.). Diese erfreuliche Entwicklung passt natürlich auch perfekt mit dem allgemeinen Dreampop/Shoegaze-Revival zusammen, das derzeit mit dem gewaltigen Comeback von „My Bloody Valentine“ seinen Höhepunkt erlebt. Wenig überraschend, dass die Psychedelic-Rocker „Toy“ im Video zum hitverdächtigen „Motoring“ auch mit einschlägigen visuellen Codes spielen (flashige Farben, verschwommene Umrisse).

50. Ariel Pink’s Haunted Graffiti – Only In My Dreams
Psychedelisch liebt es auch Ariel Pink aus L.A., der als spinnerter Ultra-LoFi-Avantgardist bekannt geworden ist (mehr oder weniger). Aus hochmelodiösen, ungebrochen romantischen Nummern wie „Only In My Dreams“ glaubt man aber auch herauszuhören, dass der Mann Kalifornier ist – womit sich sofort eine Assoziationskette in Richtung Westcoast-Sound in Gang setzt (von den Beach Boys und Byrds bis hin zu den Fleet Foxes).

51. Neigungsgruppe – Video Spü
Wie schon bei „G’fickt für immer“ (einer dem Original zumindest ebenbürtigen Austropop-Deutung des „Babyshambles“-Klassikers „Fuck Forever“) liefern die im FM4-Umfeld tätigen Neigungsgruppler auch hier eine kongeniale Neuinterpretation: Lana del Reys melancholischer Retro-Pop-Welthit „Video Games“ wird nicht einfach schnöde gecovert, sondern aus einer zutiefst wienerischen Perspektive nachempfunden – und so in ein trostloses Beziehungsdrama am Samstagabend transformiert: „Du saufst mit deine Freinde, schickst ma SMSe, dann gehst alanig z’Haus“.

52. Lee Ranaldo – Lost
Geradliniger Alternative/College-Rock mit folkigem Einschlag und jangly guitar sound: Auch bei diesem heimlichen Hit werden viele Hörer wohl automatisch an die frühen bis mittleren R.E.M. denken. Mit dem quengeligen, abstrakt-experimentellen Gitarrensound von Sonic Youth hat das, genau wie beim letzten Soloalbum von Thurston Moore, wenig zu tun. Macht nix, denn schön ist es auf alle Fälle.

53. Kendrick Lamar – Swimming Pools (Drank)
Warum ragt Kendrick Lamar über viele andere zeitgenössische Rapper hinaus? Hat er die besseren Beats, die interessanteren Samples, die intelligenteren Arrangements? Mindestens genauso wichtig ist wohl, dass er über eine angenehme Stimme verfügt, der man einfach gerne zuhört, bei den rhythmischen Raps ebenso wie bei den melodiösen Parts. Und seine prahlerischen Fantasien über Schwimmbecken voll Spirituosen und Mädels, die unbedingt darin eintauchen wollen („all the girls wanna play Baywatch“), sind einfach unterhaltsam.

54. The Cast of Cheers – Family
File under Foals: Der hypernervöse, zappelige Indie-/Math-Rock des „Cast of Cheers“ aus Irland erinnert bisweilen stark an die deutlich bekannteren Fohlen aus Oxford. Und mir geht es in beiden Fällen gleich: Was im richtigen Moment sehr mitreißend und dynamisch ist, kann im falschen Moment ganz schön nerven.

55. Julia Holter – In The Same Room
Einlullend und herrlich schlaftrunken. Die neuen, 2013 erscheinenden Julia-Holter-Nummern erinnern manche Rezensenten übrigens an den pseudomystischen Eso-Kitsch von Enya. Aber ich glaube, mir werden sie trotzdem gefallen …

56. Miike Snow – Black Tin Box
Das komische „Miike“ im Bandnamen soll auf den finsteren japanischen Regie-Extremisten Takashi Miike anspielen. Ziemlich düster – wenn auch auf völlig andere Art als Miikes Filme – ist auch „Black Tin Box“ geraten. Mit von der Partie ist die angesagte schwedische Sängerin Lykke Li (genau, die mit dem etwas nervigen Song aus der „Champions League“-Sendung).

57. Fraktus – All die armen Menschen
Auch hier gilt: Nicht nur eine gekonnte Synthiepop-Parodie, sondern ein veritabler Hit. Mit den vielleicht besten deutschen Textzeilen des Jahres: „In Bielefeld, Osnabrück, Memmingen, Regensburg, da überall leben Menschen (…). Warum tun die das, warum sind die da? All die armen Menschen“.

58. Eugene McGuinness – Lion
Ideenreicher Indierock aus London. So viele melodische und rhythmische Einfälle muss man erst einmal in drei Minuten unterbringen.

59. Bonde do Rolê ft. Kool A.D. – Bang
Wie klingt es, wenn eine brasilianische Baile-Funk-Formation und ein Rapper des (inzwischen anscheinend schon wieder aufgelösten) Underground-Hip-Hop-Trios „Das Racist“ aus Brooklyn gemeinsame Sache machen? Genauso, wie es zu erwarten ist: wunderbar dreckig und tanzbar.

60. Lana del Rey – Summertime Sadness
So schnell kann‘s gehen heutzutage: Eben noch war Lana del Rey der neue Konsens-Star, auf den sich Mainstream und Nebenflüsse ein igen konnten, und eh man sich’s verhört, ist es auf einmal hip, sie zu hassen und zu dissen. Oder ist diese Phase auch schon wieder vorbei? Oberflächlichkeit, Hype, Kommerz lauten die Vorwürfe – als ob nicht genau das die Definition von „Pop“ wäre. Egal, mit „Summertime Sadness“ ist der Del Rey auf alle Fälle ein bittersüßer Sommerhit gelungen, über den schon der Titel alles sagt. Wenn so was auf Ö3 läuft, gibt es vielleicht noch Hoffnung für diese Welt.

61. Django Django – Storm
Noch so ein intelligenter Hit, der Rock und Elektronik spielend vereint (was übrigens auch beim Django Django-Konzert auf dem Primavera-Festival in Barcelona schön zu beobachten war). Und dass ich für schöne Vokalharmonien immer ein dickes Plus vergebe, sagte ich glaube ich ebenfalls schon.

62. Kendrick Lamar – Backseat Freestyle
Gepflegter Größenwahn gehört im Hip-Hop quasi zum Einmaleins. Und Kendrick Lamar hat brav gelernt: Hier nennt er sich selbst in einem Atemzug mit Martin (Luther King) und wünscht sich ein Gemächt von der Größe des Eiffelturms herbei („so i can fuck the world for 72 hours“). Aber wer so rappen kann, der darf das.

63. Grizzly Bear – A Simple Answer
Perfektionismus kann in der Musik manchmal schwer erträglich sein (man denke nur an eitlen Prog-Rock und schmierige Musicals). Bei Grizzly Bear liegt die Größe und Erhabenheit – aus meiner Sicht – aber genau in dieser Liebe zu jedem noch so kleinen Detail. Und in der vokalen Magie, die sich hier erst nach knapp vier Minuten voll entfaltet.

64. Michael Kiwanuka – Tell Me A Tale
Liegt die Zukunft des Soul in seiner Vergangenheit? An Michael Kiwanuka erscheint alles retro, nein eher: zeitlos, vom beseelten Gesang (der an die ganz Großen des Genres erinnert) bis hin zu den warmen, sanften Arrangements. Diese tragen die Handschrift des Produzenten Paul Butler, Frontmann der wunderbaren englischen Band „The Bees“. Vom glatten Plastik-R&B, der noch immer die Radiokanäle verstopft, könnte all das nicht weiter entfernt sein.

65. Tame Impala – Feels Like We Only Go Backwards
Apropos Retromania: Bei den derzeit (zu Recht) ziemlich angesagten  Australiern „Tame Impala“ führen ebenfalls alle Assoziationsketten in die Vergangenheit, hier vor allem in Richtung Sixties-Psychedelia. Aber bei so starken Melodien und einer derart fetten Produktion kann von einem Rückschritt (siehe Songtitel) keineswegs die Rede sein.

66. Fuzzman – Spiel mir das Lied von der Liebe
Dass in Schlagern mit ihren übergroßen Gefühlen manchmal echte Erhabenheit und Würde verborgen liegt (wenn man sie denn mit den richtigen Mitteln hervorkitzelt), haben hierzulande schon einige großartige Musiker erkannt. Man denke etwa an das Projekt „Der Scheitel“, an dem Mitte der Neunzigerjahre führende Vertreter der österreichischen Alternativ-Szene beteiligt waren, an die „Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune“ (ebenfalls mit Fritz Ostermayer und Christian Fuchs) oder an die hinterfotzigen elektronischen Schlager von Gustav. Auch „Fuzzman“ / „Futzmann“ Herwig Zamernik hat das emotionale Potential erkannt, das in Schlagern steckt. Doch zwischen Liebe, Engelein und einem Himmel voller Geigen hat er lyrische Fußangeln ausgelegt. Sätze wie: „Hand in Hand mit dir, bis Amor sich ermordet“ oder „Manchmal, da möchte ich tot sein“ hört man in herkömmlichen Schlagern doch eher selten.

67. Giant Giant Sand – Forever And A Day
Howe Gelb hat das Album „Tucson“ als „Country Rock Opera“ konzipiert, also gewissermaßen als Konzeptalbum – zwar angeblich erst, nachdem die Songs geschrieben waren, aber doch. Und das funktioniert ganz wunderbar. Es lohnt sich, das Album zu kaufen und sich in das Textbuch zu vertiefen (hier nicht zu verwechseln mit den Lyrics). Bei „Forever And A Day“, einem bittersüßen Abschiedssong mit cremigen Mariachi-Bläsern, hat man sich vorzustellen, dass der Protagonist (ein „man-boy“, der Züge von Gelb trägt) gerade alles zurücklässt – seine Stadt, seinen weltlichen Besitz, seine Freundin. Er fährt in den Sonnenuntergang, der Wüste von Arizona entgegen. Auf dem Fahrrad.

68. Alt-J – Taro
Der letzte (offizielle) Track auf „An Awesome Wave“ ist ein hypnotisierender Popsong mit fernöstlichem Einschlag (was europäische Ohren halt so unter „fernöstlich“ abspeichern). Sehr eigenständig, sehr schön.

69. Swans – Avatar
Heiliger Lärm. In das Doppelalbum „The Seer“ (in Vinylform sind es sogar drei LPs) sollte man sich am besten einfach fallen lassen wie in einen akustischen Mahlstrom. Gegen gnadenlose Drones wie das 32-minütige (!) Titelstück wirkt der Neunminüter „Avatar“ fast schon kompakt. Ausufernd, repetitiv und berauschend ist jedoch auch dieses Stück (von „Liedern“ möchte man hier nicht unbedingt sprechen). Außerdem hat speziell der Anfangsteil (bevor der beschwörende Gesang einsetzt) eine fast schon sakrale Anmutung. Man meint, das Läuten von Kirchenglocken hören zu können. Und es sind bestimmt keine Hochzeitsglocken.

70. Klumzy Tung – Counting Sheep
Ungleich leichtfüßiger (und natürlich auch leichtgewichtiger) als die bleischweren Swans präsentiert sich Klumzy Tung mit seiner fröhlichen Mischung aus Singer-Songwriter-Attitüde, Hip-Hop und Reggae. Typischer FM4-Sound, den manche als „harmlos“ abtun würden. Man könnte aber auch von einem echten Sommerhit sprechen.

71. Two Gallants – My Love Won’t Wait
Dass die zwei Kavaliere aus San Francisco ihren räudigen Country-Punk auf dem aktuellen Album eher Richtung Hardrock und Grunge deuten, kann man als Fan von „Las Cruces Jail“ und „Steady Rollin‘“ durchaus bedauern. Verdammt viel Energie und Leidenschaft hat das Ganze aber noch immer – und darauf kommt es bei Two Gallants an, gerade live. Wer miterlebt hat, wie sich die beiden im Mai bei ihrem Konzert im Weekender Club verausgabten, konnte auch über den teilweise doch recht gepressten und flachen Gesang von Adam Stephens locker hinweghören.

72. Santigold – Look At These Hoes
Multitalent Santigold, hier einmal musikalisch und textlich näher am Rap als am Punk: „These bitches ain’t fuckin‘ with me. Killa!“ Und am Selbstbewusstsein mangelt es der Dame auch nicht: „Tear it up, I’m so damn gold!“. Wo sie Recht hat …

73. Alt-J – Matilda
Wer die sanfte Seite der spleenig-schrägen Alternative-Popper hören möchte, sollte eher zum lieblichen „Matilda“ greifen als zu der aus meiner Sicht etwas ereignislos dahinplätschernden Single „Tessellate“. Auch wenn Kollege Steff das anders sehen dürfte.

74. Punch Brothers – Patchwork Girlfriend
Wer modernen Folksound mag, von den pathetischen „Mumford & Sons“ aber inzwischen genervt ist, dem sei diese „Progressive Bluegrass“-Formation aus Brooklyn ans Herz gelegt. Die versteht sich nicht nur auf frisch klingende Americana, sondern geht auch textlich gewitzt ans Werk: „Patchwork Girlfriend“ handelt von einem Mädchen, das so viele Gegensätze in sich vereint („her skin so dark and fair“), dass eine Heirat nicht in Frage kommt, „because that‘d be against the law, even in Utah“. Vielleicht ist der Titel des Songs aber auch wörtlich zu nehmen und die vielgestaltige Freundin mit ihrem „blackish blondish brownish reddish grayish (grayish?!) hair“ ist tatsächlich aus vielen verschiedenen Frauen zusammengesetzt, will sagen: -genäht …

75. The xx – Angels
Bis auf die ersten beiden Singles, „Angels“ und „Chained“, habe ich vom zweiten xx-Album nicht gehört. Zumindest diese beiden Songs kommen ans überragende Debüt nicht ganz heran. Schöner, kristallklarer und spartanisch-düsterer Dream Pop ist das hier trotzdem.

76. Swans – The Seer Returns
Ein weiterer düsterer Stampfer vom Swans-Album, mit unheimlichem Sprechgesang und bedrohlich-erregenden, sexuell konnotierten Sprachbildern: „Your light pours into my mouth, my light pours out of my mouth, my light pours into your mouth“. Genau die richtige Musik, um sich einmal so richtig wegzuschießen (womit auch immer). Zu Zeiten von Velvet Underground wäre ein Album wie „The Seer“ wahrscheinlich als jugendgefährdend eingestuft worden.

77. Chromatics – Into The Black
Die schönste Coverversion des Jahres? Den Synthie-Poppern aus Portland gelingt eine wunderbar schwermütige, traumwandlerisch schwebende Adaption des Proto-Grunge-Klassikers „Hey Hey, My My“ von Neil Young. Der berühmte, in Kurt Cobains Abschiedsbrief zitierte Text („It’s better to burn out than to fade away“) wird von der Musik konterkariert. Vielleicht ist es ja doch besser, einfach sanft dahinzuschwinden …

78. Laurel Halo – Light & Space
Manchmal sollte man die YouTube-Kommentare doch lesen. „Flows like a calm stream“, meint einer über diesen mystischen Ambienttrack. Besser kann man es nicht sagen. Und besser kann ein Album kaum ausklingen.

79. Stealing Sheep – I Am The Rain
Wer wissen will, wie „hypnotisch-psychedelische Folktronica“ klingt: So.

80. Deichkind – Leider geil (Leider geil)
Natürlich war dieser Song nach spätestens zwei Monaten zu Tode gespielt und zitiert. Nüchtern betrachtet muss man aber sagen: Dieser Song, der alles feiert, was unverantwortlich, politisch unkorrekt oder geschmacklos ist, aber halt einfach Spaß macht, hat nicht nur einen verdammt witzigen Text („Ein Drache und ein Krieger kämpfen auf dem Berg. Airbrush-Gemälde? Leider geil“), sondern ist auch musikalisch ziemlich weit vorn.

81. Pilocka Krach feat. i dont know his name – Wild Pete
Ein „guilty pleasure“: Der hohe Nervigkeitsfaktor dieses Elektropop-Kinderliedes ist nicht zu leugnen. Das enorme Hitpotential allerdings genauso wenig. Erinnert mich irgendwie an den lustigen Synthiepop-Klassiker „Popcorn“.

82. Blur – Under The Westway
Erinnert mich ein bisschen an Blurs 2003er-Single „Out of Time“ oder an Damon Albarns Allstar-Projekt „The Good, the Bad & the Queen“. Schön schwelgerisch.

83. BEAK> – Wulfstan II
Hinter dem Projekt BEAK> steckt der Portishead-Kopf Geoff Barrow. Hier serviert er ziemlich düsteren Krautrock, der einen ganz eigenen Sog entwickelt. „Wulfstan“ war übrigens der Name eines mittelalterlichen Reisenden und diverser englischer Geistlicher. Aber das fällt wohl unter unnötiges Wissen.

84. Django Django – Life’s A Beach
Django Django, das heißt: Hits, Hits, Hits. Dieser Song hätte, bei genauerer Betrachtung, sogar einen Platz weiter oben in den Jahrescharts verdient. Melancholisch bis psychedelisch (elektrische Sitar!), dabei sommerlich leicht.

85. Laurel Halo – Carcass
Von Laurel Halos schöner Gesangsstimme bleibt hier nur ein schrill verzerrtes, ersticktes Fiepen übrig. Gut so!

86. Chromatics – Cherry
Wenn Synthie Pop und Dream Pop heiraten, dann schaut ihr Kind genauso aus wie dieser Song: unterkühlt, verhuscht, verträumt.

87. Bob Dylan – Scarlet Town
Ein weiteres typisches Stück von „Tempest“: ausufernd, hypnotisch, textlich und musikalisch eindeutig auf der dunklen Seite zuhause. Futter für Dylanologen – das heißt mehr oder minder verschlüsselte, anspielungsreiche Sprachbilder – gibt es auch hier zuhauf („Uncle Tom still working for Uncle Bill“). So viel scheint sicher: Diese scharlachrote Stadt ist kein angenehmer Ort.

88. Jack White – Love Interruption
Über Jack Whites Solodebüt scheint die Kritik insgesamt eher geteilter Meinung zu sein. Mehr als diese erste Single kenne ich bisher nicht, an der gibt’s aber absolut nichts auszusetzen. White und die hochgelobte Sängerin Ruby Amanfu sorgen für eine spannungsreiche Retro-Soul-Stimmung mit angemessen dramatischen Lyrics über die Wucht der Liebe („I want love to murder my own mother“).

89. New Party Systems – We Are
Die Indie-Supergroup New Party Systems (unter anderem mit dem bärtigen Stimmwunder Kyp Malone von TV on the Radio) versucht sich hier an einer Hymne für die – inzwischen leider schon wieder halb vergessene – „Occupy Wallstreet“-Bewegung, inklusive rechtschaffenem „We are the 99 percent“-Pathos. Die Forderungen („Time to take the keys back to our kingdom“) sind natürlich nach wie vor aktuell, aber die Halbwertszeit von Protestbewegungen scheint leider immer kürzer zu werden. Zuccotti Park, anyone?

90. Grizzly Bear – Sun in Your Eyes
Der majestätische Schlusstrack von „Shields“, episch breit und ein (weiteres) Wunderwerk der Arrangierkunst.

91. Chet Faker – No Diggity
Eine Coverversion des vielzitierten Hip-Hop-Klassikers „No Diggity“ von Blackstreet – braucht man das? Ja, wenn sie so herrlich entspannt und verschlafen (bekifft?) daherkommt wie diese Adaption des australischen Downtempo-Soul- und Elektronik-Musikers Chet Faker.

92. Benjamin Gibbard – Teardrop Windows
Dieses melodiöse Gitarenpop-Kleinod von Benjamin Gibbards Solodebüt erinnert angenehm an seine formidable Stammband „Death Cab for Cutie“ (vielleicht auch an seine dem Vernehmen nach ebenfalls großartige Zweitband „The Postal Service“, die ich leider bisher nicht am Radar hatte) oder an die großartigen Shins, die im Vorjahr ebenfalls wieder ein sehr gutes Album veröffentlicht haben sollen (das ich leider ebensowenig am Radar hatte). Btw, super Video!

93. Mission Of Burma – What They Tell Me
Von Altersmilde kann bei Mission Of Burma keine Rede sein, eher von Altersstarrsinn: Schließlich scheinen ihre Alben immer noch sperriger und lärmiger zu werden – was ja prinzipiell wunderbar ist. Einiges auf „Unsound“ ist mir dann aber doch ZU zerfahren und skizzenhaft, einfach zu wenig ausproduziert. „What They Tell Me“ mit seinen schiefen Bläsern (!) fährt aber ziemlich gut ein.

94. Eels – Peach Blossom
Den genialen Mr. E gibt es vor allem in drei (oft fließend ineinander übergehenden) Ausführungen: nostalgisch-melancholisch, spieldosenartig-verschroben oder, wie hier, rau und waldschratig rockend. Die Vorab-Single „Peach Blossom“ mit ihren hochgradig sexuell aufgeladenen Natur-Metaphern erinnert mich musikalisch und lyrisch stark an „Lilac Breeze“ vom 2009er-Album „Hombre Lobo“. Und schon jetzt scheint sicher: Zumindes ein, zwei weitere Songs von der aktuellen Scheibe „Wonderful Glorious“ werden sich in meinen Jahrescharts 2013 wiederfinden (die hoffentlich nicht erst im August 2014 online gehen).

95. Six Organs of Admittance – Waswasa
Wikipedia sagt, dass der Gitarrist Ben Chasny oft dem neuen, experimentellen (Freak-) Folk zugerechnet werde. Das hört man hier nicht wirklich heraus. Wikipedia weiß aber auch, dass der Mann eine Vorliebe für mantra-artige Drones hat und dass er unter anderem schon mit dem Folk-Okkultisten David Tibet von Current 93 zusammengearbeitet hat. Das hört man hier schon viel eher. „Waswasa“ könnte aber auch ein Instrumentaltrack von den Queens Of The Stone Age sein.

96. Calexico – Epic
Bei den ersten paar Durchläufen fand ich „Epic“ eher unspektakulär bis fad, aber nach und nach entfaltete es sich doch noch zu jener Größe, die der Titel andeutet. Ein echter Grower, wie man so sagt. Ob das für das ganze Album namens „Algiers“ gilt? Wenn man nur die Zeit hätte, das zu überprüfen …

97. Punch Brothers – Who’s Feeling Young Now?
Der Titeltrack des dritten Punch Brothers-Albums. Im Grunde ein mit Bluegrass-/Country-Instrumentarium umgesetzter Indierock-Song. Mit ähnlich schrägem Gezupfe und Gefiedel rücken die Brüder übrigens auch dem Radiohead-Klassiker „Kid A“ (!) zuleibe. Und so etwas finde ich schon einmal grundsätzlich sympathisch.

98. …And You Will Know Us by the Trail of Dead – Up To Infinity
Leider habe ich die hochgeschätzten Hardcore-Artrocker Trail of Dead zuletzt ein wenig aus dem Auge verloren. Hier knüppeln die – ansonsten dem Bombast nicht gerade abgeneigten – Texaner erfrischend geradlinig vor sich hin (wobei der Gesang im Mix leider etwas untergeht). Der Track handelt angeblich vom syrischen Bürgerkrieg, zugleich hat ihn die Band explizit den Punk-Feministinnen von Pussy Riot zugeeignet. Wie auch immer, ein bisschen Politisierung kann der oft allzu harmlosen Alternativ-Szene von heute nicht schaden.

99. The Black Belles – Wishing Well
Ein rein weibliches Garagenrock-Trio, produziert von Jack White. Klingt genauso, wie man es sich vorstellt: knackig und ein bisschen retro.

100. The Mountain Goats – Harlem Roulette
Ah, die gibt’s auch noch?! John Darnielle, der bissige Songwriter mit der durchdringenden Stimme, veröffentlicht unbekümmert ein Album nach dem anderen (bisher 14), die meisten dem Vernehmen nach sehr gut, aber vermutlich nur einer sehr beschränkten Öffentlichkeit bekannt. Hier gibt uns der Mann, der zu bitterbösen Texten fähig ist (unbedingt anhören: „No Children“ vom 2002er-Album „Tallahassee”) etwas zum Nachdenken auf: „The loneliest people in the whole wild world are the ones you’re never goin‘ to see again.“ Äh … was?