Archiv für den Monat: Dezember 2015

Wham dich doch selbst! Akustischer Selbstschutz für die Weihnachtszeit

Weihnachten – das ist jene Zeit im Jahr, wo sich die Menschen kulinarisch und musikalisch noch Härteres zumuten als sonst: Karpfen, Kokosbusserln und Chris Rea. Weihnachtsgänse, Vanillekipferln und War is over. Und in Kärnten spielte ein besonders lustiger Regionalradio-„DJ“ gleich volle zwei Stunden lang „Last Christmas“ – was auf einem typischen Glühkindlmarkt eh niemandem auffallen würde, dafür aber einige Rückschlüsse auf den Kärntner Humor und den Zustand der österreichischen Privatradios im Allgemeinen zulässt.

Mit einem Wort: Es sind harte Zeiten, für den Magen und für die Ohren. Als Therapie helfen da nur ein paar rasch verabreichte, hochdosierte akustische Vitaminstöße (die entweder dem schon fast wieder abgelaufenen Musikjahr 2015 entstammen oder mir zumindest erst heuer untergekommen sind). Meine Jahrescharts 2015 gibt’s dann wie gewohnt in zwei bis drei Jahren. Hoffentlich …

1. Sleater-Kinney – A New Wave

Stichwort Jahrescharts: Da werden sich Sleater-Kinney, einst Heldinnen der Riot-Grrrl-Bewegung, nun rrreaktivierte Riot-Ladies, ganz bestimmt wiederfinden. Denn besser haben die verehrungswürdige Carrie Brownstein (die man auch aus der rundum genialen Hipster-Satireserie Portlandia kennen könnte und sollte) und ihre Bandkolleginnen nie geklungen.

2. Ezra Furman – Restless Year
Stichwort besser denn je: Das gilt auch für Ezra Furman aus Chicago: Wer den Mann nur von seinem FM4-Hit „Take off your sunglasses“ kennt und als typisches Indie-Schmindie-Hipster-Leichtgewicht abgespeichert hat, könnte falscher nicht liegen. Gerade live – und zuletzt auch auf seinen Platten – ist Mr. Furman eine einzige wilde Energieeruption, nachzuprüfen übrigens am 24. Februar 2016 im Weekender Club zu Innsbruck, wo ich ihn bereits 2014 erleben durfte, bei einem der besten Konzerte der letzten Jahre.

Mit „Restless Year“ und „Lousy Connection“ hat Furman heuer zwei meisterliche Singles vorgelegt. Manisch, panisch, hysterisch, psychotisch und absolut mitreißend. Ach ja, geblümte Kleider und Lippenstift trägt der Furman Ezra live auch ganz gerne.

3. FFS – Piss off
Stichwort geschminkte Männer in Frauenkleidern. Dieses Phänomen nennt man gemeinhin auch: Glamrock. Womit sehr elegant der Bogen zu den Sparks gespannt wäre: Die Helden des exaltierten Elektro-Glam, schon seit den frühen 70ern einschlägig tätig, haben sich mit den Nachgeborenen von Franz Ferdinand auf ein Packl g’haut (beide Bands sind Fans der jeweils anderen Formation) und heuer als FFS ein allseits hochgelobtes Album von der Leine gelassen.

„Unterproduziert“ kann man das Ganze zwar nicht unbedingt nennen, aber den Spaß, den die Bands beim Aufnehmen ganz offenbar hatten, hört man in jeder Sekunde. Und wer auf einem Kollabo-Album einen augenzwinkernden Battle-Song namens „Collaborations Don’t Work“ unterbringt, hat sowieso alles richtig gemacht.

4. Adult Books – In Love Again
Stichwort alles richtig gemacht: Das gilt auch für die Adult Books aus Kalifornien. Vom verruchten Bandnamen bis zum zeitlos-geradlinigen Punksound stimmt hier jede Zutat im Gesamtrezept. [Danke für den Tipp an den wertkonservativen Rockisten Wolfgang Doebeling und seine feine Sendung. Und für den Hinweis auf die Sendung wiederum ein kräftiges Vagöt’s God an Kollegen Phil]. Das Label der Erwachsenenbücher bezeichnet deren Sound übrigens als „surf thrillpop“. Äh, okay.

5. Culturcide – They’re not the world
Stichwort schwierige Genrezuordnung: Für die berühmt-berüchtigte Formation Culturcide aus Houston, Texas (sic!), sind die meisten gängigen Stilschubladen definitiv zu eng. Ist das experimenteller Punk? Ist das trashiger Elektro-Noise? Ist das musikalische Leichenschändung?

Auf jeden Fall war das, was Culturcide auf ihrem 1986er-Album „Tacky Souvenirs of Pre-Revolutionary America“ angerichtet haben, seiner Zeit weit voraus: In bester Guerilla-Punk-Manier wurden da fremde (und schöne!) Songs von David Bowie bis Bruce Springsteen gekapert und mit billigstem Equipment dekonstruiert, radikal umgedeutet. Ohne jeden Respekt, dafür mit umso sarkastischerem und konsumkritischerem Humor. Und all das natürlich, ohne die Künstler um Erlaubnis zu fragen (die sie eh nie erteilt hätten).

Das Ergebnis dieser feindlichen Übernahme nimmt die Medienkritik von „maschek“ ebenso vorweg wie den Bastard-Pop der Nullerjahre oder den unverschämten „Shred“-Gedanken.

Und schon zwanzig Jahre vor dem nicht minder genialen DJ Koze vulgo Adolf Noise hatten Culturcide die Idee, dem millionenschweren, selbstzufriedenen, scheinheiligen „USA for Africa/Live Aid/you name it“-Benefizkitsch eine sarkastische, sozialkritische Ohrfeige zu verabreichen.

Womit natürlich nichts gegen Idealismus und soziales Engagement gesagt sein soll, im Gegenteil. Aber gerade zu Weihnachten, wo sich alle wieder einmal in steuerschonender Wohltätigkeit überbieten (besonders die, die sich ansonsten durch gelebte Gleichgültigkeit und Ellbogentechnik auszeichnen), tut diese Attacke im Geiste des Punk einfach verdammt wohl.

„There comes a time / when rockstars beg for cash (…) and they think they’re the greatest gift of all. (…) They’re not the world / they’re not the children / they’re just bosses and bureaucrats / and rock ’n‘ roll has-beens. (…) If children are starving / let ‚em drink Pepsi. (…) There’s a choice we’re never given: to run our own lives. / Without it, your better day is just a better lie.“

In diesem Sinne: Frohes Fest!

Lou Reed, sing uns ein Wienerlied!

Konzertbericht: Die Buben im Pelz, PMK Innsbruck, 5. Dezember 2015:

Allein für den Mut (man könnte auch sagen: die Frechheit) gebührt ihnen größter Respekt: Die Buben im Pelz – im Kern bestehend aus den beiden im FM4-Universum kreisenden Musikern und Journalisten Christian Fuchs und David Pfister – haben sich mit The Velvet Underground & Nico aus dem Jahr 1967 eines der einflussreichsten und aufregendsten Debütalben der Musikgeschichte vorgeknöpft, ein düsteres Wunderwerk des Underground (!), das von Punk über Gothic bis Noiserock so ziemlich alle wüsten Subkulturen vorweggenommen und Tabuthemen wie harte Drogen oder Sadomasochismus dauerhaft in der Popkultur verankert hat. Und das mitten im Summer of Love.

Diesen gewaltigen Brocken also haben sich die Buben im Pelz aufgeladen und von den schäbigsten Seitenstraßen New Yorks all the way nach Wien geschleppt, wo die Velvets mit ihrer zwischen Euphorie, Melancholie und Todessehnsucht oszillierenden Musik grundsätzlich bestens aufgehoben sind. Und diesen Transfer haben Pfister/Fuchs noch dazu verdammt gut hingekriegt.

Die wohl berühmteste Ich-wart-auf-den-Dealer-und-er-kommt-nicht-Hymne aller Zeiten, I’m waiting for the man, haben sie etwa von der Lexington Avenue zum Schwedenplatz verlegt. Der schwarz gekleidete Pusher mit spitzem Schuhwerk und Strohhut trägt in Wien „Nike-Bock in Weiß“ und „Adidas-Gwandl“. Oder: Die vom magischen Eisengel Nico Päffgen gegebene Femme Fatale wird bei den Buben zur „feschn Funsn“. Kurz gesagt: eindrucksvolle, stimmige Nachdichtungen, die – wie schon beim (ideologisch und personell) verwandten Projekt Neigungsgruppe Sex, Gewalt & gute Laune – auch musikalisch überzeugen. Alles in allem eine herrliche Heiligenschändung, respektvoll und respektlos zugleich, trashig und doch elegant.

Die „Welt“ hat das Album Die Buben im Pelz & Freundinnen (das statt der berühmten, abziehbaren Warhol-Banane eine ebenfalls abziehbare Wurst am Plattencover zeigt) bereits im Juni zu einem der Alben des Jahres erhoben. Deutschland kriegt von österreichischer Musik derzeit ja generell nicht genug. Und auch in meinen bescheidenen Jahrescharts werden sich die Buben bestimmt wiederfinden.

Die Erwartungen ans Livekonzert waren also durchaus hoch – zumal die PMK mit ihrem kantigen CBGB-Charme im Grunde den perfekten Rahmen für einen wilden Velvet-versus-Wienerlied-Abend bietet.

Umso größer zunächst die Enttäuschung beim Eröffnungssong „Schwedenplatz“: Übersteuerter, breiiger, schlampig austarierter Sound, schlecht eingestellte Mikros (was sich auch im weiteren Verlauf des Abends nur bedingt bessern sollte), sehr laut und dennoch seltsam schwachbrüstig und blutleer. Das wunderschöne, leichtfüßige Sonntag Morgn zündete unter diesen Umständen überhaupt nicht, auch Femme Fatale und vor allem There She Goes Again wurden soundtechnisch trotz aller Hingabe komplett in den Sand gesetzt. Als Zuhörer stellte sich daher zunächst leider vor allem ein Wunsch ein: „Her mit am Bier“, wie es in der (später noch zu hörenden) Neigungsgruppen-Version der Babyshambles-Großtat Fuck Forever heißt.

Doch auch ohne Bier wurde es danach rasch viel besser: Tiaf wia a Spiagl (I’ll Be Your Mirror) gelang Fuchs und Pfister im sanften Zwiegesang einfach wunderbar und berührend.

Ein Höhepunkt auch die grandiose Version des abgrundtiefen, nachtschwarzen S/M-Dramas Venus In Furs (mit dem die Velvets übrigens schon damals eine Brücke von New York nach Österreich schlugen, Stichwort Leopold von Sacher-Masoch). Den stoischen, hypnotisierenden, fast schon maschinenhaften Todesrhythmus von Steh(!)Drummer Ralph Wakolbinger hätte wohl auch die legendäre Moe Tucker nicht besser hinbekommen.

Ansonsten gelangen – genau konträr zu meinen Erwartungen – gerade die lauten, krachigen Rock-/Protopunk-Nummern deutlich besser als die ruhigen, atmosphärischen Momente. Das galt allen voran für das treibende Renn Renn Renn (Run Run Run, eh kloa) oder David Pfisters wüste, rohe, überraschend weit vom Original entfernte Deutung von Lou Reeds offen drogenverherrlichender Weltnummer Heroin.

Bei den Zwischenmoderationen erwiesen sich Pfister und Fuchs als sympathische, gewitzte Rampensauen – egal ob sie „Bruchware von Manner“ (in Form von Schokonikoläusen) an die Zuschauer verteilten, sich augenzwinkernd mit „Reiß ma’s o, Buaschn!“ anfeuerten oder kleine Touranekdoten zum Besten gaben: So habe man ihnen bei einem Konzerttermin (wohl als Anspielung auf „Venus im Pelz“) im Backstage-Bereich eine Ausgabe von „50 Shades of Grey“ hinterlegt. Oder könnte das Buch von einer anderen österreichischen Band dort abgelegt worden sein – und wenn ja von welcher?, fragte Pfister ins Publikum. Die Antwort „Von Wanda!“ kommentierte er höchst schlagfertig: „Nein, bei Wanda liegt backstage höchstens ein Bilderbuch“.

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