Archiv für den Monat: April 2014

Wenn der Tellerrand zu hoch ist

Konzertbericht: „Guano Padano“ & „Free Nelson Mandoomjazz“, Kulturfabrik Kufstein, 24. April 2014

„Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“: Dieses (abseits seiner leicht agrarfeindlichen Note)bestens bewährte Sprichwort trifft nirgendwo mehr zu als im kulturellen Bereich.  Warum die meisten Leute gerade bei Musik so schwer dazu bewegen sind, sich auch einmal auf etwas Neues und Unbekanntes einzulassen – während es ihnen z. B. beim Essen oder Reisen inzwischen gar nicht mehr „exotisch“ genug sein kann –, dieses Rätsel konnte ich bis jetzt noch nicht ergründen.

Aus meiner lokaljournalistischen Erfahrung weiß ich jedenfalls: Was die Leute nicht kennen, das ignorieren sie. Komplett. Wenn wir versuchen, vier oder fünf Frei(!)karten für Konzerte abseits des Mainstreams zu verlosen, haben wir in der Regel größte Schwierigkeiten, sie überhaupt loszuwerden (auch für grandiose Bands wie Haight-Ashbury oder namhafte Künstler wie zuletzt etwa Anne Clark). Aber wehe, wir verlosen Einkaufsgutscheine, Skipässe oder Tickets für Hansi Hinterseer – dann glühen die Leitungen und die Briefträger müssen Sonderschichten einlegen.

Warum wagen so wenige Leute den Blick über den akustischen Tellerrand? Liegt es an der medialen Übersättigung des zum „Konsumenten“ degradierten Musikhörers? An der Angst vor dem Unbekannten? Was kann man schon verlieren, wenn man auf das Konzert einer unbekannten Band geht?  Schlimmstenfalls ein paar Euro und einen Abend, den man sonst wahrscheinlich vor dem Fernseher verbracht hätte. Gewinnen kann man viel mehr: aufregende Erfahrungen, neue Einblicke, unerhörte Klangerlebnisse.

Hinzu kommt, dass das „Risiko“, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen, heute ohnehin geringer ist denn je, YouTube, Spotify und Co. sei Dank. (Dank?). Richtig hohen Blutdruck bekomme ich übrigens dann, wenn sich dieselben Leute, die den Arsch nicht hochkriegen, dann lauthals beschweren, dass „bei uns eh nichts los ist“. So geht’s nicht!

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Die Scheuklappen-Mentalität vieler Konzertbesucher (oder Eben-Nicht-Konzertbesucher) trifft vor allem kleine Veranstalter, die sich zeitlich und finanziell oft voll verausgaben, um aufregende, ungewöhnliche Künstler zu uns nach Tirol zu holen. Jüngstes Beispiel: die „Artparty“ in der Kulturfabrik Kufstein mit zwei hochinteressanten jungen Bands, veranstaltet vom Kulturverein KlangFarben. Dieser umtriebige Verein ist seit dem Vorjahr redlich darum bemüht, spannende Künstler im weiten Feld zwischen Avantgarde-/Experimentalrock, Jazz und wagemutigen Freistilklängen nach Kufstein zu holen – allzu oft leider fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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Auf der Suche nach dem Dub

Konzertbericht: Dub Trio & The Little White Bunny, PMK, Innsbruck, 8. April 2014

„Da war mir gestern eindeutig zu wenig Dub im Dub Trio“: So lakonisch brachte es Bloggenosse Dave am Tag nach dem Konzert per Facebook auf den Punkt – und postete trotzig ein Video des jamaikanischen Dub-Hohepriesters King Tubby (den die drei New Yorker als einen ihrer zentralen Einflüsse nennen). Und auch wenn mir der Auftritt insgesamt nicht schlecht gefallen hat – ganz Unrecht hat Kollege Obwaller nicht.

Es gab sie durchaus, die dubbigen, trippigen, halluzinogenen Passagen, in denen eine düstere Grundstimmung, experimentelle Gitarrenklänge und Trance-artige Rhythmen aus der Echokammer auf originelle Weise zusammenfanden – phasenweise klang das sogar wirklich atemberaubend.

Insgesamt war der Dub-Trio-Cocktail dann aber doch zu metallhaltig, zumindest für meinen Geschmack. Statt gehörschädigender Lautstärke (die auch mit Ohrenschutz grenzwertig war) und diversen eher konventionell klingenden Metal-Riffs hätte ich lieber noch mehr von diesen hypnotisierenden Drum- und Gitarreneffekten gehört, von mir aus auch von den Hörspiel-artigen Zwischensequenzen.

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Kurze Songs, ewige Freundschaft

Konzertbericht: Mike Watt & The Missingmen / Guess What / L’Oeillere, PMK Innsbruck, 1. April 2014

In „We jam econo“, einer spannenden und berührenden Doku über die einflussreiche kalifornische (Post)Punk-/Hardcore-/Experimental-/Politband Minutemen, die im Vorfeld dieses Innsbrucker Konzertabends zu sehen war, gibt es einen besonders schönen Moment: Mike Watt, Bassist und einer der beiden gleichberechtigten Songschreiber der Minutemen, erinnert sich an die Aufnahmen zum 1983er-Album „What Makes a Man Start Fires?“ und speziell an den Song „The Anchor“.

Denn: „It’s our first song where we go over two minutes, it’s two minutes and five seconds or so“. Um sich zu vergewissern, blättert Watt kurz im Booklet nach und stellt dann überrascht fest: „No, it’s two thirty. Phew! That’s our opus …“

Ein vielsagendes Statement:  Denn obwohl der Bandname „Minutemen“ nichts mit der Länge der Songs zu tun hat (er ist vielmehr eine Anspielung auf die gleichnamige Miliz aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und ein Seitenhieb auf eine rechtsextreme, reaktionäre Gruppe der 60er Jahre, die sich ebenfalls so nannte), passt er auch in dieser Hinsicht: Denn die Songs der Minutemen waren nicht nur explosiv, zornig und rasant, sondern vor allem wahnsinnig kurz. „What Makes a Man Start Fires?“ enthält 18 Songs – und dauert nicht einmal 27 Minuten. Auf „The Punchline“ von 1981 dauert der längste Song 1:18 Minuten, der kürzeste ist schon nach dreißig Sekunden vorbei!

Wie damals aufgenommen wurde, beschreibt Spot, einer der Produzenten der Minutemen, in der Doku: „Let’s forget about this multitrack stuff, let’s just set it up and do it live to two-track. You know, one take, bam!, it’s done. You‘re mixing it while you’re playing it – and that’s what we did“.

So kurz und ereignisreich wie ihre Songs war auch die Karriere der Formation aus San Pedro: Doch zwischen 1980 und 1985 hinterließen die Minutemen nicht nur viel Musik, sondern auch bleibenden Eindruck. Das machen prominente Weggefährten aus den 80ern in der Doku deutlich: Von Lee Ranaldo (Sonic Youth) über Henry Rollins bis hin zu J.Mascis (Dinosaur Jr.), von Jello Biafra (Dead Kennedys) bis Flea von den Chili Peppers äußern sich viele zentrale Figuren der amerikanischen Punk- und Alternative-Bewegung höchst positiv über die Minutemen.

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