Archiv für den Monat: März 2018

Musik mit Bart. Von Reifenspuren, Fensterhebern und bekifften Riesen

Konzertbericht: BART BUDWIG, Die Bäckerei, Innsbruck, 14. März 2018:

„Entscheidend is‘ auf’m Platz“, lautet eine gern zitierte Weisheit des Duisburger Fußballspielers und -trainers Alfred „Adi“ Preißler. Und die lässt sich bisweilen auch gut auf die Welt der Popmusik übertragen: Entscheidend is‘ auf der Bühne.

Natürlich gibt es Musik, die gerade auf dem Plattenteller oder im Kopfhörer ihre volle Stärke und Tiefe entfaltet (und sich live vielleicht gar nicht so subtil, raffiniert oder detailreich darstellen lässt). Aber in vielen Fällen ist halt doch das Liveerlebnis der Konserve vorzuziehen – so auch im Falle des US-amerikanischen Sängers, Gitarristen und Trompeters Bart Budwig.

„Sabai“ heißt sein vor wenigen Wochen erschienenes, insgesamt sechstes Album – benannt nach einer Hütte tief in den Wäldern des nordöstlichen Oregon. Dort, in der Einsamkeit der sogenannten Eagle Cap Wilderness, schrieb er seine Songs, begleitet – so lassen es der Presstext und die eigene Fantasie vermuten – vom heimeligen Knacken des Kaminfeuers, umgeben von rauschenden Wäldern, von Wind, Wasser, Erde und vor allem großer Stille. Aufgenommen wurde das Ganze binnen zwei Tagen, mit einem einzigen Mikrofon, wie Budwig selbst erzählt.

Das Ergebnis sind unaufdringliche bis unspektakuläre, reduzierte und – mangels Abwechslung im Arrangement – bisweilen etwas einförmige Songs, die bei mir persönlich bei Vorabhören keinen tieferen Eindruck hinterließen.

Doch, wie gesagt, was zählt, is‘ auf’m Platz, nich‘ auf Platte.
Und hier bestätigte sich einmal mehr die Regel, dass man sich von Vorab-Höreindrücken nicht zu sehr beeinflussen – und schon gar nicht vom Besuch eines Konzerts abhalten lassen sollte. Sonst kann man ganz schön viel versäumen – in diesem Fall einen wirklich schönen Konzertabend mit einem höchst sympathischen und talentierten Sänger und Songschreiber. Einen Abend, der weitaus spannender und mitreißender wurde, als ich es erwartet hatte.

(Copyright: Vivre Arts)

Ich bin nicht unbedingt der größte Fan von Alben und Konzertabenden der Marke „Nur ein Mann und seine akustische Gitarre“. Wenn bei Konzerten von „stripped-down arrangements“ oder „unplugged, intimate versions“ die Rede ist, bedeutet das für mich manchmal einfach nur, dass da ein bisschen wenig passiert.

Aber davon war bei Bart Budwigs zweitem Innsbruck-Auftritt eh nie die Rede – und allein mit seiner Gitarre stand er auch nicht auf der Bühne. Vielmehr konnte er in Gestalt von John Nuhn auf einen äußerst versierten und nicht minder sympathischen musikalischen Begleiter bauen, der den Stehbass kompetent zupfte und klopfte und zudem ganz wunderbare Backing-Vocals beisteuerte. Und auch Bart Budwig selbst – ein aus dem dünn besiedelten, gebirgigen Idaho stammender, inzwischen im progressiven Oregon lebender Waldschrat – erwies sich als toller, ausdrucksstarker und überraschend wandlungsfähiger Sänger mit einem Gespür für starke Melodien.

Gerade in den Refrains erklang sein Gesang oft glasklar und hell, so dass man sich bisweilen etwa an die frühen Fleet Foxes erinnert fühlen konnte, zugleich natürlich an klassischen Alternative Country. Eine ganz große Stärke war dabei eben – auch im Vergleich zur „Konserve“ – der phasenweise geradezu himmlische Harmoniegesang der beiden. „Das können sie wirklich, die Amis“, meinte Kollege Dave mit anerkennendem Augenzwinkern.

Deutlich wurde auch, dass Budwig tief in der genretypischen Tradition des Geschichtenerzählens verwurzelt ist. Es sind einfache, aber prägnante Geschichten, in denen als Leitthema immer wieder das Spannungsfeld zwischen Heimweh und Fernweh oder, weiter gefasst, zwischen Ankommen und Abschied nehmen, aufscheint – für einen Künstler, der so wie Budwig mindestens das halbe Jahr fern der Heimat durch kleine Clubs tingelt, ein naheliegendes Sujet. Auch die Frage, wie sich unter solchen Umständen tragfähige Beziehungen aufbauen, halten und gestalten lassen, schimmerte immer wieder durch. (Dass so ein Tourleben kräftezehrend und anstrengend ist, konnte man zwischen den Zeilen ebenfalls herauslesen: John Nuhn erwähnte gegen Ende, dass er nur zwei Tage nach dem Innsbruck-Konzert schon wieder daheim in Idaho an der Uni erwartet werde.)

Inhaltlich wie musikalisch war die Bandbreite an diesem Abend beachtlich: Einige der Songs wiesen erstaunlich viele Brüche und Wechsel auf, mit komplexeren Dramaturgien, als man anfangs vielleicht geglaubt hätte. Der Grundton war dabei teils melancholisch und emotionell, letztlich aber doch harmonisch und optimistisch. Von den Abgründen, von der schonungslosen Härte und Düsternis, wie sie in vielen guten Country-Songs lauern – man denke nur an Townes Van Zandt oder natürlich den späten Johnny Cash – war hier nur wenig zu merken.

Budwig mag es vielmehr, von den scheinbar kleinen Dingen und Momenten zu erzählen – was bei anderen Sängern vielleicht spießig und allzu gefällig wirken würde, hier aber durchaus stimmig war. Zumal Budwig seine Lyrics auch mit lakonischem Humor würzt, etwa in einem Song über starken Kaffee und starke Gefühle:

„You got me drinkin‘ strong coffee / And I know it’s bad for my health.“

Dass Budwig zuletzt, wie er an einer Stelle erzählte, sehr viel Motown-Soul gehört habe, war zwar nicht wirklich herauszuhören. Aber die bescheidene, zugleich gestelzte Anmoderation eines offenbar Soul-beeinflussten Liedes gelang immerhin sehr charmant: „This one is hopefully from the groovier realm …“

Zwischendurch griff Budwig auch ein paar Mal zur Trompete, nicht zuletzt als Verneigung vor dem großen Miles Davis. Woher das hin und wieder punktgenau einsetzende Tamburin kam – wahrscheinlich wurde es einfach vom Mischer eingespielt – konnten wir als Zuhörer hingegen nicht klären. Na gut, wir haben uns auch gar nicht um Aufklärung bemüht. Und die Vorstellung eines „mystery tambourine“ ist eh viel schöner!

Hin und wieder verfiel Budwig in eine Art Talking Blues – oder in diesem Fall eher Talking Folk oder Talking Country -, was sehr gut zu seiner Art des Geschichtenerzählens passt. In einer anrührenden Anekdote erinnerte er sich zum Beispiel an ein Erlebnis aus seiner Kindheit, als er mit seinem Vater eine Straße überqueren wollte und fast überfahren worden wäre. Die Reifenspuren am Asphalt hätten sich für immer in sein Gedächtnis eingeprägt, meinte er.

Skurril und surreal war dagegen die – besonders schwungvoll dargebotene – Geschichte einer laaangen Autofahrt bei brütender Hitze. So heiß sei es im Fahrzeuginneren gewesen, dass der Kaffee im Becherhalter zu kochen begann, prahlte Budwig, „and the cigarette lit itself“. Von einer funktionierenden Lüftung war natürlich keine Rede – und er als Fahrer habe die Fenster einfach nicht herunterbekommen. Daher die titelgebende Aufforderung an die Begleiterin:

„Sarah, roll down my window / I can’t make it on my own …“

Merke: Es gibt kein Thema, über das man keinen Song schreiben könnte.

Besonders anrührend gelang auch die Liveversion von „Captain, Dreamer“: Laut Budwig ist dieser Song von riesigen Frachtschiffen inspiriert, die vor der US-Westküste anlegen, deren Besatzung aber oft nicht amerikanischen Boden betreten dürfe. In genau diese beklemmende Lage versetzt sich Budwig hier – und gewinnt ihr einfache, aber umso poetischere Zeilen ab:

„Always homeless / but never free / Lost at shore / And lost at sea“.

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Frühjaarsputz

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 20:
A.A.L. (AGAINST ALL LOGIC) – SOME KIND OF GAME (2018)

Es gibt Leute, die in ihren Zwanzigern immer noch einigermaßen planlos durch das Leben streifen, nicht wirklich einem ambitionierten Ziel entgegenstreben oder einfach einem roten Biografiefaden folgen, sondern einfach nur versuchen, den Alltag zu meistern und dabei nicht alles völlig falsch zu machen. Und es gibt Leute wie Nicolas Jaar. Der in New York geborene Sohn chilenischer Eltern ist aktuell knackige 28 Jahre alt und hat im vergangenen Jahrzehnt so einige Nischen alternativer Musik mitgestaltet, unter verschiedenen Pseudonymen und Projekten mehrere Referenzalben unter das Volk gebracht und sich eine treue Fangemeinde erarbeitet, die wohl genauso bunt ist wie sein Output.

Nicolas Jaar

Als seine erste EP veröffentlicht wurde, war Jaar gerade mal 17 Jahre alt, und das drei Jahre später erschienene Debutalbum „Space Is Only Noise“ erntete in allen erdenklichen Fanzirkeln und Magazinen Lob und Anerkennung und erklomm dementsprechend in vielen Jahrestoplisten respektable Topränge. Bereits zu diesem Zeitpunkt war es nicht leicht, die Musik mit schmissigen Genrebezeichnungen und Kunstbegriffen akkurat zu definieren. Unorthodoxe Samplequellen, Querverweise und Kreuzungen mit anderen Genres stehen seit jeher an der Tagesordnung. Auf der Tanzfläche stampft House, in der Lounge pfeifen stilvoll Downtempo und Soul durch die Whiskeygläser, und „Space Is Only Noise“ klemmt irgendwo in der Mitte zwischen den Stühlen fest.

Die Begriffe „Ambient Pop“ oder „Art Pop“ funktionieren bei solchen Sachen auch immer, wenn die Musik beizeiten sehr catchy ist, sich aber sowohl der Radiotauglichkeit als auch einem Fixplatz innnerhalb ausdefinierter Schubladen vehement verwehrt. Auch das 2016 erschienene „Sirens“ ist eine Collage aus diffusen Ambient-Teppichen, kontrastierenden Synth-Punk- und Kraut-Anleihen Marke Suicide, in Unterwasser-Dub-Produktion versteckten Versatzstücken lateinamerikanischer Musik, deren Benennung ich mir gar nicht erst zutraue, et cetera.

Zwischen den beiden Veröffentlichungen schrieb Jaar unter anderem auch noch „Pomegranates“, ein alternativer Soundtrack zum sowjetischen bzw. armenischen Film „Die Farbe des Granatapfels“ aus 1969. Das bekannteste seiner Projekte dürfte allerdings Darkside sein, ein Kollaborationsprojekt mit dem Multi-Instrumentalisten Dave Harrington. Auf „Psychic“ werden Jaars bunte Klangmalereien mit ebenso vielseitigem Gitarrenspiel ergänzt und erhalten eine sehr funkige Note, die den Mitwippfuß ordentlich in die Gänge kommen lässt, nicht selten ist aber auch ein ordentlicher psychedelischer Einschlag spürbar.

In welche waghalsigen Gefilde führt diese Entwicklung? Was erwartet den neugierigen Freund experimentierfreudiger Musik? Na eingängiger, tanzbarer, lebensfroher und frische herausgeputzter Deep House, eh klar. Statt dem Avantgarde-Feuilleton (oder zusätzlich dazu?) wird die Disco erobert. Wie bitte, das ist gegen jegliche Logik? Dann passt’s ja. Unter dem Namen A.A.L. (Against All Logic), einem bis vor kurzem relativ unbekannten Nebenprojekt Jaars, veröffentlichte er vor wenigen Wochen „2012 – 2017“, eine Ansammlung von Tanzflächenhymnen, die es in sich haben. Weiterlesen

Secret Rocks Medical World

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 19:
RAMONES – SHEENA IS A PUNK ROCKER (1977)

Ich glaub, ich war noch keine 16 Jahre alt, als ich zum ersten Mal die Ramones im Fernsehen sah. Ich war auf der Stelle begeistert, da ich mir nicht erklären konnte, wie man so schnell in die Seiten hauen konnte. Wie machen die das, wie zur Hölle kann man so schnell spielen? Jeans, Lederjacken, Beatles-Haarschnitt und Mickey-Mouse-T-Shirt, und dann noch diese Posen! Keine Ahnung mehr, wie die Sendung hieß, aber den Song habe ich mir bis heute gemerkt: Sheena Is A Punk Rocker! Ich war jedenfalls auf der Stelle ein Fan.

„One, two, three, four!“
– Dee-Dee Ramone, vor jedem (!) Ramones-Song

Der eigentliche Grund für die heutige Auswahl ist ein kürzlicher Trip nach Berlin. Das weltweit einzige Ramones-Museum steht in Berlin-Kreuzberg, da ist ein Besuch natürlich Pflicht. Doch warum ausgerechnet in Berlin?

Dee Dee Ramone, Bassist der Ramones, war ein GI-Kind und lebte bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr in Berlin, was wohl auch auch der Grund sein dürfte, wieso die Stadt oft in den Texten der Band referenziert wird. Mir war das jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt.

Zudem war Dee Dee auch medizinisch innovativ, was folgendes Fundstück aus dem Museum bezeugt.

Ramones Discover Eternal Youth

Und damit haben wir unsere heutige Ramones-Trivia-Runde schon wieder abgeschlossen, es bleibt nur noch zu sagen: Hey, ho! Let’s go!

Avantgardistisches Wiegenlied

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 18:
HATIS NOIT – ILLOGICAL LULLABY (2018)

Regelmäßigen Lesern dürften die Unregelmäßigkeiten aufgefallen sein: Ja, wir hier am Blog haben ordentlich mit dem Track der Woche zu kämpfen. Und so wird daraus nicht selten eher ein „Track der zwölf Tage“ oder „Track der zweieinhalb Wochen“.

Im Bewusstsein, dass unsere Zeitbudgets knapp und das Fleisch generell schwach ist, haben wir uns zwar eigentlich darauf verständigt, dass „fünf Zeilen reichen“. Aber der Ehrgeiz packt die Autoren dann doch jedes Mal aufs Neue – und auch ich merke gerade, dass sich mein heutiger Vorsatz „Diesmal wirklich nur fünf Zeilen“ schon jetzt nicht mehr ausgeht.

Sei’s drum, ich werde mich ausnahmsweise jedenfalls wirklich knapp halten: Schließlich weiß ich über den Track der Woche, „Illogical Lullaby“, eh so gut wie gar nix. Ich weiß nur, dass er erst seit nicht einmal einer Woche online ist (so flott war unser notorisch entschleunigter Blog noch nie!), dass ich ihn gestern rein zufällig beim Duschen auf Ö1 gehört habe (ja, ich höre beim Duschen manchmal Ö1) – und dass ich sofort gefangen war und wissen wollte: Wer ist das? Wer singt da?

Wer da singt, ist Hatis Noit, eine junge japanische Vokalistin, die inzwischen in London lebt. Wie den (bisher angenehm spärlichen) Informationen über die Künstlerin zu entnehmen ist, schöpft sie aus unterschiedlichsten Quellen – etwa aus dem höfischen Musikstil Gagaku, der in Japan seit dem 7. Jahrhundert gepflegt wird, generell aus buddhistischen Gesängen, zudem aus der Klangwelt der Gregorianischen und vergleichbaren Choräle, aus Avantgarde und Pop.

Das Ergebnis ist entrückt, ja fast überirdisch klingende Vokalmusik ohne erkennbaren Text (zugegeben, wenn es Japanisch wäre, wäre es für mich auch kein erkennbarer Text). Jedenfalls geht es hier ganz offenkundig um den Klang der Stimme, nicht um etwaige Inhalte, die sonst meist über Gesang transportiert werden. Worte werden hier zu Lauten, zu reiner Musik – und wir können uns endlich einmal ganz von der im Pop so verbreiteten Textfixierung lösen.

Mancher Hörer wird hier vielleicht an die erhebende Vokalmusik von Julianna Barwick denken, die bei uns am Blog ebenfalls schon einmal in einem Track der Woche präsentiert wurde, oder zum Beispiel an die experimentellen Klänge von Laurel Halo.

Zugleich spricht dieses avantgardistische Wiegenlied aber eine tiefer schlummernde Ebene in uns an: Der Titel „Illogical Lullaby“ trifft es perfekt: Jede Art von tranceartiger, hypnotisierender Musik hat ja irgendwie etwas Betäubendes, Einschläferndes, eben Schlafliedartiges an sich – und damit auch etwas Beruhigendes, Schützendes und mütterlich Tröstendes. Nicht umsonst hängen die lautmalerischen Wörter „Lullaby“ und „einlullen“ etymologisch zusammen. Und irgendwo zwischen Wachzustand und Traum lässt man dann (hoffentlich) auch die Regeln der Logik hinter sich.

„Illogical Lullaby“ (wie auch die zugehörige EP „Illogical Dance“) entstand in Zusammenarbeit mit den US-Experimentalelektronikern Matmos – was im Track ab ca. dreieinhalb Minuten besonders gut zu hören ist, wenn so etwas wie ein rudimentäres Beatgerüst einsetzt. Magisch!

Kontrollierte Ekstase

Konzertbericht: EDOM, Kulturfabrik Kufstein (KuFa-Bar), 2. März 2018

Für das Leben wie für die Musik gilt: Erwartungen sind eine seltsame Sache. Manchmal werden sie enttäuscht – und trotzdem (oder gerade deswegen?!) ist man am Ende glücklich und zufrieden. Mit Edom ist es mir gestern Abend in der Kulturfabrik genau so ergangen.

Nicht dass ich im Vorfeld viel über die Formation und die beteiligten Musiker gewusst hätte (ohne großes Vorwissen und damit möglichst unvoreingenommen in Konzerte zu gehen, empfinde ich oft sogar als Vorteil). Aber schon das Wenige, das ich wusste – es handelt sich hier um in New York ansässige Künstler aus dem Dunstkreis des Avantgardejazz-meets-Experimental-Noise-Meisters John Zorn und seiner „Radical Jewish Music“ – legte meine Erwartungen fest: Diese Musik würde lärmig und abstrakt klingen, sperrig und dissonant, schwer zugänglich und für ungeübte Ohren möglicherweise recht anstrengend.

Die Realität stellte sich dann ganz anders dar: Das Sounduniversum von Edom entpuppte sich als deutlich zugänglicher, „straighter“ und vor allem grooviger als erwartet. Mit anderen Worten: Eine völlig andere Klangbaustelle als das um maßgeschneiderte John-Zorn-Kompositionen kreisende Avantgarde-Projekt Abraxas, mit dem Bassist Shanir Ezra Blumenkranz und der aus Israel stammende Gitarrist Eyal Maoz schon zweimal in Kufstein zu Gast waren (beide Male habe ich unverzeihlicherweise versäumt). Blogkollege Johannes, der Abraxas erst kürzlich im Stromboli Hall erlebt hatte, bestätigte diesen Eindruck: Im direkten Vergleich klingen Edom ungleich zugänglicher und, ja, poppiger. Aber dazu kann Johannes hier bei Gelegenheit ja vielleicht selbst mehr erzählen …

Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Edoms wirbelnder Mix aus instrumentalem Avant-Rock, Fusion Jazz und jüdisch-nahöstlichen Klangfarben klingt immer noch laut, schräg und experimentell genug, um den Großteil der Middle-of-the-Road-Musikhörer zu verschrecken. Aber das Ergebnis ließ phasenweise eher an fast schon klassischen Psychedelic-, Space- oder Jam-Rock denken als an radikalen Avantgarde-Trancemetal.

Dazu trugen sicher vor allem die dominanten Synths des furiosen Tastenmanns Brian Marsella bei, die im Gesamtkontext vielleicht gewöhnungsbedürftig sein mochten – mich persönlich durch ihre atemlose Rasanz und pure Energie aber besonders elektrisierten.

 

Überhaupt, was für brillante, dabei uneitle Musiker! Statt ihre Virtuosität selbstverliebt zur Schau zu stellen, schienen alle in erster Linie fürs Kollektiv zu arbeiten und zu denken. Hier drängte sich niemand in den Vordergrund, erst recht nicht der nominelle und faktische Frontmann Eyal Maoz, der in seinem Auftreten wie bei seinen perlenden Gitarrenfiguren Understatement übte – und damit umso mehr zu beeindrucken wusste. In Summe hatte man den Eindruck von vier gleichberechtigten Frontmännern, die ineinandergriffen wie Zahnräder, aber eben nicht maschinenhaft, sondern leichtfüßig und elegant. Selbst Momente freier Improvisation (sofern solche für den Laien überhaupt zu erkennen sind) und lärmiger Ekstase wirkten stets kontrolliert und souverän – im positivsten Sinne.

Schön auch, die Kommunikation zwischen den Musikern zu beobachten: Ein kurzes Kopfnicken hier, ein kurzer Augenkontakt da, hin und wieder ein breites Grinsen oder zwei, drei kurze Sätze – und schon lief das Werkl wieder weiter wie geschmiert.

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