Archiv der Kategorie: Ein Thema – viele Songs

Tribaunquiz: Playlist 2022 – Michael Domanig

Wie immer gilt die herzliche Einladung, diese handverlesene Playlist und ihre innere Logik ausführlich zu ergründen – aber bitte erst NACH dem Pubquiz im Tribaun (17. August). Sonst möge euch der erbarmungslose Quizgott auf der Stelle mit seinem Blitz erschlagen (und nein, damit ist nicht das gleichnamige, sehr empfehlenswerte Quizformat des Österreichischen Quizverbandes gemeint)!

Die allerletzten Jahrescharts – jetzt mit Bonusfeature!

Sind das hier wirklich meine letzten Jahrescharts? Es schaut fast danach aus. Nicht nur weil ich damit später dran bin denn je (unser peinlicher Claim „Die spätesten Jahrescharts der Welt“® dürfte bald ein realer Fall fürs Guinness-Buch der Rekorde werden), sondern auch weil es nach zehn Jahren (oh Gott, wohin ist die Zeit verschwunden?) und somit exakt 1000 Jahrescharts-Einträgen tatsächlich ein guter Zeitpunkt für einen Schlussstrich wäre.

Auf jeden Fall sind es die letzten Jahrescharts in der bisherigen Form. Die Grundmotivation für dieses Unterfangen war seinerzeit ja, sich mit möglichst viel aktueller Musik (jedweden Genres) zu konfrontieren, um am Puls der Zeit zu bleiben, nicht in den eigenen Hörgewohnheiten festzuwachsen, sondern im Kopf frisch zu bleiben, solange es möglich ist.

Geht man diesen Vorsatz einigermaßen systematisch an, heißt das in der Praxis, dass man sich durch unzählige Tipps und Bestenlisten hören sollte. In meinem Fall von Musikexpress über Pitchfork bis Der Standard, von Rolling Stone bis FM4, von Wolfgang Doebeling bis Katharina Seidler, von House of Pain bis Zündfunk. Dazu kommt natürlich jeder einzelne möglicherweise relevante Song, den man umgehend am Smartphone notiert, jedes potentiell interessante Album, das man in der Zeitung angestrichen, jeder Soundfetzen, den man mit Rasiercreme im Gesicht oder nach dem dritten Bier im Stammlokal eilig shazamisiert hat.

Jahrescharts zu erstellen, bedeutet also, ganze Listen abzuarbeiten, sozusagen Akkorde im Akkord zu hören. Und weil man natürlich nicht hinter sich selbst zurückfallen will, wird der (zeitliche) Aufwand von Jahr zu Jahr größer – und die Liste jedes Jahr noch später fertig.

Zahlt sich dieser Aufwand aus? Jein. Sind meine Top 100 dadurch stilistisch vielfältiger geworden? Möglich. Oder gar besser? Keine Ahnung.

Fakt ist: Mit dieser Methode hört man sich zwangsläufig durch viele, viele Sachen, die einen gar nicht wirklich interessieren, geschweige denn fesseln, berühren oder flashen – nur damit man „auch das abgedeckt hat“. Dabei sollte Musikhören nun wirklich alles sein, aber keine lästige Pflichterfüllung. Aber genau darauf kann es hinauslaufen, wenn man sich, wie ich im Fall der Jahrescharts 2020, durch weit über 1000 Titel hört, natürlich mehrfach, weil vieles beim ersten und zweiten Hören einfach durchflutscht und man nur ja nichts aus den Ohren verlieren will.


(Der Völler, von Georg Emanuel Opiz, 1804)

Wer kann und soll sich das alles anhören? Wer hat die Zeit dafür, wer Lust darauf? Gute Fragen, die uns sofort zur Art und Weise führen, wie die meisten von uns heute Musik konsumieren. Die These (nicht nur meine, sondern auch die wesentlich klügerer Köpfe): Totale Verfügbarkeit führt zu Übersättigung führt zu Gleichgültigkeit. Gerade beim Streamen ist dieses Risiko inhärent. Alles ist immer da, alles steht unterschiedslos nebeneinander. Und verliert damit an Reiz.

Genau das führte der deutsche Soziologe Hartmut Rosa kürzlich in einem Standard-Interview aus: Während man in der analogen Welt „stundenlang in Plattenläden nach der einen Schallplatte gesucht und sie dann wie einen Schatz nach Hause getragen, gehütet und gesammelt“ habe, seien heute auf Spotify 100 Millionen Musiktitel sofort abrufbereit. „Diese permanente Verfügbarkeit und Überforderung führt nun eher dazu, dass uns die Musik gleichgültig wird.“

Hinter dem Überangebot lauert also die Gefahr des musikalischen Relativismus, die Vorstellung, dass „mittlerweile eh alles gleich klingt“, was angesichts einer unendlich ausdifferenzierten Musiklandschaft natürlich ein atemberaubender Blödsinn ist. Aber so unrecht hatte Oscar Wilde wohl nicht, als er schrieb: „In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte, und die andere ist, es zu bekommen.“

Um eines klarzustellen: Das hier soll keine verbitterte Zivilisationskritik sein; so alt bin ich (im Kopf) dann hoffentlich auch wieder nicht. Es wäre dumm, die Vorzüge des Streamings, den niederschwelligen Zugang zu faszinierenden Klängen aus allen Weltgegenden und Epochen, nicht zu nutzen. Aber: Man muss schon verdammt aufpassen, dass dabei die Magie nicht verloren geht.

Zugegeben, der Magieverlust hat natürlich vor allem mit der eigenen Abgeklärtheit bis Abstumpfung zu tun („Alles schon mal gehört, nur besser“), aber schon auch mit den Gesetzen des Mediums. Und natürlich mit dem problematischen Hang (Drang? Zwang?) zum Komplettismus. Wenn man sich selber einredet, nur ja nichts versäumen zu dürfen („Scheiße, das muss ich mir jetzt auch noch anhören“), ist das unter Garantie der beste Weg, sich den Spaß an der Musik zu verderben …

Hinzu kommt: Momentan ist nicht unbedingt ein goldenes Musikzeitalter. Gerade im sogennanten „Indie“-Bereich (worunter ich einmal grob alles von „alternativem“ Rock über Singer/Songwriterei bis Elektropop fasse) klingt vieles zwar recht nett, aber leider oft saft- und kraftlos. Gefällig, aber nicht zwingend. Ohne Punch, ohne Biss. Die Pandemie macht(e) das Ganze freilich nicht besser: Als direkte Folge der – zurecht – erzwungenen Vereinzelung erschien eine schier unüberschaubare Zahl an „intimen“, „innerlichen“, „reduzierten“ und „entschleunigten“ Aufnahmen, an Solo-Performances mit Akustikklampfe und/oder Notebook, die sich vor allem durch eins auszeichneten: Fadesse.

Genau das ist und war – und zwar auch schon vor der Pandemie – ein wenig das Problem mit Sendern wie FM4, speziell mit den Playlists unter Tag: Da ist noch immer viel Gutes und Schönes dabei, aber (zu) vieles, das eher nur dahinplätschert, zu brav und erwartbar daherkommt. (Ob das unter der neuen Senderchefin und dem neuen ORF-General besser wird, scheint angesichts schwer erträglicher Marketing-Statements wie „In seiner Ausrichtung als Jugendradio verfehlt FM4 sein Mission Statement und ist in der erreichten Zielgruppe zu spitz positioniert“ fraglich. FM4 braucht sicher eine Neuausrichtung und Verjüngung, aber bitte wieder mit mehr Ecken und Kanten, nicht mit weniger. Doch ich schweife ab …)

Auch im zeitgenössischen Hiphop geht mir momentan leider vieles bei einem Ohr rein, beim anderen wieder raus. Auch gut Produziertes (und gut produziert ist fast alles) wirkt oft beliebig und unfokussiert. Kann es sein, dass Hiphop mit dem endgültigen Durchbruch als global dominante Musikkultur in weiten Teilen an Frische und (musikalischer) Wucht eingebüßt hat?

Damit aber genug des Negativismus. Auf der Habenseite stehen bei allem Overkill und aller Überforderung auch mit Blick aufs Jahr 2020 wieder diverse schöne Entdeckungen. Mit beträchtlicher Bandbreite: Während die Nummer eins von Khruangbin klingt wie eine Vertonung von Adalbert Stifters „Sanftem Gesetz“ (vielleicht braucht es in Zeiten von Gereiztheit und Polarisierung einfach etwas Versöhnliches) und auch sonst viele Lieder in der Sammlung von Melancholie, Nostalgie und Weltflucht geprägt sind, gab es zuletzt auch auffällig viel Musik auf die Ohren, die im positiven Sinne politisiert, im positiven Sinne zornig ist.

Ob es nun um weibliches Empowerment geht (wie bei Fiona Apple oder Blackbird & Crow), um den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus (wie bei SAULT, Run The Jewels oder Akne Kid Joe) oder um die Pandemie (wie bei gebenedeit), an Dringlichkeit und Sarkasmus fehlt es in all diesen Nummern wahrlich nicht. Die besten Zeilen lieferten dabei übrigens – alle YogalehrerInnen mögen mir verzeihen – Rocket Freudental auf Platz zwei ab:

„Um deine Schilddrüse zu heilen, muss der Energiestrom fließen. / Deshalb legt dir der Axel jetzt seine Hände auf den Wanst.“
ODER
„Weil der Peter schon geimpft ist, darf er nicht zur Masernparty. / Es ist die Energie unserer Natur, die meinem Kind die Kraft verleiht.“

In diesen Zeilen steckt alles, was man über 2020 (und 2021 und leider wohl auch 2022) mit den ganzen aggressiven Schwurblereien und all der offensiven Unvernunft wissen muss.

Und 2021, äh, lässt sich musikalisch sogar wieder um einiges besser an. Apropos: Damit das Ganze hier zumindest etwas mehr Aktualität aufweist, habe ich die Jahrescharts 2020 um einen kleinen, ungeordneten Streifzug durch das Jahr 2021 erweitert, in Gestalt von 25 Songs, die ich heuer gern gehört habe. Und die es vielleicht auch in die  Jahrescharts 2021 schaffen werden, falls es sie denn je geben sollte …

Der Vorsatz fürs neue (Musik-)Jahr ist jedenfalls klar: Den Anspruch auf Vollständigkeit (eh völlig lächerlich) aufgeben – lieber „a weng weniger“, wie Attwenger sagen -, dafür wieder mehr ganze Alben in Ruhe durchhören und die Freude an der Musik bewahren und zurückgewinnen.

Damit nun endlich zur Playlist, die 99 von 100 Titeln umfasst – alle bis auf Stigmata von Backxwash, das offenbar mit ungeklärten Samples zu kämpfen hat und das ich weiter unten verlinkt habe (ist schon allein wegen des heftigen EP-Covers lohnenswert, erst recht wegen des heftigen Songs). Damit die Spotify-Liste trotzdem 100 Songs hat, habe ich übrigens den kürzest- und bestmöglichen Füller eingefügt …

TOP 100 – 2020 (Michael Domanig):

1. Khruangbin – Pelota
2. Rocket Freudental – Ihr seid alle Yogalehrer
3. Smoke Fairies – Don’t You Want To Spiral Out Of Control?
4. Bruch – The Sinner
5. Shortparis – КоКоКо Cтруктуры не выходят на улицы
6. The Haden Triplets – Wayfaring Stranger
7. Anna Calvi – Swimming Pool (feat. Julia Holter) (Hunted Version)
8. Ohmme – Ghost
9. Porridge Radio – Lilac
10. Noga Erez – NO news on TV
11. Austra – Anywayz
12. IDLES – I Dream Guillotine
13. Fiona Apple – Heavy Balloon
14. Skylar Gudasz – Wichita Lineman
15. Backxwash – Stigmata
16. Amnesia Scanner – AS Acá (feat. Lalita)
17. Wire – Hung
18. Chris Lorenzo & The Streets – Take Me as I Am
19. William Basinski – Please, This Shit Has Got To Stop
20. The Sadies – The Most Despicable Man Alive
21. Best Coast – Rollercoaster
22. AKNE KID JOE – What AfD thinks we do …
23. 070 Shake – The Pines
24. Agnes Obel – Promise Keeper
25. Charlotte Brandi – Frieden
26. Melenas – Primer tiempo
27. Masha Qrella – Geister
28. Blackbird & Crow – The Witch That Could Not Be Burned
29. Katie Gately – Waltz
30. Sen Morimoto – Woof
31. Bruch – Bruch
32. All Them Witches – The Children of Coyote Woman
33. Torres – Last Forest
34. The Chap – Help Mother
35. Sufjan Stevens – Video Game
36. The Haden Triplets – Ozark Moon
37. Run The Jewels – Walking In The Snow
38. Hanni El Khatib – ALIVE
39. Porridge Radio – Sweet
40. Shadow Show – What Again Is Real?
41. Baxter Dury – I’m Not Your Dog
42. Soccer Mommy – yellow is the color of her eyes
43. Kevin Morby – Wander
44. Nicholas Lens & Nick Cave – Litany of the Forsaken
45. Mystery Jets – Petty Drone
46. Sparks – Self-Effacing
47. Bob Mould – Forecast of Rain
48. Wire – Off The Beach
49. The Jayhawks – Little Victories
50. Fiona Apple – Under The Table
51. SAULT – Hard Life
52. Westerman – Think I’ll Stay
53. Holy Motors – Matador
54. Ariel Sharratt & Mathias Kom – Rise Up Alexa
55. Melenas – No puedo pensar
56. Lonker See – Open & Close
57. Coriky – Say Yes
58. Porridge Radio – 7 Seconds
59. Khruangbin & Leon Bridges – Texas Sun
60. Pottery – Texas Drums Pt I & II
61. Elvis Perkins – See Monkey
62. Agnes Obel – Broken Sleep
63. Future Islands – For Sure
64. Einstürzende Neubauten – Grazer Damm
65. Run The Jewels – Ooh LA LA (feat. Greg Nice & DJ Premier)
66. Jason Isbell and the 400 Unit – Running with Our Eyes Closed
67. Melenas – 3 segundos
68. Steve Earle & The Dukes – Black Lung
69. Burna Boy – Onyeka (Baby)
70. Holy Motors – Country Church
71. Animal Collective – Piggy Knows
72. Tiña – Golden Rope
73. Wandl – Requiem (Erkennung)
74. Die Ärzte – ICH, AM STRAND
75. Lola Marsh – Darkest Hour
76. Sparks – Left Out In The Cold
77. Ohmme – Twitch
78. Austra – Mountain Baby (feat. Cecile Believe)
79. Fleet Foxes – Featherweight
80. Biig Piig – Feels Right
81. SAULT – Free
82. Khruangbin – So We Won’t Forget
83. R.A. The Rugged Man – Gotta Be Dope (feat. A-F-R-O and DJ Jazzy Jeff)
84. Ohmme – Flood Your Gut
85. Holy Motors – Endless Night
86. Skyway Man – Old Swingin‘ Bell
87. Earl Mobley – For You to Hide
88. King Hannah – Meal Deal
89. SAULT – Fearless
90. X – Cyrano DeBerger’s Back
91. Jeff Tweedy – A Robin or A Wren
92. Pearl Jam – Who Ever Said
93. Phoebe Bridgers – I Know The End
95. Smoke Fairies – Elevator
95. Earl Mobley – The Barrel
96. Saint Gallus Convention Tapes – Smokestack Lightnin‘
97. Kacy & Clayton and Marlon Williams – Light Of Love
98. Death Valley Girls – Under the Spell of Joy
99. gebenedeit – Die Viren sollen krepieren
100. Von Seiten der Gemeinde x Da Kessl – Be Prepared

Und hier als Bonus, völlig ungeordnet, 25 schöne Songs aus dem Jahr 2021:

2021 – ANSPIELTIPPS:
– Gashtla – Computermusik [Krankl Kicks]
– Danger Dan – Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt
– Noga Erez – Cipi
– Parquet Courts – Black Widow Spider
– CAT SFX – Upside Down
– Twin Shadow – Johnny & Jonnie
– Mogwai – Richie Sacramento
– Little Simz – I Love You, I Hate You
– Sophia Kennedy – Cat on My Tongue
– Attwenger – damlaung
– International Music – Insel der Verlassenheit
– Aldous Harding – Old Peel
– Cid Rim – Last Snow
– Yard Act – The Overload
– Courtney Barnett – Rae Street
– Goat Girl – Badibaba
– Kurt Vile – Run Run Run
– International Music – Misery
– Nation of Language – The Grey Commute
– Low – Days Like These
– Tocotronic – Ich tauche auf feat. Soap&Skin
– Monsterheart – EOTW (End Of The World)
– The Chills – Worlds Within Worlds
– Mogwai – Dry Fantasy
– Attwenger – a weng weniger

Musik zum Fürchten – Verstörendes für verstörende Zeiten

Düstere Nachrichten in Dauerschleife, Lockdown, soziale Abkapselung – und das Wetter ist gerade auch noch richtig scheiße. Wann, wenn nicht jetzt wäre also der richtige Zeitpunkt, an der eigenen Paranoia zu arbeiten, am besten mit ein wenig verstörender Musik?

Wie bei Filmen, Literatur und bildender Kunst stellt sich, das ist zumindest meine persönliche Einschätzung, auch in der Musik eine unheimliche, verstörende Wirkung tendenziell dann ein, wenn die Effekte dezent gesetzt werden, wenn die KünstlerInnen auf Atmosphäre bauen statt auf den akustischen Holzhammer, wenn sie geschickt mit den in uns allen angelegten Ängsten spielen.

In vielen Genres – von handelsüblichem Black Metal bis zum Horrorcore aus der Hip-Hop-Ecke – wird nicht nur bei der Schminke oft zu dick aufgetragen, sondern auch beim Sound, in einer Art Überwältigungsstrategie des Immer-härter-krasser-dunkler. Und auch bei den aktuell schwer angesagten schamanistischen Dark-(Neo-)Folk-Bands von Wardruna bis Heilung (die menschliche Knochen als Rhythmusinstrumente einsetzen und ihre Trommeln auch mal mit etwas Eigenblut weihen) ist es ein schmaler Grat zwischen erhabener Naturmystik und pathetischem Mummenschanz mit Fell und Hirschgeweih.

Wenn es um eine verstörende Atmosphäre geht, ist weniger oft mehr, sind die Andeutung und das Kopfkino oft weitaus wirkungsvoller als das allzu plakative Zeigen und Zurschaustellen. Hier nur einige sehr subjektiv gewählte Beispiele:

Paul Giovanni and Magnet – Maypole
Dass „Wickerman“ (der von 1973, bitte kein Wort über das unsägliche Remake mit Nicholas Cage) zu meinen absoluten Lieblingsfilmen EVER zählt, liegt zu einem nicht geringen Teil an den hypnotischen, sanft unheimlichen und gleichzeitig erhebend schönen Folksongs im Soundtrack. Neben „Maypole“ (mit dem heidnisch-frivolen Maitanz im Film, der den puritanischen Polizeiermittler genauso verstört wie das Publikum) lösen etwa auch „Corn Rigs“, „Gently Johnny“, „The Landlord’s Daughter“ oder „Willow’s Song“ verlässlich den selben wohligen (?) Schauer bei mir aus.

Throbbing Gristle – Hamburger Lady (live)
Das ist der erste und bislang einzige, nun ja, Song, den ich von den berüchtigten britischen Industrial/Noise-TerroristInnen kenne – aber er gibt, gerade in der Liveversion, sicher einen guten Einblick in die nachhaltig verstörende, abseitige Welt der Avantgardeformation rund um die gender-fluide, im Vorjahr verstorbene Genesis P-Orridge. Auch ohne Wissen um das Schicksal, das dem furchterregenden Text zugrunde liegen soll, ist das Ganze eine intensive Erfahrung, wenn man sich, am besten in ohrenbetäubender Lautstärke, darauf einlässt. Wie heftig das 1978 auf eine noch deutlich weniger abgestumpfte und übersättigte Hörerschaft gewirkt haben muss, lässt sich nur erahnen. Schon allein der bizarr neben der Spur liegende Jagdhorn-Ton gräbt sich jedenfalls tief ein.
Dass hier am Ende des Songs ganz leger die Band vorgestellt und mit dem Publikum geschäkert wird, macht den Gesamteindruck nur noch bizarrer …

Amnesia Scanner – AS Acá (feat. Lalita)
Ebenfalls erst heute zum ersten Mal gehört und gesehen: Das aus Finnland stammende Elektro-Duo Amnesia Scanner macht hier mit der Sängerin Lalita gemeinsame verstörende Sache, musikalisch wie auch visuell. Das klingt ein wenig nach Björk auf einem schlechten LSD-Trip oder, wie es in den Kommentaren treffend heißt: „This would be the track Shakira would record if she was possessed by a ghost from colonial times.“ Wüst verfremdeter, leiernder Avantgarde-Noise-Latin-Pop/R&B. Oder so.

Ähnlich fordernd-bizarr (und ja, durchaus ein wenig anstrengend) sind Amnesia Scanner übrigens auch bei Tracks wie „AS Tearless“ und „AS Going“ unterwegs, beide ebenfalls mit alptrauminduzierenden Videos ausgestattet. Dass Amnesia Scanner jedem (!) ihrer Tracks ihre Initialen voranstellen, verstärkt das irritierende Gesamtbild noch weiter.

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Bend it like Krankl – Fußball und Pop in Österreich

Aus dem internationalen (Club-)Fußballgeschehen habe ich mich schon vor vielen Jahren weitestgehend ausgeklinkt. Nicht nur aus Altersgründen (spätestens seit ich selber nicht mehr hobbymäßig kicke, kommt mir der TV-Konsum von Fußballspielen meist schal und sinnlos vor), sondern vor allem weil ich nicht mehr wirklich nachvollziehen kann, wie man heutzutage überhaupt noch „Fußballfan“ sein kann – zumindest Fan jener Handvoll internationaler Spitzenclubs, die die hohe Fußballwelt unter sich aufteilen.

Dafür müsste man nämlich auch Fan von internationalem Hardcorekapitalismus sein (selbstredend ohne gleichberechtigte Wettbewerbsvoraussetzungen, wie sie das Grundkonzept der Freien Marktwirtschaft zumindest theoretisch vorsähe, dafür mit jeder Menge Verzerrungen zugunsten der Großen), man müsste den Grundsatz „Wer das Gold hat, schafft an“ super finden und sich mit den gnadenlosen Selbstvermarktungs-, Selbstoptimierungs- und (sozialen) Bewertungstendenzen unserer Zeit, die im Fußball besonders krass hervortreten, einfach abfinden.

Sicher, das spielerische und athletische Niveau mag heute besser sein denn je, ethnische Diversität ist in praktisch allen Ligen zur Selbstverständlichkeit geworden – aber solche positiven Aspekte sind angesichts der zahlreichen Schattenseiten eines entfesselten Fußballökonomismus nur ein schwacher Trost.

Spannend – und auf den ersten Blick überraschend – ist, dass sich parallel zur Turbokapitalisierung des Fußballs in den letzten Jahren auch ein völlig anderer Trend abgezeichnet hat: jener zur Intellektualisierung (bisweilen wohl auch Überintellektualisierung) des Fußballs. Dass sich Schriftsteller, Historiker, Philosophen, Psychologen, Politologen oder Mathematiker (sorry, leider meistens immer noch Männer) ohne Ironie und intellektuelle Arroganz, sondern ernsthaft mit den vielen Dimensionen des Fußballs beschäftigen, ist längst Alltag. Und auch ein kritischer, alternativer, von Chauvinismus und Nationalismus befreiter Zugang zum Fußball, der Kreativität, Vielfalt und Humor feiert, ist heute von „11 Freunde“ bis „Ballesterer“ keine Seltenheit mehr. Man könnte sagen: Fußball ist endgültig als „Kultur“ akzeptiert.

Und natürlich ist Fußball längst auch Teil der Popkultur im engeren Sinn – mit besonders langer Tradition im Mutterland England (Gerry and the Pacemakers, Lightning Seeds, New Order, Nick Hornby, you name it). Aber auch in Österreich gingen und gehen (Pop-)Musik und Fußball(er) immer wieder Verbindungen ein – mal grottenschlecht, mal bizarr, mal augenzwinkernd, mal wirklich lässig.

Hier nun ein kleiner Auszug an markanten Beispielen ohne auch nur den leisesten Anspruch auf Vollständigkeit:

1. Gashtla – Computermusik [Krankl Kicks] (2021):
Brandneu und brillant. Ein Wiener Hip-Hop-Künstler, erfreulicherweise übrigens mit Kitzbüheler Wurzeln, glänzt mit wunderbaren Wortspenden von Hans Krankl, der uns seine (Musik-)Welt erklärt, vom 70er-Soul bis zum „Schlllager“. Das einzige, was der Nachtfalke nicht mag, ist „diese elektronische Musik, wos heit gspüd wead“. Dass Gashtla just daraus ein grandioses Stück „Computermusik“ baut, ist hintergründig, witzig – und groovig.

2. Johann K. – Lonely Boy (Niemand mag mi) (1986)
Das Kuriosum, dass Sportler selbst zum Mikro greifen, scheint in Österreich traditionell besonders verbreitet, von sangesfreudigen Fußballlegenden wie Herbert Prohaska (übrigens ein Freund und Kenner der Oper und generell des italienischen Liedguts) über das tieftraurige „Potscherte Lebn“ des tragischen Boxers Hans Orsolics (später schön gecovert von „Der Scheitel“) bis hin zu singenden Skistars wie Toni Sailer, Fritz Strobl (Fritz & the Downhill Gang), Rainer Schönfelder, Lizz Görgl und, natürlich, Hansi Hinterseer. Zu einer veritablen Austropopkarriere reichte es beim schon erwähnten Hans Krankl. Seine charmante Version des Paul-Anka-Songs „Lonely Boy“, bis 2019 bei den „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ im Einsatz, ist nur einer von mehreren Hits, beginnend mit „Rostige Flügel“ (zusammen mit Kottan’s Kapelle) bis hin zu „Jingle Bells“ (!).

3. Hans Krankl & Herbert Prohaska – Der Opitz und der Zwirschina (1990)
Und noch einmal Johann K., diesmal im Verbund mit Österreichs beliebtestem „Gute Nacht“-Sager Herbert Prohaska, der hier besonders beherzt, nun ja, singt. Ein schräges Zeitdokument, auch in Sachen Video (und Bartmode). Das Original ist übrigens, an nett-altmodischen Fußball-Austrizismen wie „Eisenbohnaschmäh“ unschwer zu erkennen, deutlich älter, es stammt von Gerhard Bronner und Peter Wehle aus dem Jahr 1957.
„Wir hom als klaane Gschroppn / Ein Ziel vor uns gesehen / Wir wollten sehr berühmt werd’n / und in der Zeitung steh’n / Egal, ob als Verbrecher oder Bundeskanzler gar / So wählten wir den Mittelweg und wurden Fußballstar.“ Zoing!

4. Kurt Razelli – Toni Polster Song (2014)
An Anton „Toni Doppelpack“ Polster kommt man in Sachen Fußball und Musik in Österreich keinesfalls vorbei. Die Palette reicht vom anzüglichen „Toni, lass es polstern“ an der Seite der Fabulösen Thekenschlampen (1997) (mit denkwürdigen Zeilen wie „Toni trifft den Doppelpack, Schlampen trinken Sechserpack“ oder „Der Strafraum ist mein Jagdrevier“ – „Komm, Toni, bitte jag mit mir„) über das jazzig-smoothe „Anton Polster du bist leiwand“ von DJ DSL (vulgo DJ Superleiwand, 1998) hin zu diesem Spoken-Word-Elektro-Track mit Kurt-Razelli-Qualitätssiegel. Merke: Rennen sollen die anderen, der echte Star steht da, wo er stehen muss. Nämlich vorne!

5. Kurt Razelli – Arnautovic Song (2012)
„Scheiße. Bitteschön.“ Einen sozusagen natürlichen Groove (und Schmäh) hat auch Marko Arnautovic. Hier übrigens mit feinem Feature von MC Schneckerl. Nur einer von mehreren gelungenen Razelli-Arnautovic-Tracks (man höre auch „Hey Boys“ oder den „Arnautovic Drama Song“ mit der konkurrenzlosen Zeile „Nimm mir alles, aber nimm mir nicht den Ball“).

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Going out with a bang: Ein buchstäbliches Samplefeuerwerk!

Um es in guter alter und höchst kreativer journalistischer Tradition zu sagen: Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende zu und Silvester steht vor der Tür. In unseren Breitenkreisen bedeutet das für die meisten Leute, dem über die Weihnachtstage angefressenen Winterspeck zusätzlich noch ordentliche Mengen Alkohol beizumengen, sich Vorsätze für mindestens 365 Tage zu machen, welche höchstens 14 Tage anhalten, und diesen Schritt in das eher kurzlebige neue Leben mit Böllern, Raketen und allen anderen Wundern der Pyrotechnik zu feiern. Man kann zu Feuerwerk stehen, wie man will, und es gibt sicher genug, was man daran scharf kritisieren kann, von Umweltverschmutzung bis hin zu in Panik versetzten Haus- und Wildtieren. Aber schön anzusehen sind sie, darauf lasse ich nichts kommen.

Zusätzlich zum optischen Aspekt sind Feuerwerke aber auch ein akustisches Phänomen. Raketen pfeifen, quietschen, prasseln, knallen, sie explodieren scharf und unmittelbar oder dumpf und als vielfaches Echo widerhallend. Ebenso vielfältig sind die möglichen Assoziationen zu diesem Geräuschtumult, vom nostalgischen Schwelgen an unvergessliche Abende mit den Liebsten bis hin zu Analogien zu Kriegs- und Schlachtenlärm. Die meisten Leute dürften aber eher feierliche Assoziationen zum Thema Feuerwerke haben, und auch die Musikwelt bedient sich dieser Bilder und Stimmungen gerne.

Songs, in deren Songtiteln oder -Texten sich Verweise auf die wohl ästhetischste Art der Geldverbrennung finden, gibt es zur Genüge. Ich persönlich denke sofort an den entsprechenden Song von Animal Collective, oder an die Band Explosions in the Sky, welche als instrumentale Truppe zwar schlecht über Feuerwerke singen können, diese aber stets im Bandnamen mittragen. Die meisten anderen denken wohl als erstes an den Song von Katy Perry, und ich weiß jetzt schon, dass er mich nun den restlichen Tag über als Ohrwurm verfolgen wird. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen, und für Interessierte bietet das Internet auch bereits einige Auflistungen von Songs mit „Fireworks“ im Titel. Aber in welchen Songs sind Feuerwerke auch tatsächlich enthalten? Tracks, in denen das Raketengetöse als Sample zu hören ist, sind schon etwas schwerer zu finden, aber nichts desto trotz gibt es einige nette Beispiele und jenen Stücken ist auch dieser Artikel hier gewidmet. Allerdings: Nicht jeder der  gezeigten Tracks schmiegt sich passend in eine feierliche Silvesterplaylist ein und manche Stücke dürften für einige sogar regelrecht ohrenfeindlich sein – wie es für manche Leute eben auch bei echten Knallkörpern der Fall ist.

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Helden von heit (und gestern). 42 Alternativen zum Austropop

42. Das ist bekanntlich die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.

Ganz so groß ist die Reichweite der folgenden 42 Songs, eine kleine Auswahl meiner persönlichen Lieblingslieder aus Österreich, vielleicht nicht. Aber sie zeigt doch auf, was Popmusik in und aus Österreich abseits der indiskutablen Austropop-Schublade alles sein kann. (Und dient mir zugleich als Pubquiz-Playlist. Aber das ist eine andere Geschichte).

Wham dich doch selbst! Akustischer Selbstschutz für die Weihnachtszeit

Weihnachten – das ist jene Zeit im Jahr, wo sich die Menschen kulinarisch und musikalisch noch Härteres zumuten als sonst: Karpfen, Kokosbusserln und Chris Rea. Weihnachtsgänse, Vanillekipferln und War is over. Und in Kärnten spielte ein besonders lustiger Regionalradio-„DJ“ gleich volle zwei Stunden lang „Last Christmas“ – was auf einem typischen Glühkindlmarkt eh niemandem auffallen würde, dafür aber einige Rückschlüsse auf den Kärntner Humor und den Zustand der österreichischen Privatradios im Allgemeinen zulässt.

Mit einem Wort: Es sind harte Zeiten, für den Magen und für die Ohren. Als Therapie helfen da nur ein paar rasch verabreichte, hochdosierte akustische Vitaminstöße (die entweder dem schon fast wieder abgelaufenen Musikjahr 2015 entstammen oder mir zumindest erst heuer untergekommen sind). Meine Jahrescharts 2015 gibt’s dann wie gewohnt in zwei bis drei Jahren. Hoffentlich …

1. Sleater-Kinney – A New Wave

Stichwort Jahrescharts: Da werden sich Sleater-Kinney, einst Heldinnen der Riot-Grrrl-Bewegung, nun rrreaktivierte Riot-Ladies, ganz bestimmt wiederfinden. Denn besser haben die verehrungswürdige Carrie Brownstein (die man auch aus der rundum genialen Hipster-Satireserie Portlandia kennen könnte und sollte) und ihre Bandkolleginnen nie geklungen.

2. Ezra Furman – Restless Year
Stichwort besser denn je: Das gilt auch für Ezra Furman aus Chicago: Wer den Mann nur von seinem FM4-Hit „Take off your sunglasses“ kennt und als typisches Indie-Schmindie-Hipster-Leichtgewicht abgespeichert hat, könnte falscher nicht liegen. Gerade live – und zuletzt auch auf seinen Platten – ist Mr. Furman eine einzige wilde Energieeruption, nachzuprüfen übrigens am 24. Februar 2016 im Weekender Club zu Innsbruck, wo ich ihn bereits 2014 erleben durfte, bei einem der besten Konzerte der letzten Jahre.

Mit „Restless Year“ und „Lousy Connection“ hat Furman heuer zwei meisterliche Singles vorgelegt. Manisch, panisch, hysterisch, psychotisch und absolut mitreißend. Ach ja, geblümte Kleider und Lippenstift trägt der Furman Ezra live auch ganz gerne.

3. FFS – Piss off
Stichwort geschminkte Männer in Frauenkleidern. Dieses Phänomen nennt man gemeinhin auch: Glamrock. Womit sehr elegant der Bogen zu den Sparks gespannt wäre: Die Helden des exaltierten Elektro-Glam, schon seit den frühen 70ern einschlägig tätig, haben sich mit den Nachgeborenen von Franz Ferdinand auf ein Packl g’haut (beide Bands sind Fans der jeweils anderen Formation) und heuer als FFS ein allseits hochgelobtes Album von der Leine gelassen.

„Unterproduziert“ kann man das Ganze zwar nicht unbedingt nennen, aber den Spaß, den die Bands beim Aufnehmen ganz offenbar hatten, hört man in jeder Sekunde. Und wer auf einem Kollabo-Album einen augenzwinkernden Battle-Song namens „Collaborations Don’t Work“ unterbringt, hat sowieso alles richtig gemacht.

4. Adult Books – In Love Again
Stichwort alles richtig gemacht: Das gilt auch für die Adult Books aus Kalifornien. Vom verruchten Bandnamen bis zum zeitlos-geradlinigen Punksound stimmt hier jede Zutat im Gesamtrezept. [Danke für den Tipp an den wertkonservativen Rockisten Wolfgang Doebeling und seine feine Sendung. Und für den Hinweis auf die Sendung wiederum ein kräftiges Vagöt’s God an Kollegen Phil]. Das Label der Erwachsenenbücher bezeichnet deren Sound übrigens als „surf thrillpop“. Äh, okay.

5. Culturcide – They’re not the world
Stichwort schwierige Genrezuordnung: Für die berühmt-berüchtigte Formation Culturcide aus Houston, Texas (sic!), sind die meisten gängigen Stilschubladen definitiv zu eng. Ist das experimenteller Punk? Ist das trashiger Elektro-Noise? Ist das musikalische Leichenschändung?

Auf jeden Fall war das, was Culturcide auf ihrem 1986er-Album „Tacky Souvenirs of Pre-Revolutionary America“ angerichtet haben, seiner Zeit weit voraus: In bester Guerilla-Punk-Manier wurden da fremde (und schöne!) Songs von David Bowie bis Bruce Springsteen gekapert und mit billigstem Equipment dekonstruiert, radikal umgedeutet. Ohne jeden Respekt, dafür mit umso sarkastischerem und konsumkritischerem Humor. Und all das natürlich, ohne die Künstler um Erlaubnis zu fragen (die sie eh nie erteilt hätten).

Das Ergebnis dieser feindlichen Übernahme nimmt die Medienkritik von „maschek“ ebenso vorweg wie den Bastard-Pop der Nullerjahre oder den unverschämten „Shred“-Gedanken.

Und schon zwanzig Jahre vor dem nicht minder genialen DJ Koze vulgo Adolf Noise hatten Culturcide die Idee, dem millionenschweren, selbstzufriedenen, scheinheiligen „USA for Africa/Live Aid/you name it“-Benefizkitsch eine sarkastische, sozialkritische Ohrfeige zu verabreichen.

Womit natürlich nichts gegen Idealismus und soziales Engagement gesagt sein soll, im Gegenteil. Aber gerade zu Weihnachten, wo sich alle wieder einmal in steuerschonender Wohltätigkeit überbieten (besonders die, die sich ansonsten durch gelebte Gleichgültigkeit und Ellbogentechnik auszeichnen), tut diese Attacke im Geiste des Punk einfach verdammt wohl.

„There comes a time / when rockstars beg for cash (…) and they think they’re the greatest gift of all. (…) They’re not the world / they’re not the children / they’re just bosses and bureaucrats / and rock ’n‘ roll has-beens. (…) If children are starving / let ‚em drink Pepsi. (…) There’s a choice we’re never given: to run our own lives. / Without it, your better day is just a better lie.“

In diesem Sinne: Frohes Fest!

EINSAME KUNSTWERKE, SCHIMMLIGES BROT: DIE ZEHN SELTSAMSTEN SONGTHEMEN

Liebe und Triebe, Eifersucht und Gier, Einsamkeit und Depression, politische Unterdrückung und Widerstand, harte Drogen und schnelle Autos: Unzählige Songs in unterschiedlichster Qualität wurden und werden zu großen Themenkomplexen wie diesen geschrieben.

Aber was ist mit den etwas abseitigeren Facetten des Alltags, mit den Randerscheinungen und Spezialthemen? Wo sind die Songs über Leihbibliotheken und Schwarzbrot? Warum singt niemand über das traurige Los von wertvollen Ölgemälden oder die Schönheit des Wäschetrocknens? Wer setzt Einzelhandelsangestellten oder fast vergessenen Fußballclubs ein Denkmal?

Moment. Zu all diesen entlegenen Themen gibt es ja wirklich Songs! Und manche davon sind alles andere als schlecht, einige sogar richtig berührend. Merke: Offenbar ist kein Thema zu klein, um ein großes Lied darüber zu schreiben. Hier also eine kurze, völlig unrepräsentative Auswahl ganz schön seltsamer Songthemen:

1. DIE POESIE DES WÄSCHETROCKNENS:

Minimalistisch, kauzig, eigensinnig: „Kofelgschroa“ machen urbayerische Blasmusik, kreuzen sie aber mit den repetitiven, Trance-artigen Strukturen der elektronischen Clubmusik und einem Hang zu ausgedehnten Improvisationen. Und mit höchst reduzierten Texten, die umso mehr Raum für Assoziationen lassen.

Hinter den scheinbar sinnfreien Zeilen „Die Wäsche trocknet an der Sonne, die Wäsche trocknet auch am Wind. / Die Wäsche trocknet auch am Licht. Wie schön ist das eigentlich?“ könnte also sehr viel mehr stecken. Zum Beispiel eine Hymne an das Leben an sich.

Mit seinem kleinen, aber feinen Pfeifsolo (ab 4:54) würde „Wäsche“ übrigens auch meiner Liste von „Pfeif drauf“-Songs gut anstehen …

2. WÄSCHEWASCHEN IM MÖRDERHAUSHALT:

Bleiben wir noch kurz im Genre der Wäschesongs: Bei Serienkillers hängt der Haussegen schief. Er verdient zwar anständig und hat „‘nen guten Namen“ in seiner Branche. Doch darüber vernachlässigt Er leider seine Pflichten im Haushalt – was Sie naturgemäß stört. Denn merke: „Auch Killer [oder, wie man ergänze möchte, gerade Killer] müssen waschen gehen.“

Dabei sei es doch so simpel, wie die Freundin weiter ausführt: „60 Grad, 90 Grad, 100 Grad. / Pulver rein, Wasserhahn aufgedreht / So einfach kann das alles sein.“

Zugegeben, musikalisch ist es vielleicht nicht außergewöhnlich, was die kurzlebige Hamburger Punkformation „Dackelblut“ da abliefert. Aber der (bizarre) Gedanke zählt. Und eine Band mit einem so wunderbaren Namen (die Vorgängerformation hieß übrigens „Blumen am Arsch der Hölle“, eine der Nachfolgebands, besonders schön, „Oma Hans“) hat bei mir immer einen Stein im Brett.

3. DIE ANSTÖSSIGEN FOLGEN ENGER DAMENBEKLEIDUNG:

Wer mit einem einzigen Song über die optischen Auswirkungen allzu eng anliegender Damenbekleidung das Auslangen findet, sollte sich für diesen hier entscheiden. Schließlich ist er durchaus, äh, eingängig – und bringt sein Anliegen klar auf den Punkt: „The only lips I wanna see / Are the ones that sing.“

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Weihnachten, zucker- und fettfrei

Weihnachtslieder und Weihnachtskekse haben einiges gemeinsam: Sie sind zuckersüß, haben viel zu viele Kalorien – und wenn der eigentliche Anlassfall (nämlich Weihnachten) endlich eintritt, wurde man bereits so oft zwangsbeglückt bzw. so brutal zwangsernährt, dass man sich sogar auf den blöden Jänner freut, nur um ihnen endlich zu entkommen.

Und bevor ich jetzt unter Grinch-Verdacht gerate: Ich mag Weihnachten eh. Und natürlich gibt es auch eine Handvoll ruhmreicher Ausnahmen (und ich rede jetzt nicht von Rumkugeln, sondern von Weihnachtsliedern).

Also lege ich gerne eine kleine Pause beim Geschenkeeinpacken und Festtagstischdecken ein, um euch fünf etwas andere Weihnachtslieder zu schenken – garantiert zucker- und fettfrei:

Eels – Christmas Is Going To The Dogs

„Snow is falling from the sky / like ashes from an urn“: Klar, dass es bei Mr. E, dem Heinrich Heine der Independentszene, auch in einem Weihnachtslied Brüche und melancholisch-traurige Sprachbilder geben muss. Die Musik verrät aber, dass auch in diesem Zyniker eigentlich ein Romantiker steckt.

Wunderschön – und irgendwie sogar besinnlich.

Übrigens: Mit „Everything’s Gonna Be Cool This Christmas“ haben die Eels noch einen weiteren alternativen Weihnachtshit im Gepäck, sogar einen wirklich fröhlichen.

 

Skero feat. Wienerglühn – „Wiener Weihnachtsabend in 3 Akten“

Das Wienerlied lebt – und einer, der entscheidend dazu beiträgt, ist Skero, „Kabinenparty“-Veranstalter und bis heuer Mitglied der heimischen Hip-Hop-Hohepriester „Texta“. Hier ist er zusammen mit der Formation „Wienerglühn“ zu hören (mit der er auch die formidable „Müßig Gang“ betreibt).

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WTF?? Die 20 seltsamsten Songtitel der Welt

„All You Need Is Love“, „Hey Joe“, „Surfin‘ USA“: Nicht alle Songtitel in der Popmusik sind so klar, kompakt und verständlich wie diese. Hier meine persönlichen Top-Twenty der seltsamsten Liedernamen. Scrollen ist erlaubt 😉

20.) Stuck Inside Of Mobile (With The Memphis Blues Again)

Jemand, der solche surrealen Textmassen auftürmt wie Bob Dylan, hat natürlich auch eine ganze Reihe von seltsamen Songtiteln im Fundus („Leopard-Skin Pill-Box Hat“, „Queen Jane Approximately“, „Subterranean Homesick Blues“, „Bob Dylan’s 115th Dream“ …).

Mein Favorit ist aber dieses Meisterwerk vom vortrefflichen 1966er-Doppelalbum  „Blonde on Blonde“. Nicht nur der Titel (und Refrain) wirft Fragen auf, sondern auch der rätselhafte bis dadaistische Text, inklusive lustiger Vertauschungen:  

„But the post-office has been stolen / And the mailbox is locked.“ 
ODER
„And he just smoked my eyelids / And punched my cigarette“.

Wie mein allwissender Freund Wiki-Peda weiß, hat Zeitgenosse John Lennon sogar einen satirischen Seitenhieb auf Dylan und dieses Lied verfasst: „Stuck Inside of Lexicon with the Roget’s Thesaurus Blues Again“. Dylans Texte waren ihm – wie auch manchem Fan – offenbar gar zu obskur geworden.

Hier wird „Stuck …“ von der genialen Chan Marshall vulgo Cat Power interpretiert:  

 

19.) Let’s Make Love And Listen To Death From Above

Ist die Postmoderne im Pop nun eigentlich tot oder nicht? Als wesentliche Kennzeichen des postmodernen Pop gelten ja: Zitate, Samples, Remixes, Soundcollagen, Mashups und andere Formen der Anspielung und Weiterführung.

Wenn man sich den trashigen Elektropunk von CSS aus Brasilien anhört, die in diesem Lied auf das – nie wirklich bekannte gewordene – kanadische Dance-Punk-Duo „Death from Above 1979“ verweisen, ist das postmoderner Zitatenrausch par excellence. Andererseits: Sowohl CSS, als auch Death from Above (die zwischenzeitlich sogar schon aufgelöst waren), scheinen ihren Zenit bereits deutlich überschritten zu haben. Was mich zur Frage zurückbringt: Ist die Postmoderne im Pop nun eigentlich tot?

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