Hier klingt’s nach Pisse!

Konzertbericht: PISSE (Support: JANÖSCH), PMK Innsbruck, 4/02/2018

Und da heißt es oft: Heutzutage sind keine Pionierleistungen mehr möglich, alles wurde schon irgendwann irgendwo von irgendwem gemacht. Ich kann mit Stolz den Gegenbeweis antreten: Zuerst zum Mullerlaufen in Thaur, abends dann zur radikalen Punksause in die PMK – diese bizarre sonntägliche Kombination hat in der Menschheitsgeschichte vor mir noch keiner vollbracht. Behaupte ich jetzt einfach mal.

Nicht, dass das eine besondere Leistung wäre. Aber außer einer gewissen Tendenz zur Anarchie, die beiden Veranstaltungen gemeinsam war, hätte der Kontrast definitiv nicht größer sein können – und die Schnittmenge (= ich) im Publikum praktisch nicht kleiner.

Den ohrenbetäubenden Aufakt (in der PMK, nicht beim Mullerlaufen) lieferten Janösch aus Innsbruck: Brutal geknüppelter Hardcore-Punk mit klanglichem Naheverhältnis zum Metal, wobei der Hauptunterschied in der Länge der Songs (niedrig) und dem Politgehalt (hoch) lag.

Für meinen persönlichen Geschmack war das Ganze – trotz politisch aufgeladener Sprachsamples – deutlich zu brachial und humorlos, dafür aber mit viel gerechtem Zorn gespielt, etwa gegen die „Bonzenstadt Innsbruck“ mit ihren Schlaf- und Alkoholverboten.

Wie sagte es der Ankündigungstext: „Subtil wie ein Faustschlag ins Gesicht“. Oder subtil wie das T-Shirt des Drummers, auf dem der in Tirol so populäre „Es gheat oanfach viel mehr gschmust/glesn etc.“-Spruch kurzerhand in „Es gheat oanfach viel mehr ogstochn“ geändert wurde. Das Publikum ging jedenfalls schon hier vorbildlich ab. So wie im Anschluss bei „Pisse“.

Pisse – schon mal ein exzellenter Name für eine Punkband. Und auch schon alles, was ich im Vorfeld über die Formation wusste. Jetzt ist das übrigens nicht viel mehr, denn Pisse scheinen jede Art von Hey-Wir-spielen-in-einer-Band-Getue oder Personenkult zu verabscheuen. Auch ihr Wikipedia-Eintrag macht das deutlich, wo unter „Aktuelle Besetzung“ Folgendes zu finden ist:

Gitarre, Gesang: Ronny
Schlagzeug: Ronny
E-Bass, Theremin: Ronny
Synthesizer: Ronny

Pisse, so viel ist noch in Erfahrung zu bringe, kommen aus Hoyerswerda in der Oberlausitz (Sachsen), ein Name, den man hierzulande höchstens mit brutalen Neonazi-Attacken in Verbindung bringt. Was man ansonsten noch wissen sollte: Pisse verfügen über gleich zwei Frontshouter (einer Typ asketischer Brillen-Nerd, einer Typ zorniger Wuschelkopf mit Tattoo und Muskelshirt). Und vor allem: Pisse impfen ihren harten „Minimalist Punk“ mit einer heilsamen Dosis schäbiger, jaulender, quietschender Elektronik.

Das klingt erfrischend und vital und verhindert, dass der zackige Deutschpunk ins allzu Brachiale und Martialische abgleitet – was gerade bei diesem Genre ja eine inhärente Gefahr darstellt (und mich persönlich oft ein wenig auf Distanz gehen lässt). Die fiesen Synthie-Klänge passen jedenfalls perfekt ins Klangbild, das sollten eigentlich (wieder) mehr Punkbands so machen. Fazit: Pisse fetzten live gewaltig, klangen mitreißend und energetisch – und genau das zählt bei Punk, mindestens so sehr wie die Message.

Wobei es bei Pisse an Messages erst recht nicht fehlt. Denn ihre eigentliche Stärke sind die Texte, die so sind wie ihre Songs: knapp, prägnant, hart auf den Punkt gebracht. Zu gleichen Teilen sloganhaft, illusionslos und hymnisch. Gewitzt, aber ganz weit weg von jedem Klamauk oder (schreckliches Wort!) Funpunk. Bela B. ist Fan – zurecht.

Eine Kostprobe gab es gleich zu Beginn mit „Alt sein“, einer gnadenlosen Senilitätsfantasie:

Ich möchte alt sein. / Mit einem Krückstock / Will ich einschlagen auf den Fahrkartenkontrolleur!
Und wenn ein Mädchen / Mich anlächelt / Dann ist’s mir gleich / Denn dieser Fisch laicht nicht mehr.

Zum Schluss erfährt der Song dann noch einen Dreh ins Surreale, wenn der Ich-Erzähler den Wunsch äußert, Enten zu füttern – mit Entenfutter, altem Brot und Liquid XTC.

Auch in „Drehtür“ wird die entsetzliche Trostlosigkeit metaphysisch überhöht, indem am Ende der Tod in Gestalt eines Pizzamanns erscheint. Davor heißt es, schmerzhaft präzise formuliert:

In der Drehtür des Lebens / Läufst du immer schön im Kreis / Eine tote Seele / Für die Ewigkeit.
Alles endet so / Wie es einst begann / Du liegst in deinem Bett / Und hast die Windeln an.“

Und später:
„Hier wurdest du gezeugt / hier wirst du sterben / In einem Bett von IKEA“.

Bumm! Das sitzt, das trifft den Nerv vieler Menschen, die sich wundern, warum sie in der Hochleistungs-/Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft einfach nicht so richtig glücklich werden wollen. Das Köpfenicken im Publikum hatte hier sicher nicht nur mit der Musik, sondern auch mit dem befreienden Gefühl zu tun, wenn jemand die eigene Befindlichkeit so auf den Punkt bringt, wie man es selber gerne schaffen würde.

Generell scheinen Pisse von wenig glamourösen Themen wie Alter, Krankheit und Wahnsinn geradezu besessen zu sein, etwa auch in „Ich bin der schönste Mann in der Nervenheilanstalt“ (übrigens von einem Album mit dem WTF-Titel „Mit Schinken durch die Menopause“). Auch im zackigen „Beerdigung“ treffen sie direkt in die Magengrube:

Domestizierte Langeweile / Die sie dir als Fun verkaufen / Tagsüber Selbstverwirklichung / Abends Cua Libre saufen / Tote bringt man nicht mehr um.

Ein weiteres Mal: Bumm!

Selbst erkennen darf man sich – auf welcher Seite des Spektrums auch immer – ebenso, wenn Pisse Mordfantasien auf einer Vernissage entwickeln, voller Zorn auf die an Sektflöten nuckelnden Bobos, deren Zunge „nach Arsch“ riecht – und zwar „von dem edlen Prinzen, der das alles hier bezahlt“.

Überhaupt sind Pisse eine Band, die gern einmal für Irritationen sorgt: Da wippt man gerade noch enthusiastisch mit – und auf einmal singen sie irgendwas von „Kraft durch Freude“. Das löst seltsame Reflexe aus: Was signalisiert man, wenn man da applaudiert? Und: Um was geht’s in dem Song eigentlich? Statt (wie sonst immer) frenetischem Applaus gab es da im Publikum eher ratloses Schweigen – was von der Band lakonisch kommentiert wurde: „Ist völlig okay, da nicht zu klatschen“.

Dass sie jeder Form von Nationalismus oder kollektiver Abgrenzung gelinde gesagt kritisch gegenüber stehen, machten Pisse dann in einem ihrer Hits deutlich – wobei die Slogans „Scheiß DDR“, „Scheiß BRD“ und „Scheiß Europa“ natürlich um „Scheiß Österreich“ und „Scheiß Tirol“ erweitert wurden. Muss ja.

Immer wieder knallten Pisse ihrem – größtenteils wohl doch linksliberalen – Publikum unbequeme Wahrheiten um die Ohren: Etwa wenn sie in „Biertitten“, einem weiteren „Hit“, klarstellten, dass einen Bier- und Popkultur-Konsum noch lange nicht zum Rebellen machen:

Du bist nicht Iggy Pop / wenn du kein T-Shirt trägst / Du bist nicht Michael Jackson / Wenn du rückwärts auf Toilette gehst / Du bist nicht Lemmy / Wenn du dir ein T-Shirt kaufst / Im H&M in Bautzen / Mit Frakturschrift drauf.

Bumm, again! Am Ende mündet der Song, wie so oft, in einen mehr als zitierfähigen Chorus:

Du bist nicht queer / Nur weil du Biertitten hast!

Das Gesamtprodukt Pisse klingt jedenfalls unverwechselbar – weniger abstrakt und sperrig als die „Goldenen Zitronen“, direkter und derber als „Keine Zähne im Maul, aber La Paloma pfeifen“, intelligenter und leichtfüßiger als all die Streetpunk-Flegel.

Das Set war dabei wie die Songs: kurz und knackig, ohne Pipapo (wie Kollege Dave es nannte). Lange Zwischenansagen? Fehlanzeige. Endlose Zugaben? Nur was für dekadente Rockstar-Poser. Nein, hier wurde alles ganz transparent gemacht: „Wir spielen noch zwei Songs, dann vier Zugaben“, kündigten sie schon vorher an. Versprochen – eingehalten. Und aus.

Der Stimmung in der PMK tat das keinen Abbruch. Der Andrang war groß (erst recht für einen Sonntagabend), die Reaktionen enthusiastisch, das Gepoge wild. Und an der Bar stand an diesem Abend statt „Bier/Radler“ einfach „Pisse/Radler“. Was will man mehr?

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