Archiv der Kategorie: Hörabende

Am Tresen in der Telebar

Erster Quarantäne-Hörabend, 17. April 2020:

Die Quarantäne zwingt in allen Bereichen zu Experimenten – im Arbeitsleben (wenn man das Glück hat, noch ein solches zu haben), in Familie und Beziehung, beim Konsum und in der Freizeitgestaltung. Und auch unsere in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Hörabende machten aus dem Notstand eine Tugend und wagten sich gestern erstmals auf neues Terrain.

Wie ist gemeinsames Musikhören, bei dem man sich assoziativ von einem Song zum nächsten hangelt, ausführlich darüber quatscht und Bier trinkt, möglich, wenn jeder zuhause festsitzt? Ausgehen von dieser Frage entwickelte Kollege und Bloggründer Dave die Idee einer „Telebar“ –  und setzte diese auch gleich in die Tat um. Nach einigem Herumprobieren hatte er die technische Einrichtung und Mikrofonierung so hingekriegt, dass die Übertragung von Musik in anständiger Soundqualität per Skype möglich war (in meinem Fall zumindest dann, wenn ich während der Lieder das eigene Mikro stummschaltete – was eh besser ist, damit man nicht zu viel hineinplappert). Die Einrichtung eines privaten Streaming-Servers war in der kurzen Zeit übrigens nicht mehr möglich, soll für weitere Auflagen aber noch folgen – so waren wir vorerst auf kommerzielle Anbieter angewiesen.

Zu den technischen Details kann ich als Digital-Trottel leider keinerlei Auskunft geben. Umso gespannter war ich gestern Abend, ob und wie dieser neuartige Hörabend klappen würde. Fast auf die Minute genau fünf Stunden später, somit schon zu weit fortgeschrittener Stunde, stand fest: Experiment gelungen!

Auch wenn die Reisefreiheit noch auf unabsehbare Zeit eingeschränkt bleibt und viele Konzerthighlights in näherer Umgebung nicht zu den geplanten Terminen möglich sind (z. B. The Düsseldorf Düsterboys, Burial Hex oder das Heart of Noise-Festival in Innsbruck oder das erste Art of Solo-Festival in Kufstein; „doppelseufz“, um die Donald-Duck-Hefte zu zitieren) – eine musikalische Reise ist immer möglich. Die gestrige führte quer durch verdammt viele thematische Schwerpunkte und Genres: Soul und Blues, Punk und New Wave, Stoner-, Psychedelic und Garage Rock, Hip-Hop, Pop und Funk, Synthpop, AOR, Dream und Noise Pop, Country und Billig-Elektronik.

Die Telebar eröffnete auch endlich wieder die Möglichkeit, gemütlich ein paar Bierchen zu trinken, ohne sich für den unsozialen Alkoholkonsum in den eigenen vier Wänden vor sich selbst rechtfertigen (oder darüber Sorgen machen) zu müssen. Auch das Rauchverbot lässt sich in dieser Form der Bar ganz legal umgehen.

In diesem Sinne war es nur folgerichtig, dass zu Beginn des Abends der Schwerpunkt auf Musik lag, die sich textlich und musikalisch dem weiten Feld der legalen und weniger legalen Drogen widmet:
Den Auftakt machte der Klassiker „Rum & Coca Cola“ – sowohl in der Version der First Lady of Rockabilly, Wanda Jackson (produziert von Jack White), als auch im Original des trinidadischen Calypso-Sängers Lord Invader.

Ursprünglich handelte der Song übrigens – Hörabende bilden! – von der überhandnehmenden Prostitution auf Trinidad seit der Stationierung von amerikanischen GIs. Davon blieb in den „weißgewaschenen“ Versionen (z. B. auch jener der Andrew Sisters) freilich nichts übrig.
Auf Sambarock des Trio Mocoto aus Brasilien folgte das großartige Zigaretten-Duett von Princess Chelsea aus Neuseeland (das ich letztes Jahr bei einer Ausstellung zum Thema Rauchen entdeckt habe), gefolgt von der Wienerischen Version der Band Grant (die ich kurioserweise schon kannte, bevor ich vom Original wusste).

Weiter ging es mit dem kuriosen Novelty-Song „Smoke! Smoke! Smoke!“ (1947) von Tex Williams, der im Film „Thank You for Smoking“ an prominenter Stelle eingesetzt wird, mit Muddy Waters, der die Kombination von Champagner und Gras preist, und Drogen-Klassikern von Queens of the Stone Age und J.J. Cale. Atmosphärisch deckten die Songs eine ordentliche Bandbreite ab: denkbar betäubt und träge bei Dope Lemon aus Australien (stimmungsmäßig gefolgt von der formidablen Dusty Springfield), beschwingt bei Rosco Gordon, oder psychotisch bei den Horrorpunks von The Cramps.

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Britischer Grant, himmlische Harmonien, Aktuelles, Kurioses und Funkiges

Protokoll des Hörabends vom 24. & 25. August 2018:

Noch stehen die leeren Flaschen und Gläser am Tisch, noch sind die Chipsbrösel nicht eingesaugt – und schon ist das (hoffentlich halbwegs vollständige) Protokoll des eben zu Ende gegangenen, gleichermaßen geselligen wie unterhaltsamen Hörabends online. Und da soll noch eine/r sagen, unser Blog wäre so langsam und schwerfällig … Das hier hat ja fast schon Live-Ticker-Qualität!

Und weil die Bandbreite eines solchen laaaangen Musikabends immer wieder erstaunlich und im Nachhinein kaum greifbar ist (diesmal reichte die Palette von den Fifties bis 2018, von Wien bis Wales, von Brasilien bis Nigeria, vom Al-Bano-&-Romina-Power-Cover bis hin zum hawaiianischen Tearjerker) gibt es die Songliste diesmal sogar in saubere Themenblöcke geordnet. Dem Autor dieser Zeilen war es ein Volksfest! (Nur dass auf Volksfesten leider nie eine solche Playlist laufen wird).

Zu hören war:

Schlecht Gelauntes von der Insel:
IDLES – Mother
IDLES – Well Done
Goat Girl – Cracker Drool
Goat Girl – Scum
Sleaford Mods – I Can Tell
Hefner – The Day That Thatcher Dies
Blur – Parklife
Mclusky – To Hell With Good Intentions
Future of the Left – The Real Meaning Of Christmas
The Fall – How I Wrote ‚Elastic Man‘

Noise-Rock, Indie und österreichische Polit-Satire aus den 80ern:
Half Japanese – Deadly Alien Spawn
Half Japanese – Put Some Sugar On It
Half Japanese – Sugarcane
Half Japanese – Day And Night
Violent Femmes – American Music
Violent Femmes – Do You Really Want To Hurt Me?
Violent Femmes – Gone Daddy Gone
Drahdiwaberl – Mad Cat Sadie
Drahdiwaberl – Psychoterror
Drahdiwaberl – Jeanny Part 13
Drahdiwaberl – Stechschrittmambo
Violent Femmes – America Is

Himmlische Vokalharmonien:
Beach Boys – God Only Knows
Beach Boys – You Still Believe In Me
Beach Boys – Do It Again
Beach Boys – Little Deuce Coupe
Commander Cody And His Lost Planet Airman – Hot Rod Lincoln
Teenage Fanclub – I Need Direction
Teenage Fanclub – Don’t Look Back
Deep Throat Choir – Be OK
Simian Mobile Disco feat. Deep Throat Choir – Hey Sister
The Bees – Horseman
R.E.M. – Moral Kiosk
R.E.M. – West Of The Fields
Fleet Foxes – White Winter Hymnal
La Luz – Mean Dream
Little Eva – The Locomotion

Aktuelles und Kurioses aus 2017 & 2018:
Cari Cari – Mapache
Cari Cari – Nothing’s Older Than Yesterday
Cari Cari – White Line Fever
Lali Puna – The Bucket
(Kings Of Leon – The Bucket)
Das Lunsentrio – Im Goldenen Hahn (Bumm Bumm Bumm Bumm / Bamm Bamm Bamm Bamm) [Al Bano Carrisi & Romina Power-Cover]
Das Lunsentrio – Das letzte Edelweiss

Quer durchs globale Gemüsebeet – deutscher Elektro-Punk, österreichischer Postpunk, US-amerikanische Jazz/Funk/Disco-Grooves, afrobrasilianische Jazz/Funk/Soul-Sounds, nigerianischer Funk/Elektro/Afrobeat-Frohsinn:
Komplikations – The City
Kreisky – Ein Depp des 20. Jahrhunderts
Kreisky – Veteranen der vertanen Chance
Idris Muhammad – Could Heaven Ever Be Like This [da hat Jamie XX den Refrain von „Loud Places“ geklaut!]
Ed Motta – Dried Flowers
William Onyeabor – Good Name
William Onyeabor – Fantastic Man

Rausschmeißer, von kurios über klassisch und brandneu bis hawaiianisch-nostalgisch:
Jürgen Dose – Todesfalle Haushalt
Rocko Schamoni – Der Mond
International Music – Cool bleiben
Buddy Merrill – Beyond The Reef

Kinderchöre und Kurioses, Türkpop und Todescountry. Oder: Mit Udo Jürgens in der Disco! Chronologie eines laaangen Hörabends

Nennt es Faulheit. Trägheit. Den (gescheiterten) Versuch, über die Weihnachtsfeiertage den wochenlang aufgestauten Schlafmangel zu beheben. Auf jeden Fall habe ich meine vollmundige Ankündigung, den jüngsten – schön ausufernden – Hörabend bei mir zuhause rasch in einen – schön ausufernden – Beitrag zu verwandeln, bislang nicht wahr gemacht.

Doch im Sinne meines zweiteiligen Neujahrsvorsatzes (1. Du sollst mehr schreiben! 2. Und zwar nicht im Büro, kapiert?!) möchte ich diese Lücke hiermit füllen. Schließlich war es ein langer, geselliger und, wie ich finde, sehr vergnüglicher Musikabend – der hoffentlich nicht davon überschattet wurde, dass ich mich als kleiner Musikdiktator gebärdet und die Gäste womöglich etwas zu wenig an den „Play“-Button gelassen habe. Aber, hey!, dafür ist man schließlich Gastgeber – um den Besuchern den eigenen Geschmack aufs Auge drücken zu können ;-).

Musikalisch sind wir dabei, um es mal in Fußballkommentatorendeutsch zu sagen, „weite Wege gegangen“: Es gab Kuriositäten und Raritäten, elegante Übergänge und abenteuerliche Stilsprünge, Kinderchöre und Todescountry, Psychobelly und Udo Jürgens (!), Songtitel wie „Prisencolinensinainciusol“ und Bandnamen wie Kiss The Anus Of A Black Cat, aufschlussreiche Neuentdeckungen – und nicht zuletzt erste Einblicke in künftige Jahrescharts (die auf diesem Blog bekanntlich später erscheinen als irgendwo sonst in der nördlichen Hemisphäre).

Trotz meiner etwas schleißigen Mitschrift und des nicht unbeträchtlichen Konsums an (teilweise abgelaufenen) Bierspezialitäten – zwischen beiden Tatsachen besteht womöglich ein Zusammenhang – möchte ich versuchen, im Groben nachzuzeichnen, was an diesem Abend so alles „ging“:

Der Auftakt stand unter dem Motto „Kinderchor im Pop“, mit dem stillschweigenden Zusatz, dass damit NICHT die verzweifelten „Pop“versuche der bedauernswerten Wiener Sängerknaben gemeint sind. Stattdessen gab es Fallbeispiele für – meine – These, dass Musiker besonders gern bedrohliche oder krasse Aussagen in junge Münder legen, etwa bei These New Puritans, die Kinder von „Angriffen im September“ singen lassen („It was September / Holy really. / It was September / This is attack!“). Oder bei den Locas in Love, bei denen die Kleinen u. a. folgenden schönen Satz krähen: „Dieses verdammte Deutschland hat mich dazu getrieben!“

Mit der „Nature Anthem“ von Grandaddy gab es aber auch ein Liedbeispiel zu hören, in dem der Kinderchor für die Sehnsucht nach der Unbeschwertheit, Unschuld und selbstverständlichen Naturverbundenheit der Kindheit steht. Und zugleich gab es damit den willkommenen Anlass, noch weiter in die Musik dieser tollen Band vorzudringen.

Kollege Stefan trat dabei den Beweis an, dass das komische „Pling“-Geräusch in Grandaddys formidabler Single „Now It’s On“ (ca. ab 1:19) genauso klingt, als wäre es dem Soundtrack zum Amiga-Computerspiel „Blood Money“ entsprungen:

Nach einem weiteren düsteren Kinderchor-Abstecher zu den Cramps ließ dann auch noch der Leinwandschönling (wie man früher gesagt hätte) Ryan Gosling mit Dead Man’s Bones die Goldkehlchen singen und die Zombies tanzen. PS: Und weil die kleinen Racker so herzig sind, wird es hier am Blog in Bälde einen eigenen Beitrag zum Themenkreis Kinderchor goes Pop/Rock/Grindcore geben. Großes Indianerehrenwort!

Vom Kindergarten ging es in der Folge schnurstracks zum nächsten Soundschwerpunkt in die Türkei und – weil man als Eurozentrist ja alles gern über einen Kamm schert – auch gleich in den „arabischen Raum“ und nach Westafrika. Die großartigen Moğollar entführten in die faszinierende, hierzulande weitgehend unbekannte Welt der türkischen Psychedelia (auch: Anadolu Rock), in der Rockmusik westlicher Prägung mit Rhythmen, Harmonien und Instrumenten aus der türkischen Volkskultur aufs Hypnotischste zusammenfand:

Wie aufregend solche musikalischen Grenzüberschreitungen klingen – die im autoritären politischen Klima dies- und jenseits des Bosporus wohl kostbarer denn je sind – beweisen auch neuere Formationen wie Baba Zula mit ihrem „Oriental Dub“ bzw. „Psychobelly“ (schließlich gibt’s bei den Konzerten auch leibhaftigen Bauchtanz!).

In der Folge führte die Reise über israelisch-jemenitische Klänge (A-WA) oder betörenden Tuareg-Blues (Tinariwen) bis zum malischen Großmeister Ali Farka Touré.

Der Schritt zu den amerikanischen Indie/Punk/Alternative-Country-Pionieren Camper Van Beethoven war dann nur scheinbar ein großer: Schließlich passt deren surrealer Politpop-Klassiker „Take The Skinheads Bowling“ heute (leider) ebenso gut ins politische Klima wie 1985. Und ihr schräger Zugriff auf Status Quo ist ebenfalls unwiderstehlich:

Apropos schräg: Die nächsten (mindestens) zwanzig Hörabend-Minuten gehörten einem US-Künstler, der seit Jahren verlässlich zwischen Genie und Wahnsinn, göttlichen (Dreampop-)Melodien, blöden Sprüchen und verstrahltem LoFi-Trash oszilliert, nämlich Ariel Pink, dem Syd Barrett für das 21. Jahrhundert. Mit „Dedicated To Bobby Jameson“ hat er gerade wieder einen überzeugenden Beweis seiner Klasse – und seiner Seltsamkeit – abgeliefert. Sunshine, wrapped in rainbows!

Wer Dreampop sagt, muss auch Shoegaze sagen. Und wer Shoegaze sagt, muss auch Slowdive sagen. Zumal die Legenden nach schlappen 22 Jährchen 2017 ein Comeback-Album veröffentlicht haben, wie ich an diesem Hörabend erfuhr – und noch dazu ein rundum gelungenes. Für mich nicht das letzte Aha-Erlebnis in dieser Langen Klangnacht!

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Vom Hundertsten ins Tausendste. Oder: Die geballte Macht der Assoziation. Zwei Hörabende

Wie kommt man von Schweizer Elektropop zu Noiserock aus Berlin? Oder vom Black Rebel Motorcycle Club zu Suzanne Vega? Vom vertrackten Avantgarde-Hardcorepunk von Nomeansno zu einer bizarren Ösi-Version von „White Rabbit“? Oder von sphärischem Dreampop zu Wolfgang Ambros und wieder retour?

Sehr einfach: So etwas geht nur bei einem Hörabend in geselliger Runde, also ab zwei Musiknerds aufwärts. Denn das menschliche Gehirn geht schon bei jedem Einzelnen seltsame Wege. Wenn aber mehrere Musikenthusiasten zusammensitzen und das Bier ebenso frei fließt wie die Gedanken, dann greift sie erst so richtig, die geheimnisvolle Macht der Assoziation. Dann kommt man vom Hundertsten ins Tausendste und vielleicht irgendwann wieder zurück zum Ersten. Oder auch nicht.

Ausgerüstet mit jeder Menge Vinyl, CDs, Spotify, YouTube und, ja, hin und wieder sogar einer Musikkassette reist man munter durch die Jahrzehnte und Stile – und lässt sich am besten einfach treiben. Wie so etwas ablaufen kann, zeigen die folgenden Aufzeichnungen der zwei jüngsten Hörabende bis -nächte im gastlichen Heim von Bloggründer Dave.

Sollte die Protokollführung da und dort Lücken aufweisen oder die Reihenfolge bisweilen etwas durcheinander geraten sein, bitte ich, gnädig darüber hinwegzusehen – schließlich wird das Mitschreiben mit steigendem Durst nicht gerade einfacher. Aber hier gilt, was schon Faith No More wussten: Oh it’s a dirty job / but someone’s gotta do it.

Hörabend am 1. Dezember 2017:
Die musikalische Reise führte zunächst „Von Bullerbü nach Babylon“ – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Kollege Dave hat nach dem vorhergehenden Hörabend, bei dem wir zufällig über das großartige „Hubschraubereinsatz“ von Foyer des Arts gestolpert waren (da hatte das lästige Autoplay von YouTube endlich mal sein Gutes), nicht lange gefackelt und sich den dazugehörigen Albumklassiker aus meinem Geburtsjahr 1982 gleich auf Vinyl besorgt. Beim Hören zeigte sich, dass die Avantgarde/Trashpop/Dada-Band rund um den Dichter Max Goldt neben ultraschrägen NDW-Experimenten auch düstere New Wave/Postpunk-Sounds beherrschte („Olympia“). Und bei Songtiteln wie „Familie und Beatmusik“ kommt sowieso große Freude auf.

Weiter ging es in die Schweiz zu den Elektro-Pionieren Yello rund um den schmierig-eleganten Schnauzbartträger Dieter Meier. Dass die berühmte Auftrittsmelodie, zu der der Duffman bei den Simpsons sein mit Bierdosen umgürtetes Becken rhythmisch vor und zurück schiebt („Oh Yeah“), aus ihrer Feder stammt, war mir ebenso neu wie die Tatsache, dass diese Band bis heute verdammt frisch klingt.

Über den psychedelischen Wahnsinn von King Gizzard & The Lizard Wizard und die eleganten Tame Impala arbeiteten wir uns schrittweise Richtung Hard- und Bluesrock vor, etwa zur heute völlig obskuren britischen Hardrock-Formation Stray (eine Entdeckung aus der Obwaller’schen Vinyl-Schatzkiste, die offenbar vor den Ohren des Vaters keine Gnade fand) bis hin zu aktuellen Formationen, die keine einschlägiges Sound- und Bühnenklischee auslassen (Rival Suns oder The Weight aus Österreich).

Nach der ersten Rauchpause, die ich mit Folk- und Psychedelic-Klängen vom sehr schönen neuen Rolling-Stone-Sampler übertauchte (Tony, Caro & John, Nick Garrie) gab Hausherr Dave (Hashtag: „Do hatt i aa a Plottn dazua …“) Einblick bzw. Einhör in seine umfangreichen Bestände aus den Haupt-, Neben- und Nebennebenstraßen der Rockgeschichte, von Hank Davis bis Roky Erickson. Alleskönner Chuck Prophet wurde mit Green-on-Red und Solowerken gewürdigt, ehe der mir zuvor gänzlich unbekannte Mel Tormé aufzeigte, was unter klassischer Jazz-Crooner-Eleganz zu verstehen ist.

Der Übergang zu Nomeansno (auch schon Fixstarter beim Hörabend zuvor) hätte nicht abrupter ausfallen können. Aber, hey!, sanfte Übergänge gibt’s bei den kanadischen Noise/Hardcore/Progressive-Punk/Mathrock-Genies erst recht nicht. Dafür aber atemberaubende Stil-, Takt- und Stimmungswechsel und eine ungezügelte, raue Energie, die einen auch beim wiederholten Hören jedes Mal umbläst. (Nur über die Frage, ob die Bässe und Rhythmen bei Nomeansno nun doch irgendwie „funky“ klingen oder nicht, konnte sich die Zuhörer-Runde bis zum Schluss nicht einigen …)

Weiter ging die muntere Fahrt mit kräftigem Rock von Neuseeland (The Datuns) bis Österreich (Baguette), beim Runterkommen half u. a. der 70er-Jahre-R’n’B von Creative Source. Nach dem theatralischen Voodoo-Wahnsinn von Screamin‘ Jay Hawkins (von Hörabend-Teilnehmer Joe treffend als „ein schizophrener Zirkusdirektor auf Acid“ charakterisiert) ging es in die nächste Rauchpause, in der ich mir verführerische französische Elektro-Chansons von L’Imperatrice oder auch rauen Postpunk von meinen alten Helden Mission Of Burma gönnte – und schon mal den Weg für das amerikanische Folkrock-Wunderkind Kevin Morby freimachte.

In der Folge wurden u. a. unerwartete musikalische Parallelen zwischen dem Black Rebel Motorcycle Club und der großen Songwriterin Suzanne Vega deutlich, ehe es mit Black Crack und Justice Hahn besonders düster und räudig-schön wurde.

Die Wendungen wurden in Folge immer schräger, wie es halt so ist, wenn man „under the influence“ durch die Musikgeschichte rast: Da liegen der Soundtrack zum Dennis-Hopper-Film „The Hot Spot“ – mit Giganten wie John Lee Hooker, Miles Davis und Taj Mahal – und das wüste Gitarre-Schlagzeug-Inferno des deutschen Noise-Duos Dÿse plötzlich nur noch einen Häuserblock voneinander entfernt. Da biegt unvermittelt Ska-Pionier Prince Buster um die Ecke – und an der nächsten Kreuzung tauchen dann auf einmal die New Yorker Alternative-Hip-Hop-Helden A Tribe Called Quest auf, nur um umgehend wieder von Gitarrenmeister Jeff Beck abgelöst zu werden, der sich vor Stevie Wonder verneigt …

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Schnitzel und Suchtgift, Desert Rock und Dub, Blasmusik und Beckenbauer

Der gestrige HÖRABEND im bestens ausgestatteten Musik-Zimmer von Blog-Mitbetreiber Dave fand in kleinstmöglicher Besetzung statt. Umso größer war dafür der musikalische Bogen, der dort ab Nachmittag bis weit nach Mitternacht gespannt wurde.

Der Auftakt war laut, wild und ganz schön (!) trashig: Denn Kollege Dave ließ den Sampler „Beat From Badsville (Vol. 1)“ auf dem Plattenteller rotieren, eine Sammlung ultraobskurer Fundstücke aus den 50er und 60er-Jahren, irgendwo zwischen „Lip Curling Rock’n’Roll“, „Instrumental Madness“ und „Ghoulish Exotica“, zusammengetragen von zwei Spezialisten für das Abseitige und Abgründige, nämlich Lux Interior und Poison Ivy von den Cramps.

Die Nummern auf diesem Sampler tragen programmatische Titel wie „Bongo Beatin‘ Beatnik“, „Jibba Jab“, „Tight Skirt, Tight Sweater“ oder „From The Top Of Your Guggle (To The Bottom Of Your Zooch)“, zeigen den Rock ’n‘ Roll also in einer Phase, bevor er ernst und kunstbeflissen wurde. Dafür gibt es Lärm, Energie und jede Menge irres Gelächter wie aus einer abgehalfterten Geisterbahn.

Beat from Badsville

Apropos schurkisches Gelächter, Gruselfilmatmosphäre und seltsame Hörspieleffekte: All das findet man auch auf dem im Vorjahr erschienenen Sampler „Schnitzelbeat Vol. 1“, auf dem sich „Twisted Rock-n-Roll, Exotica & Proto-Beat Unknowns“ der Jahre 1957-66 ein Stelldichein geben. Das Besondere daran: Alle Protagonisten stammen aus Österreich. Die unterhaltsamen Einblicke in dieses weitgehend vergessene Kapitel heimischer Popgeschichte ist einem jungen Plattensammler mit dem Künstlernamen Al Bird Sputnik zu verdanken.

Einige Filetstücke durfte ich gestern präsentieren, zum Beispiel:

  • Frank Roberts – Maloja (1957): Ein auf Kuba angesiedeltes Mini-Hörspiel rund um Liebe, Triebe und Eifersucht („Heiß brennt mein Verlangen, Maloja …“), vorgetragen von einem gewissen Frits Fronz, der sich später als Regisseur von halbseidenen (oder wohl eher viertelseidenen) Filmen wie „Sex-Report blutjunger Mädchen“ oder „Baron Pornos nächtliche Freuden“ (k)einen Namen machte.
  • The Austrian Evergreens – Tabu (1962): Eine ebenso mitreißende wie durchgeknallte Interpretation des (in Insiderkreisen) bekannten Exotika-Themas „Tabu“.
  • Johnny & The Shamrocks – Biggy’s Little Car (1965):  Eine Instrumental-Perle irgendwo zwischen Beat, Surfrock und Kriminalfilm-Soundtrack.
  • Ferry Graf – Hotel zur Einsamkeit (1958): Eine gar nicht mal so üble Coverversion des Elvis-Krachers „Heartbreak Hotel“, die der Allround-Unterhalter Ferry Graf mit genau der richtigen Portion Schmalz zum Besten gibt.
  • Die 4 Bambis – Inka City 60 (1960): Eine bizarre Reise in die „grüne Hölle“ des südamerikanischen Dschungels, in der schon so mancher Glücksritter für immer verschwunden ist. „Die 4 Bambis“, später nur noch „Bambis“, waren schon zu Beginn des Abends mit ihrem unheimlich (!) kitschigen Tränendrüsendrücker „Melancholie“ zu hören gewesen, den ich hiermit David Lynch für seinen nächsten Film dringend ans Herz lege!

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Weiter ging es in und mit Österreich, diesmal allerdings mit frühen Punk- und New-Wave-Klängen. Zu hören waren unter anderem:

  • Chuzpe – Terror in Klein-Babylon
  • Mordbuben AG – Mordbuben AG; Heimatland; Mi hat, mi hat der Größenwahn
  • Mini-Sex – Valium, Tropic Chaotic

All diese Nummern stammen vom legendären „Wiener Blutrausch“-Album, dem ersten österreichischen Punk-Sampler aus dem Jahr 1979. Während Chuzpe für radikalen, systemkritischen Politpunk standen, gab’s bei der Mordbuben AG großmäulig-proletarische Botschaften von der Straße – und bei Mini-Sex scharfkantige, unterkühlt-elektronische New Wave-Klänge, die mit ihrem wilden Sprachenmix sogar Falco vorwegzunehmen scheinen. „Valium“ hätte übrigens auch zum Drogen-Schwerpunkt an diesem Abend gepasst. Doch dazu später mehr …).

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