Um es in guter alter und höchst kreativer journalistischer Tradition zu sagen: Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende zu und Silvester steht vor der Tür. In unseren Breitenkreisen bedeutet das für die meisten Leute, dem über die Weihnachtstage angefressenen Winterspeck zusätzlich noch ordentliche Mengen Alkohol beizumengen, sich Vorsätze für mindestens 365 Tage zu machen, welche höchstens 14 Tage anhalten, und diesen Schritt in das eher kurzlebige neue Leben mit Böllern, Raketen und allen anderen Wundern der Pyrotechnik zu feiern. Man kann zu Feuerwerk stehen, wie man will, und es gibt sicher genug, was man daran scharf kritisieren kann, von Umweltverschmutzung bis hin zu in Panik versetzten Haus- und Wildtieren. Aber schön anzusehen sind sie, darauf lasse ich nichts kommen.
Zusätzlich zum optischen Aspekt sind Feuerwerke aber auch ein akustisches Phänomen. Raketen pfeifen, quietschen, prasseln, knallen, sie explodieren scharf und unmittelbar oder dumpf und als vielfaches Echo widerhallend. Ebenso vielfältig sind die möglichen Assoziationen zu diesem Geräuschtumult, vom nostalgischen Schwelgen an unvergessliche Abende mit den Liebsten bis hin zu Analogien zu Kriegs- und Schlachtenlärm. Die meisten Leute dürften aber eher feierliche Assoziationen zum Thema Feuerwerke haben, und auch die Musikwelt bedient sich dieser Bilder und Stimmungen gerne.
Songs, in deren Songtiteln oder -Texten sich Verweise auf die wohl ästhetischste Art der Geldverbrennung finden, gibt es zur Genüge. Ich persönlich denke sofort an den entsprechenden Song von Animal Collective, oder an die Band Explosions in the Sky, welche als instrumentale Truppe zwar schlecht über Feuerwerke singen können, diese aber stets im Bandnamen mittragen. Die meisten anderen denken wohl als erstes an den Song von Katy Perry, und ich weiß jetzt schon, dass er mich nun den restlichen Tag über als Ohrwurm verfolgen wird. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen, und für Interessierte bietet das Internet auch bereits einige Auflistungen von Songs mit „Fireworks“ im Titel. Aber in welchen Songs sind Feuerwerke auch tatsächlich enthalten? Tracks, in denen das Raketengetöse als Sample zu hören ist, sind schon etwas schwerer zu finden, aber nichts desto trotz gibt es einige nette Beispiele und jenen Stücken ist auch dieser Artikel hier gewidmet. Allerdings: Nicht jeder der gezeigten Tracks schmiegt sich passend in eine feierliche Silvesterplaylist ein und manche Stücke dürften für einige sogar regelrecht ohrenfeindlich sein – wie es für manche Leute eben auch bei echten Knallkörpern der Fall ist.
Japandroids – The Nights of Wine and Roses / Continuous Thunder
Das Indie Rock Powerduo Japandroids bedient sich ganz klar den feierlichen und lebensbejahenden Assoziationen von Feuerwerken. Das hätte man auch schon allein am Albumtitel „Celebration Rock“ erahnen können, aber auch die Texte sind ein aus Worten gemauerter Jungbrunnen randvoll mit gedanklichen Kamerafahrten durch Szenen voller feucht-fröhlicher Feierlust, durchzechten Nächten und Sehnsüchten nach der sorgenlosen Jugend, wo alles noch ungehemmter und aufregender war. Definitiv eine gute Idee, solch ein Album mit Feuerwerken zu beginnen und den letzten Song auch wieder damit zu beenden.
Fang Island – Dreams of Dreams / Dorian
Ob Japandroids ihre Idee von Fang Island abgekupfert haben? Ihr selbstbetiteltes, 2 Jahre vor „Celebration Rock“ erschienenes Album fängt im Intro ebenfalls mit Feuerwerks-Samples an, welche langsam in triumphale Gitarrenmelodien übergehen und das ebenfalls sehr lebensbejahende Album einleiten, um es im Outro erneut mit Knallen ausklingen zu lassen. Allerdings finden sich hier auch trotz der exakt selben Herangehensweise schon bemerkenswerte Unterschiede in Sound und man hört, wie unterschiedlich Feuerwerk klingen und eingesetzt werden kann.
Patrick Wolf – Bluebells
Der Einsatzbereich von Feuerwerksgeräuschen ist mitnichten nur auf Intros und Outros beschränkt und kann auch einen ganzen Song begleiten. Während das Pfeifen der hochfliegenden Raketen in „Bluebells“ oft fast schon zufällig platziert erscheint und sich nur teilweise in die Stimmung des eigentlichen Songs einfügen will, nehmen die Explosionen fast schon die Funktion von zusätzlicher Percussion ein und pochen und knallen im Takt über die komplette Songlänge hinweg.
M83 – Safe / Let Men Burn Stars
M83 entfernen Feuerwerke noch ein gutes Stück weiter vom Zelebratorischen und Partywütigen und inkludieren sie in einem sehr melancholischen, ja direkt kitschigen zweiteiligen Track inmitten ihres Albums „Before the Dawn Heals Us„. Die Knallkörper wirken dennoch nicht fehlplatziert, Feuerwerk scheint nunmal für alle emotionalen und schwelgerischen Kontexte geeignet zu sein.
Wolf Eyes – Ancient Delay
Wenn man die Geräuschkulisse von Feuerwerk komplett ohne damit verbundene Erinnerungen, gedankliche Verbindungen und nicht als Begleiterscheinung farbenfroher Farbmalereien am Himmel betrachtet, ist sie eigentlich ziemlich emotionslos und kalt, sogar eher martialisch. Wolf Eyes bewegen sich innerhalb des Industrial, Noise und anderer artverwandter experimenteller Musik und arbeiten fast ausschließlich mit unterkühlten, maschinellen und düsteren Sounds. In „Ancient Delay“ gesellt sich zu diesen Klängen eben auch das Pfeifen und Prasseln von Feuerwerkskörpern und fügt sich nahtlos in die Geräuschcollage des repetitiven Brummens und Surrens ein.
Jon Hopkins – Abandon Window
https://www.youtube.com/watch?v=sc1IkYwKCtM
Jon Hopkins ist ein wahrhaftiger Klangperfektionist und kaum ein anderes Album dieses Jahrzehnts ist so detailverliebt in Sound und Produktion und spielt derart feinfühlig sowohl mit treibenden Rhythmen als auch mit ruhigem Klavierspiel und Ambient-Soundteppichen wie „Immunity„. Und obwohl es zu meinen liebsten Alben des Jahrzehnts gehört, wie man an den Lobpreisungen unschwer erkennen kann, und das Album bereits unzählige Male rotierte, habe ich erst jetzt realisiert, dass die entfernten dumpfen Geräusche in der zweiten Hälfte von „Abandon Window“ Feuerwerke darstellen sollen. Allerdings ist es durchaus beabsichtigt, dass man diese nicht sofort als das erkennt, was sie sind. In einem Interview gab er an, die Aufnahme des Feuerwerks (übrigens ein von ihm selbst von einer Dachterrasse aus aufgenommener Mitschnitt einer Olympischen Zeremonie) bewusst stark bearbeitet und verlangsamt zu haben, sodass es nicht mehr wie feierliches Raketenfeuern klingt, sondern eher wie ein weit entferntes Echo oder Nachhallen einer Schlacht.
Nine Inch Nails – Starfuckers, Inc. (The Day the World Went Away)
Okay, hier muss ich weiter ausholen. Dies ist weniger ein Beispiel für Feuerwerkssamples in Musik und mehr ein Beispiel dafür, wie man an Samples kommen und in welchen obskuren Winkeln man diese wiederfinden kann. Dabei ist keiner der Akteure in dieser Geschichte auch nur im geringsten obskur. Man kann nicht nur das zu Ende gehende Jahr mit Pyrotechnik zelebrieren, auch bei fulminanten Stadionrockkonzerten zieht diese Nummer ordentlich. Das wussten auch die Parade-Glamrocker von Kiss. Auf ihrem 1977er Live-Album „Alive II“ beenden sie ihr Konzert mit dem Hit „Shout It Out Loud“ und ließen abschließend die Feuerwerke in die Höhe schießen und die Fans jubeln.
Trent Reznor und sein Projekt Nine Inch Nails haben ohnehin bereits eine eigenwillige Releasehistorie, die „Halo“-Reihe, die man erstmal durchschauen muss. Darüber hinaus existieren von ihren Songs oftmals noch mehrere unterschiedliche Versionen und Varianten. So listet das NIN-Wiki elf verschiedene Versionen ihres Songs „Starfuckers, Inc.“ auf. In einer davon, die sich auf der Single „The Day the World Went Away“ befindet, und nur in dieser, endet der Song überraschend mit den letzten Schreien Gene Simmons auf „Alive II„, den Feuerwerken und den ekstatischen Rufen des Publikums.
Eluvium – Repose in Blue
Um diese Liste abzuschließen bietet es sich natürlich an, wieder einen Künstler zu wählen, der sein Album mit Feuerwerks abschließt. „Repose in Blue“ ist ein gemächliches Ambientstück mit warmen Drone-Teppichen. Viel passiert in den neun Minuten zunächst nicht, vielmehr soll eine Grundstimmung erzeugt werden. Aber welche genau? Emotional ist das Stück recht mehrdeutig, eine gewisse Melancholie ist den Melodien nicht abzusprechen, aber gleichzeitig schwingt auch Positivität und Hoffnung mit. Das ganze gleicht dem Soundtrack eines melodramatischen Films, zu einer Filmszene gegen Ende der Handlung, als sich der ambivalente Plot dann letztendlich doch noch zum Guten wendet, gekennzeichnet durch das plötzliche Einsetzen triumphalen Feuerwerksknallens ab 5:30. Alles löst sich in Wohlgefallen auf, der Moment, das Stück, das Album, und hoffentlich auch das Jahr.
An dieser Stelle sei natürlich allen Lesern und Leserinnen ein ebenso schöner Ausklang des Jahres 2017 gewünscht. Rutscht wie Feuerwerke pfeifend und bunt ins neue Jahr und lasst es krachen, ob nun im wörtlichen oder im übertragenen Sinne!