Von Kauderwelsch und Zufallsgeneratoren

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE # 29:
THE BOOKS – TAKE TIME (2003)

„Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur in ihr zurecht finden.“ Ein Aphorismus, der sehr häufig Albert Einstein zugeschrieben wird. Klingt ziemlich nach kitschigem Wohnzimmer-Wandtattoo und siehe da: Tatsächlich stößt man bei der Suche nach Quellenangaben auf exakt das. Aber in bestimmten Bereichen des Lebens ist es sicher keine schlechte Idee, mehr Wert auf subjektives Wohlfühlen und „Zurechtfinden“ zu legen als auf reines Verständnis. Musik zum Beispiel.

Das Album „The Lemon of Pink“ von The Books ist bei Erstkontakt sehr wirr. Die Songs – wenn überhaupt als solche identifizierbar – wirken eher, als hätte man Interviewschnipsel, Gesangsfragmente und Folkgefiedel, -gezupfe und gestreiche aus allen Erdenwinkeln durch einen Zufallsgenerator gejagt. Man muss in der Schule kein Statistik-Ass gewesen sein, um zu wissen, dass es bei einer zufälligen Aneinanderreihung von allen möglichen Klangpuzzleteilen zwar nicht unmöglich ist, dass etwas Sinnhaftes und Schönes dabei heraus kommt, aber sehr unwahrscheinlich. Aber nicht alles, was auf dem ersten Blick random wirkt, ist es auch. Und mit ausreichend Geduld und Zeit entfalten sich die Ideen auf dem Album auch einigermaßen und man sieht sowohl die Bäume als auch den Wald. Also nehmen wir uns etwas Zeit.

„Take Time“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieser Patchwork-Zugang zu Songwriting gut funktionieren kann und wieso das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Hinter dem wiederkehrenden Gelächter und allen anderen  Sprachsamples sind die warmen, akustischen Instrumente der Klebstoff, der alles formschön zusammenhält. Hinzu kommt das titelgebende, selbst eingesungene „take time“, das sich wie ein Mantra wiederholt. Wobei, in diesem Fall eher wie das stoische Ticken einer alten Uhr. Vor allem gegen Songende hört man das stark betonte K und es wird klar, dass diese Tick-Assoziation nicht von ungefähr kommt. Beinahe so, als hätte man den Songtitel konsequent zuende gedacht, entwickelt der Track eine eigene Rhythmik, die sich bis zum im wahrsten Sinne des Wortes taktvollen Timing der Samples durchzieht.

In diese Collage aus Instrumenten und Stimmen, aus Melodien und deren Manipulationen, floss natürlich einiges an Feinschliff und Liebe zum Detail. Und Zeit eben. Wie viel genau ist schwer zu sagen. Wohl nicht zu wenig, sodass ein rundes Ding dabei herauskam, mit Anfang, Ende und allem dazwischen. Aber auch nicht zu viel, denn es wirkt zu keiner Sekunde verkopft und glatt. Das ist sehr wichtig, da die Leichtfüßigkeit ein großer Teil dessen ist, was den Flair des Albums ausmacht. „The Lemon of Pink“ als ganzes Album ist weit davon entfernt, perfekt zu sein, was auch immer das im konkreten Fall überhaupt heißen soll. Das könnte es auch gar nicht, schließlich klingt das Album derart menschlich, und wann ist etwas schon „perfekt“, wenn es menschelt? Gerade weil sich das Album trotz aller Verfremdungen so vertraut anfühlt, gelingt es ihm jedes Mal aufs neue, mir ein Grinsen ins Gesicht zu zaubern. Die menschliche Komponente wird beispielsweise im Outro „PS“ sehr deutlich unterstrichen. Dieser einminütige Rausschmeißer ist im Endeffekt ein Interview, das The Books mit NPR-Radiomoderatorin Terri Gross geführt haben. Nur hört man dabei nichts vom eigentlichen Interview, sondern stattdessen die Ähms und Öhms, die peinliche Stille und die holprigen Füllwörter. Kein Inhalt, nur die übrig bleibende Essenz des Zwischenmenschlichen.

Es ist also kein filigranes Herummanipulieren an ausschließlich fremden Soundquellen. Es ist in keinster Weise ein zweites „Endtroducing“. Wenn überhaupt, dann der leicht tollpatschige, aber vor Neugier überquellende kleine Bruder davon. Außerdem besteht „The Lemon of Pink“ nicht ausschließlich aus Sampling, Paul De Jong und Nick Zammuto singen (und „singen“) viele Stellen des Albums selbst ein. Vor allem letzterer machte sich in der Indieszene auch durch seine Soloalben einen Namen.

Die Samplequellen erscheinen isoliert betrachtet ähnlich willkürlich wie deren Aneinanderreihung auf dem Album. Mal lauscht man dem Vaterunser, dann einer Stewardess nach erfolgreicher Landung in Japan. Im Anschluss teilt uns Albert Einstein seine Meinung über Mahatma Gandhi mit, einige Minuten später sitzen wir in einem Pasolini-Film. Es fühlt sich an, als sei man ein unbeteiligter Beobachter oder gar ein Geist, und würde ziellos um die Gegend oder gar um die Welt geschickt und lauscht dabei allem, auf das man auf dieser Reise stößt. Dabei horcht man auch in die Köpfe der Menschen hinein, entdeckt Absurditäten, Widersprüche, oder glaubt es zumindest. Hin und wieder versteht man nur Bahnhof. Dabei ist auch nicht immer klar, ob es am eigenen Verständnis scheitert oder ob es sich tatsächlich um Kauderwelsch handelt. Aber ist auch komplett egal, schließlich haben wir gelernt: Man muss nicht immer alles verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden. Könnte zu viel Verständnis dessen sogar für Entzauberung und Desillusionierung sorgen? Um Himmels Willen!

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