HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 17:
ERIC HOLM – STAVE (2014)
Wir haben temperaturtechnisch eine sehr ambivalente Woche hinter uns. Vor allem Mitte der Woche gab es Minusgrade jenseits der 20 trotz Sonnenschein, dann wieder beinahe T-Shirt-Wetter, schneidende Eiseskälte in der Emotionslandschaft jener Singles, die den Valentinstag etwas zu ernst nahmen, dahinschmelzende Herzen bei manch anderen, dahinschmelzender Schnee auf matschigen Gehsteigen, die anschließend erneut zugeschneit werden, dann wieder Sonne. Nach den momentanen paar Tagen angenehmer Schönwetter-Verschnaufpause schreiten wir schon wieder geradewegs der nächsten Kaltfront entgegen. Es wird also höchste Zeit für den passenden Soundtrack dazu.
Es gibt viele Mittel und Wege, wie man mit Musik den frostigen Tagen des Jahres Tribut zollen kann. Gewiss können entsprechende Songtexte innere Bilder von arktischem Schneetreiben hervorrufen, Samples von Schneetreiben oder ähnlichen eisigen Soundkulissen können ebenfalls für Kopfkino sorgen, aber in den meisten Fällen ist es eher die Musik an sich, welche widerspenstige Kälte ausstrahlt. Ganze Instrumente und ihre Klangfarben werden von Hörern als „warm“ oder eben „kalt“ erlebt und bezeichnet. Oft sind es harmonische, konsonante und organisch anmutende Klänge, die als warm beschrieben werden. Die Abwesenheit dieser Eigenschaften wirkt für die meisten Hörer als unterkühlt, auch wenn letzten Endes jeder Mensch Musik anders einschätzt und das musikalische Konsonanzempfinden für verschiedene Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen ein wenig variiert. Auch Hörgewohnheiten spielen eine Rolle. Jemand, der öfters mit Musikrichtungen wie Noise, Drone oder Metal in Berührung kommt, hat vermutlich weniger Probleme, hinter den Wänden aus Verzerrung, Feedback und Störgeräuschen auch „warme“ Klänge ausfindig zu machen als andere Menschen.
Trotz aller Geschmacksfragen will ich hier stocksteif behaupten, dass dissonante, maschinell-industrielle und sterile Sounds unterkühlt wirken. Urban und entfremdet eben. Eine weitere Assoziationshilfe ist alles, was aus dem hohen Norden stammt. Denn Musiker, die aus kalten Gegenden mit wenigen bis teilweise gar keinen Sonnenstunden stammen, lassen dies sicher in ihre Zunft einfließen und können folglich ja nur dunklere Musik produzieren, oder? Ich weiß ja nicht.
Der Londoner Produzent Eric Holm hat es auf seinem Debutalbum „Andøya“ jedenfalls geschafft, sowohl das Maschinelle als auch das Nordisch-Winterliche zu verbinden, und das auf recht ungewöhnliche und innovative Art und Weise. Sämtliche Geräusche, die auf dem Album zu atmosphärischen und mysteriösen Dark Ambient Soundflächen verwandelt wurden, entstammen einem Kontaktmikrofon, welches Eric Holm an einem Telegrafenmast auf der titelgebenden nord-norwegischen Insel Andøya anheftete. Jene Masten verbinden offenbar eine Reihe alter militärischer Abhörstationen, und auch wenn (oder gerade weil) ich mit der Technik von Kontaktmikrofonen und Funkmasten nicht vertraut bin, erstaunt mich umso mehr, was für Geräusche diesem Prozess zu entnehmen sind und welch vielseitige industrielle Soundskulpturen ein versierter Produzent aus ihnen herauskitzeln kann. Die sechs Tracks auf „Andøya“ folgen alle einem recht linearen Aufbau, führen ein Soundmuster ein, welches im Verlauf an Detailtiefe und Intensität zunimmt und irgendwann wieder abschwillt. Doch jeder einzelne Track beherbergt andere Charakteristiken. Dem voluminösen, bis ins Unendliche widerhallenden Pochen von „Stave“ könnte man am ehesten noch einen organischen Soundursprung zuschreiben, überdimensionierte Klanghölzer oder dergleichen, wenn da nicht das statische Zischen und Rauschen wäre. In anderen Stücken sind es eher die tiefen Sub-Bässe, welche bedrohlich grollen und sich vor dem Hörer aufbäumen. Manchmal fühlt sich ein Track auch sehr elektronisch an, auditive Halluzinationen unter einem Hochspannungsmasten in der einsamen Prärie. Und das ominöse Fiepen des Rausschmeißers „Andøya“ könnten genauso gut ferne, verzerrte Streichinstrumente sein und lässt an klassische Lustmord-Alben denken.
Und auch, wenn das Ergebnis dieses nordischen Soundexperiments sehr gelungen ist und die Auseinandersetzung mit widerspenstigen Klängen generell etwas sehr Lohnendes haben kann, und auch wenn es sehr nett ist, für atmosphärische Musik auch das entsprechende Klima vor der Haustür zu haben, sehne ich jetzt trotzdem stabileren und wärmeren Tagen mit mehr Sonnenstunden entgegen.