Hitze im Pool, Feuer im Archiv

Konzertbericht: SUDAN ARCHIVES & WIENER PLANQUADRAT, Poolbar-Festival Feldkirch, 14. August 2023:

Von Michael Domanig

Damit hier am Blog nach 16 Monaten (jessas!) endlich wieder ein Konzertbericht stattfindet, musste schon einiges zusammenkommen: einerseits ein paar freie Tage, um überhaupt Zeit für einen Konzertbesuch zu finden (ganz zu schweigen von der Zeit, dann auch darüber zu schreiben), andererseits ein wirklich bemerkenswerter Konzertabend. Anfang dieser Woche sind all diese Faktoren (ungefähr so selten wie der Halley’sche Komet) tatsächlich eingetreten. Und was soll man sagen: Es war ein erhebendes Gefühl!

Begonnen hat alles denkbar prosaisch, nämlich in der örtlichen Raikafiliale in Schruns, der, ähem, Perle des Montafons. Dort trat ich frühmorgens mit Rucksack und Wanderstöcken (also in typischer Tiroler Adjustierung) ein, um kurzentschlossen ein Ticket für das Konzert der gefeierten US-Künstlerin Sudan Archives zu erwerben – sozusagen als krönenden Abschluss und Kontrastprogramm zu einem herrlichen Wanderurlaub im Vorarlbergischen.

Am Handy habe ich keine Kreditkarte hinterlegt, also musste der Kartenkauf ganz altmodisch vonstatten gehen. Für die freundliche Dame hinterm Raikaschalter war es offenbar so ziemlich die erste Tickettransaktion überhaupt: Von der Poolbar schien sie schon einmal vage gehört zu haben, aber bei der Nennung von „Sudan Archives“ schob sie mir prompt einen leeren Zettel hin: „Magsch ma des nit ufschriba?“ Am Ende – nachdem auch das richtige Papier für den Ticketdrucker eingelegt war – klappte alles bestens. Und beim Konzert selbst konnte nach einem solchen Auftakt ohnehin nichts mehr schief gehen …

Das galt umso mehr, als sich für den Poolbar-Abend dann ultraspontan eine coole und bestens gelaunte Vorarlberger Runde zusammenfand – und das Konzert zudem (vermutlich wegen fix angesagter, letztlich aber nicht eingetretener Unwetter) kurzfristig von draußen nach drinnen verlegt wurde. Zwar ist die Open-Air-Bühne auf der Reichenfeldwiese (wo ich erst Ende Juli einem vergnüglichen Helge-Schneider-Abend beiwohnen durfte) wirklich idyllisch – und mit ihrer feinen Holzoptik ein echter Blickfang -, aber für diesen Konzertabend hier war die dichte, verschwitzte Clubatmosphäre im alten Hallenbad selbst das ideale Setting.

Denn eines war ab dem ersten schrägen Geigenton und den ersten pulsierenden Beats klar: Sudan Archives macht keine Gefangenen. Was die Sängerin, Songschreiberin, virtuose Violinistin und studierte Musikethnologin – bürgerlich Brittney Denise Parks, Ende zwanzig, Geburtsort Cincinnati, wohnhaft in L.A. – da so auftischt, ist ein krasser, im buchstäblichen Sinn unerhörter Mix unterschiedlichster Einflüsse: Zeitgenössischer R’n’B mit wunderbar leichtfüßigen Hooklines trifft auf schwere Hip-Hop-Grooves samt Monsterbass und elektronischen Störgeräuschen und das Ganze wiederum auf Sudan Archives‘ Alleinstellungsmerkmal, nämlich irre Violinklänge im weiten Feld zwischen Klassik, Avantgarde und irischem Folk (!).

 

Live servierte sie dieses wild schäumende Gebräu konsequent „in your face“, als superselbstbewusste, hypersexualisierte und – im positivsten Sinne –
aggressive Bühnenkunstfigur: Angetan mit Minischottenrock und ebenfalls in Karomuster gehaltenem Schottentop (mangels besserer Beschreibung), zog sie ihre Geigenbögen wie Pfeile aus einem Köcher (!) an ihrem Rücken – ein Signature Move, der jedes Mal für Szenenapplaus sorgte -, richtete die Geige schon mal wie eine Waffe auf einzelne Zuhörer und sprang gleich nach ein paar Songs von der Bühne, um sich unters Publikum zu mischen und dieses g’hörig (wie man im Ländle sagen würde) aufzumischen. Man hatte durchaus den Eindruck, dass einige Herren – vielleicht auch Damen – in den ersten Reihen von so viel Präsenz gleichermaßen angetan wie eingeschüchtert waren.

Spätestens am Ende des Konzerts, prophezeite Sudan Archives, würde das Publikum so richtig „lit“ sein – entzündet und berauscht und beides gleichzeitig. Und sie tat (nur begleitet von einem Musiker an E-Schlagzeug und Gitarre) wirklich alles dafür, ihre eigene Vorhersage wahrzumachen: mit intensivem Körpereinsatz auf der Bühne, ob sie sich nun am Boden wand, stöhnte und kreischte oder sich wie ein Derwisch mit der Violine im Kreis drehte (natürlich ohne ihr Spiel zu unterbrechen!); mit Geigensoli, die auch auf einem Folkpunk-Konzert nicht deplatziert gewirkt hätten (Sudan Archives erklärte ihr Teufelsgeigerinnen-Gen augenzwinkernd damit, dass sie laut DNA-Test „zu 5 % irisch“ sei); und natürlich mit den Club-Bangern ihrer beiden Alben „Natural Brown Prom Queen“ (2022) und „Athena“ (2019).

 

Und von diesen Bangern gibt es inzwischen eine ansehnliche Menge: Aktuelle Hits wie „Selfish Soul“, „Freakalizer“ oder „Milk Me“ knallten ebenso wie „Glorious“, „Confessions“ oder „Nont for Sale“, die alle fast schon als Klassiker durchgehen. Mehrere Zugaben zeugten davon, dass neben dem ausgelassenen Publikum auch die Künstlerin selber ziemlich viel Spaß hatte.

Hätte es dafür noch eines Beweises bedurft, hätte ihn Sudan Archives spätestens beim an- und abschließenden Auftritt des Duos Wiener Planquadrat erbracht: Da mischten sich die Künstlerin und ihr Begleitmusiker nämlich höchstselbst unter die Tanzwütigen im Pool – und gingen, sichtlich beeindruckt von der Qualität des Dargebotenen, am Dancefloor so was von amtlich ab (wie die Jugend von heute das vielleicht ausdrücken würde – oder auch nicht).

Und womit tat Sudan Archives das? Mit Recht! Denn als ob dieser Abend nicht schon toll genug gewesen wäre, setzte es nun auch noch ein absolut meisterliches DJ-Set, das sich von den späten Abendstunden bis in den frühen Morgen hinein erstreckte.

So einfach (scheinbar) und zwingend wie das „plq“-Logo vor dem DJ-Pult fiel auch der Sound des „Wiener Planquadrats“ aus: pulsierende Beats, zu denen man einfach nicht stillstehen konnte, Breaks und pünktlich einsetzende Bassgewitter an genau den richtigen Stellen, dazu hin und wieder hypnotisierend-kühle, meist deutschsprachige Vocals. Und auf den Moment, als mittendrin plötzlich die Hookline des berühmt-berüchtigten SNAP!-Knallers „Rhythm Is A Dancer“ auftauchte, dürfte sich das Wiener Planquadrat die ganze Nacht diebisch gefreut haben.

Apropos: Von der spürbaren Euphorie ließen sich auch die Musiker selbst – Michael Weiler und Maximilian Atteneder – immer wieder mitreißen. Wie die sprichwörtlichen Duracell-Hasen verausgabten sie sich am und neben dem DJ-Pult völlig, was natürlich auch wieder aufs Publikum übersprang. Und so folgte auf ein ohnehin schon ausgedehntes Mitternachts-Set noch ein zweites, das schier kein Ende zu nehmen schien.

Auch als es am Boden des einstigen Schwimmbeckens schon ganz klebrig vor verschüttetem Bier und vergossenem Schweiß war, machte das Planquadrat weiter, frei nach dem Motto: „Bis einer weint“ – sogar dann, als irgendwann nur noch eine Handvoll Unermüdlicher über den Dancefloor wankte. Und siehe da: Prompt füllte sich der Pool auch schon wieder. Fazit: Ein besseres Finale nach über fünf Wochen Poolbar-Festival lässt sich kaum denken.

 

Wobei, wer weiß? Vielleicht hat dieses Set ja noch immer nicht aufgehört, vielleicht geht die Party in der Poolbar noch immer weiter – und wird nie enden?
Für mich endete die Sause jedenfalls mit dem 3-Uhr-Nachtzug Richtung Bludenz und einem versäumten Hotelfrühstück am nächsten Morgen. Aber das ist … eine andere Geschichte.

PS: Großes DANKE an Conny Prock für die tollen Fotos und Videos von beiden Auftritten!

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