Aus dem internationalen (Club-)Fußballgeschehen habe ich mich schon vor vielen Jahren weitestgehend ausgeklinkt. Nicht nur aus Altersgründen (spätestens seit ich selber nicht mehr hobbymäßig kicke, kommt mir der TV-Konsum von Fußballspielen meist schal und sinnlos vor), sondern vor allem weil ich nicht mehr wirklich nachvollziehen kann, wie man heutzutage überhaupt noch „Fußballfan“ sein kann – zumindest Fan jener Handvoll internationaler Spitzenclubs, die die hohe Fußballwelt unter sich aufteilen.
Dafür müsste man nämlich auch Fan von internationalem Hardcorekapitalismus sein (selbstredend ohne gleichberechtigte Wettbewerbsvoraussetzungen, wie sie das Grundkonzept der Freien Marktwirtschaft zumindest theoretisch vorsähe, dafür mit jeder Menge Verzerrungen zugunsten der Großen), man müsste den Grundsatz „Wer das Gold hat, schafft an“ super finden und sich mit den gnadenlosen Selbstvermarktungs-, Selbstoptimierungs- und (sozialen) Bewertungstendenzen unserer Zeit, die im Fußball besonders krass hervortreten, einfach abfinden.
Sicher, das spielerische und athletische Niveau mag heute besser sein denn je, ethnische Diversität ist in praktisch allen Ligen zur Selbstverständlichkeit geworden – aber solche positiven Aspekte sind angesichts der zahlreichen Schattenseiten eines entfesselten Fußballökonomismus nur ein schwacher Trost.
Spannend – und auf den ersten Blick überraschend – ist, dass sich parallel zur Turbokapitalisierung des Fußballs in den letzten Jahren auch ein völlig anderer Trend abgezeichnet hat: jener zur Intellektualisierung (bisweilen wohl auch Überintellektualisierung) des Fußballs. Dass sich Schriftsteller, Historiker, Philosophen, Psychologen, Politologen oder Mathematiker (sorry, leider meistens immer noch Männer) ohne Ironie und intellektuelle Arroganz, sondern ernsthaft mit den vielen Dimensionen des Fußballs beschäftigen, ist längst Alltag. Und auch ein kritischer, alternativer, von Chauvinismus und Nationalismus befreiter Zugang zum Fußball, der Kreativität, Vielfalt und Humor feiert, ist heute von „11 Freunde“ bis „Ballesterer“ keine Seltenheit mehr. Man könnte sagen: Fußball ist endgültig als „Kultur“ akzeptiert.
Und natürlich ist Fußball längst auch Teil der Popkultur im engeren Sinn – mit besonders langer Tradition im Mutterland England (Gerry and the Pacemakers, Lightning Seeds, New Order, Nick Hornby, you name it). Aber auch in Österreich gingen und gehen (Pop-)Musik und Fußball(er) immer wieder Verbindungen ein – mal grottenschlecht, mal bizarr, mal augenzwinkernd, mal wirklich lässig.
Hier nun ein kleiner Auszug an markanten Beispielen ohne auch nur den leisesten Anspruch auf Vollständigkeit:
1. Gashtla – Computermusik [Krankl Kicks] (2021):
Brandneu und brillant. Ein Wiener Hip-Hop-Künstler, erfreulicherweise übrigens mit Kitzbüheler Wurzeln, glänzt mit wunderbaren Wortspenden von Hans Krankl, der uns seine (Musik-)Welt erklärt, vom 70er-Soul bis zum „Schlllager“. Das einzige, was der Nachtfalke nicht mag, ist „diese elektronische Musik, wos heit gspüd wead“. Dass Gashtla just daraus ein grandioses Stück „Computermusik“ baut, ist hintergründig, witzig – und groovig.
2. Johann K. – Lonely Boy (Niemand mag mi) (1986)
Das Kuriosum, dass Sportler selbst zum Mikro greifen, scheint in Österreich traditionell besonders verbreitet, von sangesfreudigen Fußballlegenden wie Herbert Prohaska (übrigens ein Freund und Kenner der Oper und generell des italienischen Liedguts) über das tieftraurige „Potscherte Lebn“ des tragischen Boxers Hans Orsolics (später schön gecovert von „Der Scheitel“) bis hin zu singenden Skistars wie Toni Sailer, Fritz Strobl (Fritz & the Downhill Gang), Rainer Schönfelder, Lizz Görgl und, natürlich, Hansi Hinterseer. Zu einer veritablen Austropopkarriere reichte es beim schon erwähnten Hans Krankl. Seine charmante Version des Paul-Anka-Songs „Lonely Boy“, bis 2019 bei den „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ im Einsatz, ist nur einer von mehreren Hits, beginnend mit „Rostige Flügel“ (zusammen mit Kottan’s Kapelle) bis hin zu „Jingle Bells“ (!).
3. Hans Krankl & Herbert Prohaska – Der Opitz und der Zwirschina (1990)
Und noch einmal Johann K., diesmal im Verbund mit Österreichs beliebtestem „Gute Nacht“-Sager Herbert Prohaska, der hier besonders beherzt, nun ja, singt. Ein schräges Zeitdokument, auch in Sachen Video (und Bartmode). Das Original ist übrigens, an nett-altmodischen Fußball-Austrizismen wie „Eisenbohnaschmäh“ unschwer zu erkennen, deutlich älter, es stammt von Gerhard Bronner und Peter Wehle aus dem Jahr 1957.
„Wir hom als klaane Gschroppn / Ein Ziel vor uns gesehen / Wir wollten sehr berühmt werd’n / und in der Zeitung steh’n / Egal, ob als Verbrecher oder Bundeskanzler gar / So wählten wir den Mittelweg und wurden Fußballstar.“ Zoing!
4. Kurt Razelli – Toni Polster Song (2014)
An Anton „Toni Doppelpack“ Polster kommt man in Sachen Fußball und Musik in Österreich keinesfalls vorbei. Die Palette reicht vom anzüglichen „Toni, lass es polstern“ an der Seite der Fabulösen Thekenschlampen (1997) (mit denkwürdigen Zeilen wie „Toni trifft den Doppelpack, Schlampen trinken Sechserpack“ oder „Der Strafraum ist mein Jagdrevier“ – „Komm, Toni, bitte jag mit mir„) über das jazzig-smoothe „Anton Polster du bist leiwand“ von DJ DSL (vulgo DJ Superleiwand, 1998) hin zu diesem Spoken-Word-Elektro-Track mit Kurt-Razelli-Qualitätssiegel. Merke: Rennen sollen die anderen, der echte Star steht da, wo er stehen muss. Nämlich vorne!
5. Kurt Razelli – Arnautovic Song (2012)
„Scheiße. Bitteschön.“ Einen sozusagen natürlichen Groove (und Schmäh) hat auch Marko Arnautovic. Hier übrigens mit feinem Feature von MC Schneckerl. Nur einer von mehreren gelungenen Razelli-Arnautovic-Tracks (man höre auch „Hey Boys“ oder den „Arnautovic Drama Song“ mit der konkurrenzlosen Zeile „Nimm mir alles, aber nimm mir nicht den Ball“).
6. Franz Fuexe – Hoit de Goschn (Rapid spüd) (2019)
Beileibe keine Stadion- oder Fanhymne (wie etwa Alkbottles „Wir trinken auf Rapid“), vielmehr purer Sarkasmus, der die Bedeutung von Fußball angesichts all der Schrecken auf der Welt dann doch wieder relativiert. Brachial und derb serviert, wie man es von den wüsten Mostviertlern erwartet.
7. Auf Pomali feat. Andi Ivanschitz – Aus Liebe zum Spiel (2008)
Und noch einmal Rapid. Andi Ivanschitz war nicht nur ein prägender grün-weißer Spieler, er hat auch einen Bruder namens Clemens, der in einer burgenländischen Indie-Band mit dem schönen Namen „Auf Pomali“ (gemütlich, bedächtig, langsam) spielt. Ihr bester musikalischer Moment mag das hier vielleicht nicht sein – da könnte man zum Beispiel zum sommerlich-leichten „Es glitzert“ greifen -, sympathisch ist es allemal.
8. Der Nino aus Wien – Unentschieden gegen Ried (2018)
Der meiner bescheidenen Meinung nach beste österreichische Fußball-Popsong bisher, hier aufm Blog schon einmal als „Track der Woche“ gefeiert. Nino Mandl holt den Fußball aus der internationalen Glitzerwelt auf den Rasen der Realität zurück, raunzend-nostalgische Fußballfans an der Seitenlinie inklusive („Friara hods no leid gebn wia an Ogerl …“, „Friara hobd’s es no Ajax eliminiert“).
Denn: Die Alltagskost heißt nun mal nicht „Triumph über Barcelona“ oder „Liverpool gegen United“, sondern eben: „Unentschieden gegen Ried“ – nicht nur im Fußball, sondern auch im Leben.
9. Huckey & Sam feat. DJ Dan – Auswärtssieg (2010)
Tankstelle, Raststätte, Dorfkneipe, Kellerderby: Auch bei dieser Linzer Hip-Hop-Hymne auf … nein, nicht den LASK, sondern Blau-Weiß-Linz geht es nicht unbedingt glamourös zu. Zu hören ist u. a. der viel zu früh verstorbene Texta-Rapper Harald „Huckey“ Renner.
10. Chor österreichischer Sportreporter – Grüß Euch, wir sind aus Öst’reich (1978)
Viel absurder – und somit österreichischer – geht es eigentlich nicht …
„Da Burli zum Schneckerl (…), da Gsöchte mit am Stanglpass zur Mitte“ – noch Fragen?