Lass den Elch an dir vorübergehen. Ein neuer Song und neun weitere Gründe, warum das Erste Wiener Heimorgelorchester vielleicht meine österreichische Lieblingsband sind

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 16:
ERSTES WIENER HEIMORGELORCHESTER – DIE LETTEN WERDEN DIE ESTEN SEIN (2018)

Weil Blogautor Stefan Pletzer, seines Zeichens Obmann des Österreichischen Quizverbandes, chronisch „busy“ ist (wie wir in der Quizbranche sagen), springe ich mal wieder beim Track der Woche ein. Aber Steff wird zumindest indirekt präsent sein – denn kurioser- und völlig ungeplanterweise dreht sich dieser Bericht auch um den rätselhaften Themenkomplex Quiz.

Apropos rätselhaft: Das kreative Spiel mit der Sprache, mit ihren doppelten und dreifachen Böden, ihren Geheimgängen, Irrwegen und überraschenden Wendungen und nicht zuletzt mit ihrer klanglichen Qualität, hat gerade in der österreichischen Literatur und Popkultur eine lange Tradition: Diese reicht von Nestroy (mindestens) über hauptamtliche Experimentallyriker wie Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker bis hin zum großen HC Artmann.

Bei Kabarettisten und Satirikern (Werner Pirchner, Ludwig Müller etc.) findet man die Lust an dadaistischen Wortspielen und bunter Lautmalerei genauso wie bei bekannten Bands, von Attwenger über diverse Rapformationen wie z. B. Texta bis hin zu den Superstars Bilderbuch, die gepflegte Doppelbödigkeit (Stichwort: Plansch, plunge …) ebenfalls zu schätzen wissen.

Aber niemand beherrscht das Um-die-Ecke-Singen, die Verbindung von Musik und Sprachspiel, von lautmalerischer Form und cleverem Inhalt, überzeugender als das Erste Wiener Heimorgelorchester (kurz: EWHO).

Das Quartett, das live – wie die humorvollen Söhne von Kraftwerk – hinter nerdigen Mini-Synthesizern und -Keyboards angewandten Bühnenstoizismus praktiziert, knöpft sich die Wörter und Silben gnadenlos vor, dreht und wendet, schüttelt und mixt sie, bis den Sprachbestandteilen am Ende selber ganz schwindlig im Kopf ist.

Bestes Beispiel ist die brandneue Single „die letten werden die esten sein“:
Zugegeben, die Herren vom Ersten Wiener Heimorgelorchester sind sicher nicht die Esten, äh, die Ersten, denen das titelgebende Wortspiel eingefallen ist. (Ich selbst wollte mir genau diesen Satz schon mehrfach als Teamnamen für das berühmt-berüchtigte Weltquiz merken. Genauso übrigens das Wortspiel „Wurst-Käs-Szenario“. Aber auch daraus hat das EWHO schon längst einen Song gemacht).

Die Ausgangsidee ist also vielleicht nicht ganz neu. Aber was die vier Wiener daraus machen, ist dafür umso origineller. Sie ziehen das Grundprinzip nämlich einen ganzen Song lang durch, lassen bei unterschiedlichsten Wörtern an entscheidender Stelle einen Buchstaben weg – und genießen die völlig neuen, oft verblüffenden inhaltlichen Assoziationen, die sich dadurch ergeben:

Im Himmel wie auf Eden. Lass den Elch an dir vorübergehen. Nutze jede noch so keine Chance. Man soll nicht mit den Wölfen Eulen. Und und und. Jede Zeile eine kleine Intelligenzperle.

Das zugehörige, minimalistische Video ist ein Musterbeispiel für songdienliche Ökonomie statt hohlem Gigantismus:

Und wen das noch nicht restlos überzeugt haben sollte: Hier sind neun weitere Gründe, warum man das Erste Wiener Heimorgelorchester einfach mögen muss: 

1.) Das EWHO leistet sprachliche Entwicklungs-Hilfe:
Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. In einem ihrer ebenfalls brandneuen Songs verhelfen die Heimorgler der Sprache ganz buchstäblich zur Entfaltung. Und dem in der Popkultur bisher sträflich vernachlässigten Themenkreis „Fische und Wasservögel“ zu einem meerchenhaften Auftritt:

2.) Das EWHO hat den vielleicht ungewöhnlichsten deutschsprachigen Politsong ever geschrieben:
Der schöne Satz „Widerstand ist Ohm“ ist (nach dem Sieg des EWHO beim FM4-Protestsongcontest 2009) zumindest in der heimischen Alternativszene zum geflügelten Wort geworden – und zeigt die ganze schillernde Fantasie der Band: Hier geht es gleichzeitig um elektrischen und politischen Widerstand (auf beide passt die geniale Formulierung: „Gegen den Strom“) und auf einer dritten Ebene auch noch um das meditative „Ommmmmmm“. Und das ist erst der Refrain!

Hier ein recht feiner, allerdings leider rein instrumentaler Remix:

Das unerreichte Original kann, nein MUSS man sich z. B. HIER anhören.

3.) Das EWHO hat das erste (und beste) Lied zum Thema Umlaute geschrieben:
Und das Ergebnis ist ohne Ubertreibung majestatisch, koniglich, legendar:

4.) Das EWHO sucht (und findet) den direkten Austausch mit Literaten:
Ob Ror Wolf, Clemens J. Setz oder, auf dem neuesten Album, Antonio Fian: Alle haben schon Texte für das literarische Orchester beigesteuert oder ihm zur Vertonung bereitgestellt. So unverkopft kann Lyrik klingen – und doch jede Menge Köpfchen haben. Vom EWHO würde ich mir sogar einen Gedichtband kaufen. Oh, es gibt ja tatsächlich einen!

5.) Vom EWHO stammt der vielleicht originellste Wien-Song ever:
Der heißt nicht etwa „Wien, wie es einmal war“ sondern „Wien, wie es zweimal war“. Im Wien, wie es das EWHO herbeihalluziniert – und hier darf ich einen alten Blogeintrag meinerseits re-zitieren – gibt es tatsächlich alles doppelt: zwei Stephansdome, zwei Donauströme, einen doppelten Lainzer Teich – „und der Vierfachadler hängt über Kaisergruft 1 und 2“. Klar, dass auch der Sänger bekennt: „Meine beiden Herzen und meine zwei Sinne gehören Wien“.

6.) Das EWHO hat ein ganzes Kraftwerk-Album gecovert:
Und sich bei diesem gewagten Versuch nicht nur nicht blamiert, sondern, im Gegenteil, lässige LoFi-Neudeutungen von Klassikern wie „Die Roboter“, „Spacelab“ und besonders „Die Mensch-Maschine“ zustande gebracht.

7.) Das EWHO hat der Hauptstadt von Liechtenstein ein musikalisches Denkmal gesetzt:
Einer beschaulich-konservativen Kleinstadt wie Vaduz eine verruchte, anrüchige Aura zu verleihen – und zugleich wenig popaffinen Ortsnamen wie Schaan, Nendeln oder Gamprin in einen Songtext zu verhelfen – ist große Kunst. Und einmal mehr ausgesprochen (!) Weltquiz-tauglich.

8.) Das EWHO hat den ultimativen Pubquiz-Panik-Song geschrieben:
Jeder Pubquizzer – und im Grunde jeder Mensch, der irgendwann einmal eine Prüfung ablegen musste – kennt das Quizäquivalent zur Angst vorm weißen Blatt, nämlich die Angst vorm schwarzen Loch, in dem plötzlich das gesamte im Hirn gespeicherte Wissen versickert zu sein scheint. Alle Begriffe, die sonst problemlos greifbar sind, haben das Weite gesucht. Man weiß auf einmal gar nichts mehr. Genau davon handelt „Alles ist vergessen“.

Und der Satz „Mir geht es wie dem … Dings bei der Frage der Sphinx“ wäre allein schon einen Nobelpreis wert!

9.) Ein Mitglied des EWHO hätte fast die Millionenshow gewonnen – und trägt den besten Quiznamen aller Zeiten:
Um das Ganze noch verblüffender zu machen – denn das wusste ich vor der Recherche für diesen Beitrag wirklich nicht -, möchte ich zum Schluss noch auf einen ganz direkten Konnex zwischen der Pubquizwelt und der Ersteswienerheimorgelorchesterwelt verweisen: Eines der Bandmitglieder trat 2017 als Kandidat bei der Millionenshow mit Armin Assinger auf und schaffte es bis zur Millionenfrage! (Die ich übrigens gewusst hätte – wenn ich auch nie so weit gekommen wäre). Am Ende waren es immerhin satte 300.000 Euro Preisgeld.

Und, um die Sache ein weiteres Mal zu toppen: Der betreffende Kandidat, Schriftsteller und EWHOler trägt den schönsten Quiznamen der Welt. Er heißt nämlich Daniel WISSER.

Eigentlich ein allzu naheliegendes Wortspiel. Aber eines, dass am Ende dieses Textes einfach sein muss.

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