Warum Punk doch nicht vor die Hunde geht

Konzertkritik: The Stitches, PMK, Innsbruck, 22. August 2013:

„Nazi Dogs?? Du gehst doch nicht etwa auf ein Rechtsrock-Konzert?“, meinte ein guter Kumpel skeptisch, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte, mir ein punkiges Double-Feature im PMK zu genehmigen, bei dem neben den „Stitches“ aus den USA eben auch eine Formation dieses Namens auftreten sollte – die noch dazu aus Deutschland kommt.

Aber nur die Ruhe: Abgesehen davon, dass der Konzertort PMK natürlich für eine glasklar antifaschistische und emanzipatorische Gesinnung bürgt – und abgesehen davon, dass Rechtsextreme nie die Selbstironie hätten, sich selbst als „Nazihunde“ zu bezeichnen (obwohl die Nazis ja durchaus ein Faible für Hunde hatten) – kam der Auftritt ohnehin nicht zustande. Schade, ich persönlich hätte mich auf „snotty ’77 Punk“ gefreut, und ich glaube, auch Blogollege (=Blogkollege) Dave hätte nichts dagegen gehabt.

Als kurzfristiger Ersatz für die Support-Hunde sprang verdienstvollerweise die Gruppe „Just Busina$$“ aus dem Tiroler Unterland ein, deren stark emotionshaltiges Hardcore-/Metalcore-Gebräu mir persönlich dann aber doch zu brachial und humorlos schmeckte.

Dafür gab es als Hauptgang ein klassisches, wunderbares Punk(rock)-Menü: frisch zubereitet, heiß gekocht und äußerst flott serviert: The Stitches, vier – wie sich nach dem Konzert erwies, hochsympathische – Kalifornier, vermittelten von der ersten Sekunde an das Gefühl, dass es hier um etwas geht, dass sie sich die Seele (oder zumindest verdammt viel Schweiß) aus dem Leib spielen wollen. Kaum ein Song länger als drei Minuten, dafür jeder Refrain ein „Battle Call“, in bester The Clash-Manier zeitgleich in zwei Mikros gebrüllt (was übrigens auch optisch verdammt viel hermacht).

stitches eins

Mit Mike Lohrman (dem Krawattenträger links im Bild) verfügen „The Stitches“ über einen idealen Seventies-Punk-Frontmann: angemessen psychotisch und unberechenbar, mit einer Stimme wie Johnny Rotten und einer Zahnlücke wie aus dem Lehrbuch. Wobei die Unberechenbarkeit natürlich bis zu einem gewissen Grad kalkuliert sein dürfte: Obwohl dem Sänger während der ersten drei Songs circa fünfmal der Mikroständer von der Bühne purzelte, lehnte er jede Alkohol-Anbiederung aus dem Publikum ab. Wahrscheinlich war er nicht einmal wirklich betrunken.

Was ich wesentlich wichtiger finde: Der Mann hat sich auch mit der Ideologie des Punk auseinandergesetzt – und die geht bekanntlich über rein musikalische Merkmale hinaus (meine These ist ja, dass es in jeder Musikrichtung Punks gibt): Es sei, meinte Lohrman, als das Innsbrucker Publikum noch etwas Respektabstand zur Bühne wahrte, ein Grundgedanke des „streetstyle rock“, also des Punk, dass es zwischen Band und Publikum keine Trennlinie gebe.

Das mag zwar etwas übertrieben sein (totale Egalität ist auch im Punk utopisch), aber dennoch wurde fortan fleißig Pogo getanzt, so dass typische Zweite-Reihe-Besucher wie ich ihre wohlverdiente Dosis an Bierduschen und (hoffentlich unabsichtlichen) Schlägen aufs Brillengestell erhielten.

Den Stitches-Drummer schien all das nicht weiter zu beschäftigen. Seelenruhig trommelte er seinen Stiefel herunter, in einem schlichten weißen Kurzarmhemd, mit dem er locker auch als Gebrauchtwagenhändler oder Geographielehrer durchgegangen wäre. Understatement – auch das kann Punk sein.

 

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