WESEN AUS EINER HÖHEREN KLANGDIMENSION

Konzertbericht: ACID MOTHERS TEMPLE & THE MELTING PARAISO U.F.O. (Support: SIBIRIAN TRAINSTATION), Kulturfabrik Kufstein, 19. Oktober 2018

VORBEMERKUNG: Dieser Beitrag wird durch meisterhafte Fotos von KURT HÄRTING aufgewertet, vielen Dank dafür!

Veranstalter Mike Litzko vom verdienten Kufsteiner Kulturverein Klangfarben (der heuer übrigens sein fünfjähriges Bestehen feiert, herzlichen Glückwunsch!) steht als leidenschaftlicher Atheist nun wirklich nicht im Verdacht, religiöse Botschaften vermitteln zu wollen. Dennoch hatte das von Mike eingefädelte Kufstein-Gastspiel der wundersamen japanischen Formation Acid Mothers Temple am Freitagabend zweifellos eine erhabene, spirituelle, ja fast sakrale Dimension.

Doch der Reihe nach: Die „Messdiener“ an diesem Abend kamen zunächst aus einer ganz anderen Ecke: Sibirian Trainstation aus Kufstein stehen für brettharten Metalcore – persönlich ned mei Weda (wie der Unterländer sagt), aber sicher kompetent gespielt, geknüppelt, gerifft und gebrüllt. Die Wurzeln der Band im Punkrock merkt man ihnen in Sachen Druck und Dynamik noch an, das ist sympathisch, Energie und Einsatz stimmen jederzeit. Bei den anderen großen E (Eigenständigkeit, Experimentierlust, Expeditionen über die Genregrenzen hinaus) ist zwischen Kufstein und Wladiwostok wohl noch Luft nach oben. Aber wie gesagt, Metalcore ist halt einfach nicht unbedingt meine Welt.

(Foto: Kurt Härting)

Ob und wie dieser brachiale Support-Act zur Hauptband des Abends passte, sei dahingestellt. Kollege Johannes meinte nicht zu Unrecht, dass etwa das ebenfalls aus dem Tiroler Unterland stammende Neo-Shoegaze-/Psychedelic-Duo Molly musikalisch deutlich naheliegender gewesen wäre. Aber das ist natürlich alles Geschmackssache.

Das nachvollziehbare Kalkül des Veranstalters, den ganzen Abend (ein wenig irreführend) als „Metalparty“ zu titulieren, war wohl, zumindest ein paar Anhänger der lokalen Metalszene – nämlich die weltoffenen, neugierigen Exemplare – dazu zu bringen, ihren Allerwertesten hochzukriegen und sich neben den Lokalhelden auch auf diese verrückten Japaner einzulassen. Und das dürfte zumindest teilweise gelungen sein.

(Foto: Kurt Härting)

Damit nun zu Acid Mothers Temple & The Melting Paraiso U.F.O.: Wer im Vorfeld erwartet hatte, einen sehr ähnlichen Abend zu erleben wie beim Vorjahreskonzert in der Innsbrucker PMK (nachzulesen: HIER), täuschte sich – wurde aber bestimmt nicht enttäuscht. Aus meiner Sicht war das Konzert in der Kulturfabrik genauso großartig. Nur eben anders gelagert: In Innsbruck war das Gesamt-Klangbild droniger, ausufernder, lärmiger, ein phasenweise fast konturloser kosmischer Klangbrei (im positivsten Sinne!). Diesmal präsentierten sich Acid Mothers Temple deutlich strukturierter, bisweilen fast songorientiert, im Vergleich phasenweise fast, ähem, poppig (und dabei natürlich immer noch far, far out).

Zugleich – und da könnte ein direkter Zusammenhang bestehen – rückte diesmal die Band neben den beiden älteren, haarigen Frontmännern Kawabata Makoto (Gitarre) und Higashi Hiroshi (Roland-Synthesizer) viel stärker in den Vordergrund. Der androgyne Sänger und Gitarrist Jyonson Tsu etwa prägte vor allem die Anfangsphase mit hypnotisierenden Gesangslinien in einer schwer zuordenbaren Sprache und einem für mich ebenfalls schwer zuordenbaren, lautenartigen Instrument (Mandoline? Bouzouki? Sorry, Instrumentenkunde fünf, setzen).

(Foto: Kurt Härting)

Sein sympathisch-entrücktes Tänzeln fügte sich bestens zu den groovigen, beweglich-leichtfüßigen Bassläufen von „Wolf“ (guter Name, übrigens!). Ein denkwürdiges Ereignis war aber auch und besonders der furiose Drummer Satoshima Nani, der mit einer entfesselten, schweißspritzenden Performance selbst das Tier aus der Muppet Show so träge wie eine Weinbergschnecke hätte wirken lassen.

Ein echter – tut mir Leid, ohne dieses Klischee kommt ein eurozentristischer Beitrag nunmal leider nicht aus – Kamikaze-Drummer, dem ich persönlich noch bis ans Lebensende (meines oder seines) hätte zuschauen und lauschen können.

(Fotos: Kurt Härting)

Trotz aller Unterschiede zu Innsbruck: Auch diesmal waren sämtliche Elemente des Bandnamens im Sound wiederzufinden: der trippig-psychedelische Hippie-Irrsinn (Acid); die mütterlich umhüllenden, repetitiv-einlullenden Strukturen (Mother); die für westliche Rezipienten irgendwie Zen-buddhistische Weisheit, Ruhe und Versöhnlichkeit, die diese Musik ausstrahlt (Temple, womit wir wieder bei der Religion wären); und dazu das spacige, durchgeknallte Element, das mit „Melting Paraiso U.F.O.“ (was auch immer das bedeutet) schön umschrieben ist.

Denn tatsächlich landete diese Truppe in der Kulturfabrik wie Aliens, Wesen aus einer weiseren, schöneren und versöhnlicheren Zivilisation. Selbst in den lärmigsten, rauschhaftesten Momenten strahlt diese Musik eine friedvolle, meditative Aura aus, der man sich nicht entziehen kann und will. Die heilende Kraft der Repetition! Oder, etwas weniger hippiesk formuliert: Wo Sibirian Trainstation eine derbe Gnaggwatschn waren, sind Acid Mothers Temple eine lange, liebevolle Umarmung.

Ja, das hier ist Musik für geschlossene Augen – obwohl die Schauwerte erheblich waren: lange Bärte, lange Zodn, lange Gewänder mit seltsamen Zeichen drauf. Am schönsten waren auch diesmal jene Momente, in denen man sich ganz auf die Wiederholungen einlassen konnte, auf die minimalen Variationen und Verschiebungen, die allmählich anschwellende Lautstärke und den unterschwelligen Spannungsbogen – egal, ob die behutsamen Mutationen nun von Synthesizer, Gitarre, Bass oder Schlagzeug eingeleitet wurden.

(Foto: Kurt Härting)

Apropos: Für eine beglückende Sequenz sorgte zwischendurch auch ein plötzlicher Wechsel in die Clubmusik: Nur von Bassist und Drummer getragen, gab es da auf einmal eine Art Live-Techno auf die Ohren (wie man das etwa von den Österreichern Elektro Guzzi kennt und schätzt). Da brandete im Publikum spontan Jubel auf – und die Erkenntnis: Hey, dazu kann oder könnte man ja sogar tanzen!

Über all diesen schönen Eindrücken vergaß man, wie bei jeder guten Musik, ganz auf die Zeit. Da ging es auf einmal schon auf halb zwölf zu – und der Plan, mit dem Railjet noch zu einem sozial verträglichen Zeitpunkt zu einer Geburtstagsfeier in Innsbruck zu kommen, löste sich in wohligen Klangwolken auf.

Zum Abschluss spendierten Acid Mothers Temple noch einen langen Track – aber keinerlei schnöde Standard-Rituale wie Zugaben oder dergleichen. Zurecht: Bei einem Gottesdienst gibt es schließlich auch keine Zugabe.

Dass zwischendurch ein paar respektlose Elemente im Publikum, gerade in ruhigen Momenten, die sakrale Atmosphäre mit profanem Geplapper entweihen mussten, könnte man als eine Art Übung in buddhistischem Gleichmut begreifen. Gerne hätte man „He, es Oschlecha, hoids endlich de Pappn oda geht’s an die Bar!“ gerufen – wäre man zu diesem Zeitpunkt nicht schon viel zu menschenfreundlich gestimmt gewesen. Und man hatte immerhin den Eindruck, dass selbst diese Störenfriede vom Konzert angetan waren. Wie überhaupt kaum jemand im überschaubaren, aber begeisterungsfähigen Publikum das Kommen an diesem Abend bereut haben dürfte.

Denn: So etwas erlebt man nicht nur in Kufstein nicht alle Tage – danke dafür, Mike!

(Foto: Kurt Härting)

Das letzte Wort soll nun aber einem mir unbekannten Konzertbesucher gehören, der die Sache in breitestem Unterinntaler Zungenschlag auf den Punkt brachte: „Boah, i had ma’s ned so geil vuagstöd!“

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