Nachbericht: Lesung und Konzert: Fritz Ostermayer & Vienna Rest in Peace, ZONE Wörgl, Allerseelen 2018:
Für einen Besuch in Wörgl braucht es gute Gründe. Und die kleinen, feinen Konzerte des Vereins SPUR. um Obmann Günther Moschig sind eigentlich immer ein solcher Grund.
Auch diesmal war klar: Bei dieser Kombination aus Datum (Allerseelen), Band (die Supergroup Vienna Rest in Peace, die sich exakt ein Jahr nach Erscheinen ihres gleichnamigen Debütalbums wieder auf Kurztournee begab) und Vortragendem (der leibhaftige Fritz Ostermayer!) macht man bestimmt nichts falsch.
Nachdem ich aus Nostalgiegründen im selben Wörgler Schnellrestaurant am selben Platz vom selben Kellner dasselbe – ok vielleicht nicht dasselbe, aber zumindest das gleiche – Hühnerschnitzerl entgegengenommen hatte, wie ich das berufsbedingt über eine verdammt lange Zeit hinweg getan hatte, fand ich mich also im örtlichen Jugendzentrum ZONE ein, um dort auf dasselbe Problem zu stoßen wie bei vielen reizvollen Konzerten der Vergangenheit: sehr überschaubares Publikumsinteresse.
Gut, bei einem literarisch-musikalischen Abend, der sich vor allem um das Thema Tod in allen Facetten dreht, wäre eine traurige Kulisse ja irgendwie ganz passend – aber allein schon der Name Fritz Ostermayer sollte eigentlich genügen, um deutlich mehr Leute hinter dem Ofen oder unter der Heizdecke hervorzulocken.
Apropos traurig: Dass das Konzert kurzfristig vom altehrwürdigen Astnersaal in die ZONE verlegt wurde, fand nicht nur ich bedauerlich. Mit seinem morbiden Charme wäre der Saal – von dem Ernst Molden einmal sinngemäß gesagt hat, er könnte aus einem Ödön-von-Horvath-Stück stammen – für diesen Abend wie gemacht gewesen. Und schon alleine die Vorankündigung auf FM4 am Vormittag (wo man von der Verlegung offenbar noch nichts wusste) war einfach nur herrlich: „Death blues and strange morbid literature (…) in the Astnersaal in the Hotel Alte Post in Wörgl – this is surely the most Austrian thing I’ve ever announced on the radio“.
Hinzu kommt noch, dass die Tage des Astnersaals ja leider gezählt sein sollen – und ein sterbender Saal wäre für einen Abend über das Dahinscheiden ja wohl wirklich genau das Richtige gewesen. Naja, vielleicht war er einfach zu ausladend für den bescheidenen Andrang – und die ZONE ist zumindest so klein, dass es am Ende doch noch nach einem recht anständigen Publikumszuspruch ausschaute. Und auch wenn sie atmosphärisch bei weitem nicht an den alten Ballsaal mit den hohen Wänden, den Spiegeln und dem Kronleuchtern heranreicht, war für ein intimes Setting gesorgt – auch dank der schaurig-schönen Bühnendekoration mit Herbstlaub und Grabkerzen.
Die passte natürlich ideal zu den „Trauerprofis“, als die Fritz Ostermayer sich und Vienna R.I.P. vorstellte – übrigens in Anlehnung an einen bekannten Ausspruch seines Freundes und Saufkumpanen Harry Rowohlt, wonach man als gestandener Trinker zu Silvester keinesfalls ausgehen solle: „Da saufen nur die Amateure“.
Die schwarzhumorige, grandios geschmacklose Tour de Force, auf die Fritz Ostermayer sein Publikum zwischen den Liedern der Band mitnahm, war dann auch wirklich der erwartete Höhepunkt: So bunt schillert der Themenkomplex Tod selten wie beim morbiden Sumpfisten und ehemaligen Trauermarschsammler (mindestens 2500 soll er in seiner Kollektion haben und noch immer welche zugeschickt bekommen).
Die schwarze Palette reichte von Synonymen für das Sterben in verschiedenen Ländern und Sprachen (vom saloppen „Kicking the bucket“ in den USA über „Die Hufeisen anlegen“ in der Türkei bis zu philosophisch-vergeistigten Varianten, etwa aus Nepal) bis hin zum Thema „Soft Frequencies“: Diese harmlosen New-Age-Tonfolgen hätten sich bei New Yorker Polizeisirenen ebensowenig bewährt wie in Hospizhäusern, erzählte Ostermayer. Besser sei es doch, wenn Moribunde einfach noch einmal ihre Lieblingslieder hören dürften – selbst aufs Risiko hin, dass dann irgendwann Andreas Gabalier die „Hitparade des Todes“ anführen wird.
So ging es höchst vergnüglich weiter: Die Zuhörerschaft erfuhr, warum an berühmten letzten Worten wenig dran ist (Goethe habe statt „Mehr Licht“ eigentlich „Wer spricht?“ geäußert) oder was Ostermayers aktueller Lieblingsgrabspruch wäre („Ich weiß noch immer nicht, was Sache sei“). Man hörte von walisischen Workshops, bei denen man lernt, wie man sich den eigenen Grabstein meißelt, erhielt praktische Tipps zum Ordern von lebensechten Leichen, erfuhr von Stripshows bei Beerdigungen in Taiwan oder geselchten Körpern als potentielle Touristenattraktion. Das erinnerte bisweilen an die bizarren Anekdoten, wie sie Tom Waits zwischen seinen Songs zu erzählen pflegt und bei denen man auch nie so genau weiß, ob sie nun wahr oder gut erfunden sind – was auch völlig wurscht ist.
Besonders unterhaltsam geriet die „Liste der traurigsten Instrumente“: Ostermayer nannte hier etwa das Alleinunterhalterkeyboard (wobei da der Kontext und das Toupet des Alleinunterhalters für die Traurigkeit verantwortlich seien) oder die Ukulele: Dieses kleine Instrument werde seltsamerweise vor allem von großen, dicken Männern gespielt, meinte Ostermayer, „die es sich auf den Bauch legen wie der Sodomit sein Lieblingstier“, um der Ukulele dann tieftraurige Töne zu entlocken.
Bei der Hawaiigitarre spannte er einen weiten und schmutzigen Bogen von imaginärem Sex am Sandstrand bis hin zu onanierenden Sternen, während er die Balalaika treffend als „Kartoffelschnaps unter den Saiteninstrumenten“ bezeichnete – warum, weiß ich leider nicht mehr. Und dann gab es da auch noch die herrliche Erzählung vom Mann mit dem Cello, das nur eine Saite hat. Den Gag verrate ich hier natürlich nicht – dazu hättet ihr selbst kommen müssen.
Ja, bei „Dirty Fritz“ Ostermayer geht sogar das durch, was bei anderen viel zu platt und derb wäre, etwa eine Enzyklopädie der Todesfürze („finale Flati“) – seiner oder in diesem Fall Thomas Edlingers (?) Sprachmächtigkeit und Raffinesse sei Dank. Da heißt es dann etwa poetisch-kosmisch, es sei, „als flatuliere hier ein Jüngling um die Gunst seiner Geliebten“ oder so ähnlich. Grind und Poesie sind bei Ostermayer nicht zu trennen.
„Im Sumpf“-Stammhörern (zu denen ich nicht zähle) dürften wohl einige dieser Texte bekannt vorgekommen sein – aber Ostermayer ist einer, dem man einfach gerne zuhört. Nicht nur wegen seiner ultrasonoren Radiostimme, der man jede Tschick und jeden Spritzer anzuhören meint, sondern vor allem, weil er wunderbar erzählen und vortragen kann. Nicht umsonst steht dieser Mann der Schule für Dichtung vor.
Apropos: Ein poetischer Ansatz prägt auch die Musik, die man dazu auf die Ohren bekam: Die Formation Vienna Rest in Peace versammelt Musiker, die bei verdienten Formationen wie Aber das Leben lebt, Kreisky oder Mord tätig waren bzw. sind, dazu die Sängerin und Songschreiberin Marilies Jagsch, die in Wörgl auch schon solo zu erleben war.
Vienna R.I.P. stehen für getragenen, Chanson- und Schlager-informierten „Trauerpop“, der natürlich bestens zur Jahreszeit passt (ein Blick aus meinem Fenster zeigt schon den ganzen Tag dieselbe grau-verhangene Trübnis, bei der man nie weiß, wie spät es eigentlich gerade ist).
Sehr schön gelang dabei, selbst ohne Kinderchor, das vergleichsweise beschwingte „Staat der Affen“, eine Art Wiener Dystopie samt umgestürztem Riesenrad, die trotzdem hoffnungsvoll klingt. Schließlich kennen die Affen, die hier die Herrschaft übernehmen, zwar das „gute Leben, das uns längst abhandenkam“, aber keine Melancholie und übrigens auch nicht die Beatles und die Stones. „Komm, wir bitten um Asyl“, heißt es gegen Ende konsequenterweise.
Gut gefallen haben mir auch „Sterbenswerte Stadt“ (ebenfalls mit politisch-poetischen Lyrics wie „Ich will nicht, dass du dich blau fühlst / in dieser sterbenswerten Stadt / die keine Fenster und auch keine Türen, aber so viele Mauern hat.“) oder das mir bislang unbekannte, sehr atmosphärische „Auf Geisterfahrt“.
Musikalisch berührte das Ganze vornehmlich dann, wenn die Refrains mehrstimmig vorgetragen wurden – und vor allem, wenn Sängerin Marilies Jagsch mit ihrer wunderbar fahlen Herbststimme hohe Trauerkompetenz beisteuerte. Da verschmerzt man sogar einmal ein Blockflötensolo! Sanftes Schlagwerk, Melodika und Quetsche steuerten weitere Farbtupfer bei.
Über die in gestelztem Hochdeutsch vorgetragenen Songtexte kann man geteilter Meinung sein, oft kommen die Lyrics schon arg verschwurbelt und verrätselt daher. Dazwischen fallen aber doch immer wieder ungewöhnliche und entlegene Sprachbilder ab. Und verqueren Humor gibt es obendrein: Etwa in „Peter Handke“, wo es zunächst heißt: „Meine Fehler wären einer Maschine nicht passiert“, am Ende dann: „Meine Fehler wären Peter Handke nicht passiert“. Laut (Haupt-)Sänger Wolfgang Wiesbauer geht es im Song um den „Unterschied zwischen erfolgreichen und erfolglosen Poeten: Die einen erhalten den Nobelpreis, die anderen spielen in der Zone Wörgl“.
Aber wer braucht schon Nobelpreise, wenn er Fritz O. hat? Im Zugabenteil griff er dann sogar selbst zum Gesangsmikrofon – ohne sich vorher überhaupt von der Bühne bewegt zu haben. Kaputte Gelenke lassen solche Mätzchen eben nicht zu. Dafür gab es den perfekten Rausschmeißer: eine würdige deutschsprachige Nachdichtung des „Weeping Song“ vom großen Dunkelmann Nick Cave. Die wurde mit einer Wucht, Lautstärke und Dynamik serviert, die ich mir auch vorher manchmal gewünscht hätte, wenn es allzu getragen wurde.
Am Ende eines Abends über das Ende durfte das handverlesene Publikum jedenfalls noch einmal mit vollem Recht jenen Jubel anstimmen, der Fritz Ostermayer besonders zusagte: „Juhu!“