HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 14
MOLLY – GLIMPSE (2017):
Fantastische Shoegaze/Dreampop/Post-Rock-Klänge – aus Tirol?? Die ungläubigen Fragezeichen kann man sich getrost sparen – wie ja überhaupt die Vorstellung, dass aufregende und innovative Musik nur in den großen Zentren der Popkultur entstehen könne, ziemlich borniert ist. Kreative Köpfe und spannende Entdeckungen gibt es schließlich überall.
Dennoch war auch ich beim ersten Hören überrascht, WIE gut das 2014 in einem Tiroler Probekeller formierte, inzwischen in Innsbruck und Wien beheimatete Duo Molly wirklich klingt – wie elegant und, im besten Sinne, abgeklärt und souverän.
„Glimpse“ heißt die jüngste, nunmehr dritte EP, die Anfang Dezember als limitiertes 12-Inch-Vinyl auf dem britischen Label Dalliance Recordings erschienen ist. „Glimpse“ heißt auch die A-Side, ein acht Minuten schwerer, kontrast- und spannungsreicher Brocken Musik, der Lars Andersson (Gesang, Gitarre) und Philipp Dornauer (Drums, Synthesizer) alle, nein: genau die richtigen Register ziehen lässt. Und der national wie international bereits beachtliche Resonanz gefunden hat.
Schon zum wiederholten Male Lob auf der US-Plattform Stereogum, Song des Tages auf der britischen Independent-Seite The Line of Best Fit, Features in deutschen Medien oder gar auf der Website des russischen Rolling Stone (ja, den gibt es tatsächlich): Keine Frage, das Talent von Molly spricht sich gerade ziemlich herum.
Hierzulande natürlich auch auf FM4: Dort waren die beiden nicht nur in den Jahrescharts bestens vertreten (Platz 56), sondern zuletzt z. B. auch Soundpark-Act des Monats samt Session im Studio2 und mehreren großen Features.
Auch internationale Liveshows haben Molly schon einige bestritten, darunter einen offenbar vielbeachteten Auftritt beim Showcase-Festival The Great Escape in Brighton oder auch eine erste Europatournee (u. a. im Vorprogramm von Xixa).
Der Blick in die Kommentarsektion der Videoportale, den man ansonsten bekanntlich eher vermeiden sollte, zeigt ebenfalls, dass die Musik der jungen Tiroler vielerorts begeisterte Hörer findet – von Brasilien bis zu den Philippinen, von China bis Honduras, im englischsprachigen Raum sowieso. Kurz gesagt: Eine beachtliche internationale Karriere scheint für Molly durchaus möglich.
Und womit? Mit Fug und Recht, wie u. a. der Track „Glimpse“ beweist. „Dreamy alpine airiness“ steht im Beipackzettel der Plattenfirma – und das trifft es nicht schlecht: Molly lassen ihre Musik atmen, statt in jugendlichem Ungestüm (btw, nichts gegen jugendliches Ungestüm!) zu viel auf einmal zu wollen. Sie nehmen sich Zeit und Raum, um Dramaturgie und Atmosphäre umso wirkungsvoller zu entfalten. Die Melodie schält sich so erst nach und nach aus dem Rauschen und Dröhnen, der sanft verhallte, verwehte Gesang setzt erst nach über zwei Minuten ein. Etwa zur Halbzeit nehmen Wucht und Dynamik spürbar zu, bis Molly das Stück in ein gewaltiges, düster lärmendes Finale münden lassen. Aus dem Lufthauch ist da längst ein Sturmwind geworden.
Dazu gibt es ein meditatives bis milde verstörendes Video mit dem einmalig-einzig-echten Mike Zangerl:
Wie fachgerecht Molly es verstehen, die genretypische Soundwand aus verwaschenen, Effektpedal-getriebenen Gitarren und Synthesizerflächen aufzuziehen, ist an sich schon beeindruckend – umso mehr aber, wenn man bedenkt, dass da eben nur zwei Musiker am Werk sind. Mit Anfang 20 noch dazu zwei sehr junge.
Auch die B-Seite der EP – mit „Time And Space“ und „Time And Space Pt. 2“ – weiß zu überzeugen. Wenn in es in Teil eins etwa nach mehr als dreieinhalb Minuten zum Bruch kommt und plötzlich sphärischer Gesang in hoher Tonlage einsetzt, denkt man nicht nur an Shoegaze-Genreväter wie Slowdive oder My Bloody Valentine, sondern mindestens ebenso sehr an skandinavische Atmosphäriker wie Sigur Ros – die Molly ebenfalls als Einfluss nennen.
Die Wucht, mit der das alles daherkommt, etwa auch in der hymnischen, 2015 veröffentlichten Debütsingle „Sun, Sun, Sun“, hebt Molly auch wohltuend vom bisweilen etwas blutleer und akademisch anmutenden Post-Rock-Genre ab, während Laut-Leise-Dynamik und effektvolle Dramaturgie dafür sorgen, dass sie nie in allzu einförmiges Schuhestarren verfallen.
Apropos: Molly sind nicht nur Studiotüftler, sondern gelten auch und vor allem als tolle Liveband – als solche konnten sie, wie man liest, übrigens auch ihren jetzigen Labelboss überzeugen. Nachprüfen kann man diese wahrhaft hypnotisierende Qualität nun auch in einem 45-minütigen, in einer Tiroler Bogenschießarena zwischen Plastikbäumen und künstlichen Tieren aufgenommenen Konzertfilm. Nachprüfen sollte man das aber natürlich vor allem bei einem der Auftritte des Duos. Ich zumindest habe mir das fix vorgenommen.
2018 dürfte sich dafür hoffentlich doch die eine oder andere Gelegenheit eröffnen – heuer soll es nämlich nicht nur ein Debütalbum geben, sondern auch eine Europatournee. Go for it!
FOTONACHWEIS: NIKO HAVRANEK