Meine hundert Lieblingslieder 2013 – Platz 81 bis 100

81. Young Fathers – Deadline

Die schottische Multikulti-Truppe lässt elektronischen Lärm auf hypnotische Chants und enervierende Sirenengeräusche treffen. Und am Ende wird dann kryptisch (politisch?) gefleht:

„Don’t you turn my home against me / even if my house is empty.“ Spannende zwei Minuten!

 

82. Christine Owman ft. Mark Lanegan – Familiar Act
Die in London ansässige Schwedin Christine Owman (die in Innsbruck heuer ein tolles Konzert gegeben hat) und Grabesstimme Mark Lanegan wandeln in diesem dunklen Duett auf den Spuren von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra – und auf den Spuren von Lanegan selbst: Schließlich hat der zusammen mit der Schottin Isobel Campbell drei erfolgreiche Duettalben aufgenommen.

Campbell hat zu diesen „Die Schöne und das Biest“-Begegnungen immer recht viel Saccharin mitgebracht. Christine Owman liebt es da deutlich düsterer, atmosphärischer – letztlich auch spannender. Ihr sägendes Cello trägt ein Übriges zur dunklen Romantik des Songs bei.

 

83. Joy Wellboy – Lay Down Your Blade
Und gleich noch einmal das Prinzip des einander umschlingenden bzw. kontrastierenden Mann-Frau-Gesangs. Joy Adegoke und Wim Janssens aus Brüssel bilden nicht nur das Duo „Joy Wellboy“, sondern sind auch privat ein Paar. Vielleicht gelingt ihnen ihr The-xx-artiger Flüster-Elektropop deswegen so intim.

84. Fettes Brot – Kannste kommen
Nur ein oberflächlicher Partytrack? Vielleicht, aber einer der wirklich Spaß macht – mit witzigen Metaphern („Wir lassen heut die Fässer rollen wie Donkey Kong“), lauter schönen Reimen auf „-om“, „-on“ oder „-ong“ („Falls du Israeli bist, sag ich Schalom“) und lustigen Sätzen wie: „Ich hab Girlanden bestellt, bei Amazon.“

Außerdem hat das Lied noch einen absurden, fast schon unheimlichen Twist: Außer der/dem Angesprochenen hat der Ich-Erzähler nämlich gar niemanden zur Party eingeladen: „Die ander‘n Gäste gibt es gar nicht, streng genomm’n“. Fazit: Was ihren Sprachwitz und ihre sympathische Art betrifft, sind König Boris, Doktor Renz und Björn Beton(g) den meisten humorlosen Nachwuchsrappern immer noch einen Schritt voraus.

 

85. MGMT – Your Life Is A Lie
Schön, wenn ausgerechnet die Hipsterband schlechthin („Kids“, „Time To Pretend“ …) ein offenbar sehr sperriges, kommerziell eher untaugliches Album vorlegt. Noch schöner, wenn sie ihrem coolen Indiepublikum (oder dem Konsumtrottel in uns allen) in der ersten Single Folgendes entgegenschleudert: „Your life is a lie!“  Das sitzt.

Und das Video sollte man auch gesehen haben:

 

86. Magic Arm – Put Your Collar Up
Melancholischer, aber leichtfüßiger Indiepop aus Manchester, garniert mit verträumten Bläsern und Streichern, Piano und ein paar elektronischen Tupfern. Tut keinem weh – aber das muss ja auch nicht immer sein. Manchmal reichen reine Schönheit und Freundlichkeit ja auch.

 

87. Christian Kjellvander – The Valley
Herr Kjellvander, der seit Anfang der Nullerjahre immer wieder für ergreifende Lieder gut ist, kommt, wie der Name schon verrät, aus Schweden. Aber sein melancholischer Folk-/Alternative Country-Sound klingt eindeutig nach Amerika – wenn auch vielleicht nur nach jenem imaginären Amerika, das man aus Filmen und Büchern kennt. Und aus Liedern wie diesem.

 

88. Rose Windows – Native Dreams
Flötentöne im Rock (so wie hier im Intro)? Seit Jethro Tull eigentlich ein No-Go. Aber dem schwer psychedelischen Hardrocksound der Fensterrosen aus Seattle steht das gut zu Gesicht.

Der kraftvolle Gesang von Rabia Shaheen Qazi lässt an Grace Slick von der Hippieband Jefferson Airplane oder an Janis Joplin denken. Der gewichtige Rocksound ruft hingegen Assoziationen zu Klassikern wie Black Sabbath und The Doors oder Nachfahren wie Wolfmother hervor. Retro? Zeitlos! Und von mir aus kann das Psychedelic-Rock-Revival ruhig noch länger dauern.

 

89. Caged Animals – Cindy+Me
Noch eine kleine, feine Band, die ich im Innsbrucker PMK leider versäumt habe: Die Caged Animals aus Brooklyn servieren spleenig-verspielten Elektropop mit nervig fiependen Synthies und allerlei elektronischem Geklöppel. Und ein gezischtes „Shhhhhh!“ (also: „Pssssst!“) hat man in einem Pop-Refrain auch noch selten gehört (na gut, bei Björk vielleicht).

Die seltsamen Zutaten fügen sich jedenfalls bestens zusammen. Und das die Laboraffen im Video einfach mal den Spieß umdrehen, war höchste Zeit.

 

90. Eleanor Friedberger – Stare At The Sun
Apropos sympathisch spleenig: Das sind Eleanor Friedberger und ihre tolle Stammband Fiery Furnaces auch. Wobei: Auf „Stare At The Sun“ von ihrem zweiten Soloalbum „Personal Record“ präsentiert sich Friedberger (für „Bunte“-Leser: die Ex von Alex Kapranos (Franz Ferdinand)) eher geradlinig-schrammelig. Und diese unverkennbare Stimme muss man einfach lieben.

 

91. Vampire Weekend – Ya Hey
Auch die New Yorker Afrobeat-Indiepopper fallen der traurigen Tatsache zum Opfer, dass in meinen Jahrescharts nur hundert Lieder Platz finden (na gut, sie werden’s verschmerzen ;-)). Dabei gäbe es auf dem neuen Album „Modern Vampires of the City“ einige schöne Lieder: zum Beispiel die seelenvolle Ballade „Hannah Hunt“ oder das zappelige „Diane Young“.

Am besten gefällt mir aber „Ya Hey“, weil es scheinbar völlig unpassende Bausteine originell zusammenfügt: melancholische Strophen („America don’t love you …“), eine dramatische Bridge – und im Refrain plötzlich bizarr verfremdete „Ya hey“-Rufe, die fast an Alvin & The Chipmunks gemahnen. Unglaublich, dass das klappt.

 

92. Fuck Buttons – Hidden Xs
Live im Innsbrucker PMK waren die Fuck Buttons vor allem eines: UNGLAUBLICH laut. Der halluzinogenen Qualität von epischen Elektro-Drones wie „Hidden Xs“ tat der heilige Lärm keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil.  Ten minutes of bliss in an otherwise meaningless world.

 

93. Veronica Falls – Waiting For Something To Happen

Nicht ganz so himmlisch wie „Bad Feeling“ (2011) oder „My Heart Beats“ (2012), aber trotzdem sehr schöner Folkrock mit feinen Vokalharmonien und jangly R.E.M.-Gedächtnisgitarren. (Die Alternative-Urväter aus Athens sind eines der erklärten Vorbilder der jungen Briten).

 

94. Black Sabbath – God Is Dead?
Ich bin alles andere als ein Sabbath-Experte, ab soviel weiß auch ich: Die waren einmal unglaublich gut. Jammerschade, dass die meisten Menschen Ozzy Osbourne nur noch als tatteriges Drogenwrack abgespeichert haben (danke, Reality-TV!). Das könnte sich mit dem hochgelobten Comeback-Album „13“ wieder ändern.

Sicher, Ozzys Stimme dürfte elektronisch begradigt worden sein und auch seine Lyrics wirken, ähem, nicht völlig klischeefrei. Ansonsten aber klingt die erste Single „God Is Dead?“ nicht nur völlig unpeinlich, sondern bleischwer, finster und zäh – genau nach jenem Sound also, den Black Sabbath erfunden und Abertausende Rock- und Metalbands abgekupfert haben.

Die Frage, ob Gott tot ist, lassen Black Sabbath hier offen. Doch nach fast neun Minuten Spielzeit steht immerhin fest: Diese Hardrockgötter leben!

 

95. The Thermals – Born To Kill
Im Vergleich mit Black Sabbath (Platz 94) benötigen die Thermals für die erste Single ihres neuen Albums nicht einmal ein Fünftel der Zeit. Während der Rest des Albums – offenbar ein Konzeptalbum über Gewalt und Krieg als menschliche Konstanten – leider ziemlich einförmig klingt, kommt „Born To Kill“ sofort auf den Punkt: leidenschaftlicher Power-Pop/Punkrock, wie man ihn von der Band aus Portland kennt und schätzt.

Im zugehörigen Video spielt Sänger Hutch Harris einen irren (?) Killer, der von seinen eigenen Bandmitgliedern ordentlich auf die Fresse kriegt. Naja, nicht gerade oscarreif ;-).

 

96. Woodkid – I Love You
Zugegeben: „Run Boy Run“ (das einen prominenten Platz in den Jahrescharts von Bloggenosse Steff einnimmt) mag rhythmisch interessanter, generell innovativer sein: Der Hit auf „The Golden Age“, dem Debütalbum von Woodkid, ist aber das opulente „I Love You“: Getragen von der markanten Stimme des Franzosen (der übrigens als Musikvideoregisseur begonnen hat), herausgebacken in reichlich Streicherschmalz.

 

97. Pearl Jam – Mind Your Manners
„Lightning Bolt“, der zehnte Pearl Jam-Longplayer, spaltet die Kritiker: Die einen sprechen von einem großen Spätwerk bzw. der Rückkehr zur alten Stärken, die anderen vom schlechtesten Pearl Jam-Album ever. Nach allem, was ich bisher gehört habe, neige ich eher der zweiten Meinung zu (und habe mir zum ersten Mal ein PJ-Album nicht gekauft).

„Mind Your Manners“ (und „My Father’s Son“) sind aber geradlinige, punkige Kracher, die an ewig gültige Meisterwerke wie „Vs.“ denken lassen.

 

98. These New Puritans – Organ Eternal
Das aggressive, bedrohliche Element und die wilde Polyrhythmik vom 2010er-Album „Hidden“ (Anspieltipp: das unglaubliche „Attack Music“) vermisse ich auf dem Nachfolger „Fields of Reeds“ ein wenig: Dieses Album klingt viel beschaulicher und elegischer – wenn auch nicht minder düster und schwierig. Eingespielt wurde es mit zwei großen Klassikensembles, und das Ergebnis klingt tatsächlich nach einer Art Neo-Klassik, inklusive wiederkehrender Leitmotive (generell eine Spezialität von These New Puritans).

Pop ist das nicht mehr. Aber geheimnisvolle, hypnotische Klangwelten wie das von einer Synth-Orgel beherrschte „Organ Eternal“ sind ja auch nicht zu verachten.

 

99. The Haxan Cloak – The Drop
Der dunkelste Trip des Jahres. Das Cover des Albums „Excavation“ ist komplett in Schwarz gehalten – bis auf eine Henkersschlinge. Und genauso klingt auch „The Drop“: Fast dreizehn Minuten (!) morbider Elektronik, aus denen man das Bimmeln der Totenglöckchen, die feuchte, schwere Erde und endlose Dunkelheit förmlich herauszuhören glaubt.

 

100. Lorde – Royals
Das totale Kontrastprogramm zur Nr. 99: Kompakter, perfekt gesungener und produzierter Pop vom zum „Tatzeitpunkt“ gerade einmal 16-jährigen Wundermädchen aus Neuseeland. Ein paar hundert Millionen Klicks – und trotzdem alles andere als scheiße. Wenn so ein cleverer und doch unaufdringlicher Ohrwurm zum Welthit wird, ist das doch eigentlich nur eines: super.

 

So. Und nach all der topaktuellen Musik und den zugehörigen Textmassen 😉 freue ich mich jetzt darauf, mal wieder Altes und Rares zu entdecken (auch wenn mein aktualitätsverliebter Blogkollege Martin dieses Gefühl wohl nicht teilen dürfte).

Einiges liegt schon bei mir herum (etwa ein Best-of der Britfolkgötter „Fairport Convention“ oder eine Kompilation mit frühem Underground-Punk aus den USA), anderes werde ich mir bald besorgen (zum Beispiel das wiederaufgelegte Gesamtwerk der Wiener Underground-Legenden The Vogue oder das einzige Album der amerikanischen Psychedelic-Folk-Girlgroup Honey Ltd.).

Es gibt so viel schöne Musik, man muss sie nur pflücken …

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