Same title – different song (Teil 1)

Wie Kollege Steff vor einigen Wochen nachgewiesen hat, ist die Zahl der im Pop verfügbaren Melodien und Harmonien offenbar begrenzt – weshalb manche Bands sich dazu gezwungen sehen, mehr oder weniger dreist bei anderen zu klauen. Doch auch coole Songtitel scheinen eine knappe Ressource zu sein: Unterschiedlichste Künstler taufen ihre Lieder – ob bewusst oder unbewusst – immer wieder auf dieselben Namen.

Um der daraus entstehenden Verwirrung entgegenzuwirken, hat unsere serviceorientierte Seite beschlossen, einige Lieder gleichen Namens miteinander zu konfrontieren. Und um der Leserschaft die Entscheidung zu erleichtern, geben wir immer auch gleich bekannt, welches der gleichnamigen Lieder das beste ist. Frei nach dem Motto: Ein „Supersonic“ reicht!

1. Into The Void:
Kollege Dave ist der Ansicht, dass JEDE Metalband, die etwas auf sich hält, einen Song namens „Into The Void“ im Repertoire habe. Das mag übertrieben sein – aber nur leicht.

a) Black Sabbath:
Wahnsinn, wie gut die mal waren! Die Miterfinder des Heavy Metal servieren hier (auf „Master of Reality“, 1971) ein gewaltiges, groovendes Riffmonster, das sich trotz seines bleischweren Gewichts erstaunlich leichtfüßig bewegt. Und herrliches Trademark-Gequengel von Ozzy gibt es natürlich auch. Wenn man das hört, weiß man, wo Soundgarden herkommen. Oh, die haben „Into The Void“ ja wirklich mal gecovert!

b) Nine Inch Nails:
„Into The Void“ ist die dritte Single vom 1999er-Album „The Fragile“ – und klingt genauso, wie man sich das von NIN erwartet: Brachialer, elektronisch grundierter Neo-Industrial-/Metalsound, intensiv, aggressiv, psychotisch und total humorlos. „Try to save myself, but myself keeps slipping away“, singt Reznor, eine Zeile, wie sie für ihn kaum typischer sein könnte. Dass das Ganze mindestens so düster ausfällt wie der gleichnamige Sabbath-Klassiker, verwundert nicht. Doch am schönsten drückt es einer der YouTube-Kommentare aus: „I was actually looking for Black Sabbath song, but well…..void is a void….and im lost in it :)“

Sieger: Black Sabbath

2. Supersonic

a) Oasis:
Eine DER Hymnen des Britpop, vom Oasis-Debüt „Definitely Maybe“ (1994). Großmäuliger hat Liam Gallagher  selten geklungen – und das will bekanntlich etwas heißen. Wie er hier die Wörter (z. B. „autograph“) mit nordenglischer Arroganz zerdehnt und zerkaut, das hat schon was. Wahnsinn übrigens: Das Video wirkt für heutige Augen wie aus dem Mittelalter …

b) Pearl Jam:
Eine flotte Nummer vom gar nicht schlechten, bislang letzten Album „Backspacer“ (2009). Für Pearl Jam-Verhältnisse ungewöhnlich optimistisch, fast schon eine Partynummer, musikalisch wie textlich: „I wanna live my life with the volume full“. Ist das der trotzige Lebenshunger einer Band in der Midlife Crisis? Stellenweise gerät mir „Supersonic“ sogar ZU fröhlich:  Das (zum Glück nur kurze) „Yeah, yeah, yeah“-Gekrähe gegen Ende des Liedes ist nicht mehr weit von schmierigem Mainstream-Rock entfernt.

Sieger: Oasis

 

3. Ashes To Ashes

a) David Bowie:
Der Bowie-Klassiker von 1980, dessen halluzinatorisch-hypnotische, gleichermaßen melancholische wie unheimliche Atmosphäre vom stilbildenden Video bestens eingefangen wird, greift das inhaltliche Thema von „A Space Oddity“ (1969) wieder auf („Do you remember a guy that’s been/in such an early song?“) – mit einer düsteren Wendung: Major Tom, der in den unendlichen Weiten des Weltraums/des Drogennebels/seines eigenen Bewusstseins verlorengegangene Hippie-Astronaut, ist zurückgekehrt – und hart aufgeschlagen: „We know Major Tom’s a junkie/ strung out in heaven’s high, hitting an all-time low“. Oder: „My Mama said/ to get things done/ you‘d better not mess with Major Tom …“ Dass Bowie sich hier auch auf seine eigenen Drogenexzesse bezieht, ist offensichtlich.

„Ashes To Ashes“ hat übrigens (genau wie zuvor schon „Life On Mars?“) einer britischen SciFi-Polizeiserie den Namen gegeben. Das Phänomen des Titel-Recyclings lässt sich also auch medienübergreifend beobachten.

b) Faith No More:
Die erste Single der letzten Faith No More-LP „Album Of The Year“ (1997) ist sicher eines der Highlights im Werk der Funk-Metal-/Alternative-/Experimental-Rocker. Stimmwunder Mike Patton zeigt sich hier auf der Höhe seiner Kunst, zwischen grabestief gesungener Strophe, dramatischer Bridge und dem eruptiven, bewegenden Refrain (der wiederum unvermittelt in bedrohliches Knurren übergeht).

Sieger? Ein leistungsgerechtes Unentschieden. Ich würde in meinem Leben auf keines der beiden Lieder verzichten wollen.

 

4. Default

a) Django Django:
Die Nummer eins meiner Jahrescharts 2012. Need I say more? Ok, aber nur ganz wenig: Hier handelt es sich um einen Song, den unsere nördlichen Nachbarn als „’ne wahre Wuchtbrumme“ bezeichnen würden. Den (fragwürdigen) Graben zwischen Rock und Elektronik überspringen die Briten mit spielerisch-experimenteller Leichtigkeit.

b) Atoms For Peace:
Erste Single und – aus meiner Sicht – bester Song vom heuer erschienenen Debütalbum der, Achtung, hässliches Wort, „Supergroup“ mit Thom Yorke, Flea von den Chili Peppers, Produzent Nigel Godrich, Joey Waronker (Beck, R.E.M.) und Mauro Refosco. Vor allem rhythmisch klingt „Default“ unwiderstehtlich (so wie das ganze Album, das so liest man, stark von Afrobeat beeinflusst ist). Es klackert und klopft hier ganz wunderbar – und wurde anscheinend bewusst so aufgenommen, dass man als Hörer nicht mehr unterscheiden kann, was hier programmiert und was „handgemacht“ ist. Ein Schlag ins Gesicht für Puristen beider Lager (Rock, Elektronik) – sehr schön. Und auch Yorkes flehender, weinerlicher Gesang (der mir manchmal eher den Nerv zieht) klingt hier einfach schön.

Sieger: Django Django – aber ziemlich knapp 😉

 

5. I Want It All

a) Queen:
Klar, kennt jeder. Breiter Hardrock trifft auf mindestens ebenso bombastische Musical-Theatralik und ein ganzes Nest von Ohrwürmern. Queen halt.

b) Arctic Monkeys:
Die Inselaffen (inzwischen offenbar ins sonnigere Kalifornien übersiedelt) haben bei mir ja lange keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Aber das eben erschienene Album „AM“ gefällt mir nach den ersten paar Durchläufen ausgezeichnet. „I Want It All“ lässt in seiner leicht bedröhnten bis psychotischen Sexyness an Queens Of The Stone Age denken. Und das ist ja auch kein Wunder: Josh Homme ist nicht nur mit der Band befreundet, er hat mit den Monkeys auch schon des Öfteren zusammengearbeitet – auf den Alben „Humbug“ und „Suck It And See“ ebenso wie auf „AM“, wo er bei zwei Songs mitwirkt). Den Milchbubis aus England hat das bestimmt nicht geschadet. Und der leicht düstere Glam – hier mit „Shoo-wop, Shoo-wop“-Chorus – steht ihnen wirklich gut. Dass sie in „I Want It All“ den heftig psychedelischen Stones-Klassiker „2000 Lightyears From Home“ von 1967 namedroppen, finde ich auch super.

Sieger: Arctic Monkeys (wobei das Hitpotential bei Queen zugegebenermaßen wesentlich  höher ist).

 

6. My Generation

a) The Who:
Das berühmteste Gestotter der Rockgeschichte.

b) Limp Bizkit:
Fred Durst (hui, wie schnell man so einen Namen vergisst!) zitiert hier das G-g-generation-Gestammel von Roger Daltrey, vielleicht hatte er in grenzenloser Selbstüberschätzung sogar eine vergleichbare Hymne für die Generation Jahrtausendwende im Sinn. Aber natürlich war Rebellion bei den Nu Metal-Weichkeksen nie mehr als eine verkaufsfördernde Behauptung. Doch in seiner vulgären Aggression und seinem offensiv zur Schau gestellten Stumpfsinn hat mir das Ganze damals gar nicht sooo schlecht gefallen. Uncool, ich weiß.

Sieger: Geh bitte. „Hope I die before I get old?“ oder „For all the ladies in the cave, to get your groove on“? Pete Townshend oder Wes Borland? Na eben.

 

7. Animal

a) Pearl Jam:
Vs. von 1993 ist wahrscheinlich mein liebstes Pearl-Jam-Album, weil die Band hier zorniger, punkiger und vor allem energiegeladener klingt denn je. Und das rasante „Animal“ ist dafür ein verdammt gutes Beispiel.

b) R.E.M.:
Michael Stipe versucht sich hier – vielleicht etwas zu krampfhaft – als psychedelischer Rocker, spacige Lyrics inklusive („Tell me I’m a tourist in the 4th dimension?“; „I’m vibrating at the speed of light“). Tierisch ist auch die Körperbehaarung, die er im Video zur Schau stellt. Aber der Refrain mit seinen hypnotischen, vage arabisch-exotisch anmutenden Harmonien und dem dazwischengeschobenen Nonsens-Gemurmel zündet sofort. Außerdem gilt: Wenn Mike Mills Backing-Vocals beisteuert, ist es automatisch ein guter Song!

c) Miike Snow:
Ein veritabler Elektropop-Hit der Schweden. Sanft, lieblich – und damit weit weniger animalisch als die Beiträge von Pearl Jam und R.E.M., obwohl sich auch Sänger Andrew Wyatt (genau wie Michael Stipe) zum Tier erklärt.

d) R.I.O. feat. U-Jean:
„This porn has good music …“, meint ein Youtube-User angesichts des standardisiert-verführerischen Videos. Aber als „gute Musik“ würde ich so einen schmierig-billigen Bastard aus R’n‘B, (Euro-)Dance und üblem „Rap“ nun wirklich nicht bezeichnen. Diese Ode an ein weibliches „party animal“ will sexy sein, ist aber nur sexistisch. Und das liegt gar nicht mal am Video.

e) Neon Trees:
Schlimmer geht’s immer: Pseudo-Musik (und Pseudo-Frisuren) wie diese sind schuld daran, dass der Begriff „Indie-Rock“ (der ursprünglich ja nur bedeutete, dass Musik auf einem unabhängigen Label erscheint) heute völlig entwertet ist, ja mittlerweile allergische Reaktionen auslöst. Brrr!

Sieger: Pearl Jam

 

8. I Want You
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass es im Pop in erster Linie um Begierde geht – hier ist er. Irgendwie scheint es mir, dass jeder, der irgendwann einmal Musik gemacht hat, auch ein Lied mit dem Titel „I Want You“ sein eigen nennt. Zum Beispiel: Bob Dylan, die Beatles, Marvin Gaye, Elvis Costello, Erykah Badu, die Kings Of Leon, Savage Garden, Common, Thalia feat. Fat Joe, Trey Songz, Martin Solveig, Taken By Trees, Caligola, Bon Jovi oder deine Oma. Und weil es niemandem zuzumuten ist, sich all diese „Want Yous“ anzuhören, hier eine kleine Auswahl:

a) Bob Dylan:
Einer der großen Dylan-Klassiker, dabei typisch und untypisch zugleich: Typisch Dylan ist neben Gitarre und Mundharmonika auch das verwirrende, schwer metaphorische Personenarsenal in den Strophen (schuldhafte Totengräber, einsame Leierkastenmänner, betrunkene Politiker, Heiland und Hausmädchen, dazu ein tanzendes Kind mit Flöte, das angeblich für Brian Jones steht …). Eher untypisch ist der positive, optimistische Grundton des Liedes und vor allem der direkte, ironiefreie, für Dylan-Verhältnisse gar leidenschaftliche Liebesschwur im Refrain („I want you so bad“).

b) Beatles:
Als ob sie gewusst hätten, dass es einmal „I Want You“s zum Saufuadan geben würde, haben die Beatles das ihrige mit einem Zusatztitel versehen: „I Want You (She’s So Heavy)“. Wahrscheinlich, um uns Nachgeborenen das Googeln zu erleichtern. Aber dieser ausufernde, blueslastige Achtminüter von „Abbey Road“ (den John Lennon über Yoko Ono geschrieben hat) hätte das natürlich gar nicht nötig. Mit seiner ungewöhnlichen Länge, seinen Gitarren (die für Beatles-Verhältnisse – und für die damalige Zeit – wirklich ziemlich heavy sind), dem Moog-Synthesizer und dem abrupten Ende sticht er sowieso hervor.

c) Marvin Gaye:
Ein sexuell aufgeladener Hybrid aus Funk, Soul und Disco. Vielleicht keine Sternstunde im Gaye’schen Werk, aber immer noch hundertmal seelenvoller und delikater als das meiste, was sich heute so unter Labels wie „R’n’B“ oder „Soul“ herumtreibt …

d) Common:
Einer der legitimen Nachfolger von Marvin Gaye, der hier recht überzeugend den Faserschmeichler gibt. Leider etwas glattpoliert.

e) Erykah Badu:
Frau Badu zeigt, wie’s gemacht wird: reduziert, groovy, voll (sexueller) Spannung und Erwartung, die erst nach und nach ein- und aufgelöst wird. Gut investierte elf Minuten!

f) Savage Garden:
Warnung: Dieser Song kann sich wie ein Pfropfen Ohrenschmalz im Gehörgang festsetzen und zugleich unerwünschte Flashbacks in die tiefsten Neunziger erzeugen!

g) Taken By Trees:
Victoria Bergsman, ehemals Frontfrau der schwedischen Indiepopper „The Concretes“, verbindet hier ätherisch-verträumten Pop mit saftigen Dub-Reggae-Rhythmen. Feine Sache!

h) Elvis Costello:
SO muss ein Song klingen, der dem Titel „I Want You“ gerecht werden möchte: leidenschaftlich, drängend, nein: geradezu obsessiv. Besser ist das Gefühl der Eifersucht, der Verletztheit, der unbefriedigten sexuellen Sehnsucht wohl nie in einen Song gekleidet worden:
„It‘s the stupid details that my heart is breaking for/It‘s the way your shoulders shake and what they’re shaking for/I want you/It‘s knowing that he knows you now after only guessing/It‘s the thought of him undressing you or you undressing“. Oder: „ I want you/I‘m afraid I won‘t know where to stop/I want you/I‘m not ashamed to say I cried for you (…)I want to hear he pleases you more than I do/I want you.“
Allein der musikalische Bruch nach dem knapp einminütigen Vorspiel ist – formal und inhaltlich – ein Meisterstück.

Sieger: Elvis Costello.

Kleine Anmerkung zum Schluss der Videoorgie: Kollege Dave hätte für diese Rubrik einen etwas anderen Titel vorgeschlagen: „Same shit, different asshole“. Aber das hätte wohl nicht unbedingt zum Reinhören eingeladen …

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