Nur die Frau im Mond schaut zu

Albumtipp: Moon Woman – Open Gates (2020)

Hätte mir vor bald 14 Monaten (um Gottes willen!) jemand gesagt, dass der mitreißende Auftritt von Kosmodrom aus Oberfranken und Moon Woman aus Tirol in der Jungen Talstation zu Innsbruck vorerst mein allerletztes Livekonzert sein würde, ich hätte sie oder ihn mindestens mit einem sorgenvollen Blick bedacht. Inzwischen ist das damals Unvorstellbare längst neue Normalität geworden – und wann Konzertabende oder Festivals wieder in gewohnter Form stattfinden können, steht weiter in den Sternen.

Wechseln wir also von den Sternen lieber gleich auf den Mond – und von geschlossenen Saal- und Clubtüren zu „Open Gates“, dem gleichnamigen, hoffnungsfroh betitelten Debütalbum von Moon Woman aus Innsbruck. Daniel Rieser (Gesang, Bass), Florian Ortner (E-Gitarre, Slidegitarre) und Rene Nussbaumer (Schlagzeug, Synths) haben die Pandemie nämlich bestens genützt, im Sommer 2020 binnen zwei Wochen ein Album mit acht Tracks in Eigenregie aufgenommen (bei zwei Nummern mit Unterstützung von Thomas Riesner an der Violine) und dieses gegen Jahresende ebenso autonom herausgebracht.

Als ein „Bier-aufmach-und-ganz-durchhör-Album“ bezeichnet die Band ihr Erstlingswerk selbst – und das trifft tatsächlich ins Schwarze. Mit seiner geschickten Dramaturgie und seinem Wechsel zwischen kompakten Tracks und Stücken, die sich viel Zeit zum gepflegten Ausfransen nehmen, eignet sich „Open Gates“ wirklich besonders dazu, in einem Zug gehört zu werden. Beim beschwörenden „Sun Chant“ (sehr schön gewählter Titel!) oder dem eröffnenden „Tiger and his warrior“ würde man sich im besten Sinne fast wünschen, dass sie noch länger dauern, während Moon Woman im Titelsong, bei „Western Territories“ oder dem finalen Dreizehnminüter „Eastern Lights“ ihren Psychedelic/Stoner/Heavy Blues-Sound in Ruhe in verschiedenste Richtungen wuchern lassen.

Was den Tracks bei allen Kontrasten gemeinsam ist: Trotz wuchtiger Riffs und zentnerschwerer Drums bleibt der Gesamtsound stets groovy, beweglich, luftig und leichtfüßig, was manch anderer, allzu verbissener und schwerfälliger Band in verwandten Genres abgeht. Trotzdem (oder gerade deshalb) verstehen es Moon Woman, stetig Spannung aufzubauen – und zwar ohne sie immer gleich voll ausbrechen zu lassen, manchmal sogar ohne sie überhaupt aufzulösen. Die jungen Musiker gönnen sich immer wieder Momente fast vollständiger Stille, nur um Schlagzeug, Bass, Gesang dann fast gemächlich wieder einsetzen und wachsen zu lassen. Nicht nur in diesem bewusst zurückhaltenden Ansatz lassen sie bisweilen an die gefeierten Psychedelic-Blueser All Them Witches denken. Was den düsteren Sprechgesang betrifft, sind, etwa in „Dance of the Komorebi“, auch Parallelen zu den Doors (im Sinne von „When The Music’s Over“ oder „The End“) nicht von der Hand zu weisen, auch wenn der Sound insgesamt natürlich in eine ganze andere Richtung weist.

Und diese Richtung liegt, wie schon der Bandname suggeriert, in der Weite, im Kosmischen und Sphärischen. Die Produktion ist angenehm reduziert, nie überladen. So entfaltet der Gesamtsound eine einlullende, fast beruhigende Qualität, auch wenn er wie in „Stray Dog“ oder dem dunklen „Eastern Lights“ mit seinen dramatischen Vocals und räudigen Synths volle Fahrt aufnimmt.

Fazit: „Open Gates“ ist ein willkommener, einladender Weg, um sich aus der Pandemie fortzuträumen – und weckt zugleich die Lust auf eine Rückkehr der Livemusik. Übrigens: Mit „Meeting at old valley station“ haben Moon Woman dem Baudenkmal der Jungen (Alten) Talstation der Hungerburgbahn, einer tollen Konzertlocation, sogar ein skizzenhaftes instrumentales Denkmal gesetzt. Und für Sommer plant das Trio eine Tour mit Kosmodrom durch Österreich und Bayern. Wär schön, wenn das klappt!

Hören kann und sollte man das Album in voller Länge HIER oder HIER. Und damit entlasse ich die geneigte Leserschaft mit mysteriösen Zeilen des Dichters Christian Morgenstern, die mir irgendwie sehr passend erscheinen:

Das Mondschaf spricht zu sich im Traum:
„Ich bin des Weltalls dunkler Raum.“
Das Mondschaf. 

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