HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 11:
FLOTATION TOY WARNING – KING OF FOXGLOVES (2017)
Auch so etwas, was man viel öfter tun sollte: Einfach mal in den Laden gehen und ein Album kaufen. Ganz altmodisch: Ohne zu wissen, was einen erwartet, ohne alles gleich zu Tode zu wikipedisieren, ohne die Bewertungen bei Pitchfork oder die Kommentare unter den YouTube-Videos zu lesen. Ja, das geht!
Was mich im Fall von Flotation Toy Warning neugierig gemacht hat: Schönes Cover-Artwork, ein komischer, höchstens mal im Vorbeigehen aufgeschnappter Bandname und mein Faible für lange, skurrile Songtitel, die ich an Künstlern wie Mclusky („The Difference Between Me and You Is That I’m Not on Fire“), Future of the Left („Sheena Is a T-Shirt Salesman“) oder Shabazz Palaces („Swerve…the Reeping of All That Is Worthwhile (Noir Not Withstanding)“) schätze.
Diesbezüglich wird man von Flotation Toy Warning mit Monstertiteln wie „Due To Adverse Weather Conditions All of My Heroes Have Surrendered“, „When the Boat Comes Inside Your House“ oder „Driving Under the Influence of Loneliness“ bestens bedient.
Entscheidend für den Kauf war aber, so viel sei eingestanden, vor allem der Cover-Aufkleber, der die neue Scheibe Freunden von Bands wie den Flaming Lips oder den von mir sehr gemochten Grandaddy ans Herz bzw. Ohr legt. Wobei sich diese Querverweise beim praktischen Hören dann gar nicht unbedingt als zutreffend erwiesen. Tatsächlich ist „The Machine That Made Us“ – das sage und schreibe 13 Jahre (!) nach dem Debütalbum von Flotation Toy Warning erschienen ist – stilistisch äußerst schwer zu schubladisieren. „Neo-psychedelia, chamber pop, space rock, dream pop, noise pop, indie pop, experimental rock, ambient pop, indie rock“ hat Wikipedia im Angebot – und damit ist man in etwa so schlau wie vorher. Und das ist erfreulich!
Denn hier greift nicht sofort der notorische „Klingt wie … / Erinnert mich an …“-Reflex. Dazu klingen Flotation Toy Warning zu eigenartig, zu „quirky“, wie der Brite vielleicht sagen würde. Ja genau, britische Exzentrik ist hier in jedem Song spürbar: Schwelgerische Melodien mit lustvoll leidendem Chorgesang treffen auf fast schon altmodische Folk-Grandezza, filigrane bis opulente, aber zum Glück nie überladene Arrangements paaren sich mit einer Neigung zum abwegigen Experiment.
Phasenweise ist „The Machine That Made Us“ eine Platte, über die man sich auch so richtig schön ärgern kann: In „Everything That is Difficult Will Come to an End“ – das mit den schönen Zeilen „I don’t have much time, none of us really do / So I’m fucked if I’ll be spending it with you“ beginnt – taucht zum Beispiel mittendrin unvermittelt ein schleifend-bohrend-quietschendes elektronisches Störgeräusch auf. Für noch enervierendere Dissonanzen ist in „I Quite Like It When He Sings“ gesorgt, das eigentlich mit besonders herrlichen, delikaten Harmonien betört. Diese werden jedoch – und zwar bis zum bitteren Ende – mit einem windschiefen Gesangssample konfrontiert, bei dem man irgendwie an ein paar Besoffene denken muss, die sich mit einem Heliumballon im Aufnahmestudio eingesperrt haben.
Fast wirkt es in solchen Momenten so, als würden Flotation Toy Warning ihrer eigenen Fähigkeit, wunderbare Melodien zu schreiben, nicht über den Weg trauen – und ihre Songs absichtsvoll über den Haufen schießen. Kurz: Sie machen es einem nicht leicht. Aber vielleicht bleibt ihre Musik genau deshalb hängen.
Am eindrucksvollsten sind möglicherweise trotzdem jene Momente, in denen sich die Band voll von ihrer eigenen Melodieseligkeit/-trunkenheit mitreißen lässt – etwa im elektronisch grundierten, mit Beatbox-Rhythmus und herzzereißendem Harmoniegesang versehenen „To Live For Longer Slides“ oder dem fast 13-minütigen Schlussstück „The Moongoose Analogue“: Da entfaltet der „Du-du-du-du-du-du, du-du-dududu“-Chorus eine sanfte, aber umso hynpnotischere Sogkraft – und tieftraurige Zeilen wie „There will be no ‚forever‘ / There will be no ‚til the end of time‘ / Not much, but that much / Is clear to me“ klingen seltsamerweise fast tröstlich.
Besonders schön ist aber das vergleichsweise einfache und geradlinige „King of Foxgloves“, in dem Flotation Toy Warning kein Störfeuer, keine Brüche, keine irritierenden Umwege und Abzweigungen brauchen – hier herrscht ungebrochene Schönheit. Wobei der Song trotzdem sehr raffiniert und gekonnt gebaut ist: Die himmelsstrebenden Harmonien und fein ziselierten Gitarrenläufe, die dann doch irgendwie an die großen Grandaddy denken lassen, stehen in einem reizvollen Kontrast mit dem robusten elektronischen Beat – und doch fügt sich alles organisch zusammen. Kurz gesagt: Ein Song, dessen Schönheit sich nicht aufdrängt, sondern nach und nach entdeckt werden will.
Gibst du uns weitere Anspieltipps? Sehr gern. Probiert es mit „Controlling the Sea“, „To Live For Longer Slides“ und „The Moongoose Analogue“.
Wenn mir das hier gefällt – was könnte mir dann sonst noch gefallen? Hmmm, gar nicht so einfach. Ich musste aus irgendeinem Grund am ehesten an urbritische Sonderlinge und Einzelgänger wie den großen Kevin Ayers, Syd Barrett oder die mir ansonsten völlig unbekannte, deutlich leichtfüßigere (und wohl auch leichtgewichtigere) One-Man-Band „The Voluntary Butler Scheme“ denken, von der ich mir irgendwann mal ein Album gekauft habe.
Letzte Frage: Seit eurem letzten Track der Woche sind über fünf Monate (sic!) vergangen. Geht’s noch??
Äääääh. (Verlegenes Gemurmel). Wir geloben Besserung!