Konzertbericht: Die Buben im Pelz, PMK Innsbruck, 5. Dezember 2015:
Allein für den Mut (man könnte auch sagen: die Frechheit) gebührt ihnen größter Respekt: Die Buben im Pelz – im Kern bestehend aus den beiden im FM4-Universum kreisenden Musikern und Journalisten Christian Fuchs und David Pfister – haben sich mit The Velvet Underground & Nico aus dem Jahr 1967 eines der einflussreichsten und aufregendsten Debütalben der Musikgeschichte vorgeknöpft, ein düsteres Wunderwerk des Underground (!), das von Punk über Gothic bis Noiserock so ziemlich alle wüsten Subkulturen vorweggenommen und Tabuthemen wie harte Drogen oder Sadomasochismus dauerhaft in der Popkultur verankert hat. Und das mitten im Summer of Love.
Diesen gewaltigen Brocken also haben sich die Buben im Pelz aufgeladen und von den schäbigsten Seitenstraßen New Yorks all the way nach Wien geschleppt, wo die Velvets mit ihrer zwischen Euphorie, Melancholie und Todessehnsucht oszillierenden Musik grundsätzlich bestens aufgehoben sind. Und diesen Transfer haben Pfister/Fuchs noch dazu verdammt gut hingekriegt.
Die wohl berühmteste Ich-wart-auf-den-Dealer-und-er-kommt-nicht-Hymne aller Zeiten, I’m waiting for the man, haben sie etwa von der Lexington Avenue zum Schwedenplatz verlegt. Der schwarz gekleidete Pusher mit spitzem Schuhwerk und Strohhut trägt in Wien „Nike-Bock in Weiß“ und „Adidas-Gwandl“. Oder: Die vom magischen Eisengel Nico Päffgen gegebene Femme Fatale wird bei den Buben zur „feschn Funsn“. Kurz gesagt: eindrucksvolle, stimmige Nachdichtungen, die – wie schon beim (ideologisch und personell) verwandten Projekt Neigungsgruppe Sex, Gewalt & gute Laune – auch musikalisch überzeugen. Alles in allem eine herrliche Heiligenschändung, respektvoll und respektlos zugleich, trashig und doch elegant.
Die „Welt“ hat das Album Die Buben im Pelz & Freundinnen (das statt der berühmten, abziehbaren Warhol-Banane eine ebenfalls abziehbare Wurst am Plattencover zeigt) bereits im Juni zu einem der Alben des Jahres erhoben. Deutschland kriegt von österreichischer Musik derzeit ja generell nicht genug. Und auch in meinen bescheidenen Jahrescharts werden sich die Buben bestimmt wiederfinden.
Die Erwartungen ans Livekonzert waren also durchaus hoch – zumal die PMK mit ihrem kantigen CBGB-Charme im Grunde den perfekten Rahmen für einen wilden Velvet-versus-Wienerlied-Abend bietet.
Umso größer zunächst die Enttäuschung beim Eröffnungssong „Schwedenplatz“: Übersteuerter, breiiger, schlampig austarierter Sound, schlecht eingestellte Mikros (was sich auch im weiteren Verlauf des Abends nur bedingt bessern sollte), sehr laut und dennoch seltsam schwachbrüstig und blutleer. Das wunderschöne, leichtfüßige Sonntag Morgn zündete unter diesen Umständen überhaupt nicht, auch Femme Fatale und vor allem There She Goes Again wurden soundtechnisch trotz aller Hingabe komplett in den Sand gesetzt. Als Zuhörer stellte sich daher zunächst leider vor allem ein Wunsch ein: „Her mit am Bier“, wie es in der (später noch zu hörenden) Neigungsgruppen-Version der Babyshambles-Großtat Fuck Forever heißt.
Doch auch ohne Bier wurde es danach rasch viel besser: Tiaf wia a Spiagl (I’ll Be Your Mirror) gelang Fuchs und Pfister im sanften Zwiegesang einfach wunderbar und berührend.
Ein Höhepunkt auch die grandiose Version des abgrundtiefen, nachtschwarzen S/M-Dramas Venus In Furs (mit dem die Velvets übrigens schon damals eine Brücke von New York nach Österreich schlugen, Stichwort Leopold von Sacher-Masoch). Den stoischen, hypnotisierenden, fast schon maschinenhaften Todesrhythmus von Steh(!)Drummer Ralph Wakolbinger hätte wohl auch die legendäre Moe Tucker nicht besser hinbekommen.
Ansonsten gelangen – genau konträr zu meinen Erwartungen – gerade die lauten, krachigen Rock-/Protopunk-Nummern deutlich besser als die ruhigen, atmosphärischen Momente. Das galt allen voran für das treibende Renn Renn Renn (Run Run Run, eh kloa) oder David Pfisters wüste, rohe, überraschend weit vom Original entfernte Deutung von Lou Reeds offen drogenverherrlichender Weltnummer Heroin.
Bei den Zwischenmoderationen erwiesen sich Pfister und Fuchs als sympathische, gewitzte Rampensauen – egal ob sie „Bruchware von Manner“ (in Form von Schokonikoläusen) an die Zuschauer verteilten, sich augenzwinkernd mit „Reiß ma’s o, Buaschn!“ anfeuerten oder kleine Touranekdoten zum Besten gaben: So habe man ihnen bei einem Konzerttermin (wohl als Anspielung auf „Venus im Pelz“) im Backstage-Bereich eine Ausgabe von „50 Shades of Grey“ hinterlegt. Oder könnte das Buch von einer anderen österreichischen Band dort abgelegt worden sein – und wenn ja von welcher?, fragte Pfister ins Publikum. Die Antwort „Von Wanda!“ kommentierte er höchst schlagfertig: „Nein, bei Wanda liegt backstage höchstens ein Bilderbuch“.
Lustig auch die Ankündigung der Neigungsgruppen-Nummer Schene Leich, einer feinen Wienerlied-Version von Time To Pretend: „Die nächste Nummer stammt von einer Band aus Meidling, sie heißt MGMT“.
Dennoch hätte man sich als Zuschauer gewünscht, dass die Buben etwas mehr von der großen Liebe und Leidenschaft, die sie in die Mundart-Nachdichtung und Adaption der Velvet-Originale gesteckt haben, auch in die Live-Arrangements investiert hätten. Sicher, auch Velvet Underground dürften als Protopunk-Dilettanten bisweilen wohl ziemlich schlampig geklungen haben (und das geniale Arschloch Lou Reed schwankte live angeblich nur allzu gerne zwischen himmlisch und schrecklich), aber gerade Velvet-Underground-Nummern brauchen eben einen dröhnenden, dichten, zähen, mahlstomartigen Sound, wenn sie ihre unvergleichliche, düstere Sogwirkung entfalten sollen. Nicht umsonst gelten Reed & Cale ja als Miterfinder dessen, was man heute als Drones oder Noiseschleifen kennt.
Von dieser Radikalität war in den Live-Arrangements der pelzigen Buben leider zu wenig zu spüren: European Son, im Original eine fast achtminütige, (im positiven Sinne) quälende Noiseorgie, endete in der Austro-Version (Wiener Bua, mit schräg-schönem Gefiedel von Multiinstrumentalist Sir Tralala)) beispielsweise viel zu früh. Und das finale Todesengel-Lied (der unheimliche Black Angel’s Death Song) wurde überhaupt weggelassen. Wo blieb da der Wahnsinn, der doch eigentlich (auch) in Wien wohnt? Fehlte da vielleicht – im Vergleich zur Neigungsgruppe – der geniale Narr Fritz Ostermayer (der übrigens zusammen mit Oliver Welter von Naked Lunch erst vor zwei Wochen im PMK zu hören war)? So wollte die Magie leider nie so ganz auf das (ohnehin überraschend schüttere Publikum) überspringen.
Schade auch, dass in Innsbruck – im Gegensatz zu anderen Tourterminen – keine der tollen Gastsängerinnen wie Anna Attar alias Monsterheart oder Dorit Chrysler mit an Bord war. Sie hätten dem Abend sicher gut getan – wie überhaupt jede Band besser ist, wenn Frauen mitspielen (behaupte ich jetzt einfach mal). Auf den großartigsten Velvets/Nico-Song überhaupt, „All Tomorrow’s Parties“ („Olle faden Parties“), eines meiner absoluten Lieblingslieder EVER, verzichteten die Buben vielleicht auch deshalb …
Überhaupt, der Konzertabende war insgesamt viel zu kurz: Ohne Vorgruppe und mit nur zwei Zugaben (darunter ein mitreißendes Gfickt für immer) endete er schon nach einer Dreiviertelstunde – und das bei (für PMK-Verhältnisse) durchaus happigen 15 Euro Eintritt. Ein paar der fantastischen Neigungsgruppen-Nummern (man denke nur an Polka Dots, Video Spü, Da Hoss in mia, So koid oder Verletzt) hätte das Publikum beispielsweise sicher noch gerne gehört.
Von rausgeschmissenem Geld kann natürlich trotzdem keine Rede sein, der Abend hatte einige magische Momente. Aber, um es im Sportreporterjargon zu formulieren: Da wäre mehr drin gewesen.
Übrigens: Stimmungsvolle Bilder vom Konzertabend (Copyright: Daniel Jarosch) gibt es hier.