Von allen alten Bekannten schätz‘ ich doch am meisten die interessanten

Konzertbericht: Die Sterne, Weekender Club Innsbruck, 28. April 2015:

„Ist das die endgültige Wachablöse in der deutschsprachigen Popmusik? Der unvermeidliche Generationenwechsel?“ Fragen wie diese konnten dem geneigten Hörer zu Beginn des gestrigen Konzertabends durch den Kopf geistern: Zwischen zwei blitzartig ausverkauften Auftritten der neuen Ösi-Popstars Wanda kamen Die Sterne in den Weekender Club – und anfangs sah es ganz danach aus, als würde das Ganze quasi ein Privatkonzert: Von dem guten Dutzend Leute, die um acht Uhr den Saal füllten (oder eben nicht), kannte ich die Hälfte persönlich. Eigentlich fehlte nur noch der berühmte Strohballen, den es durchs Bild weht.

Also fragte man sich weiter: „Sind die Sterne einfach schon zu alt? Haben sie ihre beste Zeit hinter sich? Kennt das junge, studentische Publikum von heute sie nicht mehr? Ist – man entschuldige das naheliegende Wortspiel – ihr Stern im Sinken begriffen? Und leben auch Viva-2-sozialisierte Sterne-Fans inzwischen – einer geht noch – hinterm Mond?“ Die Antwort lautet: Mitnichten.

Erstens füllte sich der Weekender Club dann doch noch recht anständig (zumindest für einen Dienstagabend), wobei der Altersschnitt durchaus niedrig war. Vor allem aber ließen die Sterne sofort alle etwaigen Zweifel verstummen.

Schon nach der ersten Ansage von Sänger Frank Spilker wusste man, dass man hier genau richtig ist: Ein Album „Flucht in die Flucht“ zu nennen – so heißt das 2014er-Werk der Sterne – sei im Grunde anmaßend, meinte Spilker sinngemäß. Denn wenn man an die Menschen denke, die wirklich flüchten müssen – aus unvorstellbaren Verhältnissen, unter Lebensgefahr – seien unsere alltäglichen Problemchen (und unsere alltäglichen Fluchten) irgendwie lächerlich. Aber immerhin stelle der folgende Song („Wie groß ist der Schaden bei dir?“) die richtigen Fragen.

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Unter den einflussreichen deutschen Popbands sind die Sterne vielleicht die politischste – aber sie kommen, textlich wie musikalisch, glücklicherweise nie verkrampft, verbissen und verbohrt daher, sondern leichtfüßig, humorvoll und beschwingt. Sie wissen um die Macht des Grooves, sprechen Hirn, Herz und Hintern gleichermaßen an.

Klar, die Sterne haben etwas zu sagen, aber statt dem erhobenen Zeigefinger gibt es bei ihnen zwischendurch auch das notwendige Augenzwinkern: Über „Flucht in die Flucht“, den Titelsong des neuen Albums, meinte Spilker etwa: „Man muss das gar nicht immer intellektualisieren, das ist einfach ein Sauflied“ – natürlich eines, das vom Bierzeltmief nicht weiter entfernt sein könnte.

Spilker, der in puncto Gesichtsform entfernt an den „Beißer“ aus den James-Bond-Filmen erinnert (wenn auch ungleich freundlicher; danke an Konzertbesucher Raimund für diese bizarre Beobachtung), mag aufgrund seiner Größe immer etwas schlaksig wirken. In Wahrheit ist er aber ein mitreißender, charismatischer, hochsympathischer Frontmann. Und ein großartiger Sänger und Texter sowieso.

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So prägnant und klug sind Spilkers Texte, dass ich persönlich mir ein ums andere Mal denke: „Genau so ist es, genauso gehört es gesagt“. Die Wirkung ist anregend und ermutigend zugleich – wohl das schönste Gefühl, das einem politische (Song-)Texte geben können.

Ein gutes Beispiel – die aktuelle Single „Mein Sonnenschirm umspannt die Welt“: Hier klingen die Sterne keineswegs altersmilde und versöhnlich, sondern so trotzig, bissig und widerborstig wie eh und je:

„Wie soll man euch Idioten das erklär’n`? Ich bin, was ich bin, ich bin es gern. (…) „Ich würd‘ gern noch nicht sterben – und euch damit zu ähnlich werden.“ (…) „Wer will schon am Boden bleiben, wenn man überall sein kann? Ich werd‘ fliegen, Baby, komm steig mit ein!“ (…) „Ich kann alles tun, was mir gefällt – und ich werd es wieder tun, wieder tun, wieder … tun.“ So geht das!

Die Stammbesetzung der Sterne ist (nach dem Ausstieg von Richard von der Schulenburg) auf ein Trio geschrumpft, neben Spilker sind das noch Bassist Thomas Wenzel und Schlagzeuger Christoph Leich. Der personelle Aderlass scheint aber eher belebend gewesen zu sein, die Sterne wirkten rundum frisch und entspannt.

Zu diesem Gesamteindruck trug sicher auch Dyan Valdes bei, die seit zwei Jahren quasi fix zu den Sternen gehört. (Valdes‘ Stammband sind die kalifornischen Indierocker The Blood Arm, die man in erster Linie für diesen Gassenhauer aus der Mitte der Nullerjahre kennt). Neben den mittelalterlichen Herren wirkte sie nicht nur optisch erfreulich, sondern steuerte auch dynamische Keyboardsounds und – zusammen mit Thomas Wenzel – betörende Vokalharmonien bei, etwa bei der neuen (Sprechgesangs-)Nummer „Innenstadt Illusionen“.

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Als Band, die sich seit jeher gerne quer zum herkömmlichen kommerziellen Rockbetrieb stellt, war von den Sternen im Grunde keine nostalgische Best-of-Show zu erwarten. Und wirklich: Der Schwerpunkt der spannenden, fordernden Setlist lag eindeutig auf den letzten drei Alben („Räuber und Gedärm“; „24/7“; „Flucht in die Flucht“). Die haben viele, mich eingeschlossen, vielleicht weniger am Radar – aber zu Unrecht, wie sich an diesem Abend herausstellte. Denn die neuen und neuesten Nummern konnten durchwegs überzeugen, vielfach sogar begeistern.

Neben tollen Songs von der aktuellen LP („Mach mich vom Acker“, „Miese kleine Winterstadt“, „Menschenverachtendverliebt“, „Ihr wollt mich töten“) zündeten besonders die elektronisch geprägten, psychedelisch einlullenden Songs des 2010er-Albums „24/7“ (produziert vom deutschen Elektroniker Mathias „Munk“ Modica). „Oh, die Gitarre kann ich eigentlich gleich weglassen – jetzt kommt ja wieder ein Song von 24/7“, meinte Spilker einmal.

Meine Favoriten: das verstörende „Convenience Shop“, das mit der entmenschlichenden 24-Stunden-Dienstleistungsgesellschaft abrechnet („Und auch wenn du ein Arschloch bist, wir haben für dich auf, 24/7“) und „Gib mir die Kraft“, Teil des ersten Zugabenblocks.

Schön jedenfalls, wenn eine Band auch nach vielen Jahren noch den Mut zum Stilwechsel hat. Und das elektronische Gewand steht den Sternen wirklich gut.

Dazwischen gab es aber natürlich auch ausgewählte Nummern aus dem umfangreichen Backkatalog: Manche Lieder, die mir persönlich bis dato eher unspektakulär erschienen waren, entfalteten live eine richtiggehend hypnotische Sogwirkung, etwa „Ich variiere meinen Rhythmus“ oder „Wahr ist, was wahr ist“.

Dazu erklangen vielumjubelte Klassiker wie „Universal Tellerwäscher“, „Widerschein“, „Die  Interessanten“ (besonders wuchtig und dringlich) und, als letzte Nummer im regulären Konzertteil, das unverwüstliche „Was hat dich bloß so ruiniert?“ Für diesen Song kamen übrigens auch die Snøffeltøffs zurück auf die Bühne: Das deutsche Duo (dessen Name mich eher an einen norwegischen Plüschelefantenhersteller erinnert), hatte im Vorprogramm mit straightem, räudigem Garagenrock gefallen.

Im zweiten Zugabenblock kredenzten die Sterne dann noch eine furiose Version von „Fickt das System“: Der Song von der allersten Sterne-EP aus dem Jahr 1992 (!) wurde in einen wilden Jam überführt, um dann irgendwann doch wieder zum markanten Riff zurückzukehren. Großes Kino!

Das Fazit eines durchwegs begeisterten Publikums: Die Sterne klingen immer noch aufregend, sie sind immer noch relevant – auch ohne Hunderttausende Klicks oder den nervigen „Hamburger Schule“-Hype von einst. Und falls sie wieder auf dem Weg zurück zu einer vergleichsweise „kleinen“ Band sein sollten, einer für Eingeweihte, dann finde ich das persönlich nicht schade, sondern: super.

PS: Super sind natürlich auch die Fotos von Judith Kaltseis, die sie unserem mittellosen kleinen Blog dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat!

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2 Gedanken zu „Von allen alten Bekannten schätz‘ ich doch am meisten die interessanten

  1. Nina

    Super Text, Mischa!! War gestern im
    Strom bei den Sternen und fands auch durchwegs prima! Toll die älteren Lieder, aber ich fand auch Convenience Shop und Wahr ist… großartig!!

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    1. Michael Domanig Beitragsautor

      Vielen Dank!! Ja, ich find’s schön, wenn eine Band mit den Jahren eher noch spannender wird (egal, was die Charts und Klicks sagen). Und als Texter ist der Spilker ohnehin fast konkurrenzlos – politisch und doch poetisch, abstrakt und doch konkret. Guter Mann!

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