Wanda, s’isch Zeit! Austropop zwischen Euphorie und Karaoke

Konzertbericht: WANDA, Weekender Club Innsbruck, 25. April 2015:

Gut eineinhalb Monate nach Bilderbuch (auf den Konzertbericht von Mitblogger Steff warten wir leider immer noch vergebens ;-)) stattete auch die zweite österreichische Band der Stunde dem Innsbrucker Weekender Club einen Besuch ab: Wanda gaben gestern eines von zwei seit Wochen ausverkauften Gastspielen.

Es war ein Erlebnis der Dritten Art – was nicht zuletzt am Publikum lag: Die Tatsache, dass Wanda mit zwei, drei Singles, einem Album und dem begleitenden Hype so schnell eine so ergebene Fanbase erobern konnten, kann man nur als erstaunlich bezeichnen. Ein großer Teil des Publikums konnte jede Nummer (auch die entlegeneren) von vorne bis hinten auswendig mitsingen – und stellte das auch jederzeit unter Beweis. „Textsicher“ wäre ein Hilfsausdruck für das, was da zu hören war.

All das muss man als Band erst einmal schaffen: ein Publikumsspektrum, das von Indiekids bis hin zu angejahrten Austropop-Veteranen reicht; ein rappelvoller Saal, der lauthals wienerisch-morbide Zeilen wie „Ich saufe keinen Schnaps, ich sauf‘ einen Pistolenlauf“, „Sterben wirst du leider in Wien“ oder „Ich fall in ein tiefes Loch, ein tiefes Loch hinein“ mitgrölt; Karaoke, wildes Herumgehopse, ja sogar eine Fahne (sic!) mit der Aufschrift „Wanda/Amore“.

Wann hat eine (gute) österreichische Band zuletzt eine derartige Euphorie im eigenen Land entfacht? Zumindest in meiner – inzwischen auch nicht mehr ganz kurzen – Lebensspanne kann ich mich an nichts Vergleichbares erinnern. Oder, wie es Bloggründer Dave pointiert formulierte: „Seit wann werden Wiener in Tirol so freundlich aufgenommen? Da läuft etwas falsch.“

Für Wanda läuft momentan aber natürlich alles goldrichtig: In Innsbruck servierten sie einen Hit nach dem anderen (das Album „Amore“ besteht, zumindest so weit ich es kenne, ohnehin nur aus Hits, Hits, Hits): „Schickt mir die Post“ gab es schon früh zu hören, „Auseinandergehen ist schwer“ und den Austropop-meets-Italopop-Instantklassiker „Bologna“ direkt hintereinander, das schwer Falco-eske „Easy Baby“ dann im Zugabenblock. Aber auch „Bleib, wo du warst“, „Kairo Downtown“ oder „Wenn ich zwanzig bin“ wurden heftig akklamiert.

Das fetzige „Luzia“ spielten Wanda sogar zweimal, als Eröffnungsnummer und als Rausschmeißer. Einen größeren Songkatalog hat so eine junge Band eben noch nicht zu bieten (wenn man von dem von Kollegen Steff schmerzlich vermissten „Jelinek“ einmal absieht).

Mit Marco Michael Wanda (heißt der Mann nun wirklich so oder nicht? Dieses Rätsel konnten wir gestern nicht lösen) verfügen Wanda über einen begnadeten, charismatischen, irgendwie sehr österreichischen Frontmann: Mit seiner nicht allzu formschönen Lederjacke und dem offenen Hemd, das schüttere Haar von keinem Kamm belästigt, wirkte er so, als hätte man ihn um drei Uhr früh irgendwo im Zweiten Bezirk aufgelesen und, Tschick und Seidl noch in Händen, direkt vors Mikro verpflanzt: „Eben noch im Eckbeisl, jetzt schon auf unserer Showbühne“.

Schon beim Betreten der Bühne wirkte der Sänger leicht illuminiert (oder, wie man in Wien vielleicht sagen würde, „eingspritzt“), onstage wurde dann offensiv weitergetschechert und -gepofelt. Auch seine ungelenken Tanzeinlagen und die heftigen Umarmungen, die er seinen Bandkollegen schon nach drei oder vier Songs (!) angedeihen ließ, erinnerten an jenes Sozialverhalten, wie man(n) es gerne zu fortgeschrittener Stunde in einer grindigen Bums’n an den Tag legt. Aber genau dieses Schlampige, Dreckige, Wienerische macht ja den Reiz von Wanda aus – vor allem, weil sie es mit (über-)großen Gefühlen, Leidenschaft und Sehnsucht verbinden, mit dem sprichwörtlichen Herzblut.

Kurz gesagt: M. M. Wandas Wahnsinn wirkt (so wenig ich von diesem Wort ansonsten auch halte) absolut authentisch – im Gegensatz etwa zum glamourösen Bilderbuch-Frontgockel Maurice Ernst, dessen exaltiertes Bühnengehabe doch ein bisserl aufgesetzt wirkt. (So hat es mir zumindest Konzertbesucherin Astrid berichtet – und die muss es wissen, schließlich hat sie beide Bands kurz hintereinander gesehen).

Wanda jedenfalls wurde für jede Tanzbewegung und jede alkoholgeschwängerte Aussage abgefeiert, ja auf Händen getragen – durchaus auch im wahrsten Sinne des Wortes: Den Weg zur Bar – wo er sich standesgemäß einen Schnaps genehmigte – und retour auf die Bühne legte er zurück, ohne den Boden zu berühren.

Dass Wandas Gesang phasenweise eher schwachbrüstig bis genuschelt daherkam (wer die Textzeilen nicht schon kennt, hätte nur einen Bruchteil verstanden) und auch der Gesamtsound der Band nicht immer die nötige Wucht entfaltete, störte in der allgemeinen Feierstimmung kaum jemanden.

Die Macht des Hypes zeigte sich auch gegen Ende der Zugaben: Da brachten Wanda den ganzen Saal dazu, die nicht gerade Pulitzer-Preis-verdächtige Zeile „Ans, zwa, drei, vier, es ist so schön bei dir“ zu skandieren, eine halbe Ewigkeit lang. Das mag zwar beeindruckend sein, war mir aber eher schon zu viel des Guten. Hier bewegen sich Wanda, wie der deutsche Musikexpress in einer tollen Rezension schreibt, bereits „hart an der Schmerzgrenze zur Sesamstraße“.

Kollege Dave meinte nach dem Konzert recht kritisch: „Mir hat’s gefallen. Aber war es auch gut?“ Ich würde diese Frage trotz allem mit einem klaren Ja beantworten. Wobei sich natürlich schon die Frage stellt, wo das alles noch hinführen soll mit Wanda: Kann Wanda (die Band) den Hype überleben? Wird Wanda (der Frontmann) den ungesunden Lebenswandel als neues Austropop-Idol heil überstehen?

Das richtige Maß an (ebenfalls typisch österreichischer) Selbstironie, um mit den Lobeshymnen umzugehen, bringen Wanda jedenfalls mit: Ein Lied vom zweiten, für Oktober geplanten Album kündigte der Sänger mit den Worten an, das zweite Album werde „wohl nicht ganz so brillant werden wie Amore“, sich dafür aber „besser verkaufen“.

Die angesprochene Nummer (einige Irre im Publikum konnten sogar dieses unveröffentlichte Lied schon auswendig) heißt übrigens „Meine beiden Schwestern“, hat wiederum einen schönen Italo-Sehnsuchts-Einschlag und einmal mehr einen Alkohol-bezogenen Text. Der erste Höreindruck lässt hoffen, dass es mit Wanda zumindest qualitativ ähnlich gut weitergeht und sie – Achtung jetzt kommt’s! – kein One-Hit-Wanda bleiben.

Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass Wanda derzeit (auch in Deutschland) einen Nerv treffen: Offenbar gibt es ein Bedürfnis nach österreichischem Pop – nennen wir ihn ruhig Austropop -, der hymnisch und leidenschaftlich, aber zugleich rau, gewitzt und völlig unpeinlich ist. Wanda stillen  dieses Bedürfnis im Moment perfekt. Und das ist doch schön.

Ach ja, eine Vorgruppe gab es auch: Vormärz aus Innsbruck (mit dem Multiinstrumentalisten Jo Stöckholzer am Schlagzeug) servierten deutschsprachigen Indiepop, der auf FM4 genausowenig stören würde wie auf Ö3. Auch optisch wirkte die Band wie aus dem Indie-Hipster-Lehrbuch: von der Wuschelfrisur über den asymmetrischen Haarschnitt bis zur Nerdbrille war alles dabei.

Dass Vormärz ein Händchen für Melodien haben, war durchaus zu merken, Pluspunkte würde ich persönlich auch für den Bandnamen und die angenehm billig klingenden Synthies vergeben. Schwer verdaulich fand ich aber das affektiert klingende Hochdeutsch (das eher an Christina Stürmer, Silbermond und andere aalglatte Gestalten denken lässt als an die von der Band selbst referenzierte „Hamburger Schule“). Bei manchen Textzeilen über Beischlaf oder Tiefkühlpizza stellten sich richtiggehend die Haare auf.

Der Sänger ließ seine Stimme immer wieder umkippen, um damit wohl etwas Manisches, Schräges, Wahnsinniges zu suggerieren. Dafür war der Gesamtsound von Vormärz dann aber doch deutlich zu brav. Den Wahnsinn gab es erst im Anschluss, ganz ungekünstelt, bei Marco Michael Wanda.

2 Gedanken zu „Wanda, s’isch Zeit! Austropop zwischen Euphorie und Karaoke

  1. Nina

    Schau ich mir im Sommer beim Free&Easy an… Bin zwar kein Fan, aber die verdammten Zeilen gehn zum Teil schon ins Ohr!!

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    1. Michael Domanig Beitragsautor

      Ja, da ist fast jeder Song ein Ohrwurm. Und der Sänger bringt das notwendige Maß an Wahnsinn mit 🙂

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