Bierbecher und Pickelhaube

Konzertbericht: MAD SIN und HELLFISH, 9. Jänner 2014, PMK Innsbruck

„Das Schlimmste ist, wenn Musik zur Erwachsenenunterhaltung verkommt“: So brachte es Kollege Dave im Vorfeld dieses in jeder Hinsicht denkwürdigen Konzertabends auf den Punkt. Damit war nicht etwa gemeint, dass es für populäre Musik eine Altersbeschränkung gibt oder geben sollte, im Gegenteil. Die Kritik richtete sich vielmehr gegen Musik, die ihren eigenen Kunstanspruch wie eine Golden-Member-Card vor sich her trägt, gegen Musik, die man gefälligst still und konzentriert zu konsumieren hat – am besten im Sitzen und mit möglichst ernster Kennermiene.

Die Gefahr der Erwachsenenunterhaltung bestand beim „Mad Sin“-Konzert in der Innsbrucker PMK allerdings keine Sekunde lang: Schließlich sind die Berliner, die 1987 als Straßen- und Kneipenband zusammengefunden haben, die bekannteste Psychobilly-Formation des  deutschsprachigen Raums, vielleicht sogar ganz Europas. Und das Psychobilly- oder Horrorpunk-Genre (als Begründer gelten The Meteors, als Säulenheilige unter anderem The Cramps) ist per se eine Spielwiese für große Kinder, die es gerne wild, laut und dreckig mögen.

Die (nicht allzu gewagte) Prognose „Das wird heut auch was fürs Auge“ traf voll und ganz ein: „Mad Sin“ ist eine Band, die man gesehen (!) haben muss: Allein schon der Kontrast zwischen dem in jeder Hinsicht gewaltigen Sänger „Köfte“ de Ville (Stiernacken, ganzkörpertätowiert, energiegeladen und wuchtig wie ein Bulldozer) und dem hageren, stoischen, einem ausgezehrten Vampir gleichenden Gitarristen Stein war das Eintrittsgeld wert.

Wunderbar auch der deutlich jüngere Bassist Valle (nur Köfte und Stein sind Gründungsmitglieder), der mit seinem beleuchteten (!) Kontrabass wilde Pirouetten vollführte und eine schier unglaubliche Frisur zur Schau stellte, eine knallrote Mischung aus Flattop, Irokesenschnitt und Pompadour-Style. Auch sonst wurde mit Elvistollen, fetten Koteletten und Totenschädeln am T-Shirt nicht gegeizt. Am Ende griff Köfte gar zur teutonischen Pickelhaube!

IMG_0915

Aber auch musikalisch geriet dieser Abend zu einem echten Vergnügen: harter, schneller, grindiger (aber zugleich sehr kompetent gespielter) Rock, der zwischen der Rebellion des frühen Rock-n-Roll und jener des Punk keinen Unterschied macht und auch schon mal was von gnadenlosem Country gehört hat. Oder, wie es in einem Albumtitel der Band so treffend heißt: „… Sweet And Innocent? … Loud And Dirty!“

Köfte, der sich zwischendurch immer wieder am Bühnenrand erholte und auch mal den Anderen das Gesangsmikro überließ (vernünftigerweise, schließlich sieht man ihm jede einzelne Eskapade aus einem Vierteljahrhundert Psychobilly an), gab den Elvis aus der Gosse, mit einer volltönenden, überaus sonoren Stimme in einem bulligen Resonanzkörper.

mad sin ibk

Inhaltlich kreisen die meisten Lieder – genregemäß – um billigen Exploitation-Horror und noch billigeren Sex, um Gewalt und Exzess, also um alles, was dem bösen Buben Spaß macht und den Spießbürger schockiert. Schäbig, schundig, großartig.

Sehr schön auch das Vorprogramm: Die Südtiroler Psychobillies von „Hellfish“ fanden trotz gröberer Soundprobleme (das mitreißende Stehbass-Spiel und der Gesang gingen im Mix ziemlich unter) großen Anklang – mit rasantem Sound, sympathischen Ansagen im breiten Südtiroler Dialekt und mutigem Outfit (kurze Hosen, ärmellose Leibchen und ein Sänger, dessen Look irgendwo zwischen Eugene Hütz und Austrofred lag).

Auch das Publikum in der anständig gefüllten PMK war ein bunter Haufen aus Kotelettenträgern, Mädels im Retro-Chic, Punkrockern und anderweitig Interessierten. Ausgelassene Stimmung, wildes Gepoge und viel bekömmlicher Gerstensaft – so gehört sich das!

Fantastische Fotos von diesem abendlichen Augenschmaus gibt es hier.

Für den Autor dieser Zeilen endete die bierselige Nacht übrigens mit zerbrochener Brille und einem (inzwischen notdürftig geflickten) Cut am Knie. Naja, Hauptsache keine Erwachsenenunterhaltung!

IMG_0910

Ein Gedanke zu „Bierbecher und Pickelhaube

  1. Pingback: Dunkelschöne Bastelstunde | H(eard) I(t) T(hrough) The Bassline

Kommentare sind geschlossen.