Gutgelaunter Highspeed-Swing

Konzertbericht: Harri Stojka Trio, Café Egger’s, Kufstein, 16. Jänner 2014

Wie viel Virtuosität verträgt die Popmusik? Wann wird aus eindrucksvollem instrumentalem Können reine Selbstdarstellung (um nicht zu sagen: musikalische Masturbation)? Für mich, der ich von technischen Musikaspekten aber so was von keine Ahnung habe, heißt das entscheidende Kriterium: ENERGIE. Solange Musik energiegeladen und dringlich bleibt, droht erfahrungsgemäß keine Erstarrung in Eitelkeit, Angeberei und hohlem Virtuosentum.

Schön beobachten konnte man das am Donnerstag im Café Egger’s zu Kufstein [ich weiß, das  Apostroph-S ist Blödsinn und ein echtes No-Go, aber so schreibt man das Beisl eben]: Dort war – auf Einladung des engagierten Kulturvereins Klang-Farben – das Harri Stojka Trio mit einem rein instrumentalen Gypsy-Swing-Programm zu Gast. Und in den vielfältigen (Tanz-)Musiktraditionen der Roma und Sinti sind Virtuosität und Energie nun einmal fast untrennbar vereint. Das gilt auch für den ab den späten 20er und frühen 30er Jahren entstandenen Gypsy-Jazz.

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Stojkas Reise in die Klangwelt von Django Reinhardt & Co. geriet trotz ausgedehnter solistischer Ausflüge stets mitreißend, gut gelaunt und zum Glück nie über die Maßen selbstverliebt. Sicher: Stojka (mit seinem schwindelerregend schnellen, bisweilen ungestümen und unkonventionellen Gitarrenspiel), der nicht minder exzellente Gitarrist Claudius Jelinek und der wunderbar vor sich hin zupfende, slappende und streichende Kontrabassist Peter Strutzenberger übertrumpften sich gegenseitig mit instrumentalen Bravourstücken und rasanten Improvisationen. Aber naja, das ist halt so beim Jazz – und wenn es so freundschaftlich und unverbissen (sagt man das so?) geschieht wie hier, dann ist ein solches Konzert durchaus ein erfreuliches Erlebnis.

Schön auch, dass sich die drei Könner nicht als Puristen erwiesen: Eigenkompositionen von Stojka („Romano Suno/Gipsy Dream“) waren ebenso zu hören wie etwa das bekannte jiddische Swingstück „Bay mir bistu sheyn“. Einmal machten die Spaßvögel kurzerhand sogar die Titelmelodie der „Flintstones“ zum furiosen Gypsy-Swing.

Die rund 110 Zuschauer im brechend vollen (um nicht zu sagen: überfüllten) Café Egger’s reagierten beinahe euphorisch, geizten nicht mit Zwischenapplaus und lautstarken Anfeuerungsrufen – was wiederum den Musikern sichtlich Spaß machte. Win-win!

peter strutzenberger

claudius jelinek

Harri Stojka – ein Stück Musikgeschichte
Seit den frühen 1970er Jahren gehört Harri Stojka zu den umtriebigsten österreichischen Musikern im weiten Feld zwischen Jazz, Blues, Rock und Gypsy-Soul. Schon als Teenager spielte er gemeinsam mit seinem früh verstorbenen Cousin in der Formation Jano + Harri Stojka, 1972 wurde er neuer Bassist der durchaus legendären Wiener Rockband Gipsy Love rund um Karl Ratzer (ebenfalls ein Cousin Stojkas). Sein Vorgänger am Bass, Kurt Hauenstein, machte später übrigens als Supermax Weltkarriere im Discofach – aber das ist eine andere Geschichte.

Nach dem raschen Ende von Gipsy Love gründete Stojka den Harri Stojka Express, später war er dann z. B. auch Gitarrist der bereits 1967 formierten Wiener Underground-/Protopunk-Combo Novak’s Kapelle. Es folgten Höhepunkte (1981 etwa ein Solokonzert in Montreux), zwischenzeitlicher Bedeutungsverlust und später dann die Hinwendung zum reichen musikalischen Erbe der Roma und Sinti (dem Stojka zum Beispiel auch mit dem Projekt Gitancœur d’Europe nachgeht). Sein jüngster Streich: eine „Satire & Jazz“-Kooperation mit dem Schauspieler Wolfgang „Trautmann“ Böck (zu sehen am 20. September 2014 in Kufstein).

Stojkas Bedeutung in Österreich beschränkt sich aber nicht aufs rein Musikalische: Denn er ist einer der bekanntesten österreichischen Roma, die hierzulande erst 1993 als autochthone Volksgruppe anerkannt wurden. Sein Vater Mongo (er entstammt der Bagareschtschi-Lovara-Dynastie der Roma) überlebte mehrere Konzentrationslager, ebenso wie dessen Bruder Karl Stojka, der Vater von Karl Ratzer. Fast alle anderen Angehörigen der großen Familie – darunter Harri Stojkas Großvater –  wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Kennt man diese Vorgeschichte, so ist es kein Wunder, dass Harri Stojka explizit gegen den als abwertend empfundenen Begriff „Zigeuner“ auftritt, unter anderem in Form einer Fotoaktion.

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