Nein, es liegt nicht daran, dass ich in den letzten Tagen das mystische Waldviertel durchstreift habe, auf der (teils vergeblichen) Suche nach grotesken Granitblöcken, die schaurige Namen wie Teufelsstein, Teufelsbettstatt, Opferstein oder dergleichen tragen. Die Idee, einen kleinen Text über die Rolle des Teufels in der Popmusik zu schreiben, hatte ich schon länger – schließlich ist der Antichrist dort ein Dauerbrenner (einmal abgesehen davon, dass Rock ‘n‘ Roll vielen Sittenwächtern anfangs wirklich als Teufelsmusik galt).
Mithilfe von WikiTube und Youpedia wäre es sicher kein Problem gewesen, mindestens 666 Songs zu diesem Thema zu finden – aber diese Mühe soll sich ein anderer machen. Ich werde den Teufel tun und begnüge mich mit sechs exemplarischen Liedern, in denen dem Leibhaftigen mit höchst unterschiedlichen textlichen und musikalischen Mitteln zu Leibe gerückt wird.
1.) The Rolling Stones – Sympathy For The Devil (1968)
Im vielleicht bekanntesten Teufelssong von allen tritt der Beelzebub als Ich-Erzähler auf und stellt sich gleich als ein eleganter Mann von Welt vor: „I’m a man of wealth and taste“. Und als Wanderer durch Zeit und Raum: Er brachte Pontius Pilatus dazu, seine Hände in Unschuld zu waschen und Jesus zum Tode am Kreuz zu verurteilen; er hatte bei der Ermordung der Zarenfamilie und somit bei der Russischen Revolution die Finger mit im Spiel – „Anastasia (Romanowa, die jüngste Zarentochter, Anm.) screamed in vain“; er war im Blitzkrieg der Nazis als Panzergeneral am Morden beteiligt; ebenso zog er, Jahrhunderte früher, bei den religiösen Konflikten in Europa die Fäden; und auch die Polithoffnungen John F. und Robert F. hat er – haben wir? – am Gewissen: „I shouted out: Who killed the kennedys? When after all it was you and me“.
Dass er Verwirrung und Chaos stiftet, ist für den Teufel einfach „the nature of my game“: Und schließlich sei das mit Gut und Böse im Menschen ohnehin nicht so klar zu trennen, jeder Bulle sei zugleich ein Krimineller, jeder Sünder ein Heiliger. Auf jeden Fall bittet Er (dessen Namen der Hörer erraten soll) die Menschen um Höflichkeit und Mitgefühl. Er ist sich offenbar der Rolle bewusst, die er im ewigen Kreislauf der Welt spielt – vielleicht gar nicht freiwillig -, als „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, wie es in Goethes Faust heißt.
Auf Faust bezieht sich auch der Roman „Der Meister und Margarita“, das bekannteste Werk des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow, das wiederum Mick Jagger als Inspiration für „Sympathy …“ diente (danke für die Info, Wiki P.). Die musikalische Gestaltung – mit Dschungelrhythmen, Ur(wald)schreien und einem bissigen Solo – erinnert jedenfalls an das Wilde, Animalische, Unzivilisierte, das den Teufel wohl so faszinierend für die Popmusik macht (thx again, allwissendes W.).
Die Satanismus-Vorwürfe, mit denen sich die Stones seinerzeit angeblich konfrontiert sahen, wirken aus heutiger Sicht dagegen grotesk – vor allem weil wir Genres wie Black Metal kennen, in denen es diesbezüglich ungleich drastischer zur Sache geht. Doch darüber wissen Andere mehr.
2.) The Louvin Brothers – Satan Is Real (1959)
In der Countrymusik (zumindest in der guten und davon gibt es haufenweise) geht es häufig um existenzielle Dinge: um Liebe und Eifersucht, um Einsamkeit und Verlangen – und natürlich auch um Gott und seinen Gegenspieler.
Bei den Louvin Brothers, einem der berühmtesten Country-Duos überhaupt, sind Gott und der Teufel keine abstrakten, metaphysischen Vorstellungen, sondern ganz alltägliche Kräfte, die im Menschen um die Oberherrschaft kämpfen – wie es ja schon der Titel des legendären Liedes „Satan Is Real“ (und des gleichnamigen Albums) deutlich macht: „You can see him and hear him in this world every day“. Als gläubige Baptisten warnen Ira und Charlie eindringlich vor der Sünde, die nichts anderes sei als eine Versuchung durch Satan („He can tempt you and lead you astray“).
Im gesprochenen Teil tritt ein alter Mann auf, ein Sünder, der tief gefallen ist und den anderen nun als warnendes Beispiel dienen soll: In einer kleinen Kirche irgendwo in der Pampa erhebt er sich und fordert den alten Provinzprediger dazu auf, seiner Gemeinde reinen Wein über das Wesen des Teufels einzuschenken: „Preacher, tell them that Satan is real, too“.
Das Wirken Satans, so der alte Mann weiter, sei allerorten spürbar: in Liedern, die der Götzenverehrung dienen, in der Auflösung familiärer Strukturen – und in seinem eigenen Leben: Schließlich sei er einst ein glücklicher Familienvater und geachteter Mann gewesen („I was looked upon as a leader in my community“).
Doch dann geschah es: „Satan came into my life“. Er wurde selbstsüchtig, seine Freunde wandten sich von ihm ab, seine Familie zerbrach, und auch seine Kinder gerieten auf den Pfad der Sünde. Ja, der Priester habe schon recht: Der Himmel sei „a real place where joy shall never end“. Aber die Hölle sei ein ebenso realer, ganz konkreter Ort: „a place of everlasting punishment“. Also: Obacht!
Man sieht schon: Die Louvin Brothers machen keine halben Sachen. Und sie wissen genau, wovon sie da singen: Speziell Ira Louvin war, so heißt es, ein äußerst schwieriger Charakter, ein Alkoholiker und Weiberer von extrem reizbarem Gemüt, der von einer seiner vier Frauen sogar angeschossen wurde. Ähnlich wie die Country-Helden Hank Williams oder Townes van Zandt (oder auch Johnny Cash) hatte er also eine ausgeprägte dunkle Seite. (Der Name „Ira“ bedeutet zwar „der Friedfertige“, ich denke hier aber eher an lat. ira = Zorn).
Dass die Brüder ihre feurige Warnung in schönstem Harmoniegesang vortragen, macht das Ganze noch sonderbarer, aber auch spannender. Und trotz des berühmt-berüchtigten, völlig bizarren Plattencovers sollte man „Satan Is Real“ nicht einfach als bizarres Fundstück abtun: Die Louvin Brothers sind hier mit heiligem Ernst bei der Sache – und so etwas hat immer Würde.
3. Paper Bird – The Devil (2009)
Die österreichische Songwriterin Anna Kohlweis alias Paper Bird scheint einen eher sanften Weg zu wählen, um sich dem Themenkomplex Teufel anzunähern. Akustische Gitarre, Piano, elektronische Einsprengsel und Handclaps sorgen zusammen mit Kohlweis‘ expressiver, bisweilen schön gedoppelter Stimme für eine dunkelromantische Atmosphäre. Und all das wurde gemütlich bei der Sängerin zuhause aufgenommen.
Doch das schiefe, leicht verstörende Pfeifen, das den Song einleitet, verweist schon auf die Abgründe, die sich auf der textlichen Ebene auftun: Da wimmelt es nur so vor unheilschwangeren Bildern: eine schwarze Wiege wie im Finale von „Rosemary’s Baby“, ein Dreirad wie in „Shining“, ein unter dem Haar verborgenes Muttermal, „that spells out the number of the beast“, ein dräuender Himmel, Hagel und Blitze, ein Kopf wie ein Streichholz, bereit herunterzubrennen (und das hat rein gar nichts mit Stefan Petzner zu tun), ganz zu schweigen von den expliziten Anspielungen auf Horrorfilmklassiker wie „The Omen“ oder „Invasion of the body snatchers“.
Die filmischen Metaphern werden sogar noch ausgebaut: „No glowing christian crosses could make this a movie our grandmothers would watch“, heißt es an einer Stelle. Der „Horrorfilm“, um den es da geht, ist wohl – zumindest würde ich das so deuten – eine Beziehung, die nicht mehr zu retten ist: „For darkness there can’t be no cure.“ Nicht einmal Exorzismen mit Alkohol und brutalen Küssen können das Böse noch in Schach halten: „(…) my fingers tangled up in your hair won’t keep the devil at bay“.
Wobei: Vielleicht liegt ja gerade im Dunklen und Abseitigen die Faszination dieser Beziehung? Paper Bird scheint mehrere Deutungen zuzulassen, ähnlich wie die das Thaumatrop, jene viktorianische Wunderscheibe, nach der Anna Kohlweis ihr feines 2009er-Album benannt hat.
4. Fantômas – The Omen (Ave Satani) (2001)
Was haben „The Godfather“, „Rosemary’s Baby“ und der expressionistische deutsche Stummfilmklassiker „Der Golem, wie er in die Welt kam“ mit schaurigen Schwarz-Weiß-Streifen á la „Night of the Hunter“ und „Cape Fear“ oder vergleichsweise abseitigen Psychothrillern wie „Henry: Portrait of a Serial Killer“ oder „Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto“ gemeinsam?
So einiges: Erstens handelt es sich dabei durchwegs um meisterliche Filme; zweitens verfügen sie alle über markante Titelmelodien; und drittens haben Fantômas diese und andere Filmscores auf ihrem uneingeschränkt empfehlenswerten Album „The Director’s Cut“ (2001) einer irren Avantgarde-Metal-Schockbehandlung unterzogen.
Auch „Ave Satani“, das Titelthema des Horror-Kassenschlagers „The Omen“ aus dem Jahr 1976, hat sich die Supergroup rund um Stimmwunder Mike Patton zur Brust genommen. Das Original stammt vom namhaften Filmmusikkomponisten Jerry Goldsmith (siehe auch: Planet of the Apes, Chinatown, Alien, Total Recall, L.A. Confidential, Star Trek etc.), der dafür seinen einzigen Oscar abgegriffen hat.
Goldsmith konzipierte das Stück als satanische Variante eines Gregorianischen Chorals, als Schwarze Messe sozusagen, mit allerlei unheimlichem Geflüster und mächtigen Beschwörungsgesängen, die statt an Christus oder die Gottesmutter eben an die Adresse des Antichristen gerichtet werden: „Sanguis bibimus, corpus edimus, tolle corpus Satani! Ave Versus Christus! Ave Satani!“, heißt es da in durchaus fragwürdigem Latein (zu Deutsch etwa: „Wir trinken das Blut, wir essen den Leib, erhebe dich, Körper Satans! Sei mir gegrüßt, Gegen-Christ! Ja griaß di, Satan!“)
Ok, schon das Original mag durchaus Gruselpotential haben, eine angemessen satanische Schlagseite kriegt „Ave Satani“ aber erst bei Fantômas: mit gerrrrolltem r, bleiernen Riffs, brutalem Trommelfeuer und mörderischen Tempowechseln. Hysterie, Dramatik, Panik! Der Teufel steckt eben im Detail.
Übrigens: Dass Mastermind Mike Patton eine Schwäche für teuflische Filmbösewichte hat, zeigt sich schon in den Namen seiner Musikprojekte Fantômas (nach dem französischen Superschurken mit der Maske) und Peeping Tom (nach dem gleichnamigen britischen Thriller, in dem sich Karlheinz Böhm einmal nicht als schneidiger Kaiser Franz Joseph, sondern von einer viel, viel dunkleren Seite zeigt).
5. Max Romeo – Chase The Devil (1976)
Völlig anders geht Max Romeo die satanische Sache an: Bei ihm wird der Teufel nicht angebetet, sondern, ganz im Gegenteil, ausgejagt: „Lucifer, son of the morning, I’m gonna chase you out of earth!“ Die Roots-Reggae-Legende aus Jamaika dreht den Spieß also ganz einfach um: Mit dem nötigen Selbstbewusstsein – und einem hitzebeständigen „iron shirt“ – ausgestattet, macht er dem Teufel die Hölle heiß und treibt ihn vor sich her, am liebsten bis in den Weltraum, wo der Bösewicht dann gerne einer anderen Zivilisation auf die Nerven gehen darf.
Diese Selbstermächtigung gegenüber einem scheinbar überlegenen Gegner („Satan is an evilous man, but him can’t chocks it on high-man“ oder: „Him haffi drop him fork and run, him can’t stand up to Jah Jah son“) ist nicht nur genretypische Prahlerei oder religiöse Fantasie, sondern hat sicher auch eine sozialpolitische und emanzipatorische Dimension.
Schließlich gilt das zugehörige Album „War ina Babylon“, aufgenommen mit Lee „Scratch“ Perrys Hausband „The Upsetters“ (und natürlich auch von Perry produziert) als eine von Romeos politischsten und sozialkritischsten Arbeiten. Und so ist der Wunsch, den Teufel (also innere Dämonen) loszuwerden, vielleicht ident mit dem Wunsch, aus einem gesellschaftlichen Umfeld voller Armut und Gewalt auszubrechen.
Humor beweist Romeo in diesem Zusammenhang aber auch: Während der Ich-Erzähler in der ersten Strophe noch ein „iron shirt“, also quasi ein Kettenhemd, anlegen will, klingt es an anderer Stelle eher nach einem „ironED shirt“, also einem frisch gebügelten Hemd. Schließlich sollte man auch dem Leibhaftigen immer stilvoll und elegant gegenübertreten.
Als Roots-Reggae-Banause (ist einfach ein Stil, der mir nicht viel gibt, im Gegensatz zum fetzigeren Ska, zum hypnotischeren Dub etc.) bin ich nur über Umwege auf diesen Klassiker gestoßen, zunächst über das Sample in Jay-Zs Hit „Lucifer“ (produziert von Kanye West), danach über die schwungvolle, fett produzierte Coverversion der Ska-Spaßvögel Madness – die ich zunächst fälschlicherweise für das Original hielt. Aber man lernt eben nie aus, Teufel nochmal.
6. Diamanda Galás – Litanies Of Satan (1982)
Wir haben jetzt diverse Songs gehört, die den Teufel in irgendeiner Weise in den Mittelpunkt rücken, ob als eleganten Schurken, als finsteren Gegner oder als leuchtendes Vorbild. Einige Aspekte blieben bisher jedoch völlig unberücksichtigt: Welche Musik hört eigentlich der Teufel SELBST? Was würde er bei einer ausgelassenen Fete auflegen? Und: Wie würde es klingen, wenn er sich selbst hinters Mikro stellt?
Eine passende Antwort auf all diese Fragen hält die Extremsängerin Diamanda Galás, Amerikanerin mit griechisch-orthodoxen Wurzeln, bereit. In „Litanies of Satan“, der, äh, durchaus flotten Vertonung eines Gedichts des dunklen Poeten Charles Baudelaire, klingt sie wirklich so, wie man das vom Teufel (oder einer von ihm besessenen Person) erwarten würde.
Wer die vollen 18 Minuten akustischen Terrors durchhält (speziell Hälfte zwei), den kann auch eine tatsächliche Begegnung mit dem Teufel nicht mehr erschüttern. Und die Nachbarn kann man damit auch ganz gut in den Wahnsinn treiben. Dabei stammt das „Litanies of Satan“-Album schon aus dem Jahr 1982. Übrigens mein Geburtsjahr. Aber das ist sicher nur Zufall.
Ahja: Wenn auch ihr ein paar Lieblingslieder zum Themenfeld Teufel, Hölle und alles, was dazugehört habt, dann postet sie doch einfach bei den Kommentaren! Dafür schon jetzt ein infernalisches Dankeschön.
http://www.youtube.com/watch?v=FxvN_GxgpF8
klassiker 😉
http://www.youtube.com/watch?v=_626byPYZKc