Ein Häufchen Musikband

Konzertkritik: Attwenger, Open Air vor dem Landestheater Innsbruck, 8. September 2013:

Ich war nie ein Fan von Blumfeld. Aber Jochen Distelmeyers Aussage über Attwenger (getätigt in der 1995er-Doku „attwengerfilm“ von Wolfgang Murnberger) trifft es irgendwie: „Ein Häufchen Musikband“.

Denn genau so etwas habe ich mir gedacht, als Markus Binder und Hans-Peter Falkner beim Ö1-Kulturpicknick vor dem Innsbrucker Landestheater auf die Bühne schlurften: zwei unauffällige Typen, einer eher fest, einer recht mager, der eine in komischen gestreiften Hosen, der andere in Shorts und einem Muskelshirt, das er beileibe nicht ausfüllt, beide so schläfrig-zerzaust, als seien sie eben erst aufgestanden oder als habe man sie gerade in irgendeinem Beisl aufgegabelt und mühsam auf die Bühne verfrachtet.

Dazu die nachlässige Körperhaltung: Binder, dessen Schlagzeugspiel nur aus den Unterarmen zu kommen scheint; Falkner, der mit seiner Steirischen Harmonika über die Bühne trottet wie ein Tanzbär und sich hie und da bückt, als wolle er mit dem Instrument den Boden schrubben. Und dann noch die breite, irgendwie maulfaule oberösterreichische Mundart bei den Bühnenansagen, die perfekt zum tiefenentspannten bis trägen Auftreten des Duos passt.

Doch dann hört man die Musik von Attwenger – und kann kaum glauben, dass „ein Häufchen Musikband“ zu so mitreißenden und energiegeladenen Klängen fähig ist.

Mit bewundernswerter, im doppelten Sinne spielerischer Leichtigkeit vereinen Attwenger die unterschiedlichsten Stilelemente: urtümliche, raue Volksmusik, die nichts anderes war und ist als Tanzmusik (wobei der gelernte FM4-Hörer erst einmal seine Abwehrreflexe gegen Landler, Polka und „Quetschn“ ablegen muss); wuchtiges Punk-Schlagzeug; noisig-verzerrte Harmonika; hypnotisierende Maultrommelsoli; programmierte Beats; Turbo-Sprechgesang; Einflüsse aus so unterschiedlichen Genres wie Rock ’n‘ Roll, Elektro und Dub; und was-weiß-ich-noch-alles.

Ebenso selbstverständlich wie zwischen den Stilen wechseln Attwenger auch zwischen den Sprachen, namentlich zwischen ihrem breiten Linzer Slang und ihrem ebenso breiten Linzer Englisch (man höre etwa „shakin my brain„, von Binder beim Konzert launig als „Smash-Hit“ angekündigt). Manchmal – und das dürfte auch das (genau reflektierte) Ziel von Haupttexter Markus Binder sein – besteht zwischen Mundart und Weltsprache gar kein Unterschied mehr, wie es ja auch in vielen doppeldeutigen Song- bzw. Albentiteln von Attwenger zum Ausdruck kommt: most, song, sun, dog, one …  Attwenger sind eben, und das macht sie unverwechselbar, provinziell und international zugleich, typisch österreichisch und ganz unösterreichisch:

Ja, Attwenger lieben Mehrdeutigkeiten: Sie können zwar sehr direkt und konfrontativ sein („kaklakariada„, der vielleicht wichtigste österreichische Politsong des 21. Jahrhunderts, war in Innsbruck natürlich auch zu hören), und sie sind, in bester Gstanzltradition, zu herrlich pointierten Beobachtungen fähig („I brauch ned Nägel unterm Oasch, i bin jo ka Fakir“; „One one hosd du ned amoi an Ansa, ohne Quijote is da Sancho nur a Pansa“; „Wüst an Fisch kriagst nur Gradn, wüst an Schlonkn kriagst an Bladn (…) wüst a Glick, host a Pech – owa sunst geht’s da ned schlecht“ usw.). Doch ein großer Teil der Attwenger’schen Texte ist eher mit Dada-Poesie oder Ernst Jandl-artiger Lautmalerei zu vergleichen als mit linearen Songtexten. Textzeilen wie „Kane is alani, nur die Foisenpointner Ani mog Pedersü vü und kane Melanzani“ kann man wohl nur als höheren Blödsinn bezeichnen.

Das macht aber gar nichts. Denn wie bei geschmeidigem, rhythmischem Rap ist auch bei Attwenger der Groove, der Flow /oder, um einen weiteren Albumtitel zu zitieren) der „flux“ mindestens genauso wichtig wie der Inhalt.

Wer Interviews mit Attwenger kennt (oder, wie ich, schon einmal versucht hat, sie zu später Stunde in ein tiefsinniges Gespräch zu verwickeln) wird bei ihnen neben ihrer Schluffigkeit auch andere markante Wesenszüge feststellen: Einsilbigkeit, Eigensinn, eine gewisse (nicht unsympathische) Schroffheit und Widerspenstigkeit. Auch das war in Innsbruck zumindest ansatzweise zu spüren: Obwohl immer wieder Regen einsetzte und das Publikum sich unter Zelte und Ö1-Regenhäute flüchtete, war Markus Binder beim Soundcheck und auch unter dem Konzert besonders pingelig: „Alex, de Stimm gheat lauda“ und, circa zwei Minuten später „An Gsong a biss leisa, Alex …“

Was beim Konzert vor dem Landestheater ebenfalls bemerkenswert war, ist die Attwenger’sche Neigung zum Medley: Kleine Hits wie „kalender“ oder „dog“ wurden, bisweilen leicht verfremdet, in andere Lieder eingestreut, neuere Songs wie „orkan“ oder das großartige „kugl“ elegant kombiniert. Auch die letzte, als a-cappella-Kanon ausklingende Zugabe war ein echter Bastard, zusammengefügt aus „i&du&nuAmau“ vom 92er-Album „pflug“ und Elementen des experimentellen 93er-Werks „luft“.

Was Setlist-Fetischisten (ja, so etwas gibt es) Schweißtropfen auf die Stirn treiben würde, zeugt natürlich von einem extrem routinierten Umgang mit dem eigenen Material: Nach 23 Jahren bewegen sich Attwenger souverän zwischen ihren Werken und innerhalb ihrer Werke, so als wäre alles nur ein einziger, endlos improvisierter und modifizierter Song. Ein bisschen erinnern sie mich damit an Josef Hader, der auf der Bühne ja auch nichts mehr Anderes macht als seine diversen Programme zu remixen, gegenzuschneiden und neu zusammenzufügen. Aber in beiden Fällen gilt: Es klappt!

Fazit: Nachdem ich Attwenger nun schon zum vierten Mal live gesehen habe, würde ich Jochen Distelmeyers eingangs erwähntes Diktum („Ein Häufchen Musikband“) ein wenig umformulieren: eine kleine große Band.

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