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Mr. Sandman, bring me a dream

Konzertbericht: SANDMAN’S CALLING, KuFa-Bar Kufstein, 9. Februar 2024

„Der HIT The Bassline-Blog ist nicht tot, er riecht nur komisch.“ Zugegeben, Frank Zappa hat das nicht über unseren komatösen Musikblog gesagt, sondern über das Genre Jazz. Und damit wäre die, ähem, elegante Überleitung auch schon geschafft: Ein Jazzabend im engeren Sinne war es zwar nicht, was da am Freitag in der erfreulich gut gefüllten KuFa-Bar zu Kufstein zu erleben war – aber sehr wohl ein Abend ganz im Zeichen der Improvisation. Und der hörte sich zum Glück nicht nach musikalischer Totenruhe an, sondern klang quicklebendig und energiegeladen.

Zu Besuch war der aus New York stammende Bassist und Oud-Virtuose Shanir Ezra Blumenkranz, in Kufstein ein gern gesehener und gehörter Gast, den Mike Litzko und sein verdienstvoller Kulturverein KlangFarben schon mehrfach nach Tirol lotsen konnten. Die wilden Shows mit dem Projekt Abraxas sorgen bei vielen, die dabei waren (ich leider nicht), noch immer für leuchtende Augen. Diesmal reiste Meister Blumenkranz aber in einer anderen Formation an – und gar nicht unbedingt als Frontmann, sondern als gleichberechtigter Teil eines großartigen Kollektivs.

Sandman’s Calling nennt sich die (aus einer jahrelangen Freundschaft hervorgegangene) Zusammenarbeit mit den kongenialen Schweizer Musikern Gregor Frei (Klarinette, Saxophon) und Matthias Künzli (Schlagwerk), seit Neuestem ergänzt um einen weiteren großartigen Drummer und Klangtüftler, Julian Sartorius.

Foto: Mike Litzko

In dieser Zusammensetzung veröffentlichten Sandman’s Calling dieser Tage das neue Album „Bern“ – und wären eigentlich auch in Kufstein als Quartett aufgetreten. Doch das böse C hatte etwas dagegen: Corona (ja, das gibt es leider immer noch) setzte Gregor Frei außer Gefecht. Und damit den eigentlichen Bandleader in diesem Projekt – oder, wie es Blumenkranz an diesem Abend augenzwinkernd ausdrückte, jenen Musiker, „who should be standing right there and tell us what to do“.

Repetitiv, rituell, hypnotisch

Doch Sandman’s Calling machten aus der Not eine Tugend, experimentierten und improvisierten sich einfach als Trio durch diesen Abend, durch Klangwelten, auf die schon der Name Sandman’s Calling einen ganz guten Hinweis gibt. Der Sand, um den es hier geht, ist allerdings nicht der, der Kindern vom Sandmännchen in die Augen gestreut wird, um Träume entstehen zu lassen – süße Träume wie bei den Chordettes, Albträume wie bei Metallica oder bizarre (Automaten-)Träume wie in Hoffmanns Erzählungen.

Nein, hier geht es eher um den Wüstensand im Sinne von Desert-Rock-Bands wie Tamikrest, Imarhan oder den von mir besonders bewunderten Tinariwen – minus den hypnotischen (Sub-)Sahara-Gesang, dafür ergänzt um Einflüsse von John Zorns Masada-Projekten bis hin zu Tom Waits, der von Sandman’s Calling ebenfalls als Einfluss angeführt wird.

Auf der Website der Gruppe ist auch von „Sandmandalas“ zu lesen – wobei das dann doch einen etwas zu sanften Eindruck von dieser Musik geben würde. Live ging es phasenweise nämlich durchaus laut und rau zur Sache. Was man aus dem Begriff „Mandala“ aber sehr wohl herauslesen kann, ist die hypnotische, minimalistische, fast rituelle Qualität dieser Musik, geprägt von repetitiven Patterns und ausufernder Improvisation, die sich mal dahin, mal dorthin treiben lässt. Wie vom Wüstenwind eben.

Live angetrieben wurde das Ganze von der kombinierten Wucht zweier herausragender Schlagwerker, links auf der Bühne Julian Sartorius, rechts davon Matthias Künzli, die gemeinsam einen gewaltigen, zwingenden Groove entfalteten, muskulös und zugleich extrem variabel, mit allerlei zusätzlichen Becken, Gongs und anderen Rhythmusinstrumenten, die ich nicht einmal namentlich kenne. Das klang dann mal nach Tribal-Rhythmen, mal fast nach der Präzision elektronischer Musik, auf alle Fälle mitreißend.

Foto: Mike Litzko

Shanir Ezra Blumenkranz bediente dazu abwechselnd den E-Bass, aus dem er mittels experimenteller Spieltechniken alle möglichen und unmöglichen Klangfarben hervorzauberte (von reduzierten Grooves über fast schon Metal-artige Riffs bis hin zu dissonanten Einsprengseln), und die Oud, eine orientalische Kurzhalslaute, die er meisterhaft beherrscht. Gerade in diesen Phasen, im Zusammenspiel mit dem furiosen Doppel-Schlagwerk, entstanden aus Reduktion und Repetition magische Momente – womit wir dann doch wieder beim Sand- bzw. Traummännlein wären.

Schön auch die ruhigen, lyrischen Passagen, die sich mit den dynamischeren abwechselten, wobei das Ganze stetig in- und auseinanderfloss. Pausen sind etwas für Loser! Immer wieder ließ sich Blumenkranz dabei selbst in die Rhythmen seiner Mitmusiker versinken, schien darüber zu meditieren, welchen Weg er als nächstes einschlagen sollte.

Lieber zu kurz als zu lang

Dass man sich hin und wieder den vierten Musiker Gregor Frei für zusätzliche Impulse gewünscht hätte – geschenkt. Denn immer dann wenn es, zumindest für das ungeübte Ohr, kurzzeitig etwas ziellos zu werden drohte (zu improvisierter Musik gehört wohl auch die eine oder andere Sackgasse) oder der Soundmix nicht auf Anhieb perfekt austariert war, kam garantiert einer der Drei mit der nächsten zündenden Idee um die Ecke.

Und so war es auch leicht zu verschmerzen, dass der Soundmix nicht immer sofort perfekt austariert war und ein paar wenige störende Besucher den nötigen Respekt für diese wunderbaren Musiker vermissen ließen. Aber okay, dass sich manche Leute nur für sich selbst und für ihre Smartphones interessieren, einfach nicht mehr zuhören wollen oder können, ist halt leider ein Zeichen der Zeit. Sorry, so viel Kulturpessimismus muss sein …

Der Großteil des Publikums tauchte jedoch bereitwillig in die Welt von Sandman’s Calling ein, applaudierte begeistert und holte die Band zumindest für eine besonders schöne Zugabe auf die Bühne zurück. Ein, zwei weitere Nummern hätten es übrigens schon noch sein dürfen – aber: Lieber ein Konzert ist zu kurz und lässt einen noch hungrig zurück, als wenn es zu lang wäre und man selbst schon übersättigt.

„For us it was special“, bilanzierte Blumenkranz diesen improvisiert-improvisierten Abend – und dem kann man sich auf alle Fälle anschließen. „Michael, I love you“, hieß es dann noch in Richtung des Veranstalters. Die Wertschätzung, die ein kleiner, mit Herzblut geführter Kulturverein den KünstlerInnen entgegenbringt, wird also durchaus erwidert … Zurecht!

So bleibt am Ende nur noch ein Appell, an mich selbst genauso wie an andere: Rausgehen! Den Allerwertesten hochkriegen! Livemusik genießen! Und lokale Kulturinitiativen unterstützen! Das ist heute wichtiger denn je.