Von der schäbigen Würde des „Eierkicks“ – endlich ein guter Fußballsong!

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 25:
DER NINO AUS WIEN – UNENTSCHIEDEN GEGEN RIED (2018)

Fußball und Musik – das ist nicht unbedingt eine fruchtbare Beziehung.

Dabei sind sich die Kickerei und die alternative Popkultur heute wahrscheinlich näher denn je. Längst hat das Thema Fußball Kreise erreicht, die sich jenseits aller negativen Begleiterscheinungen des Weltsports Nummer eins (Rassismus, Nationalismus, Kommerz, Korruption, Katar) intensiv mit Fußballkultur auseinandersetzen. Und zwar mit Humor und Enthusiasmus, aber ohne den intellektuellen Dünkel und die Verachtung, mit der man dem Phänomen früher im (Hoch-)Kulturmilieu oft begegnete.

Alternative Fußballmagazine wie 11 Freunde und Ballesterer oder auch die Fußballanalysen von Martin Blumenau auf FM4 mögen als deutschsprachige Beispiele für diesen Paradigmenwechsel genügen. In England stehen sich Pop- und Fußballnerds ohnedies schon viel länger nahe (Paradebeispiel Nick Hornby, der beides in Personalunion verkörpert).

Und es ist auch nicht so, dass im Kontext von Fußball grundsätzlich keine gute Musik vorkommen würde: Die Soundtracks zur FIFA-Computerspielreihe präsentieren sich beispielsweise schon seit den fernen Tagen, als ich mich noch für Games (und Vereinsfußball) interessiert habe, stets spannend, weltoffen und am Puls der Zeit. Die 19er-Ausgabe enthält z.B. Tracks von so formidablen KünstlerInnen wie Courtney Barnett, Gorillaz, Jungle, Death Cab For Cutie, den Crystal Fighters, Bob Moses, den Young Fathers oder Childish Gambino. Passt!

Umso erstaunlicher ist es, dass es nach wie vor sehr wenige brauchbare Lieder über das Thema Fußball selbst gibt. Dazu muss man nur in die Stadien hineinzuhören: Dort dominieren – so weit ich das noch mitbekomme – bis heute stumpf stampfender Stadionrock (der Begriff kommt nicht von ungefähr), patriotischer Befindlichkeitsschlager oder, wenn man an die Sprechchöre denkt, (mehr oder) weniger gelungene Verballhornungen von Klassikern der Popgeschichte.

Mich würde z. B. nach wie vor interessieren, was Jack White eigentlich darüber denkt, dass sein Riff zu „Seven Nation Army“ auf seltsamen Wegen zu einem DER globalen Fußball-Schlachtgesänge wurde. Ein AMI und Fußball, das geht aus Sicht des Durchschnittsfans ja eigentlich gar nicht zusammen! Interessieren würde mich außerdem, ob Welthits wie „Yellow Submarine“ oder „Those Were The Days“ von den Fans nach wie vor dazu herangezogen werden, die sexuelle Orientierung des gegnerischen Spielmachers in Frage zu stellen oder die unterlegene Mannschaft zum „nach Hause geh’n“ aufzufordern.

Witzig-absurde Adaptionen wie die Umdichtung des 90er-Jahre-Eurotrash-Klassikers „Freed from Desire“ von GALA auf „Will Grigg’s on Fire“ durch die sangesfreudigen nordirischen Fans („Will Grigg’s on fire / Your defence is terrified“ …) bleiben leider nach wie vor die Ausnahme von der stumpfsinnigen Regel. 

Noch zweifelhafter sind die Ergebnisse eigentlich nur, wenn Fußballer sich bemüßigt fühlen, selbst zum Mikrofon zu greifen. Und da muss man gar nicht mal an die kroatischen Kicker denken, die heuer zusammen mit dem rechtsextremen Rocker Thompson sangen und abfeierten. Auch die, ähem, historischen Auftritte von Franz Beckenbauer oder gar dem Chor der österreichischen Sportreporter (sic!) sind mit Worten wie „jenseitig“ am besten beschrieben (aber zumindest irgendwie lustig, was man von Thompson nun wirklich nicht behaupten kann). „Nachtfalke“ Hans Krankl alias Johann K. zählt in der Zunft der singenden Fußballer jedenfalls noch zu den Höhepunkten.

Die sogenannten WM- und EM-„Hymnen“ wiederum zeichnen sich vor allem durch ihre absolute Austauschbarkeit und Harmlosigkeit aus – und sind schneller wieder vergessen, als man „abseitsverdächtig“ sagen kann. „Live it Up“, anyone?

Am ehesten kann man sich hier vielleicht noch an die (auch recht nervige und seither mehrfach recycelte) Sportfreunde-Stiller-Nummer „’54, ’74, ’90, 2006“ erinnern, die immerhin von echter Leidenschaft für die Thematik zeugte. Die Sportis tragen ihr Interesse an Athletik schließlich schon im Bandnamen – und der Titel ihres (noch durchaus coolen) Debütalbums „So wie einst Real Madrid“ (2000) spricht ebenso für sich. Genau wie der Name einer weiteren Band von Sportfreunde-Drummer Florian Weber: Bolzplatz Heroes. Ach ja, und einen weiteren Fußballhit namens „Ich, Roque“ (feat. den paraguayischen Kicker Roque Santa Cruz) hatten die Stillers auch. (Danke an Julian D. für die Erinnerung).

Aber wo bleiben nun die WIRKLICH guten Fußball-Lieder? Außer dem ebenso unverwüstlichen wie offensichtlichen „Three Lions (Football’s Coming Home)“ der englischen Alternative-Band The Lightning Seeds oder dem kitschverdächtigen „You’ll Never Walk Alone“ von Gerry and the Pacemakers (ebenfalls aus Liverpool) fällt einem da spontan nicht viel ein. Vielleicht noch der deutsche Rapper Marteria/Marsimoto, in seiner Jugend selbst deutscher Nationalkicker, der immer wieder für Sport- und Fußballmetaphern gut ist, derzeit etwa im Hit „Champion Sound“ gemeinsam mit Casper.

Das einzige wirklich coole Lied über Fußball, das ich bis vor Kurzem kannte, stammt von der französischen Formation Mickey 3D und dreht sich um den (mir unbekannten) ehemaligen holländischen Fußballstar Nicolas „Johnny“ Rep, der u. a. gemeinsam mit Michel Platini bei St. Etienne kickte – wie auch dem mitreißenden Kommentatorensample im Song zu entnehmen ist.

Doch jetzt gibt es endlich ein weiteres, rundum gelungenes Lied über das, ähem, runde Leder! Der Song stammt aus Österreich, genauer gesagt von Der Nino aus Wien, und trägt den ziemlich großartigen Titel „Unentschieden gegen Ried“, der eigentlich schon alles aussagt.
Hier geht es nicht um die große, glitzernde, von Pathos und Drama erfüllte Fußballwelt, nicht um die Champions League, ja nicht einmal um die Europa League, sondern um den deutlich weniger glamourösen (Fußball-)Alltag in den Untiefen der Heimat: „Eierkick“, „Wiener Liga“, raunzende Altfans, die „Hearst spü eahm, gib eahm, renn a bissl schnölla mitm Boi“ brüllen und zugleich dem „Ogerl“ oder dem „Kurtl Jara“ nachtrauern – das ist der Stoff, aus dem dieses Lied gemacht ist.

Schon im wunderbaren „Praterlied“ hatte Nino genau diese Form der Alltagspoesie perfektioniert: Leberkas, Dosenfisch und „Gösserbier“, beim Nah & Frisch erworben – so etwas erzählt einfach viel mehr über das tägliche Leben in Österreich als irgendwelche geschraubt-pathetischen Texte über große Gefühle. Und Ninos Fußball-Affinität wurde darin auch schon deutlich, u. a. in der perfekt ins Kreuzeck gezirkelten Zeile „Zhaus spüst ab bissl FIFA und valierst“. Der Alltag ist halt meistens eher Regionalliga als Champions League – deshalb heißt er ja Alltag.

Genau diesem tristen Alltag Witz und, ja, auch Würde abzugewinnen, gelingt Nino in „Unentschieden gegen Ried“ ein weiteres Mal – und ein richtiger Ohrwurm ist das Ganze obendrein. Auch auf die Gefahr hin, nun fünf Euro ins Phrasenschwein werfen zu müssen, bleibt mir als Matchbericht nur Folgendes zu sagen: ein Volltreffer!

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