„Scheiß da nix, no fait da nix“ oder: Von der Schönheit des Unberechenbaren

Konzertbericht: Howe Gelb, Astnersaal Wörgl, 21. Juni 2014

Die Entscheidung gegen das Match Deutschland vs. Ghana war nicht einfach – aber sie war goldrichtig. Denn die Paarung Howe Gelb vs. Astnersaal war einfach noch viel reizvoller. Die atmosphärische Musik des Waldschrats – korrigiere: Wüstenschrats – aus Tucson, Arizona, erschien mir schon im Vorfeld wie gemacht für den charaktervollen, elegant verwelkten Wörgler Ballsaal. Und so war es dann auch.

Der verdienstvolle Kulturverein SPUR. holt schon seit Jahren großartige Musik abseits des Hauptstroms nach Wörgl, unermüdlich und eigensinnig – von feinen österreichischen Musikern wie Gustav, Son Of The Velvet Rat oder Der Nino aus Wien bis hin zu ausgewählten internationalen Künstlern (Phil Shoenfelt, Al de Loner, Marianne Dissard …). Mit dem einzigen Österreich-Konzert von Howe Gelb konnten die Veranstalter rund um Obmann Günther Moschig diesmal aber einen besonders schönen Fang an Land ziehen.

Schön war auch schon das Vorprogramm:  Den jungen Songwriter Gabriel Sullivan, ebenfalls aus Arizona, kannte ich schon vom rundum empfehlenswerten Album „Tucson. A Country Rock Opera“ (2012), für das Howe Gelb sein loses Kollektiv Giant Sand zu Giant Giant Sand aufgestockt hatte. Sullivan singt eines der schönsten Lieder auf dieser Scheibe, den vollendeten TexMex-Country-Schmachtfetzen „The Sun Belongs To You“ (zu finden auch in meinen Jahrescharts für 2012).

In Wörgl war dieser Song leider nicht zu hören, dafür aber eine Reihe ähnlich stimmungsvoller, melancholischer Nummern, von Sullivan mit grabestiefer Stimme à la Tom Waits oder Johnny Cash vorgetragen (wie Letzterer war auch Sullivan ganz in stilvolles Schwarz gekleidet).

Sullivan hat laut eigenen Angaben den Neujahrsvorsatz gefasst, jeden Tag einen Song zu schreiben (nicht unbedingt zur Freude von Nachbarn und Freundin). Ergebnisse dieses laufenden Schaffensprozesses waren in Wörgl ebenso zu hören wie Songs von einem in Bälde erscheinenden Album, die Sullivan in Aarhus mit dänischen Musikern aufgenommen hat.

sullivan_eins

Genau diese dänischen Musiker enterten nach ein paar Sullivan’schen Solonummern auf einmal die Bühne: Drummer Peter Dombernowsky und Bassist Nikolaj Heyman (beide von der Band The DeSoto Caucus, die kürzlich auch in Innsbruck zu erleben war) und Maggie Björklund an der Pedal Steel (sie hat schon mit Jack White, Calexico und vielen anderen gespielt). Mit dieser exzellenten Begleitung – sie bildete an diesem Abend auch Howe Gelbs Band –  brachte Sullivan unter anderem eine atmosphärisch dichte Version von Bruce Springsteens „The Ghost of Tom Joad“ zu Gehör.

Beim letzten Song der Vorgruppe stand dann plötzlich ein weiterer Typ auf der Bühne, mit ergrautem Vollbart, „Good Luck“-Schildkappe und leicht abwesendem Blick. Für eine gefühlte Ewigkeit hantierte er mit Verstärkerkabeln und Gitarren herum, um den von ihm gekaperten Song dann mit schneidenden E-Gitarren-Soli kunstvoll gegen die Wand zu fahren: Man sieht schon, Howe Gelb schert sich wenig um die Konventionen eines Rockkonzerts.

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Doch wenn er – mit sonorer Hall-Stimme und leicht ironischem, wissendem Grinsen – das „green grass of home“ heraufbeschwört, „Welcome to the desert“ singt oder erzählt „She Caught the Katy (And Left Me a Mule To Ride)“  (ein Bluesklassiker von Taj Mahal), dann hat man sofort die passenden Bilder im Kopf. Gelbs stimmliches Spektrum mag begrenzt sein, sein Ideenreichtum und sein verschrobenes Charisma sind es nicht.

Dem Wörgler Publikum kredenzte er einen schönen Mix aus Songs von seinem neuen Soloalbum „The Coincidentalist“ (die ihren unspektakulären, kargen Charme live voll entfalteten) und herrlichen Giant Sand- bzw. Giant Giant Sand-Nummern.  Bei „Vortexas“ vermisste man Will Oldham (der im Original mitsingt) kaum, beim hitzeflimmernden „Forever and a Day“ (ebenfalls in meinen 2012er-Charts zu finden ;-)) fehlten eigentlich nur noch die Mariachi-Bläser zum totalen Glück:

Was man dem ultrareduzierten Desert-Folk und den beschwingten Country (Rock)-Nummern live deutlich anhören konnte, ist Gelbs Sozialisierung in der (Post-)Punkszene: In keinem Moment wurde das Konzert allzu sauber oder souverän, alles blieb stets unberechenbar und roh. Bisweilen herrschte auf der Bühne durchaus so etwas wie kreatives Chaos. Aber die flexible, bestens eingespielte Band konnte Gelbs überraschenden Einfällen und Wendungen (fast) immer folgen – und blieb dabei extrem entspannt: Grandios etwa Maggie Björklund an der Pedal Steel, mit dem linken Fuß in schwarzen High Heels, rechts dagegen barfuß …

pedal steel

Zwischendurch nahm Gelb (der ansonsten spontan zwischen Elektrischer und Akustischer wechselte) auch hinterm Keyboard Platz. Dort sorgte der Meister für wunderbare Saloon-/Barpiano-Atmosphäre – unter anderem mit der entschleunigten, ultrareduzierten Giant Sand-Version von „Jumpin‘ Jack Flash“:

Bisweilen ließen Gelb und Band die Zügel los – sie verstehen sich eben auch auf die Kunst des gepflegten Ausbruchs. Ein Konzert ist bei Howe Gelb aber eben alles andere als eine perfekt durchgeplante Show, sondern eher so etwas wie eine öffentliche Probe – die öffentliche Probe einer sehr, sehr guten Band: manchmal etwas zerfahren, phasenweise magisch, immer interessant. Und wie hier die Konzertillusion laufend durchbrochen wurde – etwa mit umständlichen, von Gelb in sehr gemütlichem Tempo durchgeführten Umbauphasen –, das hat fast schon etwas von Brechts Epischem Theater.

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Ja, Howe Gelb scheint sich ein altes Unterinntaler Motto zu Herzen genommen zu haben: „Scheiß da nix, no fait da nix“. Oder eben: Einmal Punk, immer Punk. Ein anderer Konzertgast erzählte mir, er habe Gelb schon vor 25 Jahren mit Giant Sand im Innsbrucker Hafen erlebt, damals noch mit deutlich lauteren, verzerrteren Gitarren, aber auch schon mit Country & Western-Elementen – und vor allem mit derselben Einstellung: „Er hat sich schon damals nix gschissn“.

In diesem Sinne ist wohl auch Gelbs Zusammenarbeit mit anderen Musikern zu verstehen: Er sieht Giant Sand nicht als fixe Band, seine Soloprojekte nicht als reine Soloprojekte – sondern arbeitet einfach von Fall zu Fall mit den Musikern zusammen, die er zwischen Arizona und Dänemark kennengelernt hat und die gerade Zeit und Lust haben (auch in Wörgl hat er die Besetzung ganz kurzfristig vom Trio zum Quintett aufgestockt). Kurz: Ein ständig in Veränderung begriffener kreativer Kosmos (dem übrigens auch einmal Joey Burns und John Convertino von Calexico angehört haben).

Übrigens (um es einmal den ORF-Sportjournalisten nachzumachen, die ständig verzweifelt nach irgendeinem „Österreich-Bezug“ suchen): Gelb ist, wie er beim Konzert erklärte, „zu einem Viertel Österreicher“ (konkret hat er jüdisch-österreichische, walisische und spanische Vorfahren). Einen Song widmete er der zurzeit wohl prominentesten Österreicherin, Conchita Wurst. Und auch getränketechnisch zeigte er sich gut informiert: „After the concert I’m gonna grab myself a fistful of Burgenlandian wine“.

Bevor es dazu kam, wurde er aber bereits von den Wirtsleuten mit Schnaps bedacht (ob es wieder einmal der gefürchtete Wildschönauer Krautinger war, der im Astnersaal vor zwei Jahren fast zu einem Konzertabbruch geführt hätte – bei der Wiener Band „A Life, A Song, A Cigarette“ – konnte ich leider nicht feststellen …).

schnaps

Das Publikum – zum Teil von weit her angereist und in durchaus anständiger Zahl vertreten – zeigte sich von der entspannten Proberaumatmosphäre jedenfalls schwer begeistert. Da wurde heftig geklatscht und gejohlt, was die Band ihrerseits mit guter Laune und mehreren Zugaben belohnte.

Und es wäre nicht Howe Gelb, hätte er die Tatsache, dass das Publikum gar nicht mehr genug bekam, nicht auf seine typische, lakonisch-ironische Art kommentiert: „Is this the last bar that’s open in this town? Hmm. Now I see.“

 

2 Gedanken zu „„Scheiß da nix, no fait da nix“ oder: Von der Schönheit des Unberechenbaren

  1. Captaine Future

    ad mission
    danke für den tip(p) 🙂

    hast recht gehabt, is ne geile mucke. er klingt meiner meinung nach so ähnlich wie mark lanegan!

    Antworten
    1. Michael Domanig Beitragsautor

      Ja, vor allem Gabriel Sullivan hat wirklich ein droehnendes Lanegan-Organ. Das haette dir gefallen! Uebrigens: Das naechste Konzert im ehrwuerdigen Astnersaal sollte auch super werden: Son of the Velvet Rat, duesterer Folk/Americana-Sound – aus Graz ;-). Schwere Empfehlung!

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