Als Funk zu Punk wurde. Wie eine Band namens Death ein neues Genre zur Welt brachte

HIT THE BASSLINE PRÄSENTIERT: TRACK DER WOCHE, # 31:
DEATH – POLITICIANS IN MY EYES (1976)

Zu den schönsten Aspekten der Popkultur zählt, dass sie im Idealfall soziale, kulturelle und ethnische Grenzziehungen zu überwinden vermag. Ja, im Grunde ist das wohl so etwas wie die Definition von „Pop“ an sich.

Unabhängig davon besteht aber kein Zweifel daran, dass der weitaus überwiegende Teil der modernen Populärmusik in „schwarzen“, konkret afroamerikanischen (und afrokaribischen) Musikkulturen wurzelt: Blues, Jazz und Rock ’n‘ Roll, Soul, Funk und R & B, Ska und Reggae mit all ihren Subgenres, aber auch Disco, Techno und House, Hip-Hop sowieso, mit allen jüngeren und jüngsten Strömungen von Trap bis Cloud-Rap – you name it.

Aber dass eine afroamerikanische Band – die ausgerechnet aus einem stark christlich geprägten Haushalt stammte und noch dazu einen so unheilvollen Namen wie Death trug – zu den geistigen Vorläufern des Punk zählte, ist bis heute über Nerd- und Spezialistenkreise hinaus erstaunlich wenig bekannt.

Und doch war es genau so: Die drei Brüder Bobby (Bass, Gesang), David (Gitarre) und Dannis Hackney (Drums), Söhne eines baptistischen Predigers aus Detroit, kamen zwar ursprünglich vom Funk. Doch stark beeinflusst von Bands wie The Who, den Beatles oder Alice Cooper, schlugen sie bald eine völlig neue Richtung ein – die vor allem vom ältesten Bruder David vorgegeben wurde: Ab 1971 nannten sie sich Death und entwickelten einen rauen, harten, direkten, aufs Wesentliche reduzierten Gitarrensound, den in Detroit damals auch Bands wie MC5 oder die Stooges kultivierten. Mit anderen Worten: Das war (Proto-)Punk, zu einer Zeit, als dieser Name noch längst nicht existierte und der entsprechende Sound in New York oder London noch kein wirkliches Thema war.

Bei Death kam zum aggressiven Sound ein unwiderstehlicher, eindeutig der Funk-Vergangenheit geschuldeter Groove hinzu, der sie von anderen (weißen) Proto-Punk-Bands deutlich abhob. Eigentlich eine denkbar explosive, aufregende Mischung, die damals absolut für Furore hätte sorgen können/sollen/müssen.

Doch es lief ganz anders ab: Zwar nahmen Death 1975 ein Album mit sieben Songs auf (geplant waren eigentlich zwölf), doch dieses erschien nie. Die Majorlabels zeigten Death die kalte Schulter, ein Deal mit Columbia soll, so heißt es, vor allem an David Hackneys (proto-punkiger) Weigerung gescheitert sein, den düsteren Bandnamen gegen einen verträglicheren, massenkompatibleren zu tauschen. (Ein Problem, mit dem die Death-Metal-Urväter Death Jahre später nicht zu kämpfen hatten. Im Gegenteil, einen besseren Namen für Genre-definierende Todesmetaller gibt es ja gar nicht).

Auch sonst dürften einige Umstände (übel) mitgespielt haben: Für den Mainstream waren Death wohl einfach ein zu früh dran – und in der schwarzen Community von Detroit müssen sie mit ihrem Sound ohnedies wie Alien gewirkt haben. Fakt ist jedenfalls, dass sich die Band bereits 1977 – ausgerechnet jenem Jahr, in dem sich der Säurekanal namens Punk voll in den Hauptstrom ergoss – schon wieder auflöste. Veröffentlicht hatten die drei zu diesem Zeitpunkt lediglich die 7-inch „Politicians In My Eyes“ mit der B-Seite „Keep on Knocking“, die sie 1976 im Eigenverlag herausgebracht hatten, in einer Auflage von nur 500 Stück.

Die ehemaligen Bandmitglieder gingen danach andere, verschlungene Wege, die von Gospel-Rock bis Reggae und geographisch bis nach New England führten.

Erst Jahrzehnte später wurde das äußerst schmale, aber visionäre Werk der Band wiederentdeckt. Zum einen von den Söhnen Bobby Hackneys, die 2008 die Formation „Rough Francis“ gründeten, mit der sie das Erbe von Death neu belebten. Zum anderen von Alternative-Größen wie Jello Biafra (Dead Kennedys). 2009 brachte das Label Drag City Records dann die 70er-Jahre-Demoaufnahmen erstmals heraus, in Form eines Albums mit dem angemessenen Titel „… For The Whole World To See“. 2009 reformierten Bobby und Dannis Hackney die Band schließlich selbst (mit einem neuen Gitarristen), in der Folge erschienen weiteres historisches Demo- und Sessionmaterial ebenso wie neue Alben.

Für viele, die zuvor nie von Death gehört hatten, war das nach Jahrzehnten endlich veröffentlichte erste Album eine wahre Offenbarung. So beschrieb Jack White gegenüber der New York Times seinen ersten Höreindruck folgendermaßen: „I couldn’t believe what I was hearing. When I was told the history of the band and what year they recorded this music, it just didn’t make sense. Ahead of punk, and ahead of their time.“

Das alles erinnert frappant an die Geschichte der Monks, die heute ebenfalls als stilistische Vorväter des Punk (aber auch von Industrial, hypnotischen Drones etc.) angesehen werden: Sie veröffentlichten sogar bereits Mitte der 60er Jahre ein (heute als Meisterwerk geltendes) Album, das seinerzeit völlig unbeachtet blieb. Und auch sie kamen erst sehr, sehr spät zu gebührender Anerkennung.

Death sind eine Entdeckung von ähnlichem Rang (was Gitarrist David Hackney übrigens nicht mehr miterleben durfte; er starb bereits im Jahr 2000, nachdem er zuvor lange gegen den Alkoholismus gekämpft hatte): Sie sind so etwas wie das Missing Link zwischen Jimi Hendrix oder Chuck Berry und dem Punk, zwischen Punk und Funk/Soul, Punk und Hard Rock, Punk und Psychedelic Rock etc.

Die Annäherung zwischen dem „weißen“ Punk und sogenannten „schwarzen“ Sounds brachte vor allem im Großbritannien der späten 70er, frühen 80er Jahre spektakuläre Ergebnisse hervor (The Clash, The Specials, Madness usw.) – bei Death war diese Brücke schon geschlagen.

Denn Death groovten, waren funky – etwas, was man zum Beispiel von den Sex Pistols und vielen anderen frühen Punkbands wirklich nicht behaupten konnte (womit nichts, aber auch gar nichts gegen die Sex Pistols gesagt werden soll). Und natürlich waren sie im Vergleich ungleich virtuosere Musiker (womit nichts, aber auch gar nichts gegen die Abrechnung des Punk mit hohlem Virtuosentum gesagt werden soll). Und Death klangen vor allem extrem tight.

„Politicians In Their Eyes“ zeigt das besonders gut auf: Proto-Punk-Riffs treffen hier auf einen wuchtigen, fast stoisch-militärischen Groove, fetten Basssound und einen hymnischen Refrain, der fast schon – dare we say it? – Emo(tional Hardcore) vorwegnimmt. Für die reine Punklehre (die es damals logischerweise noch gar nicht gab) ist das natürlich viel zu komplex und ausufernd gespielt, von den harten Brüchen ganz zu schweigen. All das schadet aber – im Gegensatz etwa zu schwerfälligen Prog-Rock-Ungetümen – der ungestümen Wirkung des Songs nicht. Im Gegenteil: Wie etwa später beim komplexen Groove-Punk von Nomeansno tragen die Brüche zur Durchschlagskraft nur noch bei.

Auch sonst gibt es einiges zu entdecken: Die B-Seite „Keep On Knocking“ ist fast genau so zwingend und hymnisch wie „Politicians …“, „Freakin Out“ und „Rock-N-Roll Victim“ wiederum sind purer, stampfender Punk before the word. „You’re A Prisoner“ rockt dramatisch, während „Where Do We Go from Here???“ die Emotionalität von gutem Soul hat. Und „Let The World Turn“ wechselt ansatzlos von psychedelischer Ballade zu hartem, vertracktem Rock. Fazit: Faszinierend und hochenergetisch!

Bis heute sind schwarze Musiker (wenn man schon die Hautfarbe bemühen muss) und harte, gitarrendominierte Musik eine relativ rare Kombination. (Im Zusammenhang mit Death werden oft die – ungleich brachialeren – Hardcore-Afropunks Bad Brains bemüht, Jüngere könnten vielleicht auch an die Horror-Core/Industrial-Hip-Hop-Gruppe Ho99o9 denken oder etwa an die Punkwurzeln von Indie-Heldinnen wie Santigold oder Ebony Bones). Wäre dieser Entwicklungsstrang vielleicht anders verlaufen, wären Death damals so erfolgreich geworden wie ein paar Jahre später, sagen wir, The Clash, Blondie oder die Talking Heads? Wir werden es nie erfahren.

Nie erfahren werde ich wohl auch, wo zum Teufel mein Exemplar des tollen Proto-Punk-Samplers „Sick On You! One Way Spit!“ gelandet ist, auf dem ich Death vor Jahren zum ersten Mal entdeckt habe.

Naja, notfalls kauf ich ihn mir eben ein zweites Mal. Und die offenbar sehr sehenswerte Doku „A Band Called Death“ (2012) könnte ich mir auch noch gleich besorgen.

Das letzte Wort soll aber mal wieder einem YouTube-Kommentator gehören, der über Death meinte:

They’re called Death, because they’re killin‘ it.

Ja, so kann man das auch sagen.

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