Blumen, die im Dunkeln wachsen

Konzertbericht: The Tiger Lillies, PMK Innsbruck, 13. April 2016:

Cabaret (bitte mit C!), Circus (bitte mit zwei C!) und Kuriositätenkabinett: Das sind, ganz grob gesagt, die Pole, zwischen denen die Tiger Lillies aus England wuchern und gedeihen – obwohl oder gerade weil es sich dabei bekanntermaßen um Orte handelt, an denen eher selten die Sonne scheint.

Kurz gesagt: Die Tiger Lillies mögen es dunkel. Insofern war es also durchaus passend, dass sie ihr jüngstes Innsbruck-Gastspiel nicht ins manches Mal allzu gediegene Treibhaus, sondern in die angemessen räudige PMK führte.

Die Bezugspunkte des Trios sind klar abgesteckt: Sie lieben das Theatralische (nicht umsonst haben sie beispielsweise Büchners Woyzeck vertont), sie lieben die schäbige Songkunst von Brecht/Weill und generell die dekadenten Zwanzigerjahre, hier natürlich vor allem das morbide Flair der Weimarer Republik – eine (mythisch aufgeladene) Ära, für die sich von Tom Waits über die Dresden Dolls bis hin zu Marilyn Manson bekanntlich viele Künstler aus dem angloamerikanischen Raum begeistern.

Varieté und Vaudeville, Schwarze Romantik und Schwarze Pädagogik (man denke nur an die vielbeachtete Struwwelpeter-Bearbeitung der Tiger Lillies) oder die herrlich makabren, grotesken Zeichnungen des US-Illustrators Edward Gorey (meist angesiedelt im Viktorianischen/Edwardianischen Zeitalter) schwirren ebenso durchs Referenzuniversum von Frontmann Martyn Jacques, dem Kopf und einzig verbliebenen Gründungsmitglied der Lillies.

Serviert wird das alles zum Glück nicht allzu historisierend und brav, sondern mit anarchischer Punk-Attitüde – was gut zusammenpasst, schließlich haben sich Teile der Punkszene von Anfang an für Außenseiter und Freaks, für das Abseitige, Schmutzige und Monströse interessiert. (Nicht umsonst wurzelt ja auch die Gothic-Bewegung ursprünglich im Punk – was heute gerne übersehen wird). Die entsprechenden optischen Zutaten bei den Tiger Lillies sind grelle weiße Schminke, dunkle Augenringe und schön schiache Hüte. Fein abgeschmeckt wird das Ganze mit schwarzem britischem Humor.

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Das Ergebnis ist eine sehr, sehr künstliche, irgendwie sehr, sehr europäische Musik (wenn es so etwas gibt), die mit ihrem Konzept(album)-Charakter ebenso sehr in der „Hochkultur“ – deppertes Wort, ich weiß – wie in der (alternativen) Popkultur zuhause ist, also ebenso sehr auf Ö1 wie auf FM4. Dass die Tiger Lillies gerade in Österreich sehr gut ankommen (und auch auf ihren Touren immer wieder dort ankommen), verwundert dabei nicht. Schließlich neigt ja auch der Österreicher an sich gerne zur Theatralik und zum Morbiden.

Inhaltlich umkreisen die Songs der Tiger Lillies bevorzugt die Abgründe des menschlichen Daseins: Sie spielen in üblen Kaschemmen und dunklen Kanälen (das Stichwort „gutter“ taucht gleich in einer Reihe von Songs auf), werden von Säufern und Freaks, Mördern und Mutterhassern, Prostituierten und Perversen bevölkert, drehen sich um Blasphemie und billigen Alkohol (also „sin“ und „gin“), um „midgets with full body hair“ und Sodomie („Vagina In The Sky“ handelt etwa, so weit ich das verstanden habe, von der unglücklichen Beziehung des Ich-Erzählers zu einer Giraffe). Tod und Teufel sind dabei natürlich Stammgäste – schon das erste Lied des Abends verkündete: „My Baby’s Dead“.

Musikalisch sind die Tiger Lillies ebenfalls nicht ganz leichte Kost. Und das hat vor allem einen Grund: Sänger Martyn Jacques – der zwischen Piano, Akkordeon und Ukulele wechselt – singt im Falsett. Und zwar ausschließlich. Mal quäkend, mal schrill, mal exaltiert, mal melancholisch – aber immer in gewöhnungsbedürftig hohen Frequenzen. Das ist das Alleinstellungsmerkmal der Tiger Lillies, das verleiht ihrem Sound seine besonders schräge Qualität, das ist aber auch durchaus anstrengend – und sorgte in Innsbruck phasenweise doch für eine gewisse Monotonie und einige Längen.

Grandios waren vor allem die – vom Publikum lautstark eingeforderten und abgefeierten – rauen, wilden und schnelleren Nummern, meist vom Akkordeon begleitet und im Stehen gespielt, die mit ihren mitreißenden Refrains an Seemannslieder (Shantys, wie der Engländer sagt), Varietéklänge und Zirkusmusik denken ließen. Da schwebte dann manchmal sogar der Geist des unvergleichlichen Tom Waits durch die rappelvolle PMK – zumal ja auch Waits einige (wenige) Songs im Falsett gesungen hat:

Doch während beim unerreicht vielseitigen Waits gerade die tieftraurigen, schäbigen Balladen zu den ganz großen Stärken zählen, gerieten bei den Tiger Lillies speziell die ruhigeren, am Piano und also im Sitzen gespielten Nummern teilweise etwas zäh, vor allem, wenn das schneidende Falsett allzu sehr ins Opern-/Operetten-/Musical-artige kippte. Ein knackigeres, kürzeres, punkigeres Set hätte insgesamt nicht geschadet.

Ansonsten gab es musikalisch aber nichts zu meckern: Adrian Stout spielte den Kontrabass dynamisch und fetzig, steuerte schöne Gesangslinien bei und bediente zwischendurch sogar das Theremin, auch optisch zweifellos eines der bizarrsten Musikinstrumente, das je erfunden wurde – und wie gemacht für das Gruselkabinett-Flair der Tiger Lillies. Auch Drummer Mike Pickering schob gerade bei den Varietémusik-Stompern ordentlich an.

Statt einer Vorgruppe gab es an diesem Abend übrigens eine Pause (Vorsicht, Hochkultur!), was sich insofern als Segen erwies, als sich unsere Konzertbesucher-Gruppe so für Halbzeit zwei in eine deutlich bessere Position weit vorne im Raum bringen konnte. Die erste Hälfte hatten wir aufgrund des regen Andrangs in eher ungünstiger Lage verbringen müssen – entlang der gefürchteten Bierhol/WC-Achse, vor allem aber in direkter Nachbarschaft zu sehr mitteilungsbedürftigen, äh, Musikfans, die sich gerade bei leiseren Nummern gerne in Partylautstärke unterhielten: „Also, der Kontrabassist erinnert mich voll an meinen Ex, der hatte auch so eingefallene Wangen“ …

Ansonsten war das Publikum zum Glück sehr dankbar und motiviert (auch nach der Zugabe hatten viele noch nicht genug) – und, was ich immer besonders schön finde, zielgruppen- und subkulturtechnisch höchst durchmischt. Für manchen gesetzten, eher „Hochkultur“-affinen Besucher war es vielleicht der erste Besuch in der PMK – zumindest waren viele Leute da, die ich als doch halbwegs regelmäßiger PMK-Gast dort noch nie gesehen habe. Super, so was!

Apropos super: Besten Dank an LUKAS SCHWITZER für das räudige Foto!

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