Larger than Live is Life

Konzertbericht: Bilderbuch, Congress Innsbruck – Dogana, 24. April 2019

Unverhofft kommt oft. Bis mir Kollege Dave einen Tag vorher aus heiterem Himmel eine Freikarte (sic!) für das Bilderbuch-Gastspiel im Congress Innsbruck anbot, hatte ich nicht am Radar, dass die selbstbewusstesten Styler des Landes wieder einmal im Landeanflug auf Tirol waren. Und dass es sich hierbei sogar um den Österreich-Auftakt ihrer aktuellen Tournee handelte, war mir natürlich erst recht unbekannt.

Aber da ich Bilderbuch noch nie live gesehen hatte und mir gerade ihr aktuelles Material zusagt, zögerte ich trotz quiztechnischer Verpflichtungen und einer strapaziösen Arbeitswoche natürlich keine Sekunde. Und dabei wusste ich in diesem Moment noch gar nichts von den nicht gerade wohlfeilen Kartenpreisen jenseits der 50 Euro. DaDa – danke Dave!

Bevor die Spannung unerträglich wird, hier gleich der Spoiler: Es war am Ende (und eigentlich schon am Anfang) der erhofft unterhaltsame und in jeder Hinsicht bunte Konzertabend.

Die Stimmung in der prall gefüllten, offenbar aber nicht restlos ausverkauften Dogana war schon vor dem groß inszenierten Einmarsch der Bilderbücher prächtig – obwohl das DJ-Anheizerset (hat man heute wohl so statt einer Vorband) recht austauschbar und bemüht geriet („Hey Innsbruck, wollt ihr tanzen?“ usw., gähn).

Bilderbuch jedenfalls hatten den geräumigen Laden von der ersten Minute an im Griff – und brauchten dazu nicht einmal Musik: Nachdem der Basssound auf der Bühne erst noch angeworfen werden musste, nützte der sonnenbrillentragende Front-Styler Maurice Ernst den verzögerten Start einfach für einen kleinen Innsbruck-Schwank aus seiner Jugend (den er dann selbst erst verzögert zum Abschluss brachte). Diese Anekdote brachte die Bilderbuchkarriere der Band in Kürzestform auf den Punkt: Vor ein paar Jahren, als sie noch im viel kleineren Weekender Club (RIP) gespielt hatten, war Ernst nach dem Konzert zunächst im Stadtcafé (RIP??) und danach in volltrunkenem Zustand auf einer Party in der, erraten!, Dogana gelandet. Also ebendort, wo er an diesem Abend selbst auf einer Mords-Bühne stand. So schnell kann’s gehen!

(Foto: Michael Kristenwww.kristen-images.com)

Schnell ging’s dann auch zurück an den musikalischen Start mit neuen Songs wie „Mr. Supercool“, „Mein Herz bricht“ und dem hymnischen „Memory Card“ – den einige ZuhörerInnen als etwas schleppend empfanden. Ich aber nicht. Man muss ja nicht gleich mit der Hittür ins Haus fallen!

Stichwort Hits: Von denen haben Bilderbuch inzwischen längst einen ganzen Köcher voll – darunter manche, die ich schon komplett vergessen hatte, etwa „Plansch“ aus dem (wenn man das jugendliche Alter der Hauptzielgruppe betrachtet) fernen Jahr 2013. Und sie trafen beim Konzert voll ins Ziel, mit einer bestens austarierten Mischung aus, ähem, Klassikern und frischem Songfutter.

Heftig beklatscht und bejubelt wurde natürlich das ultrabreit gebaute Riffmonster „Maschin“ (mit den herrlich bescheuerten Zeilen „Steig jetzt in mein Auto ein / Sieben Türen, 70 PS“), ebenso der 2017er-Smasher „Bungalow“ (mit den nicht minder grenzgenialen Zeilen „Baby leih mir deinen Lader / Ich brauch mehr Power für mein‘ Akku“). Beide fuhren live sogar noch besser ein als gestreamt (oder, wie man früher gesagt hätte, auf Tonträger).

Das geradezu verboten funkige „Spliff“ – eine meiner BB-Lieblingsnummern – wurde angemessen psychedelisch-halluzinatorisch in die Breite gewalzt, bei „Baba“ gab es die unvermeidlichen Autotune-Exzesse.

Genauso überzeugend gerieten die Nummern der beiden jüngsten, kurz hintereinander veröffentlichten Alben „Mea Culpa“ und „Vernissage My Heart“, auf denen Bilderbuch vielseitiger denn je klingen – und ungleich interessanter als die zuletzt leider in Richtung Schematik und Ö3 gedrifteten Wanda. (Sorry, dieses Blur-versus-Oasis-Duell sollte man nicht dauernd aufwärmen – aber es passt halt doch ziemlich gut). Schön zu hören, dass die Band ihren Weg von der 0815-Indie-Gitarrenband zu einer groovelastigen, farbenfroh schillernden und experimentierfreudigen Formation von hoher zeitgenössischer Relevanz weiter beschreitet.

Der lebensfrohe Instant-Hit „Frisbee“ zündete auch live wie der Blitz, „LED Go“ oder „Taxi Taxi“ („Ich glaube an Speed, ich glaube an Weed / Ich glaub‘ mir wird schlecht“) wussten ebenfalls zu gefallen. Atmosphärisch-hypnotisch gelangen ruhigere Songs wie „Checkpoint (Nie Game Over)“ oder das knapp zehnminütige „Europa 22“, das die Utopie eines „Lebens ohne Grenzen“ feiert.

Apropos: Von dem offenbar stärker erwachten politischen Bewusstsein der Bilderbücher (inklusive der auch marketingtechnisch gelungenen EU-Pässe) war live nicht viel zu bemerken, auch nicht bei den Bühnenansagen. Ein paar beleuchtete Globen, wie sie in den 80er- und 90er-Jahren in vielen Kinderzimmern standen, wiesen auf das augenzwinkernd-gigantomanische Tourmotto „One Earth“ hin, das war’s auch schon wieder mit der Politik. Aber muss ja nicht, gepflegter Eskapismus ist auch okay.

Und der wurde mit Zeichen und Gesten bedient, die für die ganz großen Bühnen gemacht und gedacht sind: Glitterherzen, die vom Bühnenhimmel regneten, Maurice‘sches Stagediving schon bei Song Nummer drei (!), ein überdimensionaler Wasserhahn, aus dem sich psychedelische Farbenspiele ergossen, sogar ein Treppenturm auf der Bühne, den der Sänger wirksam erklimmen konnte – bei Bilderbuch wird anno 2019 geklotzt und nicht gekleckert.

(Foto: Michael Kristenwww.kristen-images.com)

Das gilt auch auf musikalischer Ebene: Bilderbuch haben das Kunstwerk vollbracht, viele Dinge, die lange ein No-Go waren, wieder (oder auch zum ersten Mal) cool zu machen: käsige Synthie-Fanfaren, schmierige Gitarrensoli, wie sie von der Punkpolizei einst mit gutem Grund verboten wurden, Schwanzvergleich-Gepose beim „Gitarrenduell“, ja sogar zwei Schlagzeugsets auf der Bühne, eigentlich ein Relikt der großspurigen Progrock-Ära. Doch Bilderbuch setzen all das ironisch-frisch und sehr gekonnt ein, vermengen es mit Hip-Hop-inspiriertem Sprachgroove und schlüpfrigem Falsett-Funk à la Prince zu einem absolut zeitgemäßen Sound.

Dazu kommt als Markenzeichen eine dadaistische Kunstsprache zwischen Deutsch und Englisch, Mode- und Werbeslang, die nicht zuletzt Übervater Falco geschuldet ist. Klang und Groove der Worte bzw. Silben sind hier wichtiger als exaktes Textverständnis – ich persönlich kapiere bei englischen Lyrics mehr als bei einem durchschnittlichen Bilderbuchtext …

Geschickt spielen Bilderbuch dabei mit den Codes einer hyperkommerzialisierten, konsumistischen, digitalen Party- und Modekultur, sie feiern die Oberfläche, das Glatte und Grelle, die Softdrinks, die sparkelnden Shots und die stylishen Sneaker.

Exemplarisch bewies das der feine Zugabenblock mit „Sneakers4free“ (sic!), „Schick Schock“ („Du bist hinter meinem Hintern her“) oder dem brillant dargebotenen „OM“ (mit dem bewusst falsch ausgesprochenen „Lambortschini“ im Text). Dazu gab es mit dem forschen, zackigen, New-wavigen „Mr. Refrigerator“ eine der besten Nummern des Abends – eine, die weiterhin unveröffentlicht bleibt. Sozusagen als nicht-streambares Livezuckerl für die Generation Spotify.

Wobei man konstatieren muss, dass das mehrheitlich weibliche Publikum neben dem Gros an Millenials durchaus auch mit anderen Altersgruppen durchsetzt war – so dass ich und Dave alleine den Altersschnitt nicht verdoppeln konnten. Schön!

(Foto: Michael Kristenwww.kristen-images.com)

Schön ist auch, dass Stadionrock aus Österreich anno 2019 nichts mit Opus oder Andreas G. zu tun haben muss, sondern innovativ und unpeinlich klingen kann. Dennoch oder gerade deshalb sind Bilderbuch für Mega-Auftritte wie jene vor dem Schloss Schönbrunn im Mai (so rasch ausverkauft, dass ein Zusatztermin angesetzt werden musste) oder bei Riesenfestivals à la Southside bestens gerüstet. Mit ihren im positiven Sinne überlebensgroßen Posen und Egos kann da eigentlich gar nichts schief gehen …

PS: Herzlichen Dank an Michael Kristen (www.kristen-images.com) für die großartigen, dynamischen Konzertfotos!

4 Gedanken zu „Larger than Live is Life

  1. Alois

    Danke für diesen schönen Bericht, überhaupt super Blog! Ich hatte an diesem Tag leider keine Zeit, bin jetzt aber froh dass Dave dir meine Karte gegeben hat weil so kann ich wenigstens nachlesen wie geil es war. Hab die Bilderbuch letztes Jahr in IBK in der Music Hall gesehen – war auch toll – aber deinem Bericht nach haben sie sich showtechnisch und akustisch nochmal ordentlich weiterentwickelt.
    LG

    Antworten
    1. Michael Domanig Beitragsautor

      Servus Alois! Freut mich, besten Dank! Hoffe, wir schaffen es in den nächsten Wochen wieder öfter, Beiträge zu veröffentlichen. Der Wille ist da!

      Antworten
  2. Nina

    So cool!! Nach deinem Artikel würd ich die echt auch gern mal live sehn… V.a. muss ich mir das neue Zeugs von denen tatsächlich mal anhören!!

    Antworten
    1. Michael Domanig

      Danke! Ja, mir gefallen die letzten zwei Alben teilweise wirklich sehr gut. Meine Anspieltipps: Europa 22; Frisbee; Checkpoint (Nie Game Over)

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Michael Domanig Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert