Wucht. Wildheit. Wahnsinn.

Konzertberichte: VALIENT THORR, PMK Innsbruck, 6. Oktober 2015; DAVE & THE PUSSIES, KulturZone Wörgl, 9. Oktober 2015

Ein gutes Rockkonzert (und leider gibt es sehr viele sehr schlechte Rockkonzerte) lebt von seiner Wucht, seiner Unmittelbarkeit, von der rauen Energie, der man sich einfach nicht entziehen kann. Die zurückliegende Woche bot dafür gleich zwei grandiose Beispiele.

Am Dienstag hielt der nackte Wahnsinn in Gestalt von Valient Thorr Einzug in der PMK Innsbruck. Dort war die wüste Formation aus North Carolina schon mehrfach zu sehen, unter anderem auch bei einem der beliebten PMK-Straßenfeste (ein Auftritt, von dem man sich Sagenhaftes erzählt). Ich selbst hatte die Band hingegen einmal in Kufstein erlebt, 2007 im Vorprogramm der Stoner-Rock-Veteranen Fu Manchu, die von Valient Thorr damals jedoch spielend an die Wand gespielt wurden.

Jenes Bild, das ich mit diesem Abend am stärksten verbinde, ist das eines zotteligen, vollbärtigen, schweißtriefenden Sängers mit entblößtem Oberkörper, der auf einmal am Boden vor der Bühne hockt, mitten im Publikum, das er ebenfalls zum Sitzen verdonnert. Von einem hippiesken Lagerfeuer-mit-Klampfe-Ambiente war die Band dabei allerdings meilenweit entfernt. Denn bei Valient Thorr geht es um die Urprinzipien des Rock ’n‘ Roll, die da heißen: Lautstärke und Geschwindigkeit, Schweiß und Dreck. Genau so, also erwartet großartig, war das auch beim PMK-Konzert.

Eröffnet wurde der Abend allerdings noch recht konventionell: Child aus dem australischen Melbourne servierten kompetent gespielten, psychedelischen, tief in Blues getränkten Hardrock, der allerdings etwas statisch und, wie der kritische Blogkollege Dave meinte, auch ein wenig zu basslastig daherkam. Apropos Bass: Der Bassist von Child trug bassenderweise und passenderweise ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Sabbath Worship“, aus dem jedoch, wenn der Gitarrengurt verrutschte, immer wieder ein deutlich weniger passendes „Abba Worship“ wurde … Also genau die Art von Skurrilität, die mir im Gedächtnis bleibt 😉

Weiter ging’s, deutlich flotter und schon vor etwas mehr Zuschauern, mit einem zweiten jungen Hardrock-Trio, Black-Bone aus Eindhoven. Frontmann Steef überzeugte mit klassischen Powerriffs, manischem Angus-Young-Blick und dem Mut, sein schütteres Haar lang zu tragen. Übrigens nicht als letzter Frontmann an diesem Tag …

Der „real deal“ waren dann aber Valient Thorr, bei denen von „Rampensauen“ über „Bühnentiere“ bis hin zu „Naturgewalt“ kein animalisch-ökologischer Begriff zu hoch gegriffen ist. Schon nach dem ersten Song hatte Frontmann Valient Himself (ja genau, so nennt sich der, die anderen Bandmitglieder tragen die schönen Einheitsnamen Eidan Thorr, Storm Thorr, Sadat Thorr und Lucian Thorr) sein T-Shirt als unnötigen Luxus erkannt und stellte für das restliche Konzert seine schweißglänzende Rocker-Wampe in die Auslage.

Überhaupt, was für ein Frontmann! Die Energie tropft diesem wilden, haarigen Derwisch buchstäblich aus allen Poren, wenn er wie ein Geisteskranker über die Bühne fegt, sich auf ihr wälzt und ringelt und dazu kehligen Gesang und manische Zwischenmoderationen ausspuckt (zum Beispiel über außerirdische Bazillen auf Froschbeinen oder so ähnlich). Rock ’n‘ Roll, wie ihn Valient Thorr verstehen (und sie verstehen ihn richtig) ist so etwas wie ein archaisches Ritual: brutal laut, bizarr schnell, wild und ekstatisch.

Was die inzwischen multiethnisch besetzte Formation von Heerscharen an harten Rockbands abhebt, ist neben ihrer schier unmenschlichen Energie und ihrer erstaunlichen Leichtfüßigkeit („der steht auch bei 180 beats per minute da und spielt Jazz“, meinte Konzertbesucher Phil bewundernd über den Bassisten) vor allem ihr roher, punkiger Spirit, der leider allzu vielen anderen Stoner-Rock- und Metalbands abgeht und sie oftmals so schwerfällig, statisch und letztlich eintönig klingen lässt.

Ach ja, jede Menge Humor haben die wilden Kerle (die behaupten, eigentlich „from inside of the planet Venus“ zu stammen) auch noch: Das bekam zum Beispiel Jules, seines Zeichens Drummer der erwähnten Vorband Black-Bone, zu spüren, der just an diesem Abend 21 wurde und vom Valient-Frontmann gleich mehrfach auf die Bühne geholt und mit Dosenbier standesgemäß eingesaftelt wurde.

Die Bierdosen stach Valient Himself übrigens mit aus dem Publikum entlehnten Schlüsseln auf, dass es nur so spritzte – sozusagen die räudige kleine Schwester einer Champagnerdusche. Und somit ein gutes Sinnbild für diese begnadete Liveband, die eine am Ende doch noch bestens gefüllte PMK mit offenem Mund zurückließ.

Schade nur, dass es von diesem gewaltigen Auftritt keine Fotos oder Videos zu geben scheint …

Vergleichsweise spärlich war der Besucherandrang drei Tage später in der kleinen, äußerst heimeligen Wörgler KulturZone, die den herbstlichen Konzertreigen mit einem Gastspiel von Dave & The Pussies aus Fieberbrunn eröffnete. Dass nur wenige hundert Meter entfernt, im Komma Wörgl, zeitgleich ein Abend mit vier lokalen Rockbands in Szene ging, war im Hinblick auf die Besucherzahlen zwar schade, letztlich aber wurscht. Denn die Pussies sorgten auch so für einen beeindruckenden Konzertabend – und haben unter denen, die da waren, definitiv neue Fans gefunden.

Nachdem ich Österreichs beste Surfrockband nun schon zum dritten Mal live genossen und auch hier am Blog schon ausführlich hergefoppt habe, nur einige kurze Beobachtungen: Zum Beispiel jene, dass ich beim atmosphärischen, gleichermaßen wuchtigen wie filigranen Instrumentalrock der Pussies einmal mehr diverse Assoziationen, ja geradezu Filmbilder im Kopf hatte – von hitzeflirrenden Spaghetti-Western-Landschaften über verwegene Gangster-Streifen und verführerische Film-Noir-Schönheiten bis hin zu orientalischer Mystik. Ähnlich erging es auch dem Kollegen Fab, der im Bezug auf die bisweilen exotisch anmutenden Surfrock-Harmonien gar an „Schlangenbeschwörer“ dachte …

Verstärkt wurde die hypnotische Sogwirkung – die auf einem extrem dichten, druckvollen Gesamtsound beruht – durch den geschickten Kniff der Band, zwischen den einzelnen Nummern kaum Pausen zu lassen. Und das über zwei Stunden (!) lang. So konnte man sich in die geheimnisvoll funkelnden Klangwelten richtiggehend fallenlassen – ich persönlich hätte bis fünf Uhr früh zuhören können.

Für aufmerksame Hörer und Popkultur-Nerds gibt es im Sound von Dave & The Pussies übrigens diverse Anspielungen zu entdecken. In Wörgl reichte die Palette von Edvard Grieg (dessen hypnotisches Orchesterstück „In der Halle des Bergkönigs“ in halsbrecherische Geschwindigkeitsbereiche überführt wurde) bis hin zur obskuren R.E.M.-B-Seite „White Tornado“ aus den 80er Jahren (was mich als Riesenfan der frühen R.E.M. besonders freute). In einem weiteren Track fanden sogar das magische „Eleanor Rigby“ der Beatles, der krachige „Feel Good Hit Of The Summer“ von den Queens Of The Stone Age und das „Batman“-Thema zusammen. Die Band kommentierte diesen Mash-up mit trockenem Fieberbrunner Humor: „Wer alle drei Anspielungen erkennt, der … hat alle drei Anspielungen erkannt“.

Übrigens: Erste Bildimpressionen vom Konzert findet man hier. Und vielleicht kommen ja auch noch ein paar feine Aufnahmen nach, geschätztes KulturZone-Team?

Und um die beiden Konzertberichte (1. PMK, 2. Pussies) quasi zusammenzuführen, hier noch ein abschließender Hinweis: Am Samstag, den 31. Oktober laden Dave & The Pussies und die
Supergroup „Innsbrooklyn Crimson Ghosts“ (Letztere mit einem speziellen Misfits-Programm) zur Hell-O-Ween Mass in den Innsbrucker PMK-Bogen. Es weaschd nix nutzn, do muaß ma hi. 

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