Wehe, wenn sie losgelassen …

Konzertbericht: Dave & The Pussies vs. Daikaiju, Riverhouse Fieberbrunn, 4. Oktober 2014

Surf-Rock-Gipfeltreffen in Fieberbrunn: Dave & The Pussies, zweifelsohne Österreichs beste Surf-Formation (das behaupte ich jetzt einfach, ohne andere österreichische Surf-Formationen zu kennen), trafen in ihrem Heimatort auf die US-Psycho-Surf-Urviecher von Daikaiju, denen ein geradezu furchteinflößend guter Ruf als Liveband vorauseilt. Völlig zu Recht, wie sich an diesem ungewöhnlichen Abend erweisen sollte …

Das Motto der Veranstaltung, „Monsters of Surf“, war kein bisschen übertrieben: Nicht nur weil beide Bands auf einem einschlägigen Sampler gleichen Namens vertreten sind, sondern auch wegen der – im besten Sinne – monströsen Livequalitäten der beiden befreundeten Gruppen (die ein paar Tage zuvor auch schon in Ottakring gewütet hatten). Diese Qualitäten entfalten sie übrigens – ich als relativer Surf-Rock-Novize muss das einfach noch einmal betonen – ohne ein einziges gesungenes Wort auf der Bühne. Ja genau, es war ein rein instrumentaler Abend. Und trotzdem (oder gerade deshalb?) ein höchst intensives Erlebnis.

Für den Auftakt sorgten die mächtigen Pussies, die mich (wie schon im Vorprogramm der Bambi Molesters) mit ihrem glasklaren, druckvollen, perfekt austarierten Sound begeisterten: Gitarre und Bass wie straff gespannte Gummibänder, dazu gleichermaßen wuchtiges wie relaxtes Schlagzeugspiel. Gitarrist David Obwaller (der auch die Mannen von Daikaiju zu wahren Lobeshymnen inspirierte) erhielt viel Freiraum für halsbrecherisch schnelle, kristallin funkelnde und stets erfrischend uneitle Soli, während die Rhythmusabteilung genau das machte, was eine gute Rhythmusabteilung macht: hochenergetisch pulsieren.

Genauso tight wie der Sound von Dave & The Pussies waren auch die straff sitzenden Trainingsanzüge der Band, einheitliche Einteiler in knalligem Gelb, die das Bild von der Band als Gang, als verschworene Gemeinschaft oder Sound-Einheit noch weiter unterstrichen. Die Bandmitglieder von Daikaiju filmten und fotografierten eifrig mit – eine klare Ehrenbezeugung gegenüber den österreichischen Genrekollegen. Die wiederum verneigten sich mit einer furiosen Coverversion von „Flight of Garuda“ vor ihren amerikanischen Gästen (die bereits zum dritten Mal den Weg ins Pillerseetal gefunden hatten).

[In obigem Video ist übrigens, im Gegensatz zum Fieberbrunn-Konzert, nicht Drummer Lukas Obwaller zu hören und zu sehen].

Danach enterten Daikaiju die Bühne: Und die Vokabel „entern“ ist hier wirklich angebracht. Denn ein Daikaiju-Konzert kann man sich tatsächlich wie eine Art Seeräuber-Angriff vorstellen, einen, bei dem keine Gefangenen gemacht werden: Vier Männer mit leicht psychotischen Masken („blast-man“, „pulse-man“, „rock-man“ und „secret-man“) wurden da ohne jede Vorwarnung von der Leine und aufs Publikum losgelassen. Und schon nach wenigen Minuten wusste man: mehr „in your face“ geht nicht.

Riverhouse Daikaiju (2 von 32)

Daikaiju knöpften sich jede und jeden im (überschaubaren) Publikum einzeln vor, ohne den Mitwirkenden („Zuschauer“ wäre zu wenig) eine Wahl zu lassen oder lang zu fragen. Wie denn auch? Während des ganzen Konzerts sprachen die vier Herren nicht ein einziges Wort, sondern machten sich ausschließlich mit rudimentärer Pantomime (zeigen, deuten, nicken, Kopf schütteln) verständlich. Und natürlich mit ihren Instrumenten.

Apropos Instrumente: Die wurden an diesem Abend ordentlich „hergelassen“ (wie man im Unterland sagen würde): Da wurden Gitarrenkabel bis zum Zerreißen gedehnt – denn Daikaiju spielen am liebsten mitten im Publikum (und schnöde kabellose Gitarren kommen ihnen trotzdem nicht in die Tüte). Da wurden Zuschauer zu Kurzzeitmusikern umfunktioniert und manche Mädels mit Instrumenten dekoriert wie Christbäume. Da wurden Drumkits plötzlich von der Bühne geholt und mitten im Publikum wieder aufgebaut (was soundtechnisch vielleicht ein Rückschritt, stimmungstechnisch jedoch unglaublich wirkungsvoll war).

Riverhouse Daikaiju (10 von 32)

Und es wurde immer wilder: Da wurden wurden Tische und Stühle bestiegen, da wurden Gitarristen herumgetragen, da wurden arglose Gäste aus Kufstein mit Bassgitarren behängt (ich stand ein paar Sekunden da wie der unmusikalische Ochs vorm Berg). Da konnte man Becken brennen sehen und David Obwaller als Drummer erleben, da wurde natürlich auch massenhaft Schweiß verspritzt. Kurz: Es war eine gewaltige Sause!

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Gegen Ende erhielt das verblüffte Publikum dann die Anweisung, das komplette Drumkit in die Luft zu hieven, während weitere Zuschauer dazu (zwangs-)verpflichtet wurden, den Schlagzeuger samt Schemel emporzustemmen. Dort, in luftigen Höhen, spielte er einfach weiter, als sei das die normalste Sache der Welt. Und da er offenbar noch immer nicht ausgelastet war, ließ er gleich noch ein paar Klimmzüge am Lüftungsrohr folgen …

Riverhouse Daikaiju (25 von 32)

Zum krönenden Abschluss wurde ein Fan, der extra aus München ins ferne Fieberbrunn angereist war, stilvoll unter dem kompletten Schlagzeug bestattet. Was für ein Abgang!

Kaum zu glauben, dass derselbe tätowierte Drummer, der wenige Stunden zuvor noch mit Maske und nacktem Oberkörper an der Decke gehangen und sich die Seele aus dem Leib getrommelt hatte, tags darauf am Dave’schen Küchentisch saß, mit der Dave’schen Mutti Tee trank, über Literatur parlierte und sich rundherum als sensibler und höflicher junger Mann erwies. So wie die ganze Band nach dem Konzert einen extrem sympathischen und bodenständigen Eindruck hinterließ. Wahnsinn braucht halt Erdung.

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Aus meiner Sicht ist eine interaktive Performance wie jene von Daikaiju (Konzert wäre zu kurz gegriffen) auch musiktheoretisch – und vielleicht sogar politisch – bemerkenswert: Die Barriere zwischen Band und Publikum (die sich natürlich nie ganz beseitigen lässt) wird hier in bester Punkmanier so weit wie möglich eingerissen. Ein größerer Kontrast zu Stadionrockbands, die von den Fans durch hohe Bühnen und hohe Absperrungen, fette Securitys und fette Bankkonten getrennt sind, scheint kaum denkbar.

Daikaiju touren mit einem Leihauto durch ganz Europa, haben einen unglaublich dichten Spielplan – und scheinen sich trotzdem an jedem einzelnen Abend mit bewundernswerter Energie (und rauschmittelresistenten Körpern) zu verausgaben. Zum Fieberbrunn-Konzert reisten sie direkt aus Slowenien an, danach ging und geht es weiter nach Tschechien, Ungarn, tief hinein in den Balkan (Novi Sad, Belgrad, Mazedonien, Albanien), gleich darauf quer durch Italien und so weiter und so fort …

Reich werden Daikaiju so bestimmt nicht – dafür sind der schroffe Sound und das wilde, archaische Auftreten wohl nicht massentauglich genug. Andererseits wird jeder, der auch nur ein bisschen Rock-n-Roll-Feuer in sich lodern fühlt, nach einem Daikaiju-Happening sofort das nächste erleben wollen …

Riverhouse Daikaiju (32 von 32)

Apropos: Für den Autor dieser Zeilen endete der Abend mit zu viel Tequila (jeder Tequila ist zu viel), geklauten Zigaretten (als strikter Nichtraucher!) und einer reichlich benebelten Zugfahrt, die weiter führte als geplant. Aber mit einem frischen „Monsters of Surf“-Sampler (samt schmuckem Plakat) in der Tasche übersteht man fast alles …

PS: Tausend Dank an Peter Neubauer (www.woodway.at) für die absolut grandiosen Fotos!

2 Gedanken zu „Wehe, wenn sie losgelassen …

  1. Peter Hengl

    Wenn du mir diesen „Monsters of Surf“-Sampler mal borgst, verrate ich dir auch, dass man unter Kaiju diese Gummikostüm-Monster aus japanischen Filmen versteht, und dass Mothra-Girls diese Zwillinge sind, die Godzilla-Riesenmotte Mothra kontrollieren….

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    1. Michael Domanig Beitragsautor

      Super, man lernt nie aus … Die Riesenmotte Mothra war mir ein Begriff, aber von den Zwillingen und vom Ausdruck „Kaiju“ war mir nichts bekannt. Den Sampler leih ich dir gern (sobald ich ihn selbst durchgehört habe), vor allem aber solltest du dir Daikaiju bei Gelegenheit unbedingt mal live genehmigen. Da rappelt’s in der Kiste!

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